George Sand

Gesammelte Werke


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es ist mir doch, als ob in mei­nem vol­len und ent­schlos­se­nen Her­zen mehr über­zeu­gen­de Kraft wäre, als in al­len Leh­ren, die sei­ne An­ge­hö­ri­gen stu­diert ha­ben, die so mild und gut sind, aber, so un­schlüs­sig und kalt wie der Ne­bel und der Schnee ih­res Lan­des.

      6.

      Nach vie­len Kreuz- und Qu­er­gän­gen auf den ver­wor­re­nen Pfa­den die­ses Wal­des, ge­riet Con­sue­lo in ei­ner ber­gi­gen und zer­ris­se­nen Land­schaft auf eine An­hö­he voll von Fels­blö­cken und Mau­er­trüm­mern, die kaum von­ein­an­der zu un­ter­schei­den wa­ren, so hat­te die Men­schen­hand mit dem Zah­ne der Zeit wett­ei­fernd, dort ge­wü­tet. Es war nichts als ein Hau­fen von Stei­nen und Bruch­stücken üb­rig, wo vor Zei­ten ein Dorf ge­stan­den, das der furcht­ba­re Blin­de, das be­rühm­te Ta­bo­ri­ten­haupt, Jo­hann Zis­ka, nie­der­ge­brannt hat­te, er, von dem Al­bert ab­zu­stam­men glaub­te, viel­leicht auch wirk­lich ab­stamm­te.

      In ei­ner schwar­zen, grau­si­gen Nacht, als der wild, un­er­müd­li­che Füh­rer sei­nen Hau­fen be­foh­len hat­te, Rie­sen­burg an­zu­grei­fen, das da­mals von kai­ser­li­chen Trup­pen be­setzt war, hat­te er sei­ne Leu­te mur­ren und einen un­ter ih­nen sa­gen hö­ren: »Die­ser ver­damm­te Blin­de meint auch, dass je­des Men­schen­kind so gut wie er ohne Licht se­hen kann!« Da hat­te sich Zis­ka zu ei­nem der vier treu­en Schü­ler ge­wandt, die ihn über­all be­glei­te­ten, sein Pferd oder sei­nen Wa­gen füh­rend, und ihm ge­nau die Be­schaf­fen­heit des Ter­rains und die Stel­lung und Be­we­gung des Fein­des be­rich­tend, und hat­te ge­sagt, sei­nem star­ken Ge­dächt­nis oder dem Ah­nungs­ver­mö­gen fol­gend, die bei ihm die Stel­le des Ge­sichts ver­tra­ten:

      – Es ist ein Dorf hier bei?

      – Va­ter, ja! hat­te der Ta­bo­rit, der ihn führ­te, geant­wor­tet; rechts vor dir, auf ei­ner Höhe, der Bes­te ge­ra­de ge­gen­über.

      Und Zis­ka hat­te den miss­ver­gnüg­ten Krie­ger ru­fen las­sen, des­sen Mur­ren sei­ne Auf­merk­sam­keit er­regt hat­te.

      – Mein Kind! hat­te er zu ihm ge­sagt, du be­schwerst dich über die Dun­kel­heit; geh eilends und wirf Feu­er in das Dorf da auf der Höhe, zu mei­ner Rech­ten; beim Schein der Flam­men wer­den wir ge­hen und strei­ten.

      Der schreck­li­che Be­fehl war aus­ge­führt wor­den. Das bren­nen­de Dorf hat­te den stür­men­den Ta­bo­ri­ten ge­leuch­tet. Rie­sen­burg war in zwei Stun­den er­obert wor­den und Zis­ka hat­te da­von Be­sitz ge­nom­men. Am an­de­ren Mor­gen hat­te man be­merkt und ihm ge­mel­det, dass mit­ten un­ter dem Schutt des nie­der­ge­brann­ten Dor­fes, und ge­ra­de auf dem Schei­tel des Hü­gels, der den Sol­da­ten zur War­te ge­dient hat­te, um von da die Be­we­gun­gen in der Ves­te zu be­ob­ach­ten, eine jun­ge Ei­che, die ein­zi­ge in die­ser Ge­gend, auf­recht und grün ge­blie­ben war, au­gen­schein­lich vor der Hit­ze des rings­um auf­stei­gen­den Feu­ers durch das Was­ser ei­ner Cis­ter­ne, wel­che ihre Wur­zeln tränk­te, ge­schützt.

      Ge­sagt, ge­tan. Die Ei­che hat­te seit je­ner Zeit »der Hus­sit« ge­hei­ßen, und der Stein der Cis­ter­ne nebst dem zer­stör­ten Dorf und der ver­las­se­nen An­hö­he »Schre­cken­stein«.

      Con­sue­lo hat­te die­se düs­te­re Sage be­reits mit al­len Ne­ben­um­stän­den von Ama­lie er­fah­ren. Aber da sie den Schau­platz der­sel­ben nur erst von wei­tem oder bei Nacht, als sie sich zum ers­ten Mal dem al­ten Schlos­se nä­her­te, ge­se­hen hat­te, so wür­de sie ihn nicht wie­der er­kannt ha­ben, wenn sie nicht auf dem Bo­den ei­ner Schlucht, über wel­che der Weg hin­führ­te, die furcht­ba­ren Res­te der vom Blitz zer­trüm­mer­ten Ei­che er­blickt hät­te, denn kein Die­ner des Schlos­ses hat­te sie klein zu ma­chen oder weg­zu­schaf­fen ge­wagt, da sich für sie noch jetzt, nach meh­ren Jahr­hun­der­ten, eine aber­gläu­bi­sche Furcht an die­ses Schre­ckens­mal aus Jo­hann Zis­ka’s Zei­ten knüpf­te.

      Die Ge­sich­te und Vor­her­sa­gun­gen Al­ber­t’s hat­ten der trau­ri­gen Stät­te einen noch furcht­ba­re­ren Cha­rak­ter ge­ge­ben. Auch fühl­te Con­sue­lo, als sie sich al­lein und un­ver­se­hens auf dem Schre­cken­stein fand (und sie hat­te sich auf den Stein selbst, er­mü­det nie­der­ge­setzt), ih­ren Mut ent­wei­chen und ihr Herz sich son­der­bar zu­sam­men­ziehn. Nicht nur nach Al­ber­t’s, son­dern nach al­ler Aus­sa­ge, die in der Ge­gend wohn­ten, lie­ßen sich grau­en­vol­le Er­schei­nun­gen häu­fig über dem Schre­cken­stein se­hen, und ver­scheuch­ten die Jä­ger, wel­che ver­we­gen ge­nug wa­ren, bis dort­hin Beu­te zu su­chen. Da­her diente die­ser Hü­gel, so nahe er dem Schlos­se lag, oft Wöl­fen und an­de­ren rei­ßen­den Tie­ren zum Auf­ent­halt und Zuf­luchts­ort vor den Ver­fol­gun­gen des Barons und sei­ner Hun­de.

      Der gleich­mü­ti­ge Frie­de­rich glaub­te zwar für sein Teil nicht eben an die Ge­fahr, da­selbst vom Teu­fel an­ge­packt zu wer­den, mit dem er üb­ri­gens sich Mann ge­gen Mann zu mes­sen auch nicht viel Furcht ge­habt ha­ben wür­de, aber nach sei­ner Art aber­gläu­bisch und im Zu­sam­men­hange sei­nes Ide­en­krei­ses hat­te er das Vor­ur­teil, dass da­selbst ein schäd­li­cher Ein­fluss sei­ne Hun­de be­droh­te und ih­nen un­be­kann­te und un­heil­ba­re Krank­hei­ten an den Leib zie­hen wür­de. Er hat­te in der Tat meh­re ver­lo­ren, die von dem kla­ren Was­ser, das aus den Adern die­ser Höhe rann und viel­leicht aus der ver­damm­ten Cis­ter­ne, dem al­ten Hus­si­ten­gra­be, ent­sprang, ge­trun­ken hat­ten, und er war seit­dem sehr be­ei­fert, wenn in die­ser Rich­tung ei­ner sei­ner Schweiß­hun­de schwärm­te oder ei­ner sei­ner Hüh­ner­hun­de re­vier­te, ihn ge­schwind durch Zu­spruch und Pfiff ab­zu­ru­fen.

      Con­sue­lo schäm­te sich der An­wand­lung von Klein­mut, den sie zu be­kämp­fen Wil­lens war und zwang sich, einen Au­gen­blick auf dem trau­ri­gen Stein zu blei­ben, und dann mit so lang­sa­men Schrit­ten hin­weg­zu­ge­hen, wie es ei­nem ru­hi­gen Ge­mü­te bei der­glei­chen Pro­ben ge­ziemt. Aber in dem Au­gen­bli­cke,