George Sand

Gesammelte Werke


Скачать книгу

äu­ßern Ge­gen­stän­de da­von ab­zie­hen las­sen, so konn­te sie sich in ihr Ge­bet nicht so ver­tie­fen, dass sie nicht da­ne­ben einen neu­gie­ri­gen Blick auf ihre Um­ge­bung ge­wor­fen hät­te, und sie be­merk­te bald, dass sie sich nicht in der Ka­pel­le be­fand, son­dern an ei­nem Orte, den sie zu­vor noch nicht be­tre­ten hat­te. Es war we­der das gel­be Schiff, noch wa­ren es die­sel­ben Or­na­men­te.

      Ob­wohl die­se un­be­kann­te Ka­pel­le ziem­lich klein war, so konn­te man doch die Ge­gen­stän­de dar­in noch nicht deut­lich un­ter­schei­den, und was Con­sue­lo am meis­ten auf­fiel, war eine weiß­li­che Bild­säu­le dem Al­tar ge­gen­über in je­ner stei­fen, erns­ten Hal­tung kni­end, wel­che ehe­dem bei Sta­tu­en, die zur Ver­zie­rung der Grä­ber dienten, in Ge­brauch war. Sie glaub­te sich nun an ei­ner, den Über­res­ten und dem An­den­ken ver­ehr­ter Ah­nen ge­weih­ten Stät­te, und da sie seit ih­rem Auf­ent­halt in Böh­men ein we­nig furcht­sam und aber­gläu­bisch ge­wor­den war, so kürz­te sie ihr Ge­bet ab, und stand auf, um hin­aus­zu­ge­hen.

      Aber in dem Au­gen­bli­cke, wo sie noch einen letz­ten, scheu­en Blick auf die zehn Schrit­te von ihr kni­en­de Fi­gur warf, sah sie die Bild­säu­le deut­lich ihre ge­fal­te­ten stei­ner­nen Hän­de aus­ein­an­der tun und lang­sam ein großes Kreuz ma­chen, wäh­rend sie einen tie­fen Seuf­zer aus­stieß.

      Con­sue­lo war nahe dar­an, rück­lings nie­der­zu­stür­zen, und den­noch ver­moch­te sie nicht, ihre ver­stör­ten Au­gen von der furcht­ba­ren Bild­säu­le ab­zu­wen­den. Es muss­te sie in dem Glau­ben, eine stei­ner­ne Fi­gur zu se­hen, be­stär­ken, dass die­se nicht den Schre­ckens­schrei zu hö­ren schi­en, den Con­sue­lo aus­stieß, und ihre bei­den großen, wei­ßen Hän­de wie­der zu­sam­men­leg­te, ohne den ge­rings­ten Zu­sam­men­hang mit der Au­ßen­welt zu ver­ra­ten.

      5.

      Wenn die er­fin­de­ri­sche und frucht­ba­re Anna Rad­clif­fe sich an der Stel­le des ehr­li­chen und un­be­hol­fe­nen Er­zäh­lers die­ser sehr wahr­haf­ten Ge­schich­te be­fun­den hät­te, so wür­de sie sich eine so schö­ne Ge­le­gen­heit nicht ha­ben ent­ge­hen las­sen, ver­ehr­te Le­se­rin! Sie ein hal­b­es Dut­zend herr­li­cher und span­nen­der Bän­de hin­durch un­ter Cor­ri­do­ren, Fall­tü­ren, Wen­del­trep­pen, fins­tern Gän­gen und un­ter­ir­di­schen Ge­wöl­ben um­her­zu­füh­ren, um Ih­nen erst im sieb­ten Ban­de den Schlüs­sel zu al­len Ge­heim­nis­sen ih­res kunst­rei­chen Wer­kes zu über­lie­fern.

      Aber die Le­se­rin, de­ren Un­ter­hal­tung un­se­re Auf­ga­be ist, wür­de als ein star­ker Geist viel­leicht den un­schul­di­gen Kunst­griff des Ro­man­schrei­bers in un­sern Ta­gen nicht so gut auf­neh­men. Und da es oh­ne­hin sehr schwer sein wür­de, ihr das Ge­rings­te auf­zu­hef­ten, so wol­len wir ihr ge­schwind, so ge­schwind als mög­lich, das Wort un­se­rer gan­zen Rät­sel ent­de­cken. Und wol­len, um gleich zwei mit ei­nem Schla­ge ab­zu­tun, be­ken­nen, dass Con­sue­lo, nach­dem sie ei­ni­ge Au­gen­bli­cke wie­der bei kal­tem Blu­te war, erst­lich in der be­seel­ten Sta­tue vor ih­ren Au­gen nichts an­de­res als den al­ten Gra­fen Chris­ti­an er­kann­te, der sein Mor­gen­ge­bet in sei­nem Ora­to­ri­um in Ge­dan­ken her­sag­te, und zwei­tens in je­nem Seuf­zer der Zer­knir­schung, der ihm un­be­wusst ent­fuhr, wie al­ten Leu­ten oft, das näm­li­che dä­mo­ni­sche Seuf­zen, wel­ches ei­nes Abends ihr Ohr traf, als sie eben den Bitt­ge­sang an »Un­se­re lie­be Frau zum Trost« ge­sun­gen hat­te.

      Con­sue­lo schäm­te sich ein we­nig ih­res Schau­ders und blieb, aus Ehr­furcht und um nicht ein so brüns­ti­ges Ge­bet zu stö­ren, an ihre Stel­le ge­bannt. Nichts konn­te er­he­ben­der und rüh­ren­der sein als der An­blick die­ses auf den Stei­nen kni­en­den Grei­ses, der sein Herz am frü­hen Mor­gen Gott dar­brach­te, so ganz hin­ge­gos­sen in eine Art himm­li­scher Ver­zückung, dass sei­ne Sin­ne je­dem Ein­druck der sicht­ba­ren Welt ver­schlos­sen schie­nen. Sei­ne ed­len Züge ver­rie­ten kei­ne schmerz­li­che Span­nung. Ein Luft­zug, wel­cher durch die Tür kam, die Con­sue­lo of­fen ge­las­sen hat­te, spiel­te um sei­nen Na­cken in ei­nem Halb­kranz von Sil­ber­lo­cken, und fei­ne hohe, bis zum Schei­tel nack­te Stirn glänz­te wie vom Al­ter ver­gilb­ter Mar­mor. In ei­nem weiß­wol­le­nen alt­mo­di­schen Schlaf­rock, der fast wie eine Mönchs­kut­te aus­sah und um sei­ne ma­ge­ren Glie­der große stei­fe und schwe­re Fal­ten bil­de­te, glich er voll­kom­men ei­ner Grab­sta­tue, und als er sei­ne un­be­weg­li­che Hal­tung wie­der an­ge­nom­men hat­te, muss­te Con­sue­lo zwei­mal hin­se­hen, um nicht in ihre ers­te Täu­schung zu­rück­zu­fal­len.

      Nach­dem sie ihn eine Zeit lang auf­merk­sam be­trach­tet hat­te, in­dem sie ihre Stel­lung mehr zur Sei­te nahm, um ihn bes­ser se­hen zu kön­nen, frag­te sie sich, gleich­sam un­will­kür­lich, mit­ten in ih­rer Be­wun­de­rung und Rüh­rung, ob ein Ge­bet der Art, wie es die­ser Greis zu Gott em­por­schick­te, wohl zur Ge­ne­sung sei­nes un­glück­li­chen Soh­nes hel­fen könn­te, ob eine so duld­sam den über­lie­fer­ten Glau­bens­sät­zen und den star­ren Schlüs­sen des Schick­sals un­ter­wor­fe­ne See­le wohl je die Glut, den Scharf­blick und die Kraft be­ses­sen ha­ben moch­te, wel­che Al­bert in sei­nem Va­ter hät­te fin­den müs­sen, um sich von ihm lei­ten zu las­sen.

      Auch Al­bert hat­te einen mys­ti­schen Sinn; auch er hat­te ein from­mes und be­schau­li­ches Le­ben ge­führt; aber nach al­lem, was Ama­lie er­zählt, nach al­lem, was Con­sue­lo seit ih­rem kur­z­en Auf­ent­halt im Schlos­se mit ei­ge­nen Au­gen ge­se­hen hat­te, war Al­bert nie dem Rat­ge­ber, Füh­rer und Freund be­geg­net, der sei­ne Ein­bil­dungs­kraft hät­te lei­ten, die Hef­tig­keit sei­ner Ge­füh­le dämp­fen und den un­ge­zähm­ten Brand sei­nes Tu­gend­ei­fers be­sänf­ti­gen kön­nen.

      Sie sah ein, dass er sich ver­ein­samt füh­len und wie einen Fremd­ling sich be­trach­ten muss­te, in­mit­ten die­ser Fa­mi­lie, die ihm stets nur ei­gen­sin­nig wi­der­stritt oder schwei­gend ihn be­klag­te als einen Ket­zer oder Nar­ren; sie fühl­te es an sich selbst, an der Art Un­ge­duld, die ihr dies un­emp­find­li­che, end­lo­se, an den Him­mel ge­rich­te­te Ge­bet er­reg­te, das ihm al­lein die Sor­ge auf­zu­bür­den schi­en; die man sel­ber hät­te über­neh­men müs­sen, den Flücht­ling zu ent­de­cken, zu ihm zu ei­len, ihn zu über­re­den und zu­rück­zu­füh­ren.

      Denn welch eine star­ke An­wand­lung von Verzweif­lung, welch eine un­säg­li­che Ver­wir­rung der See­le muss­te es nicht sein, die einen Jüng­ling von so lie­be­vol­lem, gu­tem Her­zen aus der Mit­te sei­ner An­ge­hö­ri­gen rei­ßen konn­te, um ihn in eine völ­li­ge Selbst­ver­ges­sen­heit zu stür­zen und ihm so­gar die Ah­nung der Be­sorg­nis­se und Qua­len, die er dem teu­ers­ten We­sen be­rei­te­te, zu rau­ben.

      Dass man es sich zum Ge­setz ge­macht hat­te, ihm nie zu wi­der­spre­chen und in töd­li­cher Un­ru­he Ruhe zu heu­cheln, dünk­te dem fes­ten und gra­den Sin­ne Con­sue­lo’s eine straf­ba­re Nach­läs­sig­keit, oder ein gro­ber Irr­tum. Es lag dar­in die Art Dün­kel und Selbst­sucht, die Leu­ten von re­li­gi­öser Be­schränkt­heit ei­gen ist, Leu­ten, wel­che die Bin­de der In­to­le­ranz sich ge­dul­dig um ihre Au­gen le­gen las­sen und an einen ein­zi­gen, ge­nau von Pries­ter­hand vor­ge­zeich­ne­ten Weg zum Him­mel glau­ben.

      Gu­ter Gott! sag­te Con­sue­lo in ih­rem Her­zen be­tend; wäre