zu ermessen. Allein bei dem Gedanken, dass dieses so reine und mit dem heiligen Manna der alten Meister so kräftig genährte Talent entweiht werden könnte, ließ er sein Haupt sinken und sprach in sichtlicher Bestürzung zu dem Grafen:
– O, nehmt sie, nehmt sie nur hin, diese makellose Seele, diesen unbefleckten Geist; werft ihn den Hunden vor und gebt ihn den wilden Tieren zum Raube, denn das ist das Schicksal des Genies in unseren Tagen.
Dieser Schmerzensruf, halb ernst und halb komisch, gab dem Grafen einen Maßstab, um das Verdienst einer Schülerin zu schätzen, deren Wert ein so strenger Lehrer so hoch anschlug.
– Wie denn, teurer Meisters rief er aus, ist das euere aufrichtige Meinung? Ist diese Consuelo wirklich ein so außerordentliches, ein so himmlisches Wesen?
– Ihr werdet sie hören! sagte Porpora, mit der Miene der Ergebung, und setzte wiederholend hinzu: es ist ihr Schicksal!
Es gelang indessen dem Grafen, die gesunkenen Lebensgeister des Meisters wieder aufzurichten, indem er ihm auf eine gründliche Reform in der Wahl der Opern für das Repertoir von San Samuel Hoffnung machte. Er verhieß ihm, schlechte Werke gänzlich auszuschließen, sobald er nur erst die Corilla los sein würde, auf deren Eigensinn und Grillen er die Zulassung und günstige Aufnahme solcher Werke schob. Er ließ sogar geschickt die Absicht durchblicken, auch mit Hasse künftig sehr sparsam zu sein, und sagte zum Schlusse, wenn Porpora eine Oper für Consuelo schriebe, wenn eines Tages dann die Schülerin ihren Lehrer mit zwiefachem Ruhme kränzte, seine Gedanken in seiner eigensten Auffassung wiedergebend, so würde dieser Tag ein Tag des Triumphes für San Samuel und der schönste Tag in des Grafen Leben sein.
Porpora war bezwungen; er fing an sich zu besänftigen und sogar im Geheimen den Auftritt seiner Schülerin eben so sehr zu wünschen als er ihn zuvor gefürchtet hatte, gefürchtet, weil dadurch den Werken seines Nebenbuhlers ein neuer Aufschwung in der Gunst des Publikums verschafft werden konnte. Da der Graf nunmehr noch seine Bedenklichkeiten über Consuelo’s Äußere zu erkennen gab, so weigerte sich Porpora entschieden, das Mädchen in einer Privatzusammenkunft und unvorbereitet vor ihm singen zu lassen.
– Ich kann sie nicht, erwiderte er auf die Fragen und Bitten des Grafen, für eine Schönheit ausgeben. Ein Mädchen, so ärmlich gekleidet, und schüchtern, wie es ein Kind aus der Volksklasse, das nie die mindeste Beachtung gefunden, vor einem vornehmen Herrn und Richter eures Standes wohl sein muss, bedarf durchaus einiger Toilette und Vorbereitung. Zudem ist Consuelo eine von denen, welche der Ausdruck des Genies schöner macht. Man muss sie zugleich sehen und hören. Lasst mich gewähren. Wenn ihr nicht zufrieden seid, so lasset sie mir, und ich werde Mittel und Wege finden, aus ihr eine wackere Nonne zu machen, welche zum Ruhme der Schule Eleven unter ihrer Leitung bildet.
In der Tat war dies die Zukunft, welche Porpora bisher für Consuelo im Sinne gehabt hatte.
Als er seine Schülerin wiedersah, kündigte er ihr an, dass sie von dem Grafen gehört und beurteilt werden würde. Und da sie ihm ehrlich gestand, wie sehr sie fürchte, hässlich gefunden zu werden, so versicherte er ihr, sie würde gar nicht sichtbar sein, sie würde hinter dem Gitter der Orgeltribüne singen, denn der Graf wollte sie beim Gottesdienste in der Kirche hören. Nur riet er ihr, sich schicklich zu kleiden, weil sie nachher diesem Herrn auch vorgestellt werden müsste, und obgleich selbst arm, schenkte ihr der großmütige Meister dennoch einiges Geld zu diesem Behufe.
Ganz bestürzt, ganz aufgeregt, zum ersten male mit der Sorge für ihre Person beschäftigt, setzte Consuelo in der Eile ihre Toilette und ihre Stimme in Bereitschaft; die letztere nämlich versuchte sie geschwind, und als sie dieselbe so frisch, so stark, so biegsam fand, sagte sie wiederholt zu Anzoleto, welcher ihr bewegt und entzückt zuhörte: Ach! warum braucht doch ein Sängerin noch mehr als singen zu können?
10.
Am Tage vor dem Feste fand Anzoleto Consuelo’s Tür verriegelt und musste wohl eine Viertelstunde auf der Treppe warten; endlich ward er eingelassen, um seine Freundin in ihrem Festputze zu sehen, den sie vor ihm probieren wollte. In einem hübschen Kleide von großblumigem Zitz, im Spitzentuch und Puder, sah sie so fremd aus, dass Anzoleto einige Augenblicke unbeweglich stand und nicht wusste, ob sie bei dieser Verwandlung gewonnen oder verloren habe. Sein Schwanken war für Consuelo, die in seinen Augen las, ein Dolchstoß.
– Ach! rief sie, ich sehe es wohl, dass ich dir so nicht gefalle. Wem sollte ich wohl erträglich scheinen, wenn selbst dem, der mich liebt, mein Anblick nicht erfreulich ist?
– Nur ein klein wenig Geduld! entgegnete Anzoleto. Vor der Hand bin ich noch ganz erstaunt, wie schön deine Taille in diesem langen Leibchen ist, und was für ein vornehmes Aussehen dir die Spitzen geben. Die reichen Falten an dem Rocke stehen wunderschön. Nur um dein schwarzes Haar ist mir’s leid … mir däucht wenigstens … es ist aber einmal der Brauch, und du musst morgen eine Signora sein.
– Warum muss ich eine Signora sein! Ich ich hasse diesen Puder, der die Schönsten fad und alt macht. Ich bin nicht ich selbst unter diesen Falbalas. Und kurz, ich gefalle mir nicht, und ich sehe dass du meiner Meinung bist. Da war ich heute früh in der Probe und sah die Clorinda, die auch ein neues Kleid anversucht hatte. Sie sah darin so geputzt, so stattlich, so schön aus (o die ist glücklich, die braucht man nicht erst zweimal anzusehen, um sich von ihrer Schönheit zu überzeugen), dass mir ganz Angst ist, neben ihr vor dem Grafen zu erscheinen.
– Und sie hat schlecht gesungen?
– Wie immer … Ach, mein Freund! diese Nebenbuhlerei verdirbt recht das Herz. Wenn noch vor kurzem die Clorinda, die bei aller ihrer Eitelkeit ein gutes Kind ist, vor irgend einem Richter Fiasko gemacht hätte, ich würde sie von ganzer Seele bedauert haben, ich würde ihren Kummer und ihre Beschämung geteilt haben. Und nun ertappe ich mich darauf, dass das mich freut. Kämpfen, neidisch sein, sich gegenseitig zu vernichten suchen! und das alles für einen Mann, den man nicht liebt, den man nicht kennt. Entsetzlich traurig macht mich das, mein liebes Herz! und ich glaube, ich fürchte mich eben so sehr vor dem Erfolg, als vor dem Misslingen! Mir ist zu Mute, als ob es mit unserem Glücke nun aus wäre, als ob ich morgen nach der Probe, wie sie auch ausfalle, in dieses arme Zimmer ganz anders wiederkehren müsste, als ich darin bis jetzt gelebt habe.
Zwei große Tränen rollten über Consuelo’s Backen.
– Nun gar! Jetzt wirst du weinen! rief Anzoleto. Was fällt dir ein? dir die Augen trüben und die Augenlieder anschwellen? Deine