noch nie bei einem jungen Manne von seinen Gaben, seiner Geburt und seinen Glücksgütern gefunden habe.
Alles dies war übrigens nur eine Bestätigung dessen, was der Abbé schon in zahlreichen Briefen der Familie geschrieben hatte; allein man hatte immer gefürchtet, dass er übertriebe und man war nicht eher ruhig, als bis man ihn seine Versicherungen ohne Furcht, durch das Betragen meines Vetters unter den Augen der Seinigen Lügen gestraft zu werden, wiederholen hörte.
Man überhäufte nun den Abbé mit Geschenken und Liebkosungen und erwartete mit Ungeduld Albert’s Rückkehr von seinem Spaziergange. Er blieb lange aus, und als er endlich zum Abendessen sich einfand, war man erschreckt über die Blässe und den Ernst seiner Züge. In der ersten Freude des Wiedersehens hatte sein Gesicht eine süße, innige Zufriedenheit ausgedrückt, wovon man jetzt keine Spur mehr sah. Man wunderte sich und gab die allgemeine Besorgnis dem Abbé verstohlener Weise zu erkennen. Dieser sah Albert an und sich erstaunt zu denen wendend, die sich mit ihm in einer Ecke des Zimmers besprachen, sagte er:
– Ich finde nichts Außergewöhnliches in dem Gesichte des Herrn Grafen; es hat den würdevollen und ruhigen Ausdruck, den ich an ihm seit den acht Jahren kenne, dass ich die Ehre hatte, ihn zu begleiten.
Graf Christian ließ sich durch diese Antwort zufriedenstellen.
– Als er von uns ging, sagte er zu seiner Schwester, war er noch mit den Rosen der Jugend geschmückt, und oft, ach! eine Beute einer fiebrischen Heftigkeit, die seiner Stimme Stärke und seinen Blicken Feuer gab; wir finden ihn wieder von der Sonne mittägiger Gegenden gebräunt, vielleicht ein wenig von der Anstrengung erschöpft und von dem Ernst erfüllt, der einem gemachten Manne ziemt. Findest du ihn so nicht besser, liebe Schwester?
– Ich finde, dass er mir einen recht traurigen Eindruck macht mit seiner ernsthaften Miene, antwortete meine gute Taute, und ich habe nie einen Menschen von acht und zwanzig Jahren so schwerfällig und so wenig gesprächig gesehen. Er antwortet ja auf alles nur mit Ja und Nein.
– Der Herr Graf ist immer sehr karg in Worten gewesen, entgegnete der Abbé.
– Das war er ehemals nicht, sagte das Stiftsfräulein. Wenn er auch Wochen hatte, wo er schwieg und nachdachte, so hatte er wenigstens Tage, wo er mitteilend und beredt war.
– Seit ich ihn kenne, versetzte der Abbé, hat er sich niemals von dieser Zurückhaltung, die Ew. Gnaden an ihm bemerken, entfernt.
– Gefiel er dir denn damals besser, als er zu viel sprach und Dinge schwatzte, die uns zittern machten? sagte Graf Christian zu seiner besorgten Schwester; so sind nun die Weiber!
– Aber er lebte doch, sagte sie, und jetzt gebärdet er sich wie ein Bewohner der anderen Welt, der für nichts Sinn hat, was in dieser vorgeht.
– Dieses Wesen, erwiderte der Abbé, hat der Herr Graf stets und ständig; er ist ein in sich gekehrter Mann, der niemandem mitteilt, was ihn bewegt, der, wenn ich unumwunden meine Meinung sagen soll, sich durch beinah nichts Äußeres bewegen lässt. Es ist so die Art kalter, bedächtiger, überlegter Naturen. So geartet ist er, und ich glaube, wenn man den Versuch machte, ihn anzutreiben, so würde man nur Verwirrung in diese der Tätigkeit und jedem ungewissen Beginnen abgeneigte Seele bringen.
– O, ich will darauf schwören, dass das nicht sein wahres Wesen ist, rief das Stiftsfräulein aus.
– Sie werden sich noch überzeugen, hochwürdige Frau! dass das, wogegen Sie eingenommen sind, ein seltener Vorzug ist.
– Wirklich, liebe Schwester! sagte der Graf; ich finde des Herrn Abbé Äußerung sehr verständig. Hat er nicht durch seine Sorgfalt und durch sein geschicktes Eingehen auf Albert’s Seelenstimmung das Resultat herbeigeführt, das wir so angelegentlich wünschten? Hat er nicht das Unglück abgewendet, das wir fürchteten? Albert hatte alle Anlage zu einem Verschwender, einem Schwärmer, einem Unbesonnenen. Er kehrt nun zu uns zurück als ein Mann, der die Achtung, das Vertrauen, die Ehrerbietung seiner Mitmenschen verdient.
– Aber abgegriffen wie ein altes Buch, sagte die Stiftsdame, oder vielleicht stumpf gegen alles und allem entfremdet, was nicht zu seinen inneren Trieben stimmt. Er scheint sich nicht glücklich zu fühlen, dass er wieder bei uns ist, bei uns, die wir uns so nach ihm sehnten.
– Auch der Herr Graf sehnte sich nach Hause, entgegnete der Abbé. Ich habe es wohl bemerkt, obgleich er es nicht offen aussprach. Er ist zu wenig mitteilend, er hat von Natur ein zurückhaltendes Wesen.
– Er ist im Gegenteile von Natur mitteilend, versetzte sie lebhaft. Er war manchmal heftig, manchmal zärtlich bis zum Übermaße. Er machte mich oft böse, aber dann warf er sich in meine Arme, und ich war entwaffnet.
– Gegen mich, sagte der Abbé, hat er nie etwas gut zu machen gehabt.
– Glaube mir, Schwester! es ist besser so, sagte mein Oheim.
– Ach! entgegnete das Fräulein, er wird also ewig dieses Gesicht haben, das mich außer Fassung bringt, das mir das Herz zusammenschnürt?
– Es ist das edle, stolze Gesicht, welches einem Manne seines Ranges wohl ansteht, antwortete der Abbé.
– Es ist ein Gesicht von Stein! rief das Fräulein. Es ist mir, als ob ich seine Mutter sähe, nicht wie ich sie gekannt habe, gefühlvoll und freundlich, sondern wie sie gemalt ist, unbeweglich und starr in ihrem eichenen Rahmen.
– Ich kann Ew. Gnaden nur wiederholen, sagte der Abbé, dass es so die Art des Grafen Albert seit acht Jahren ist.
– O wehe! also acht tödliche Jahre, in denen er keinen Menschen angelächelt hat, seufzte die gute Tante und weinte; denn seit den zwei Stunden, dass ich ihn nicht aus den Augen lasse, hat kein Lächeln seine geschlossenen und farblosen Lippen verzogen. Ach! ich möchte mich auf ihn stürzen, ihn fest, fest an mein Herz drücken, ihm seine Gleichgültigkeit vorwerfen, ihn schelten sogar, wie sonst, um zu sehen, ob er mir nicht wie sonst mit Schluchzen um den Hals fallen wird.
– Lass dich ja nicht zu solchen Unvorsichtigkeiten verleiten, liebe Schwester! sagte Graf Christian und zwang sie, sich von Albert abzuwenden, den sie immerfort mit feuchten Augen ansah. Gib nicht den Schwachheiten eines mütterlichen Herzens nach: wir haben genugsam erfahren, welch eine Pest die übertriebene Empfindlichkeit für das Lesben und für die Vernunft unseres Kindes war. Durch Zerstreuung, durch Fernhalten jeder starken Aufregung hat der Herr Abbé, unseren und der Ärzte Absichten gemäß, es dahin gebracht, diese stürmische Seele zu beruhigen; zerstöre nicht