George Sand

Gesammelte Werke


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wie sie sich kann­te. Dann be­te­te sie mit In­brunst, ge­dach­te an ihre Mut­ter, wur­de trau­rig und schlief wei­nend ein.

      Als An­zo­le­to am an­de­ren Mor­gen kam, um sie in die Kir­che ab­zu­ho­len, fand er sie an ih­rem Spi­nett, ge­klei­det und ge­kämmt wie alle Sonn­ta­ge und ihr Pro­be­stück durch­ge­hend.

      – Was, rief er aus, noch nicht coif­fiert, noch nicht ge­putzt! Die Zeit rückt her­an, was hast du denn im Kop­fe, Con­sue­lo?

      – Mein Freund, er­wi­der­te sie fest, ich bin ge­putzt, ich bin coif­fiert, ich bin ru­hig. Ich will so blei­ben. Jene schö­nen Klei­der ste­hen mir nicht. Dir sind mei­ne schwar­zen Haa­re lie­ber als der Pu­der. Die­ses Leib­chen lässt mei­nen Atem un­ge­hin­dert. Wi­der­sprich mir nicht: mein Ent­schluss ist ge­fasst. Ich habe Gott um Ein­ge­bung ge­be­ten, und mei­ne Mut­ter, mir zu hel­fen, dass ich mich rich­tig be­tra­ge. Gott hat mir ein­ge­ge­ben, be­schei­den und ein­fach zu sein. Mei­ne Mut­ter ist mir im Trau­me er­schie­nen und hat mir ge­sagt, was sie mir schon im­mer sag­te. Den­ke dar­auf, gut zu sin­gen, und über­las­se der Vor­se­hung das an­de­re. Ich sah sie mein schö­nes Kleid, mei­ne Spit­zen und Bän­der neh­men und in den Schrank räu­men, dann leg­te sie mir mein schwar­zes Kleid und mei­ne wei­ße Mous­se­lin-Man­til­le auf den Stuhl an mei­nem Bet­te. Kaum war ich er­wacht, so tat ich wie sie in mei­nem Trau­me ge­tan, ich schloss mei­ne Toi­let­te ein und zog das schwar­ze Kleid und die Man­til­le an: ich bin also fer­tig. Mein Mut ist mir wie­der ge­kom­men, seit­dem ich nicht mehr dar­an den­ke, durch Mit­tel zu ge­fal­len, mit de­nen ich nicht Be­scheid weiß. Da, höre ein­mal mei­ne Stim­me, es ist al­les da, siehst du.

      Sie mach­te einen Lauf.

      – Gott im Him­mel, wir sind ver­lo­ren! rief An­zo­le­to, dei­ne Stim­me ist be­deckt und dei­ne Au­gen sind rot. Du hast ges­tern Abend ge­weint, Con­sue­lo. Nun, das ist eine schö­ne Ge­schich­te. Ich sage dir, wir sind ver­lo­ren, du bist toll mit dei­nem Ei­gen­sinn, dich an ei­nem Fest­ta­ge in Trau­er zu klei­den: das bringt Un­glück und macht dich häss­lich. Ge­schwind, ge­schwind! zieh dein schö­nes Kleid wie­der an, in­des ich lau­fen will und dir Rot kau­fen. Du bist bleich wie ein Ge­s­penst.

      Über die­sen Ge­gen­stand er­hob sich un­ter ih­nen ein ziem­lich leb­haf­ter Streit. An­zo­le­to wur­de et­was grob. Der Kum­mer kehr­te in die See­le des ar­men Mäd­chens zu­rück und ihre Trä­nen flos­sen wie­der. Nun är­ger­te sich An­zo­le­to noch mehr, und sie strit­ten noch, als sie den Stun­den­schlag ver­nah­men, den un­glück­li­chen Stun­den­schlag, drei Vier­tel auf Zweie, die höchs­te Zeit, um noch nach der Kir­che zu kom­men, wenn man sich au­ßer Atem lief. An­zo­le­to ver­wünsch­te den Him­mel mit ei­nem der­ben Flu­che. Con­sue­lo, blei­cher als der Mor­gens­tern, der sich im Wie­der­schei­ne der La­gu­nen be­schaut, warf noch einen letz­ten Blick in ihr zer­bro­che­nes Spie­gel­chen: dann wen­de­te sie sich um und warf sich un­ge­stüm in An­zo­le­to’s Arme.

      – O mein Freund, rief sie, grol­le mir nicht, ver­wün­sche mich nicht. Küs­se mich viel­mehr, küs­se mich recht, um mei­nen Ba­cken die­se gel­be Bläs­se zu be­neh­men. Dein Kuss sei mir wie das hei­li­ge Feu­er auf den Lip­pen Isa­jas’, und möge uns Gott nicht stra­fen, dass wir an sei­ner Hil­fe ge­zwei­felt ha­ben.

      Mit Leb­haf­tig­keit warf sie ihre Man­til­le über den Kopf, griff nach ih­ren No­ten, und ih­ren be­stürz­ten Ge­lieb­ten mit sich zie­hend, eil­te sie nach den Men­di­can­ti, wo die Men­ge schon ver­sam­melt war, um Por­po­ra’s schö­ne Mu­sik zu hö­ren. An­zo­le­to war mehr tot als le­ben­dig; er be­gab sich auf die Tri­bü­ne des Gra­fen, wo­hin ihn die­ser ein­ge­la­den hat­te, Con­sue­lo ging auf die Or­gel, wo sie die Chö­re schon in Schlacht­ord­nung auf­ge­stellt und den Pro­fes­sor vor sei­nem Pul­te fand. Con­sue­lo wuss­te nicht, dass man von der Tri­bü­ne des Gra­fen we­ni­ger in die Kir­che als auf den Or­gel­chor se­hen konn­te, dass der Graf sie schon ins Auge ge­fasst hat­te und dass er kei­ne ih­rer Be­we­gun­gen ver­lor.

      Ihre Züge konn­te er noch nicht un­ter­schei­den, denn so­bald sie ein­trat, knie­te sie nie­der, ver­barg ih­ren Kopf in den Hän­den und be­gann mit in­brüns­ti­ger An­dacht zu be­ten. Mein Gott, sprach sie aus tiefs­tem Her­zen, du weißt, dass ich mich über mei­ne Ne­ben­buh­le­rin­nen nicht zu er­he­ben be­geh­re, um sie zu de­mü­ti­gen. Du weißt, dass ich mich nicht der Welt und der pro­fa­nen Kunst hin­ge­ben will, um dei­ne Lie­be zu ver­las­sen und mich auf die Bahn des Las­ters zu ver­lie­ren. Du weißt, dass mei­ne See­le nicht von Stolz auf­ge­bläht ist, und dass ich nur, um mit dem Man­ne le­ben zu kön­nen, den mei­ne Mut­ter mir zu lie­ben er­laubt hat, um ihn nie zu ver­las­sen, um ihm sei­ne Freu­de und sein Glück zu si­chern, zu dir fle­he, ste­he mir bei und adle mei­nen Vor­trag und mei­ne Ge­dan­ken, wäh­rend ich dein Lob sin­gen wer­de.

      Als die ers­ten Or­che­s­ter­tö­ne Con­sue­lo an ih­ren Platz rie­fen, er­hob sie sich lang­sam: ihre Man­til­le fiel auf ihre Schul­tern zu­rück und ihr Ge­sicht zeig­te sich end­lich den er­war­tungs­vol­len und be­sorg­ten Zuschau­ern auf der be­nach­bar­ten Tri­bü­ne. Aber wel­che wun­der­ba­re Ver­wand­lung war mit die­sem jun­gen Mäd­chen vor­ge­gan­gen, wel­ches eben noch so bleich und zag­haft, so auf­ge­löst von Er­mat­tung und Furcht er­schie­nen war. Wäh­rend die sanf­ten und ed­len Züge ih­res hei­te­ren, frei­en Ge­sich­tes sich noch in ei­nem wei­chen Schmach­ten ba­de­ten, schi­en ihre hohe Stirn von ei­nem himm­li­schen Glan­ze um­flos­sen. Ihr ru­hi­ger Blick ver­riet kei­ne je­ner klei­nen Lei­den­schaf­ten, wel­che ge­mei­nen Er­folg su­chen und be­glei­ten. Es lag in ih­rem We­sen et­was Fei­er­li­ches, Tie­fes und Ge­heim­nis­vol­les, wel­ches Ehr­furcht und Rüh­rung un­wi­der­steh­lich er­weck­te.

      – Mut, mei­ne Toch­ter, flüs­ter­te ihr der Pro­fes­sor zu, du sollst ein Stück von ei­nem großen Meis­ter sin­gen, und die­ser Meis­ter ist zu­ge­gen und hört dich.

      – Wer? Mar­cel­lo? rief Con­sue­lo, als sie den Pro­fes­sor Mar­cel­lo’s Psal­men auf dem Pul­te auf­schla­gen sah.

      – Ja, Mar­cel­lo! ant­wor­te­te Por­po­ra. Sin­ge nur wie im­mer, nichts mehr, nichts we­ni­ger, und es wird gut sein.

      Wirk­lich war Mar­cel­lo, der da­mals in sei­nem letz­ten Le­bens­jah­re stand, nach Ve­ne­dig ge­kom­men, um noch ein­mal sei­ne Va­ter­stadt zu se­hen, de­ren Zier­de er als Kom­po­nist, als Schrift­stel­ler und als Ma­gis­trats­per­son ge­wor­den war. Er hat­te dem Por­po­ra alle Ar­tig­keit er­wie­sen und die Ein­la­dung an­ge­nom­men, des­sen Schu­le zu hö­ren; Por­po­ra aber ge­dach­te ihm die Über­ra­schung zu, dass er zu­erst sei­nen ei­ge­nen pracht­vol­len Psalm: I cie­li im­men­si nar­ra­no von Con­sue­lo, wel­che ihn voll­kom­men inne hat­te, hö­ren soll­te. Kein Stück hät­te bes­ser der from­men Ent­zückung ent­spro­chen, in wel­cher sich die See­le des ed­len Mäd­chens be­fand. Kaum glänz­ten die ers­ten Wor­te die­ses großen, frei­en Ge­san­ges vor ih­ren Au­gen, so fühl­te sie sich in eine an­de­re Welt ent­rückt. Ver­ges­sen hat­te sie den Gra­fen Zus­ti­nia­ni, die miss­güns­ti­gen Bli­cke ih­rer Ne­ben­buh­le­rin­nen, An­zo­le­to so­gar, an nichts dach­te sie als an Gott und an Mar­cel­lo, der ihr wie ein Dol­metsch vor­kam zwi­schen ihr und den leuch­ten­den Him­meln, de­ren Schön­heit sie fei­er­te. Und kann es in der Tat einen schö­ne­ren Ge­gen­stand, einen er­ha­be­ne­ren Ge­dan­ken ge­ben?

       I cie­li im­men­si nar­ra­no