George Sand

Gesammelte Werke


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hör­te, und ich emp­feh­le dann im­mer mei­ne See­le Gott, in­dem ich mei­ne Schrit­te ver­dopp­le und das Ge­sicht ab­wen­de.

      – Ama­lie, ent­geg­ne­te der jun­ge Graf, der viel­leicht zum ers­ten Male seit vie­len Ta­gen sei­ner Cou­si­ne auf­merk­sam zu­ge­hört hat­te, du hast wohl­ge­tan, nicht un­ter dem Hus­si­ten zu ver­wei­len, wie ich, der ich Stun­den, gan­ze Näch­te dar­un­ter zu­ge­bracht habe. Du wür­dest da Din­ge ge­se­hen und ge­hört ha­ben, die dich starr vor Grau­sen ge­macht hät­ten und de­ren Ein­druck nie wie­der aus dei­nem Ge­dächt­nis­se ent­schwin­den wür­de.

      – Hal­t’ inne! rief die jun­ge Baro­nin auf ih­rem Stuhl zu­rück­schau­ernd, als ob sie von dem Ti­sche, auf den sich Al­bert stütz­te, ent­flie­hen woll­te, ich be­grei­fe nicht, was für ein un­aus­steh­li­ches Ver­gnü­gen du dar­in fin­dest, mir Furcht zu ma­chen, so oft es dir ein­mal be­liebt, die Lip­pen auf­zu­tun.

      – Woll­te Gott, mei­ne lie­be Ama­lie, sag­te der alte Chris­ti­an sanft, es ge­schä­he nur zum Ver­gnü­gen, dass der Vet­ter der­lei Din­ge spricht.

      – Nein, mein Va­ter! ich spre­che in gan­zem, vol­lem Erns­te, er­wi­der­te Graf Al­bert. Die Ei­che vom Schre­cken­stein ist um­ge­stürzt, in vier Stücke zer­ris­sen und Sie kön­nen nur mor­gen die Holz­hau­er hin­schi­cken, um sie klein zu spal­ten. Ich will eine Cy­pres­se an die Stel­le pflan­zen, die soll nicht wie­der der Hus­sit, son­dern der Bü­ßer hei­ßen, und den Schre­cken­stein wahr­lich, den hät­ten Sie längst Süh­ne­stein be­nen­nen sol­len.

      – Ge­nug, ge­nug mein Sohn! sag­te der Greis in au­ßer­or­dent­li­cher Be­küm­mer­nis. Hal­te doch die­se trau­ri­gen Bil­der fern von dir und über­las­se Gott das Amt, die Hand­lun­gen der Men­schen zu rich­ten.

      – Die trau­ri­gen Bil­der sind ge­wi­chen, mein Va­ter! sie keh­ren in das Nichts zu­rück zu­gleich mit die­sem Mar­ter­werk­zeug, das die Winds­braut und das himm­li­sche Feu­er in den Staub ge­bet­tet ha­ben. Ich sehe an der Stel­le der Ge­rip­pe, wel­che an den Äs­ten hin­gen, Blü­ten und Früch­te, die der West an den Zwei­gen ei­nes neu­en Stam­mes schau­kelt. An der Stel­le des fins­te­ren Man­nes, wel­cher jede Nacht den Schei­ter­hau­fen an­zün­de­te, sehe ich ein ganz hel­les und ganz himm­li­sches We­sen, das über mei­nem Haup­te und dem eu­ern schwebt. Der Sturm ent­flieht, o mei­ne teu­ern Lie­ben! die Ge­fahr ist vor­über, die Wan­de­rer sind ge­bor­gen, mei­ne See­le hat Frie­den. Die Zeit der Buße reicht an ihr Ende. Ich füh­le mich neu ge­bo­ren.

      – Sprächst du wahr, o mein ge­lieb­ter Sohn! ant­wor­te­te der alte Chris­ti­an mit tief be­weg­ter Stim­me und mit dem Tone der in­nigs­ten Zärt­lich­keit; wür­dest du end­lich frei von den Ge­sich­ten und Ge­s­pens­tern, wel­che dir kei­ne Ruhe las­sen! O, wenn mir Gott die Gna­de er­zeig­te, mei­nem lie­ben Al­bert die Nähe, die Hoff­nung und das Licht des Glau­bens wie­der­zu­schen­ken!

      Noch ehe der Greis sei­ne lieb­rei­chen Wor­te be­en­det hat­te, ließ Al­bert sei­nen Kopf lei­se auf den Tisch sin­ken und schi­en fried­lich ein­ge­schlum­mert.

      – Was soll nun das wie­der be­deu­ten? sag­te die jun­ge Baro­nin zu ih­rem Va­ter; nun schläft er gar bei Ti­sche! Wie ga­lant das ist!

      – Die­ser plötz­li­che, tie­fe Schlaf, sag­te der Ka­plan, der den jun­gen Mann mit Teil­nah­me be­ob­ach­te­te, ist eine güns­ti­ge Kri­sis, wor­aus ich auf eine we­nigs­tens für ei­ni­ge Zeit glück­li­che Ver­än­de­rung sei­nes Zu­stan­des schlie­ßen zu dür­fen glau­be.

      – Dass ihn nur nie­mand an­re­de, sag­te Graf Chris­ti­an, und ihn aus die­ser Be­täu­bung zu rei­ßen ver­su­che.

      – Er­bar­mungs­rei­cher Herr! sprach das Stifts­fräu­lein aus über­flie­ßen­dem Her­zen, gib, dass es sich er­fül­le, was er im­mer vor­aus­ge­sagt hat, und dass der Tag, an wel­chem er in sein drei­ßigs­tes Jahr tritt, der Tag sei­ner völ­li­gen Wie­der­her­stel­lung sei!

      – Amen! sag­te der Ka­plan mit Zer­knir­schung. Er­he­ben wir alle Un­se­re Her­zen zu dem Got­te des Er­bar­mens, und in­dem wir ihm un­sern Dank dar­brin­gen für die Speis, die wir ge­nos­sen ha­ben, las­set uns ihn an­fle­hen, dass er die­ses edle Kind er­ret­te, das der Ge­gen­stand al­ler un­se­rer Bit­ten ist.

      Man er­hob sich, um das Gra­ti­as zu sa­gen, und al­les blieb dann noch ei­ni­ge Mi­nu­ten ste­hen, um still für den letz­ten Ru­dol­stadt zu be­ten. Der alte Chris­ti­an tat es mit sol­cher In­brunst, dass ihm zwei große Trä­nen über sei­ne wel­ken Ba­cken ran­nen.

      Der Greis hat­te den treu­en Die­nern be­foh­len, Al­bert in sein Zim­mer zu tra­gen, als Baron Fried­rich, der ge­müt­lich in sei­nem Hirn her­um­ge­sucht hat­te, auf wel­che Art er durch ir­gend ein Lie­bes­op­fer zu dem Wohl­be­fin­den sei­nes teu­ern Nef­fen bei­tra­gen könn­te, plötz­lich froh wie ein Kind zu sei­nem äl­tes­ten Bru­der sag­te:

      – Es kommt mir da eine gute Idee, Bru­der! Wenn dein Sohn ein­sam auf sei­ner Stu­be mit­ten in sei­ner Ver­dau­ung auf­wacht, so könn­ten ihm leicht wie­der ei­ni­ge schwar­ze Ge­dan­ken, in Fol­ge ir­gend ei­nes bö­sen Trau­mes bei­kom­men. Lass ihn in den Sa­lon tra­gen und auf mei­nen Groß­va­ter­stuhl set­zen. Es ist kei­ner im gan­zen Hau­se, worin sich’s bes­ser schlie­fe. Er wird es dar­in be­hag­li­cher als im Bet­te ha­ben, und wenn er auf­wacht, so wird er we­nigs­tens ein gu­tes Feu­er vor sich se­hen, um sein Auge zu wei­den, und be­freun­de­te Ge­stal­ten, um sein Herz zu er­freu­en.

      – Du hast recht, Bru­der! man kann ihn wirk­lich in den Sa­lon brin­gen und auf das große So­pha le­gen.

      – Es ist äu­ßerst nach­tei­lig, aus­ge­streckt nach dem Es­sen zu schla­fen, rief der Baron. Glau­be mir, Bru­der! ich weiß das aus Er­fah­rung. Es muss mein Groß­va­ter­stuhl sein. Ja, ich will es durch­aus so ha­ben, er soll auf mei­nen Groß­va­ter­stuhl.

      Chris­ti­an sah ein, dass er das Aner­bie­ten sei­nes Bru­ders nicht ab­leh­nen konn­te, ohne ihm wirk­lich eine Krän­kung zu be­rei­ten. Der jun­ge Graf wur­de also in den le­der­nen Lehn­stuhl des al­ten Jä­gers ge­setzt, ohne das, was mit ihm vor­ging, im Ge­rings­ten zu be­mer­ken, so fest und to­des­ähn­lich war sein Schlaf. Der Baron setz­te sich ganz ver­gnügt und stolz auf einen an­de­ren Stuhl, wärm­te sich die Bei­ne an ei­nem der Vor­zeit wür­di­gen Feu­er und ant­wor­te­te je­des Mal mit ei­nem tri­um­phie­ren­den Lä­cheln, wenn ihm der Ka­plan die Be­mer­kung mach­te, dass die­ser Schlaf des Gra­fen Al­bert ganz zu­ver­läs­sig von gu­ten Fol­gen sein wür­de. Der lie­be Mann war ent­schlos­sen, auch sei­ne Nach­tisch­ru­he eben­so wie sei­nen Groß­va­ter­stuh­le zu op­fern und ge­mein­schaft­lich mit der üb­ri­gen Fa­mi­lie den jun­gen Gra­fen zu be­wa­chen; aber nach Ver­lauf ei­ner Vier­tel­stun­de war er sei­nen neu­en Sitz schon so ge­wohnt, dass er zu schnar­chen an­fing, laut ge­nug, um das letz­te, sich all­mäh­lich in der Fer­ne ver­lie­ren­de Grol­len des Don­ners zu über­tö­nen.

      Der Schall der großen Glo­cke, durch wel­che nur au­ßer­or­dent­li­che Be­su­che dem Schlos­se an­ge­kün­digt wur­den, ließ sich plötz­lich ver­neh­men; und der alte Hans, der äl­tes­te Die­ner des Hau­ses, trat gleich dar­auf, mit ei­nem großen Brie­fe in der Hand, ein, den er, ohne ein Wort zu spre­chen, dem Gra­fen Chris­ti­an über­reich­te; hier­auf ging er hin­aus, um im an­sto­ßen­den Saa­le den Be­fehl