hörte, und ich empfehle dann immer meine Seele Gott, indem ich meine Schritte verdopple und das Gesicht abwende.
– Amalie, entgegnete der junge Graf, der vielleicht zum ersten Male seit vielen Tagen seiner Cousine aufmerksam zugehört hatte, du hast wohlgetan, nicht unter dem Hussiten zu verweilen, wie ich, der ich Stunden, ganze Nächte darunter zugebracht habe. Du würdest da Dinge gesehen und gehört haben, die dich starr vor Grausen gemacht hätten und deren Eindruck nie wieder aus deinem Gedächtnisse entschwinden würde.
– Halt’ inne! rief die junge Baronin auf ihrem Stuhl zurückschauernd, als ob sie von dem Tische, auf den sich Albert stützte, entfliehen wollte, ich begreife nicht, was für ein unausstehliches Vergnügen du darin findest, mir Furcht zu machen, so oft es dir einmal beliebt, die Lippen aufzutun.
– Wollte Gott, meine liebe Amalie, sagte der alte Christian sanft, es geschähe nur zum Vergnügen, dass der Vetter derlei Dinge spricht.
– Nein, mein Vater! ich spreche in ganzem, vollem Ernste, erwiderte Graf Albert. Die Eiche vom Schreckenstein ist umgestürzt, in vier Stücke zerrissen und Sie können nur morgen die Holzhauer hinschicken, um sie klein zu spalten. Ich will eine Cypresse an die Stelle pflanzen, die soll nicht wieder der Hussit, sondern der Büßer heißen, und den Schreckenstein wahrlich, den hätten Sie längst Sühnestein benennen sollen.
– Genug, genug mein Sohn! sagte der Greis in außerordentlicher Bekümmernis. Halte doch diese traurigen Bilder fern von dir und überlasse Gott das Amt, die Handlungen der Menschen zu richten.
– Die traurigen Bilder sind gewichen, mein Vater! sie kehren in das Nichts zurück zugleich mit diesem Marterwerkzeug, das die Windsbraut und das himmlische Feuer in den Staub gebettet haben. Ich sehe an der Stelle der Gerippe, welche an den Ästen hingen, Blüten und Früchte, die der West an den Zweigen eines neuen Stammes schaukelt. An der Stelle des finsteren Mannes, welcher jede Nacht den Scheiterhaufen anzündete, sehe ich ein ganz helles und ganz himmlisches Wesen, das über meinem Haupte und dem euern schwebt. Der Sturm entflieht, o meine teuern Lieben! die Gefahr ist vorüber, die Wanderer sind geborgen, meine Seele hat Frieden. Die Zeit der Buße reicht an ihr Ende. Ich fühle mich neu geboren.
– Sprächst du wahr, o mein geliebter Sohn! antwortete der alte Christian mit tief bewegter Stimme und mit dem Tone der innigsten Zärtlichkeit; würdest du endlich frei von den Gesichten und Gespenstern, welche dir keine Ruhe lassen! O, wenn mir Gott die Gnade erzeigte, meinem lieben Albert die Nähe, die Hoffnung und das Licht des Glaubens wiederzuschenken!
Noch ehe der Greis seine liebreichen Worte beendet hatte, ließ Albert seinen Kopf leise auf den Tisch sinken und schien friedlich eingeschlummert.
– Was soll nun das wieder bedeuten? sagte die junge Baronin zu ihrem Vater; nun schläft er gar bei Tische! Wie galant das ist!
– Dieser plötzliche, tiefe Schlaf, sagte der Kaplan, der den jungen Mann mit Teilnahme beobachtete, ist eine günstige Krisis, woraus ich auf eine wenigstens für einige Zeit glückliche Veränderung seines Zustandes schließen zu dürfen glaube.
– Dass ihn nur niemand anrede, sagte Graf Christian, und ihn aus dieser Betäubung zu reißen versuche.
– Erbarmungsreicher Herr! sprach das Stiftsfräulein aus überfließendem Herzen, gib, dass es sich erfülle, was er immer vorausgesagt hat, und dass der Tag, an welchem er in sein dreißigstes Jahr tritt, der Tag seiner völligen Wiederherstellung sei!
– Amen! sagte der Kaplan mit Zerknirschung. Erheben wir alle Unsere Herzen zu dem Gotte des Erbarmens, und indem wir ihm unsern Dank darbringen für die Speis, die wir genossen haben, lasset uns ihn anflehen, dass er dieses edle Kind errette, das der Gegenstand aller unserer Bitten ist.
Man erhob sich, um das Gratias zu sagen, und alles blieb dann noch einige Minuten stehen, um still für den letzten Rudolstadt zu beten. Der alte Christian tat es mit solcher Inbrunst, dass ihm zwei große Tränen über seine welken Backen rannen.
Der Greis hatte den treuen Dienern befohlen, Albert in sein Zimmer zu tragen, als Baron Friedrich, der gemütlich in seinem Hirn herumgesucht hatte, auf welche Art er durch irgend ein Liebesopfer zu dem Wohlbefinden seines teuern Neffen beitragen könnte, plötzlich froh wie ein Kind zu seinem ältesten Bruder sagte:
– Es kommt mir da eine gute Idee, Bruder! Wenn dein Sohn einsam auf seiner Stube mitten in seiner Verdauung aufwacht, so könnten ihm leicht wieder einige schwarze Gedanken, in Folge irgend eines bösen Traumes beikommen. Lass ihn in den Salon tragen und auf meinen Großvaterstuhl setzen. Es ist keiner im ganzen Hause, worin sich’s besser schliefe. Er wird es darin behaglicher als im Bette haben, und wenn er aufwacht, so wird er wenigstens ein gutes Feuer vor sich sehen, um sein Auge zu weiden, und befreundete Gestalten, um sein Herz zu erfreuen.
– Du hast recht, Bruder! man kann ihn wirklich in den Salon bringen und auf das große Sopha legen.
– Es ist äußerst nachteilig, ausgestreckt nach dem Essen zu schlafen, rief der Baron. Glaube mir, Bruder! ich weiß das aus Erfahrung. Es muss mein Großvaterstuhl sein. Ja, ich will es durchaus so haben, er soll auf meinen Großvaterstuhl.
Christian sah ein, dass er das Anerbieten seines Bruders nicht ablehnen konnte, ohne ihm wirklich eine Kränkung zu bereiten. Der junge Graf wurde also in den ledernen Lehnstuhl des alten Jägers gesetzt, ohne das, was mit ihm vorging, im Geringsten zu bemerken, so fest und todesähnlich war sein Schlaf. Der Baron setzte sich ganz vergnügt und stolz auf einen anderen Stuhl, wärmte sich die Beine an einem der Vorzeit würdigen Feuer und antwortete jedes Mal mit einem triumphierenden Lächeln, wenn ihm der Kaplan die Bemerkung machte, dass dieser Schlaf des Grafen Albert ganz zuverlässig von guten Folgen sein würde. Der liebe Mann war entschlossen, auch seine Nachtischruhe ebenso wie seinen Großvaterstuhle zu opfern und gemeinschaftlich mit der übrigen Familie den jungen Grafen zu bewachen; aber nach Verlauf einer Viertelstunde war er seinen neuen Sitz schon so gewohnt, dass er zu schnarchen anfing, laut genug, um das letzte, sich allmählich in der Ferne verlierende Grollen des Donners zu übertönen.
Der Schall der großen Glocke, durch welche nur außerordentliche Besuche dem Schlosse angekündigt wurden, ließ sich plötzlich vernehmen; und der alte Hans, der älteste Diener des Hauses, trat gleich darauf, mit einem großen Briefe in der Hand, ein, den er, ohne ein Wort zu sprechen, dem Grafen Christian überreichte; hierauf ging er hinaus, um im anstoßenden Saale den Befehl