George Sand

Gesammelte Werke


Скачать книгу

nichts zu wis­sen schi­en, war ich au­ßer mir und be­geg­ne­te ihm sehr kurz. Er be­merk­te das nicht ein­mal, er schi­en ganz in Ge­dan­ken ver­lo­ren.

      Am Abend dach­te mein Va­ter, dass ein we­nig Mu­sik ihm eine Zer­streu­ung ma­chen wür­de. Ich hat­te in Al­ber­t’s Ge­gen­wart noch nicht ge­sun­gen. Mei­ne Har­fe war erst Ta­ges zu­vor an­ge­kom­men. Vor Ih­nen, der Meis­te­rin, darf ich mich frei­lich nicht rüh­men, dass ich in der Mu­sik et­was leis­ten kann. Sie wer­den aber we­nigs­tens se­hen, lie­be Por­po­ri­na, dass ich eine hüb­sche Stim­me habe, und dass es mir, an na­tür­li­chem Ge­schmack nicht fehlt. Ich ließ mich bit­ten, ich hat­te mehr Lust zu wei­nen, als zu sin­gen. Al­bert sag­te kein Wort. End­lich gab ich nach, aber ich sang sehr schlecht, und Al­bert hat­te die Grob­heit, nach ei­ni­gen Tak­ten hin­aus­zu­ge­hen, als ob ich ihm die Ohren zer­ris­se. Ich muss­te mei­nen gan­zen Stolz zu­sam­men­neh­men, um nicht in Trä­nen aus­zu­bre­chen, und um mein Stück zu be­en­di­gen ohne die Sai­ten mei­ner Har­fe zu spren­gen. Mei­ne Tan­te war ih­rem Nef­fen nach­ge­gan­gen, mein Va­ter war ein­ge­schla­fen, mein On­kel stand an der Tür und er­war­te­te die Rück­kunft sei­ner Schwes­ter, um nach Al­bert zu fra­gen. Nur der Abbé blieb üb­rig, um mir Kom­pli­men­te zu ma­chen, die mich aber noch mehr är­ger­ten als die Acht­lo­sig­keit der an­de­ren.

      – Mein Cou­sin scheint die Mu­sik nicht zu lie­ben, sag­te ich zu ihm.

      – Im Ge­gen­teil, er liebt sie sehr, ent­geg­ne­te er, aber jenach­dem …

      – Jenach­dem man singt, fiel ich ihm in die Rede.

      – Jenach­dem er ge­stimmt ist, fuhr er fort, ohne sich au­ßer Fas­sung brin­gen zu las­sen; manch­mal tut ihm die Mu­sik wohl, manch­mal wehe. Sie ha­ben ihn si­cher­lich so er­grif­fen, dass er in Be­sorg­nis war, nicht an sich hal­ten zu kön­nen. Und sein Weg­ge­hen ist schmei­chel­haf­ter für Sie, als die größ­ten Lob­sprü­che.

      Die krie­chen­de Ar­tig­keit die­ses Je­sui­ten hat­te so et­was tücki­sches und hä­mi­sches, dass sie mir ganz ab­scheu­lich war. Aber ich wur­de bald da­von be­freit, wie Sie gleich hö­ren wer­den.

      11.

      Am fol­gen­den Tage hat­te mei­ne Tan­te, die im­mer nur spricht, wenn ihr Herz be­wegt ist, den un­glück­li­chen Ein­fall, sich in eine Un­ter­hal­tung mit dem Abbé und dem Ka­plan ein­zu­las­sen. Und da es au­ßer der Lie­bes­tä­tig­keit für die Ih­ri­gen, wel­che ihre See­le bei­na­he ganz aus­füllt, nur noch einen ein­zi­gen Ge­gen­stand auf der Welt gibt, an dem sie eine Zer­streu­ung fin­det, näm­lich ih­ren Fa­mi­li­en­stolz, so ver­fehl­te sie nicht, die­sen zu kit­zeln, in­dem sie sich über ih­ren Stamm­baum ver­brei­te­te und den bei­den Pries­tern er­klär­te, dass un­ser Ge­schlecht das reins­te, edels­te und herr­lichs­te in Deutsch­land, son­der­lich durch die weib­li­che Li­nie wäre. Der Abbé hör­te ihr mit Ge­duld und der Ka­plan voll Ehr­furcht zu, als Al­bert, wel­cher gar nicht auf das Ge­spräch ge­ach­tet zu ha­ben schi­en, plötz­lich ihr in die Rede fiel.

      – Sie schei­nen sich, gute Tan­te! sag­te er, über die Vor­zü­ge un­se­rer Fa­mi­lie ei­ni­ge Vor­spie­ge­lun­gen zu ma­chen. Es ist wahr, dass der Adel und die Wür­den un­se­rer Vor­fah­ren in eine ziem­lich fer­ne Ver­gan­gen­heit hin­auf­rei­chen, aber eine Fa­mi­lie, die ih­ren Na­men ein­büßt, ihn ge­wis­ser­ma­ßen ab­schwört, um den Na­men ei­ner Ge­schlechts- und Glau­bens­frem­den an­zu­neh­men, hat das Recht ver­lo­ren, sich mit dem Al­ter ih­res Ver­diens­tes und ih­rer Treue ge­gen das Va­ter­land zu brüs­ten.

      Die­se An­mer­kung war dem Stifts­fräu­lein sehr un­an­ge­nehm; aber da der Abbé die Ohren ge­spitzt zu ha­ben schi­en, glaub­te sie et­was ent­geg­nen zu müs­sen.

      – Ich bin nicht dei­ner Mei­nung, lie­bes Kind! sag­te sie. Es hat sich sehr oft be­ge­ben, dass be­rühm­te Häu­ser mit gu­tem Rech­te, um sich noch be­rühm­ter zu ma­chen, ih­rem Na­men den ei­nes müt­ter­li­chen Zwei­ges bei­ge­sellt ha­ben, um nicht ihre Er­ben der Ehre zu be­rau­ben, die ih­nen durch die Ab­kunft von ei­ner ruhm­voll ent­stamm­ten Frau zu­kommt.

      – Aber auf un­sern Fall lässt sich die­ser Satz nicht an­wen­den, ver­setz­te Al­bert mit ei­ner Be­harr­lich­keit, die bei ihm nicht ge­wöhn­lich war. Ich be­grei­fe die Ve­rei­ni­gung zwei­er be­rühm­ten Na­men sehr wohl. Ich fin­de es in der Ord­nung, dass eine Frau ih­ren Na­men dem ih­res Ge­mahls bei­ge­sellt auf ihre Kin­der ver­er­be. Aber die völ­li­ge Un­ter­drückung die­ses letz­te­ren Na­mens scheint mir eine schwe­re Be­lei­di­gung von Sei­ten der Frau, wel­che sie be­wirkt, eine Nichts­wür­dig­keit von Sei­ten des Man­nes, der sie sich ge­fal­len lässt.

      – Du gehst auf sehr alte Ge­schich­ten zu­rück, Al­bert! sag­te das Stifts­fräu­lein mit ei­nem tie­fen Seuf­zer, und wen­dest den Satz noch falscher an als ich. Der Herr Abbé könn­te glau­ben, wenn er dich hört, dass ir­gend ei­ner un­se­rer Ah­nen männ­li­cher Seits ei­ner Nichts­wür­dig­keit fä­hig ge­we­sen wäre; und da du Din­ge so gut kennst, von de­nen ich dich kaum un­ter­rich­tet glaub­te, so hät­test du eine sol­che Be­mer­kung in Be­treff po­li­ti­scher Er­eig­nis­se … die Gott sei Dank, ei­ner schon sehr fer­nen Zeit an­ge­hö­ren … nicht ma­chen sol­len.

      – Wenn mei­ne Be­mer­kung Ih­nen un­an­ge­nehm ist, so will ich die Sa­che er­zäh­len, um un­sern Ahn Wi­thold, den letz­ten Po­dieb­rad, von je­dem Ta­del, der sein An­den­ken be­fle­cken könn­te, zu rei­ni­gen. Es scheint mei­ne Cou­si­ne zu in­ter­es­sie­ren, setz­te er hin­zu, da er be­merk­te, dass ich große Au­gen mach­te, als er sich in eine sei­ner phi­lo­so­phi­schen Rich­tung und sei­ner schweig­sa­men Ge­wohn­heit so ganz und gar nicht ent­spre­chen­de Ver­hand­lung ein­ließ. Er­fah­ren Sie denn, Ama­lie! dass un­ser Ur­groß­va­ter Wra­tis­lav erst vier Jah­re alt war, als sei­ne Mut­ter von Ru­dol­stadt ihm die Schmach glaub­te auf­er­le­gen zu müs­sen, sei­nen wah­ren Na­men, den Na­men sei­ner Vä­ter, den Na­men Po­dieb­rad, mit die­sem säch­si­schen Na­men zu ver­tau­schen, den wir bei­de jetzt füh­ren, Sie ohne zu er­rö­ten und ich, ohne stolz dar­auf zu sein.

      – Es ist we­nigs­tens eine ganz un­nüt­ze Sa­che, sag­te On­kel Chris­ti­an, dem dies Ge­spräch sehr un­be­hag­lich zu sein schi­en, der­glei­chen alte Ge­schich­ten auf­zu­wär­men.

      – Mir scheint, ent­geg­ne­te Al­bert, dass Tan­te auf viel äl­te­re Ge­schich­ten zu­rück­ge­gan­gen ist, in­dem sie uns die Hel­den­ta­ten der Ru­dol­stadt er­zähl­te, und ich be­grei­fe nicht, warum ei­ner von uns, der sich zu­fäl­lig dar­an er­in­nert, dass er von böh­mi­scher und nicht von säch­si­scher Ab­kunft ist, dass er ei­gent­lich Po­dieb­rad und nicht Ru­dol­stadt heißt, et­was gar so Un­ziem­li­ches tun müss­te, wenn er von Er­eig­nis­sen re­det, die im­mer doch nicht wei­ter als hun­dert und zwan­zig Jah­re rück­wärts lie­gen.

      – Ich wuss­te wohl, be­merk­te der Abbé, der Al­ber­ten mit ei­ni­ger Span­nung zu­ge­hört hat­te, dass Ihre be­rühm­te Fa­mi­lie in der Vor­zeit mit dem kö­nig­li­chen Ge­schlech­te Ge­orgs Po­dieb­rad zu­sam­men­hing, aber das wuss­te ich nicht, dass sie in so ge­ra­der Li­nie von ihm ab­stammt, um den Na­men der­sel­ben zu füh­ren.

      – Das kommt da­her, sag­te Al­bert, dass mei­ne Tau­te, die sich so treff­lich auf Stamm­bäu­me ver­steht, für gut be­fun­den hat, den al­ten, ehr­wür­di­gen