George Sand

Gesammelte Werke


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Mal bin­nen vier und zwan­zig Stun­den, so­gleich die Bli­cke sei­ner Ver­wand­ten und der Die­ner­schaft sämt­lich auf ihn ge­rich­tet wa­ren; in sol­chem Au­gen­blick konn­te man eine in­ne­re Angst, eine schmerz­lich zärt­li­che Be­sorg­nis auf al­len Ge­sich­tern le­sen, mit Aus­nah­me der ein­zi­gen Ama­lie, die sei­ne Wor­te nicht im­mer ohne ir­gend ein Zei­chen von Un­ge­duld oder Spott­lust auf­nahm und al­lein es wag­te, ihm un­be­fan­gen zu ant­wor­ten, ent­we­der in weg­wer­fen­dem Tone oder mit gu­ter Lau­ne, je nach­dem ge­ra­de ihre Stim­mung war.

      Die­se Schön­heit, ein jun­ges Mäd­chen, blond, ziem­lich leb­haft ge­färbt, mun­ter und wohl­ge­formt, war in ih­rer Art ein Ju­wel, und wenn ihr ihre Kam­mer­frau das sag­te, um ihr in ih­rem ge­lang­weil­ten Da­sein eine Zer­streu­ung zu ma­chen, ant­wor­te­te sie wohl: Ach lei­der bin ich eine Perl, in mei­ner trüb­se­li­gen Fa­mi­lie ein­ge­schlos­sen wie in ei­ner Mu­schel, de­ren Scha­le die­se gräu­li­che Rie­sen­burg ist. Dies wird hin­rei­chen, um den Le­ser mer­ken zu las­sen, was für einen un­ru­hi­gen Vo­gel die­ser grau­sa­me Kä­figt ein­schloss.

      An die­sem Aben­de wur­de das fei­er­li­che Schwei­gen, wel­ches auf der Fa­mi­lie zu ru­hen pfleg­te, son­der­lich beim ers­ten Ge­richt, denn die bei­den al­ten Her­ren wie das Stifts­fräu­lein und der Ka­plan hat­ten einen ge­sun­den und re­gel­mä­ßi­gen Ap­pe­tit, der sich in kei­ner Jah­res­zeit ver­leug­ne­te – an die­sem Abend wur­de das Schwei­gen vom Gra­fen Al­bert un­ter­bro­chen.

      – Welch furcht­ba­res Wet­ter! sag­te er mit ei­nem tie­fen Seuf­zer.

      Al­les sah sich mit Er­stau­nen an, denn wenn auch das Wet­ter seit ei­ner Stun­de, dass man sich im In­nern des Schlos­ses be­fand und die dich­ten ei­che­nen Fens­ter­lä­den ge­schlos­sen hat­te, fins­ter und dro­hend ge­wor­den war, so konn­te man es doch im Saa­le nicht be­mer­ken. Eine tie­fe Stil­le herrsch­te au­ßen wie in­nen, und nichts deu­te­te an, dass ein Un­wet­ter be­vor­ste­he.

      In­des­sen un­ter­stand sich nie­mand, Al­bert zu wi­der­spre­chen, und auch Ama­lie be­gnüg­te sich die Ach­seln zu zu­cken; das Spiel der Ga­beln und das Klap­pern der Tel­ler, wel­che die Be­dien­ten ge­mäch­lich um­wech­sel­ten, be­gann wie­der nach die­sem kur­z­en Au­gen­blick der Un­ter­bre­chung und Un­be­hag­lich­keit.

      – Hö­ren Sie nicht den Sturm, der sich durch die Fich­ten des Böh­mer­wal­des Bahn bricht, und das Brau­sen des Was­sers, das bis hier­her dringt? hob Al­bert wie­der an mit lau­te­rer Stim­me und sei­nen Va­ter starr an­bli­ckend.

      Graf Chris­ti­an ant­wor­te­te nicht. Der Baron, der die Ge­wohn­heit hat­te, im­mer zu be­sänf­ti­gen, ant­wor­te­te an sei­ner Statt, ohne von dem Stück Bra­ten auf­zu­se­hen, das er mit so kräf­ti­gen Schnit­ten zer­teil­te, als ob er einen Gra­nit­block vor sich hät­te.

      – In der Tat, sag­te er, der Wind blies aus dem Re­gen­lo­che bei Son­nen­un­ter­gang und wir könn­ten wohl auf Mor­gen schlech­tes Wet­ter krie­gen.

      Al­bert lä­chel­te mit ei­ner selt­sa­men Mie­ne und al­les ver­sank wie­der in das vo­ri­ge Schwei­gen. Aber kaum fünf Mi­nu­ten wa­ren ver­gan­gen und ein fürch­ter­li­cher Wind­stoß er­schüt­ter­te die Schei­ben der un­ge­heu­ern Fens­ter­flü­gel, heul­te in wie­der­hol­ten Ab­sät­zen, das Was­ser im Gra­ben auf­peit­schend, und ver­lief sich in die Gip­fel des Ge­bir­ges mit so schar­fem und kläg­li­chem Äch­zen, dass alle An­we­sen­den er­bleich­ten, mit Aus­nah­me Al­ber­t’s, der noch ein­mal mit dem­sel­ben un­be­schreib­li­chen Aus­druck wie das ers­te Mal lä­chel­te.

      – Es ist drau­ßen, sag­te er, in die­sem Au­gen­blick eine See­le, die der Sturm uns zu­führt. Ihr wür­det wohl tun, Herr Ka­plan! für die zu be­ten, wel­che in un­serm un­wirt­li­chen Ge­bir­ge un­ter den Schlä­gen des Un­wet­ters rei­sen.

      – Ich bete un­auf­hör­lich und aus der Tie­fe mei­ner See­le, ant­wor­te­te der Ka­plan am gan­zen Lei­be zit­ternd, für die, wel­che auf den rau­en Pfa­den des Le­bens un­ter den Stür­men der mensch­li­chen Lei­den­schaf­ten pil­gern.

      – Ge­ben Sie ihm doch kei­ne Ant­wort, Herr Ka­plan! sag­te Ama­lie, ohne auf die Bli­cke und Zei­chen zu ach­ten, wel­che von al­len Sei­ten sie be­deu­te­ten, die­se Un­ter­hal­tung nicht fort­zu­füh­ren; Sie wis­sen ja, dass mein Cou­sin sich ein Ver­gnü­gen dar­aus macht, die an­de­ren mit Rät­seln zu mar­tern. Ich für mein Teil bin üb­ri­gens nicht neu­gie­rig auf die Auf­lö­sung sei­ner Rät­sel.

      Graf Al­bert schi­en auf die spit­zen Äu­ße­run­gen sei­ner Cou­si­ne nicht mehr zu ach­ten, als sie auf sei­ne wun­der­li­chen Re­den. Er leg­te den einen Ell­bo­gen auf sei­nen Tel­ler, der fast im­mer leer und rein vor ihm stand, und blick­te starr auf das Da­mast-Tisch­tuch, des­sen Blu­men und Fel­der er zu zäh­len schi­en, wie­wohl er in eine Art ek­sta­ti­schen Träu­mens ver­sun­ken war.

      6.

      Ein wü­ten­der Sturm brach noch wäh­rend des Abendes­sens aus, das im­mer ge­nau zwei Stun­den dau­er­te, nicht mehr, nicht min­der, selbst an den Fast­ta­gen, die ge­wis­sen­haft be­ob­ach­tet wur­den, den Gra­fen aber nie­mals aus sei­nen Ge­wohn­hei­ten ris­sen, wel­che er eben so hei­lig hielt wie die Vor­schrif­ten der rö­mi­schen Kir­che. Ge­wit­ter wa­ren zu häu­fig in die­sen Ber­gen und das Geras­sel des Stur­mes und der Don­ner­schlä­ge, wel­ches in den aus­ge­dehn­ten Wäl­dern, die da­mals noch ihre Hän­ge be­deck­ten, ge­wal­tig tos­te und wi­der­hall­te, war den Be­woh­nern des Schlos­ses et­was zu be­kann­tes, um sie au­ßer­or­dent­lich auf­zu­re­gen. Aber die un­ge­wöhn­li­che Be­we­gung, wel­che Graf Al­bert bli­cken ließ, teil­te sich un­will­kür­lich der Fa­mi­lie mit, und der Baron, der sich in der Muße sei­ner Ver­dau­ung ge­stört fand, wür­de ohne Zwei­fel ver­drieß­lich ge­wor­den sein, wenn es sei­ner Her­zens­gü­te und Sanft­mut mög­lich ge­we­sen wäre, sich einen Au­gen­blick zu ver­leug­nen. Er ließ es also bei tie­fen Seuf­zern be­wen­den, als plötz­lich beim En­tre­mets ein furcht­ba­rer Blitz den Vor­schnei­der der­ma­ßen er­schreck­te, dass er das Ge­lenk der Wild­schweins­keu­le ver­fehl­te, mit de­ren Zer­le­gung er eben be­schäf­tigt war.

      – Ge­sche­hen ist’s! sag­te der Baron, in­dem er dem über sei­nen Un­fall be­stürz­ten Vor­schnei­der lä­chelnd zu­nick­te.

      – Ja, Oheim, Sie ha­ben recht, rief Graf Al­bert laut und sprang von sei­nem Stuhl; ge­sche­hen ist’s! Der Hus­sit ist her­un­ter, der Blitz hat ihn ge­trof­fen. Er wird kein Laub wie­der tra­gen im Früh­ling.

      – Was meinst du, lie­ber Sohn, sag­te der alte Chris­ti­an trau­rig be­wegt: re­dest du von der großen Ei­che vom Schre­cken­stei­ne?

      – Ja, Va­ter von der großen Ei­che rede ich, an de­ren Äs­ten wir vo­ri­ge Wo­che mehr als zwan­zig Au­gus­ti­ner­mön­che auf­ge­hängt ha­ben.

      – Nun macht er Jahr­hun­der­te zu Wo­chen! sag­te das Stifts­fräu­lein lei­se und be­kreu­zig­te sich. Wenn es wahr ist, mein lie­bes Kind, setz­te sie zu ih­rem Nef­fen ge­wen­det lau­ter hin­zu, dass du in dei­nem Trau­me eine Sa­che ge­se­hen hast, so wirk­lich ge­sche­hen ist oder nächs­tens noch ge­sche­hen soll (wie denn in der Tat die­ses son­der­ba­re Be­geb­nis schon mehr­mals in dei­ner Ein­bil­dungs­kraft