George Sand

Gesammelte Werke


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noch nie bei ei­nem jun­gen Man­ne von sei­nen Ga­ben, sei­ner Ge­burt und sei­nen Glücks­gü­tern ge­fun­den habe.

      Al­les dies war üb­ri­gens nur eine Be­stä­ti­gung des­sen, was der Abbé schon in zahl­rei­chen Brie­fen der Fa­mi­lie ge­schrie­ben hat­te; al­lein man hat­te im­mer ge­fürch­tet, dass er über­trie­be und man war nicht eher ru­hig, als bis man ihn sei­ne Ver­si­che­run­gen ohne Furcht, durch das Be­tra­gen mei­nes Vet­ters un­ter den Au­gen der Sei­ni­gen Lü­gen ge­straft zu wer­den, wie­der­ho­len hör­te.

      Man über­häuf­te nun den Abbé mit Ge­schen­ken und Lieb­ko­sun­gen und er­war­te­te mit Un­ge­duld Al­ber­t’s Rück­kehr von sei­nem Spa­zier­gan­ge. Er blieb lan­ge aus, und als er end­lich zum Abendes­sen sich ein­fand, war man er­schreckt über die Bläs­se und den Ernst sei­ner Züge. In der ers­ten Freu­de des Wie­der­se­hens hat­te sein Ge­sicht eine süße, in­ni­ge Zufrie­den­heit aus­ge­drückt, wo­von man jetzt kei­ne Spur mehr sah. Man wun­der­te sich und gab die all­ge­mei­ne Be­sorg­nis dem Abbé ver­stoh­le­ner Wei­se zu er­ken­nen. Die­ser sah Al­bert an und sich er­staunt zu de­nen wen­dend, die sich mit ihm in ei­ner Ecke des Zim­mers be­spra­chen, sag­te er:

      – Ich fin­de nichts Au­ßer­ge­wöhn­li­ches in dem Ge­sich­te des Herrn Gra­fen; es hat den wür­de­vol­len und ru­hi­gen Aus­druck, den ich an ihm seit den acht Jah­ren ken­ne, dass ich die Ehre hat­te, ihn zu be­glei­ten.

      Graf Chris­ti­an ließ sich durch die­se Ant­wort zu­frie­den­stel­len.

      – Als er von uns ging, sag­te er zu sei­ner Schwes­ter, war er noch mit den Ro­sen der Ju­gend ge­schmückt, und oft, ach! eine Beu­te ei­ner fie­bri­schen Hef­tig­keit, die sei­ner Stim­me Stär­ke und sei­nen Bli­cken Feu­er gab; wir fin­den ihn wie­der von der Son­ne mit­tä­gi­ger Ge­gen­den ge­bräunt, viel­leicht ein we­nig von der An­stren­gung er­schöpft und von dem Ernst er­füllt, der ei­nem ge­mach­ten Man­ne ziemt. Fin­dest du ihn so nicht bes­ser, lie­be Schwes­ter?

      – Ich fin­de, dass er mir einen recht trau­ri­gen Ein­druck macht mit sei­ner ernst­haf­ten Mie­ne, ant­wor­te­te mei­ne gute Tau­te, und ich habe nie einen Men­schen von acht und zwan­zig Jah­ren so schwer­fäl­lig und so we­nig ge­sprä­chig ge­se­hen. Er ant­wor­tet ja auf al­les nur mit Ja und Nein.

      – Der Herr Graf ist im­mer sehr karg in Wor­ten ge­we­sen, ent­geg­ne­te der Abbé.

      – Das war er ehe­mals nicht, sag­te das Stifts­fräu­lein. Wenn er auch Wo­chen hat­te, wo er schwieg und nach­dach­te, so hat­te er we­nigs­tens Tage, wo er mit­tei­lend und be­redt war.

      – Seit ich ihn ken­ne, ver­setz­te der Abbé, hat er sich nie­mals von die­ser Zu­rück­hal­tung, die Ew. Gna­den an ihm be­mer­ken, ent­fernt.

      – Ge­fiel er dir denn da­mals bes­ser, als er zu viel sprach und Din­ge schwatz­te, die uns zit­tern mach­ten? sag­te Graf Chris­ti­an zu sei­ner be­sorg­ten Schwes­ter; so sind nun die Wei­ber!

      – Aber er leb­te doch, sag­te sie, und jetzt ge­bär­det er sich wie ein Be­woh­ner der an­de­ren Welt, der für nichts Sinn hat, was in die­ser vor­geht.

      – Die­ses We­sen, er­wi­der­te der Abbé, hat der Herr Graf stets und stän­dig; er ist ein in sich ge­kehr­ter Mann, der nie­man­dem mit­teilt, was ihn be­wegt, der, wenn ich un­um­wun­den mei­ne Mei­nung sa­gen soll, sich durch bei­nah nichts Äu­ße­res be­we­gen lässt. Es ist so die Art kal­ter, be­däch­ti­ger, über­leg­ter Na­tu­ren. So ge­ar­tet ist er, und ich glau­be, wenn man den Ver­such mach­te, ihn an­zu­trei­ben, so wür­de man nur Ver­wir­rung in die­se der Tä­tig­keit und je­dem un­ge­wis­sen Be­gin­nen ab­ge­neig­te See­le brin­gen.

      – O, ich will dar­auf schwö­ren, dass das nicht sein wah­res We­sen ist, rief das Stifts­fräu­lein aus.

      – Sie wer­den sich noch über­zeu­gen, hoch­wür­di­ge Frau! dass das, wo­ge­gen Sie ein­ge­nom­men sind, ein sel­te­ner Vor­zug ist.

      – Wirk­lich, lie­be Schwes­ter! sag­te der Graf; ich fin­de des Herrn Abbé Äu­ße­rung sehr ver­stän­dig. Hat er nicht durch sei­ne Sorg­falt und durch sein ge­schick­tes Ein­ge­hen auf Al­ber­t’s See­len­stim­mung das Re­sul­tat her­bei­ge­führt, das wir so an­ge­le­gent­lich wünsch­ten? Hat er nicht das Un­glück ab­ge­wen­det, das wir fürch­te­ten? Al­bert hat­te alle An­la­ge zu ei­nem Ver­schwen­der, ei­nem Schwär­mer, ei­nem Un­be­son­ne­nen. Er kehrt nun zu uns zu­rück als ein Mann, der die Ach­tung, das Ver­trau­en, die Ehr­er­bie­tung sei­ner Mit­menschen ver­dient.

      – Aber ab­ge­grif­fen wie ein al­tes Buch, sag­te die Stifts­da­me, oder viel­leicht stumpf ge­gen al­les und al­lem ent­frem­det, was nicht zu sei­nen in­ne­ren Trie­ben stimmt. Er scheint sich nicht glück­lich zu füh­len, dass er wie­der bei uns ist, bei uns, die wir uns so nach ihm sehn­ten.

      – Auch der Herr Graf sehn­te sich nach Hau­se, ent­geg­ne­te der Abbé. Ich habe es wohl be­merkt, ob­gleich er es nicht of­fen aus­sprach. Er ist zu we­nig mit­tei­lend, er hat von Na­tur ein zu­rück­hal­ten­des We­sen.

      – Er ist im Ge­gen­tei­le von Na­tur mit­tei­lend, ver­setz­te sie leb­haft. Er war manch­mal hef­tig, manch­mal zärt­lich bis zum Über­ma­ße. Er mach­te mich oft böse, aber dann warf er sich in mei­ne Arme, und ich war ent­waff­net.

      – Ge­gen mich, sag­te der Abbé, hat er nie et­was gut zu ma­chen ge­habt.

      – Glau­be mir, Schwes­ter! es ist bes­ser so, sag­te mein Oheim.

      – Ach! ent­geg­ne­te das Fräu­lein, er wird also ewig die­ses Ge­sicht ha­ben, das mich au­ßer Fas­sung bringt, das mir das Herz zu­sam­men­schnürt?

      – Es ist das edle, stol­ze Ge­sicht, wel­ches ei­nem Man­ne sei­nes Ran­ges wohl an­steht, ant­wor­te­te der Abbé.

      – Es ist ein Ge­sicht von Stein! rief das Fräu­lein. Es ist mir, als ob ich sei­ne Mut­ter sähe, nicht wie ich sie ge­kannt habe, ge­fühl­voll und freund­lich, son­dern wie sie ge­malt ist, un­be­weg­lich und starr in ih­rem ei­che­nen Rah­men.

      – Ich kann Ew. Gna­den nur wie­der­ho­len, sag­te der Abbé, dass es so die Art des Gra­fen Al­bert seit acht Jah­ren ist.

      – O wehe! also acht töd­li­che Jah­re, in de­nen er kei­nen Men­schen an­ge­lä­chelt hat, seufz­te die gute Tan­te und wein­te; denn seit den zwei Stun­den, dass ich ihn nicht aus den Au­gen las­se, hat kein Lä­cheln sei­ne ge­schlos­se­nen und farb­lo­sen Lip­pen ver­zo­gen. Ach! ich möch­te mich auf ihn stür­zen, ihn fest, fest an mein Herz drücken, ihm sei­ne Gleich­gül­tig­keit vor­wer­fen, ihn schel­ten so­gar, wie sonst, um zu se­hen, ob er mir nicht wie sonst mit Schluch­zen um den Hals fal­len wird.

      – Lass dich ja nicht zu sol­chen Un­vor­sich­tig­kei­ten ver­lei­ten, lie­be Schwes­ter! sag­te Graf Chris­ti­an und zwang sie, sich von Al­bert ab­zu­wen­den, den sie im­mer­fort mit feuch­ten Au­gen an­sah. Gib nicht den Schwach­hei­ten ei­nes müt­ter­li­chen Her­zens nach: wir ha­ben ge­nug­sam er­fah­ren, welch eine Pest die über­trie­be­ne Emp­find­lich­keit für das Les­ben und für die Ver­nunft un­se­res Kin­des war. Durch Zer­streu­ung, durch Fern­hal­ten je­der star­ken Auf­re­gung hat der Herr Abbé, un­se­ren und der Ärz­te Ab­sich­ten ge­mäß, es da­hin ge­bracht, die­se stür­mi­sche See­le zu be­ru­hi­gen; zer­stö­re nicht