George Sand

Gesammelte Werke


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Die mäch­tigs­ten Fürs­ten aber blie­ben Ka­tho­li­ken, nicht so­wohl aus Lie­be zur Re­li­gi­on als aus Lie­be zur un­um­schränk­ten Herr­schaft. Ös­ter­reich war in ih­rem Bun­de, um uns zu über­wäl­ti­gen, und ein aber­ma­li­ger Krieg ent­brann­te, den man den drei­ßig­jäh­ri­gen nennt, die­ser er­schüt­ter­te und ver­nich­te­te un­se­re Na­tio­na­li­tät. Böh­men wur­de von An­fang an die Beu­te des Stärks­ten, Ös­ter­reich be­han­del­te uns als Be­sieg­te, nahm uns un­sern Glau­ben, un­se­re Frei­heit, un­se­re Spra­che, ja selbst un­se­re Na­men. Un­se­re Vä­ter leis­te­ten tap­fe­ren Wi­der­stand, aber das kai­ser­li­che Joch ist im­mer schwe­rer auf un­se­ren Na­cken ge­sun­ken. Es sind nun hun­dert und zwan­zig Jah­re, dass un­ser Adel, zu Grun­de ge­rich­tet und de­ci­miert durch Ge­fech­te, Kämp­fe und Hin­rich­tun­gen, ge­zwun­gen wor­den ist, sein Va­ter­land zu ver­las­sen oder sei­ne Na­tio­na­li­tät zu op­fern, in­dem er sei­nen Ur­sprung ab­schwö­ren, deut­sche Na­men an­neh­men (Mer­ken Sie dies wohl) und der Frei­heit des Glau­bens ent­sa­gen muss­te: man hat un­se­re Schrif­ten ver­brannt, man hat un­se­re Schu­len zer­stört, mit ei­nem Wor­te, man hat uns zu Ös­ter­rei­chern ge­macht. Wir sind jetzt nichts wei­ter als eine Pro­vinz des Rei­ches und Sie hö­ren deutsch re­den in ei­nem sla­vi­schen Lan­de; da­mit ist ge­nug ge­sagt.

      – Und jetzt, Sie emp­fin­den die­se Skla­ve­rei schmerz­lich und mit Schamer­rö­ten, o, ich be­grei­fe es wohl und has­se schon die­ses Ös­ter­reich aus Grund der See­le.

      – St! lei­ser! rief die jun­ge Baro­nin. Sol­che Re­den sind ge­fähr­lich un­ter dem grau­en, böh­mi­schen Him­mel, und in die­sem Schlos­se gibt es nur einen ein­zi­gen Men­schen, der kühn, der toll ge­nug ist, das aus­zu­spre­chen, was Sie eben sag­ten, lie­be Nina! es ist mein Vet­ter Al­bert.

      – Das also ist die Ur­sa­che des Gra­mes, den man auf sei­nem Ge­sich­te liest? Ich fühl­te mich von Hochach­tung er­grif­fen, als ich ihn an­sah.

      – Ei, mei­ne schö­ne Lö­win von San Mar­co! sag­te Ama­lie, er­staunt über das hoch­her­zi­ge Feu­er, wel­ches plötz­lich die blei­chen Züge ih­rer Ge­fähr­tin über­flog; Sie neh­men die Sa­che zu ernst­haft. Ich fürch­te sehr, dass Ih­nen in we­ni­gen Ta­gen mein Cou­sin eher Mit­leid als Hochach­tung ein­flö­ßen möch­te.

      – Das eine brauch­te ja­wohl das an­de­re nicht zu ver­hin­dern, ent­geg­ne­te Con­sue­lo, aber er­klä­ren Sie sich nä­her, lie­be Baro­nin.

      – Hö­ren Sie auf­merk­sam, sag­te Ama­lie. Wir sind eine streng­ka­tho­li­sche Fa­mi­lie, der Kir­che und dem Rei­che treu er­ge­ben. Wir füh­ren einen säch­si­schen Na­men und un­se­re Vor­fah­ren von säch­si­scher Sei­te wa­ren im­mer äu­ßerst recht­gläu­big. Wenn es mei­ner Tan­te, der Stifts­da­me, ei­nes Ta­ges zu ih­rem Un­glück ein­fal­len wird, Ih­nen die Diens­te zu er­zäh­len, wel­che un­se­re Alt­vor­dern, die deut­schen Her­ren Gra­fen und Frei­her­ren, der hei­li­gen Sa­che ge­leis­tet ha­ben, so wer­den Sie se­hen, dass, ihr zu Fol­ge, nicht der kleins­te Fle­cken von Ket­ze­rei an un­se­rem Wap­pen haf­tet. Selbst als Sach­sen pro­tes­tan­tisch ge­wor­den war, woll­ten die Ru­dol­stadt lie­ber ih­ren pro­tes­tan­ti­schen Fürs­ten ver­las­sen, als den Schoß der Kir­che. Aber mei­ne Tan­te wird es sich nie ein­fal­len las­sen, mit die­sen Din­gen in Ge­gen­wart des Gra­fen Al­bert zu prah­len, sonst wür­den Sie aus Al­ber­t’s Mun­de ge­wiss die er­staun­lichs­ten Din­ge ver­neh­men, die je mensch­li­che Ohren ge­hört ha­ben.

      – Sie span­nen mei­ne Neu­gier im­mer hö­her, ohne sie zu be­frie­di­gen. Ich ver­ste­he bis jetzt so viel, dass ich vor Ihren ed­len Ver­wand­ten nicht die Mie­ne an­neh­men darf, als ob ich Ihre und des Gra­fen Al­bert Sym­pa­thi­en für das alte Böh­men teil­te. Sie kön­nen sich auf mei­ne Be­hut­sam­keit ver­las­sen, teu­re Baro­nin! Üb­ri­gens bin ich in ka­tho­li­schem Lan­de ge­bo­ren und die Ach­tung, wel­che ich für mei­ne Re­li­gi­on hege, so wie die, wel­che ich Ih­rer Fa­mi­lie zol­le, wür­den schon hin­rei­chen, um mir un­ter al­len Um­stän­den Still­schwei­gen auf­zu­er­le­gen.

      – Sie wer­den klug han­deln, denn ich sage Ih­nen noch ein­mal, dass wir in die­sem Punk­te grau­sam alt­vä­te­risch sind. Was mich selbst be­trifft, lie­be Nina, so bin ich aus bes­se­rem Tei­ge ge­macht. Ich bin we­der Pro­tes­tan­tin noch Ka­tho­li­kin. Ich bin von Non­nen er­zo­gen wor­den, ihre Pre­dig­ten und Pa­ter­no­s­ter ha­ben mich recht­schaf­fen ge­lang­weilt. Die­sel­be Mar­ter hat mich hier­her ver­folgt und mei­ne Tan­te Wences­la­wa ver­ei­nigt in ih­rer ein­zi­gen Per­son die Pe­dan­terei und den Aber­glau­ben ei­ner gan­zen Schwes­ter­schaft. Ich bin aber zu sehr von heu­te, um mich aus Ab­scheu da­vor in die nicht min­der töd­li­chen Con­tro­ver­sen der Luthe­ra­ner zu stür­zen, und was die Hus­si­ten an­langt, so ist das eine so alte Ge­schich­te, dass ich nicht mehr da­für schwär­me als für die Groß­ta­ten der Grie­chen und der Rö­mer. Der fran­zö­si­sche Geist ist mein Ide­al, und ich glau­be, dass es kei­ne Ver­nunft, kei­ne Phi­lo­so­phie und kei­ne Zi­vi­li­sa­ti­on gibt als die, wel­che in die­sem hei­te­ren, lie­bens­wür­di­gen Frank­reich im Schwan­ge sind, von des­sen Li­te­ra­tur ich manch­mal im Ge­hei­men na­sche, und des­sen Glück, Frei­heit und Fröh­lich­keit ich wie von fer­ne, und wie in ei­nem Traum­bild, durch die Spal­ten mei­nes Ker­kers sehe.

      – Sie set­zen mich mit je­dem Au­gen­blick in grö­ße­res Er­stau­nen, sag­te Con­sue­lo in Ein­falt. Wie geht es doch zu, dass Sie eben jetzt von Be­geis­te­rung er­grif­fen schie­nen, als Sie der Hel­den­ta­ten des al­ten böh­mi­schen Vol­kes ge­dach­ten? Ich habe Sie für erz­böh­misch und ein we­nig ket­ze­risch ge­hal­ten.

      – Ich bin schlim­mer als ket­ze­risch und schlim­mer als böh­misch, er­wi­der­te Ama­lie la­chend, ich bin ein we­nig un­gläu­big und re­bel­lisch ganz und gar. Ich has­se jede Art von Herr­schaft, geist­lich oder welt­lich, und ich pro­tes­tie­re ganz im Stil­len ge­gen Ös­ter­reich, wel­ches von al­len Bon­nen die steifs­te und frömm­le­rischs­te ist.

      – Und Graf Al­bert ist eben so un­gläu­big? Hat auch er den fran­zö­si­schen Geist? Sie pas­sen wohl in die­sem Fal­le treff­lich für ein­an­der!

      – Ach! wir pas­sen nicht im min­des­ten für ein­an­der, und da sind wir nun nach al­len mei­nen not­wen­di­gen Um­schwei­fen ge­ra­de bei dem Punk­te an­ge­langt, wo ich von ihm zu re­den habe.

      Mein On­kel, Graf Chris­ti­an, hat­te von sei­ner ers­ten Frau kei­ne Kin­der. Im vier­zigs­ten Jah­re hei­ra­te­te er zum zwei­ten Male und er­hielt von die­ser Frau fünf Söh­ne, wel­che alle star­ben und zwar eben so wie ihre Mut­ter, an ei­ner Krank­heit, die mit ih­nen ge­bo­ren war, ei­nem be­stän­di­gen Schmerz und so­zu­sa­gen Fie­ber im Ge­hir­ne. Die­se zwei­te Frau war von rei­nem böh­mi­schen Blu­te, und, wie man sagt, au­ßer­or­dent­lich schön und klug. Ich habe sie nicht ge­kannt. Sie wer­den ihr Bild­nis in ei­nem Leib­chen mit Edel­stei­nen und Schar­lach­man­tel im großen Saa­le se­hen. Al­bert sieht ihr wun­der­sam ähn­lich. Er war der sechs­te und letz­te ih­rer Söh­ne, der ein­zi­ge, der ein Al­ter von drei­ßig Jah­ren er­reicht hat, und auch nicht ohne Mühe; denn ohne dem An­schei­ne nach krank zu sein, hat er doch har­te Pro­ben durch­zu­ma­chen ge­habt und merk­wür­di­ge Sym­pto­me von Krank­heit des Ge­hir­n­es las­sen noch im­mer für sein Le­ben fürch­ten. Un­ter uns, ich glau­be nicht, dass er es über die­se un­glück­li­che