George Sand

Gesammelte Werke


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zu er­mes­sen. Al­lein bei dem Ge­dan­ken, dass die­ses so rei­ne und mit dem hei­li­gen Man­na der al­ten Meis­ter so kräf­tig ge­nähr­te Ta­lent ent­weiht wer­den könn­te, ließ er sein Haupt sin­ken und sprach in sicht­li­cher Be­stür­zung zu dem Gra­fen:

      – O, nehmt sie, nehmt sie nur hin, die­se ma­kel­lo­se See­le, die­sen un­be­fleck­ten Geist; werft ihn den Hun­den vor und gebt ihn den wil­den Tie­ren zum Rau­be, denn das ist das Schick­sal des Ge­nies in un­se­ren Ta­gen.

      Die­ser Schmer­zens­ruf, halb ernst und halb ko­misch, gab dem Gra­fen einen Maß­stab, um das Ver­dienst ei­ner Schü­le­rin zu schät­zen, de­ren Wert ein so stren­ger Leh­rer so hoch an­schlug.

      – Wie denn, teu­rer Meis­ters rief er aus, ist das eue­re auf­rich­ti­ge Mei­nung? Ist die­se Con­sue­lo wirk­lich ein so au­ßer­or­dent­li­ches, ein so himm­li­sches We­sen?

      – Ihr wer­det sie hö­ren! sag­te Por­po­ra, mit der Mie­ne der Er­ge­bung, und setz­te wie­der­ho­lend hin­zu: es ist ihr Schick­sal!

      Es ge­lang in­des­sen dem Gra­fen, die ge­sun­ke­nen Le­bens­geis­ter des Meis­ters wie­der auf­zu­rich­ten, in­dem er ihm auf eine gründ­li­che Re­form in der Wahl der Opern für das Re­per­toir von San Sa­mu­el Hoff­nung mach­te. Er ver­hieß ihm, schlech­te Wer­ke gänz­lich aus­zu­schlie­ßen, so­bald er nur erst die Co­ril­la los sein wür­de, auf de­ren Ei­gen­sinn und Gril­len er die Zu­las­sung und güns­ti­ge Auf­nah­me sol­cher Wer­ke schob. Er ließ so­gar ge­schickt die Ab­sicht durch­bli­cken, auch mit Has­se künf­tig sehr spar­sam zu sein, und sag­te zum Schlus­se, wenn Por­po­ra eine Oper für Con­sue­lo schrie­be, wenn ei­nes Ta­ges dann die Schü­le­rin ih­ren Leh­rer mit zwie­fa­chem Ruh­me kränz­te, sei­ne Ge­dan­ken in sei­ner ei­gens­ten Auf­fas­sung wie­der­ge­bend, so wür­de die­ser Tag ein Tag des Tri­um­phes für San Sa­mu­el und der schöns­te Tag in des Gra­fen Le­ben sein.

      Por­po­ra war be­zwun­gen; er fing an sich zu be­sänf­ti­gen und so­gar im Ge­hei­men den Auf­tritt sei­ner Schü­le­rin eben so sehr zu wün­schen als er ihn zu­vor ge­fürch­tet hat­te, ge­fürch­tet, weil da­durch den Wer­ken sei­nes Ne­ben­buh­lers ein neu­er Auf­schwung in der Gunst des Pub­li­kums ver­schafft wer­den konn­te. Da der Graf nun­mehr noch sei­ne Be­denk­lich­kei­ten über Con­sue­lo’s Äu­ße­re zu er­ken­nen gab, so wei­ger­te sich Por­po­ra ent­schie­den, das Mäd­chen in ei­ner Pri­vat­zu­sam­men­kunft und un­vor­be­rei­tet vor ihm sin­gen zu las­sen.

      – Ich kann sie nicht, er­wi­der­te er auf die Fra­gen und Bit­ten des Gra­fen, für eine Schön­heit aus­ge­ben. Ein Mäd­chen, so ärm­lich ge­klei­det, und schüch­tern, wie es ein Kind aus der Volks­klas­se, das nie die min­des­te Be­ach­tung ge­fun­den, vor ei­nem vor­neh­men Herrn und Rich­ter eu­res Stan­des wohl sein muss, be­darf durch­aus ei­ni­ger Toi­let­te und Vor­be­rei­tung. Zu­dem ist Con­sue­lo eine von de­nen, wel­che der Aus­druck des Ge­nies schö­ner macht. Man muss sie zu­gleich se­hen und hö­ren. Lasst mich ge­wäh­ren. Wenn ihr nicht zu­frie­den seid, so las­set sie mir, und ich wer­de Mit­tel und Wege fin­den, aus ihr eine wa­cke­re Non­ne zu ma­chen, wel­che zum Ruh­me der Schu­le Ele­ven un­ter ih­rer Lei­tung bil­det.

      In der Tat war dies die Zu­kunft, wel­che Por­po­ra bis­her für Con­sue­lo im Sin­ne ge­habt hat­te.

      Als er sei­ne Schü­le­rin wie­der­sah, kün­dig­te er ihr an, dass sie von dem Gra­fen ge­hört und be­ur­teilt wer­den wür­de. Und da sie ihm ehr­lich ge­stand, wie sehr sie fürch­te, häss­lich ge­fun­den zu wer­den, so ver­si­cher­te er ihr, sie wür­de gar nicht sicht­bar sein, sie wür­de hin­ter dem Git­ter der Or­gel­tri­bü­ne sin­gen, denn der Graf woll­te sie beim Got­tes­diens­te in der Kir­che hö­ren. Nur riet er ihr, sich schick­lich zu klei­den, weil sie nach­her die­sem Herrn auch vor­ge­stellt wer­den müss­te, und ob­gleich selbst arm, schenk­te ihr der groß­mü­ti­ge Meis­ter den­noch ei­ni­ges Geld zu die­sem Be­hu­fe.

      Ganz be­stürzt, ganz auf­ge­regt, zum ers­ten male mit der Sor­ge für ihre Per­son be­schäf­tigt, setz­te Con­sue­lo in der Eile ihre Toi­let­te und ihre Stim­me in Be­reit­schaft; die letz­te­re näm­lich ver­such­te sie ge­schwind, und als sie die­sel­be so frisch, so stark, so bieg­sam fand, sag­te sie wie­der­holt zu An­zo­le­to, wel­cher ihr be­wegt und ent­zückt zu­hör­te: Ach! warum braucht doch ein Sän­ge­rin noch mehr als sin­gen zu kön­nen?

      10.

      Am Tage vor dem Fes­te fand An­zo­le­to Con­sue­lo’s Tür ver­rie­gelt und muss­te wohl eine Vier­tel­stun­de auf der Trep­pe war­ten; end­lich ward er ein­ge­las­sen, um sei­ne Freun­din in ih­rem Fest­put­ze zu se­hen, den sie vor ihm pro­bie­ren woll­te. In ei­nem hüb­schen Klei­de von groß­blu­mi­gem Zitz, im Spit­zen­tuch und Pu­der, sah sie so fremd aus, dass An­zo­le­to ei­ni­ge Au­gen­bli­cke un­be­weg­lich stand und nicht wuss­te, ob sie bei die­ser Ver­wand­lung ge­won­nen oder ver­lo­ren habe. Sein Schwan­ken war für Con­sue­lo, die in sei­nen Au­gen las, ein Dolch­stoß.

      – Ach! rief sie, ich sehe es wohl, dass ich dir so nicht ge­fal­le. Wem soll­te ich wohl er­träg­lich schei­nen, wenn selbst dem, der mich liebt, mein An­blick nicht er­freu­lich ist?

      – Nur ein klein we­nig Ge­duld! ent­geg­ne­te An­zo­le­to. Vor der Hand bin ich noch ganz er­staunt, wie schön dei­ne Tail­le in die­sem lan­gen Leib­chen ist, und was für ein vor­neh­mes Aus­se­hen dir die Spit­zen ge­ben. Die rei­chen Fal­ten an dem Ro­cke ste­hen wun­der­schön. Nur um dein schwar­zes Haar ist mir’s leid … mir däucht we­nigs­tens … es ist aber ein­mal der Brauch, und du musst mor­gen eine Si­gno­ra sein.

      – Wa­rum muss ich eine Si­gno­ra sein! Ich ich has­se die­sen Pu­der, der die Schöns­ten fad und alt macht. Ich bin nicht ich selbst un­ter die­sen Fal­ba­las. Und kurz, ich ge­fal­le mir nicht, und ich sehe dass du mei­ner Mei­nung bist. Da war ich heu­te früh in der Pro­be und sah die Clo­rin­da, die auch ein neu­es Kleid an­ver­sucht hat­te. Sie sah dar­in so ge­putzt, so statt­lich, so schön aus (o die ist glück­lich, die braucht man nicht erst zwei­mal an­zu­se­hen, um sich von ih­rer Schön­heit zu über­zeu­gen), dass mir ganz Angst ist, ne­ben ihr vor dem Gra­fen zu er­schei­nen.

      – Und sie hat schlecht ge­sun­gen?

      – Wie im­mer … Ach, mein Freund! die­se Ne­ben­buh­le­rei verdirbt recht das Herz. Wenn noch vor kur­z­em die Clo­rin­da, die bei al­ler ih­rer Ei­tel­keit ein gu­tes Kind ist, vor ir­gend ei­nem Rich­ter Fias­ko ge­macht hät­te, ich wür­de sie von gan­zer See­le be­dau­ert ha­ben, ich wür­de ih­ren Kum­mer und ihre Be­schä­mung ge­teilt ha­ben. Und nun er­tap­pe ich mich dar­auf, dass das mich freut. Kämp­fen, nei­disch sein, sich ge­gen­sei­tig zu ver­nich­ten su­chen! und das al­les für einen Mann, den man nicht liebt, den man nicht kennt. Ent­setz­lich trau­rig macht mich das, mein lie­bes Herz! und ich glau­be, ich fürch­te mich eben so sehr vor dem Er­folg, als vor dem Miss­lin­gen! Mir ist zu Mute, als ob es mit un­se­rem Glücke nun aus wäre, als ob ich mor­gen nach der Pro­be, wie sie auch aus­fal­le, in die­ses arme Zim­mer ganz an­ders wie­der­keh­ren müss­te, als ich dar­in bis jetzt ge­lebt habe.

      Zwei große Trä­nen roll­ten über Con­sue­lo’s Ba­cken.

      – Nun gar! Jetzt wirst du wei­nen! rief An­zo­le­to. Was fällt dir ein? dir die Au­gen trü­ben und die Au­gen­lie­der an­schwel­len? Dei­ne