George Sand

Gesammelte Werke


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Nicht wahr, Bru­der? setz­te die gute Wences­la­wa hin­zu, die sich ganz be­schämt fühl­te, ge­lo­gen zu ha­ben und ihre Ent­schul­di­gung in den Au­gen des Gra­fen Chris­ti­an such­te.

      – Lie­be Schwes­ter, ant­wor­te­te der Greis, es ist sehr freund­lich von dir, dass du mei­nen Sohn ent­schul­digst. Die Si­gno­ra wird uns den Ge­fal­len tun und sich ge­wis­se Din­ge nicht zu sehr be­frem­den las­sen, die wir ihr mor­gen mit­tei­len wol­len, ohne Rück­halt und mit dem Ver­trau­en, das uns Por­po­ras Ad­op­tiv­toch­ter, bald hof­fe ich sa­gen zu dür­fen die Freun­din un­se­res Hau­ses, ein­flö­ßt.

      Es war die Stun­de, wo al­les sich zu­rück­zog und das Haus war so re­gel­mä­ßi­gen Ge­wohn­hei­ten un­ter­wor­fen, dass, wenn die bei­den jun­gen Mäd­chen län­ger bei Ti­sche ge­blie­ben wä­ren, die Be­dien­ten, als wah­re Ma­schi­nen, ih­nen, glau­be ich, die Stüh­le weg­ge­nom­men und die Lich­ter aus­ge­löscht ha­ben wür­den, ohne sich um ihre An­we­sen­heit zu be­küm­mern. Üb­ri­gens sehn­te sich Con­sue­lo nach Ruhe, und Ama­lie führ­te sie in das ge­schmack­voll und be­hag­lich ein­ge­rich­te­te Zim­mer, wel­ches sie dicht ne­ben dem ih­ri­gen für sie be­reit hielt.

      – Ich hät­te große Lust mit Ih­nen noch ein Stünd­chen oder zwei zu ver­plau­dern, sag­te sie zu ihr, so­bald das Stifts­fräu­lein, das sich’s nicht neh­men ließ, die Hon­neurs des Zim­mers zu ma­chen, sich ent­fernt hat­te. Es ver­langt mich, Sie von al­lem in Kennt­nis zu set­zen, was hier vor­geht, ehe Sie die wun­der­li­che Wirt­schaft im Hau­se mit­er­dul­den müs­sen. Aber Sie sind so er­mü­det, dass Sie wahr­schein­lich nichts sehn­li­cher wün­schen, als sich nie­der­zu­le­gen.

      – Las­sen Sie sich da­durch nicht hin­dern, Si­gno­ra! sag­te Con­sue­lo. Mei­ne Glie­der sind zer­schla­gen, es ist wahr, aber mir brennt der Kopf der­ge­stalt, dass ich si­cher­lich die gan­ze Nacht nicht wer­de schla­fen kön­nen. Spre­chen Sie da­her so lan­ge es Ih­nen ge­fällt, nur be­din­ge ich mir aus, dass Sie deutsch spre­chen, das wird mir gleich als Un­ter­richt die­nen; denn ich sehe wohl, dass dem Herrn Gra­fen das Ita­lie­ni­sche nicht recht ge­läu­fig ist und der Si­gno­ra Ca­no­ni­ca noch we­ni­ger.

      – Wir wol­len einen Ak­kord ma­chen, sag­te Ama­lie. Sie le­gen sich ins Bett, um Ihre ar­men zer­schla­ge­nen Glied­ma­ßen aus­zu­ru­hen. Un­ter­deß wer­de ich ein Nacht­kleid an­zie­hen und mei­ne Kam­mer­frau zu Bett schi­cken. Ich kom­me dann wie­der und set­ze mich an Ihr Kopf­kis­sen, und wir schwat­zen deutsch, bis wir schläf­rig wer­den. Wol­len Sie?

      – Von Her­zen gern, er­wi­der­te die neue Gou­ver­nan­te.

      8.

      – Sie müs­sen wis­sen, mei­ne lie­be … sag­te Ama­lie, als sie sich zu der ver­ab­re­de­ten Un­ter­hal­tung in Stand ge­setzt hat­te. Aber da fällt mir erst ein, dass ich Ihren Na­men nicht weiß, setz­te sie lä­chelnd hin­zu. Es wäre Zeit die Ti­tel und Ze­re­mo­ni­en un­ter uns zu ver­ban­nen. Sie müs­sen mich künf­tig Ama­lie nen­nen, und ich nen­ne Sie …

      – Ich habe einen son­der­ba­ren Na­men, der schwer aus­zu­spre­chen ist, ent­geg­ne­te Con­sue­lo. Mein herr­li­cher Leh­rer Por­po­ra hieß mich, als er mich hier­her schick­te, den sei­ni­gen an­neh­men, wie das bei Gön­nern oder zwi­schen Leh­rern und ih­ren be­vor­rech­te­ten Schü­lern Brauch ist; ich tei­le also von nun an mit dem großen Sän­ger Hu­bert die Ehre, mich nach Por­po­ra zu nen­nen: wie er Por­po­ri­no, hei­ße ich Por­po­ri­na; aber der Kür­ze hal­ber nen­nen Sie mich, wenn Sie wol­len, ganz ein­fach Nina.

      – Gut, also un­ter uns Nina! sag­te Ama­lie. Jetzt hö­ren Sie zu, ich habe Ih­nen eine ziem­lich lan­ge Ge­schich­te zu er­zäh­len, und wenn ich nicht ziem­lich hoch in die Ver­gan­gen­heit hin­auf­stei­ge, so kön­nen Sie das, was in die­sem Hau­se vor­geht, un­mög­lich ver­ste­hen.

      – Ich bin ganz Ohr, sag­te die neue Por­po­ri­na.

      – Sie wis­sen ge­wiss ein we­nig von der böh­mi­schen Ge­schich­te, lie­be Nina! sag­te die jun­ge Baro­nin.

      – Ach nein! ant­wor­te­te Con­sue­lo, ich bin, wie Ih­nen mein Leh­rer doch wohl ge­schrie­ben hat, ganz ohne alle Kennt­nis­se; ich weiß höchs­tens ein we­nig von der Ge­schich­te der Mu­sik, aber von der böh­mi­schen Ge­schich­te weiß ich eben­so­we­nig wie von ir­gend ei­ner an­de­ren Ge­schich­te der Welt.

      – Wenn das ist, ent­geg­ne­te Ama­lie, so will ich Ih­nen in we­ni­gen Wor­ten das Nö­tigs­te sa­gen, was Sie durch­aus wis­sen müs­sen, um mei­ne Er­zäh­lung zu ver­ste­hen. Vor drei­hun­dert Jah­ren und dar­über war das un­ter­drück­te und er­stor­be­ne Volk, in des­sen Mit­te Sie sich jetzt ver­setzt se­hen, ein großes, küh­nes, un­beug­sa­mes, hel­den­mü­ti­ges Volk. Es hat­te da­zu­mal frei­lich auch frem­de Her­ren und einen Glau­ben, den es nicht recht be­griff und den man ihm mit Ge­walt auf­le­gen woll­te. Un­zäh­li­ge Mön­che so­gen es aus, ein grau­sa­mer und aus­schwei­fen­der Kö­nig miss­brauch­te sei­ne Ge­walt und ver­scherz­te alle Lie­be sei­ner Un­ter­ta­nen. In­grimm und tiefer Hass gär­ten im Stil­len und ei­nes Ta­ges brach der Sturm of­fen aus; die frem­den Her­ren wur­den ver­jagt, der Glau­be wur­de re­for­miert, die Klös­ter wur­den ge­plün­dert und ge­schleift, der Trun­ken­bold Wences­las wur­de vom Thro­ne ge­sto­ßen und in ein Ge­fäng­nis ge­sperrt. Das Si­gnal zum Auf­stan­de hat­te die Hin­rich­tung zwei­er küh­nen Ge­lehr­ten, wel­che die Mys­te­ri­en des ka­tho­li­schen Glau­bens un­ter­su­chen und auf­klä­ren woll­ten, des Jo­han­nes Huß und des Hie­rony­mus von Prag, ge­se­hen, die ein Con­ci­li­um vor sich lud, ver­damm­te und ver­bren­nen ließ, ob­gleich ih­nen ihr Le­ben und die Frei­heit sich zu ver­ant­wor­ten ver­bürgt wor­den war. Eine sol­che Treu­lo­sig­keit und Schand­tat reg­te die stol­ze Na­ti­on hef­tig auf, dass ein blu­ti­ger Krieg aus­brach, der vie­le Jah­re über Böh­men und einen großen Teil Deutsch­lands wü­te­te. Die­ser Ver­til­gungs­kampf wur­de der Hus­si­ten­krieg ge­nannt. Gräu­li­che und un­zähl­ba­re Ver­bre­chen wur­den von bei­den Sei­ten be­gan­gen. Die Sit­ten wa­ren da­mals in der gan­zen Welt roh und grau­sam. Sie wur­den es durch Par­t­ei­geist und re­li­gi­ösen Fa­na­tis­mus noch mehr und Böh­men wur­de der Schre­cken von Eu­ro­pa. Ich will Ihre Ein­bil­dungs­kraft, die durch den An­blick die­ses wil­den Lan­des schon auf­ge­regt ist, nicht durch eine Schil­de­rung der Gräu­el, wel­che ver­übt wur­den, noch mehr er­hit­zen. Von der einen Sei­te nichts als Mord, Brand, Pest, Schei­ter­hau­fen, Ver­hee­run­gen, Kir­chen­schän­dung, Mön­che und Non­nen ver­stüm­melt, auf­ge­hängt, in sie­den­des Pech ge­wor­fen; von der an­de­ren Sei­te nichts als zer­stör­te Städ­te, ver­wüs­te­te Län­der, Ver­rä­te­rei­en, Mein­ei­de, Grau­sam­kei­ten, Hus­si­ten tau­send­wei­se in die Berg­wer­ke ge­schickt, Ab­grün­de mit ih­ren Lei­chen aus­fül­lend und die Erde mit ih­rem und ih­rer Fein­de Ge­bein be­de­ckend. Die­se schreck­li­chen Hus­si­ten wa­ren lan­ge un­über­wind­lich; noch jetzt spre­chen wir ih­ren Na­men nur mit Grau­en aus und den­noch flö­ßt uns ihr Pa­trio­tis­mus, ihre Stand­haf­tig­keit, ihre Uner­schro­cken­heit, ihr Hel­den­mut ein ge­hei­mes Ge­fühl von Be­wun­de­rung und Stolz ein, wel­ches jun­ge Ge­mü­ter wie das mei­ni­ge manch­mal nur mit Mühe ver­ber­gen kön­nen.

      – Und warum es ver­ber­gen? frag­te Con­sue­lo in Un­schuld.

      – Weil Böh­men nach