Mal binnen vier und zwanzig Stunden, sogleich die Blicke seiner Verwandten und der Dienerschaft sämtlich auf ihn gerichtet waren; in solchem Augenblick konnte man eine innere Angst, eine schmerzlich zärtliche Besorgnis auf allen Gesichtern lesen, mit Ausnahme der einzigen Amalie, die seine Worte nicht immer ohne irgend ein Zeichen von Ungeduld oder Spottlust aufnahm und allein es wagte, ihm unbefangen zu antworten, entweder in wegwerfendem Tone oder mit guter Laune, je nachdem gerade ihre Stimmung war.
Diese Schönheit, ein junges Mädchen, blond, ziemlich lebhaft gefärbt, munter und wohlgeformt, war in ihrer Art ein Juwel, und wenn ihr ihre Kammerfrau das sagte, um ihr in ihrem gelangweilten Dasein eine Zerstreuung zu machen, antwortete sie wohl: Ach leider bin ich eine Perl, in meiner trübseligen Familie eingeschlossen wie in einer Muschel, deren Schale diese gräuliche Riesenburg ist. Dies wird hinreichen, um den Leser merken zu lassen, was für einen unruhigen Vogel dieser grausame Käfigt einschloss.
An diesem Abende wurde das feierliche Schweigen, welches auf der Familie zu ruhen pflegte, sonderlich beim ersten Gericht, denn die beiden alten Herren wie das Stiftsfräulein und der Kaplan hatten einen gesunden und regelmäßigen Appetit, der sich in keiner Jahreszeit verleugnete – an diesem Abend wurde das Schweigen vom Grafen Albert unterbrochen.
– Welch furchtbares Wetter! sagte er mit einem tiefen Seufzer.
Alles sah sich mit Erstaunen an, denn wenn auch das Wetter seit einer Stunde, dass man sich im Innern des Schlosses befand und die dichten eichenen Fensterläden geschlossen hatte, finster und drohend geworden war, so konnte man es doch im Saale nicht bemerken. Eine tiefe Stille herrschte außen wie innen, und nichts deutete an, dass ein Unwetter bevorstehe.
Indessen unterstand sich niemand, Albert zu widersprechen, und auch Amalie begnügte sich die Achseln zu zucken; das Spiel der Gabeln und das Klappern der Teller, welche die Bedienten gemächlich umwechselten, begann wieder nach diesem kurzen Augenblick der Unterbrechung und Unbehaglichkeit.
– Hören Sie nicht den Sturm, der sich durch die Fichten des Böhmerwaldes Bahn bricht, und das Brausen des Wassers, das bis hierher dringt? hob Albert wieder an mit lauterer Stimme und seinen Vater starr anblickend.
Graf Christian antwortete nicht. Der Baron, der die Gewohnheit hatte, immer zu besänftigen, antwortete an seiner Statt, ohne von dem Stück Braten aufzusehen, das er mit so kräftigen Schnitten zerteilte, als ob er einen Granitblock vor sich hätte.
– In der Tat, sagte er, der Wind blies aus dem Regenloche bei Sonnenuntergang und wir könnten wohl auf Morgen schlechtes Wetter kriegen.
Albert lächelte mit einer seltsamen Miene und alles versank wieder in das vorige Schweigen. Aber kaum fünf Minuten waren vergangen und ein fürchterlicher Windstoß erschütterte die Scheiben der ungeheuern Fensterflügel, heulte in wiederholten Absätzen, das Wasser im Graben aufpeitschend, und verlief sich in die Gipfel des Gebirges mit so scharfem und kläglichem Ächzen, dass alle Anwesenden erbleichten, mit Ausnahme Albert’s, der noch einmal mit demselben unbeschreiblichen Ausdruck wie das erste Mal lächelte.
– Es ist draußen, sagte er, in diesem Augenblick eine Seele, die der Sturm uns zuführt. Ihr würdet wohl tun, Herr Kaplan! für die zu beten, welche in unserm unwirtlichen Gebirge unter den Schlägen des Unwetters reisen.
– Ich bete unaufhörlich und aus der Tiefe meiner Seele, antwortete der Kaplan am ganzen Leibe zitternd, für die, welche auf den rauen Pfaden des Lebens unter den Stürmen der menschlichen Leidenschaften pilgern.
– Geben Sie ihm doch keine Antwort, Herr Kaplan! sagte Amalie, ohne auf die Blicke und Zeichen zu achten, welche von allen Seiten sie bedeuteten, diese Unterhaltung nicht fortzuführen; Sie wissen ja, dass mein Cousin sich ein Vergnügen daraus macht, die anderen mit Rätseln zu martern. Ich für mein Teil bin übrigens nicht neugierig auf die Auflösung seiner Rätsel.
Graf Albert schien auf die spitzen Äußerungen seiner Cousine nicht mehr zu achten, als sie auf seine wunderlichen Reden. Er legte den einen Ellbogen auf seinen Teller, der fast immer leer und rein vor ihm stand, und blickte starr auf das Damast-Tischtuch, dessen Blumen und Felder er zu zählen schien, wiewohl er in eine Art ekstatischen Träumens versunken war.
6.
Ein wütender Sturm brach noch während des Abendessens aus, das immer genau zwei Stunden dauerte, nicht mehr, nicht minder, selbst an den Fasttagen, die gewissenhaft beobachtet wurden, den Grafen aber niemals aus seinen Gewohnheiten rissen, welche er eben so heilig hielt wie die Vorschriften der römischen Kirche. Gewitter waren zu häufig in diesen Bergen und das Gerassel des Sturmes und der Donnerschläge, welches in den ausgedehnten Wäldern, die damals noch ihre Hänge bedeckten, gewaltig toste und widerhallte, war den Bewohnern des Schlosses etwas zu bekanntes, um sie außerordentlich aufzuregen. Aber die ungewöhnliche Bewegung, welche Graf Albert blicken ließ, teilte sich unwillkürlich der Familie mit, und der Baron, der sich in der Muße seiner Verdauung gestört fand, würde ohne Zweifel verdrießlich geworden sein, wenn es seiner Herzensgüte und Sanftmut möglich gewesen wäre, sich einen Augenblick zu verleugnen. Er ließ es also bei tiefen Seufzern bewenden, als plötzlich beim Entremets ein furchtbarer Blitz den Vorschneider dermaßen erschreckte, dass er das Gelenk der Wildschweinskeule verfehlte, mit deren Zerlegung er eben beschäftigt war.
– Geschehen ist’s! sagte der Baron, indem er dem über seinen Unfall bestürzten Vorschneider lächelnd zunickte.
– Ja, Oheim, Sie haben recht, rief Graf Albert laut und sprang von seinem Stuhl; geschehen ist’s! Der Hussit ist herunter, der Blitz hat ihn getroffen. Er wird kein Laub wieder tragen im Frühling.
– Was meinst du, lieber Sohn, sagte der alte Christian traurig bewegt: redest du von der großen Eiche vom Schreckensteine?
– Ja, Vater von der großen Eiche rede ich, an deren Ästen wir vorige Woche mehr als zwanzig Augustinermönche aufgehängt haben.
– Nun macht er Jahrhunderte zu Wochen! sagte das Stiftsfräulein leise und bekreuzigte sich. Wenn es wahr ist, mein liebes Kind, setzte sie zu ihrem Neffen gewendet lauter hinzu, dass du in deinem Traume eine Sache gesehen hast, so wirklich geschehen ist oder nächstens noch geschehen soll (wie denn in der Tat dieses sonderbare Begebnis schon mehrmals in deiner Einbildungskraft