George Sand

Gesammelte Werke


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ge­währ­te ihm großen Trost.

      – Trost? rief die scharf­bli­cken­de Ama­lie. Hat er die­ses Wort ge­braucht? Sie wis­sen, Tan­te! wel­che Be­deu­tung es im Mun­de mei­nes Vet­ters hat.

      – In der Tat, es ist ein Wort, das er sehr häu­fig auf den Lip­pen trägt, ent­geg­ne­te Wences­la­wa, und das für ihn einen pro­phe­ti­schen Sinn hat; je­doch im vor­lie­gen­den Fal­le fin­de ich nur et­was sehr na­tür­li­ches im Ge­brau­che ei­nes sol­chen Wor­tes.

      – Aber was für ein Wort war es, das er Ih­nen so oft wie­der­holt hat, lie­be Por­po­ri­na? fing Ama­lie wie­der an, die nicht los ließ. Es schi­en mir, als ob er Ih­nen ein be­son­de­res Wort im­mer wie­der sag­te, wel­ches ich in mei­ner Ver­wir­rung nicht be­hal­ten habe.

      – Ich habe es selbst nicht ver­stan­den, ant­wor­te­te Con­sue­lo, wäh­rend es sie eine große Über­win­dung kos­te­te, zu lü­gen.

      – Lie­be Nina! sag­te ihr Ama­lie ins Ohr, Sie sind fein und schlau; was mich be­trifft, die ich nicht ge­ra­de­zu auf den Kopf ge­fal­len bin, so glau­be ich sehr wohl ver­stan­den zu ha­ben, dass Sie der mys­ti­sche Trost sind, des­sen Ver­hei­ßung Al­bert in sei­nen Ge­sich­ten für sein drei­ßigs­tes Jahr emp­fan­gen hat. Ge­ben Sie sich kei­ne Mühe, es mir zu ver­heh­len, dass Sie es noch bes­ser als ich ver­stan­den ha­ben: das ist eine himm­li­sche Mis­si­on, auf die ich nicht ei­fer­süch­tig bin.

      – Hö­ren Sie, lie­be Por­po­ri­na! sag­te das Stifts­fräu­lein nach ei­ni­gem Be­sin­nen, wir ha­ben im­mer ge­glaubt, dass Al­bert, wenn er wie wirk­lich durch Zau­be­rei vor uns ver­schwand, sich nicht fern von uns ver­bor­gen hal­te, viel­leicht im Hau­se selbst, mit Hil­fe ir­gend ei­nes ver­bor­ge­nen Rau­mes, des­sen Ge­heim­nis er al­lein be­sitzt. Ich weiß nicht, aber ich bil­de mir ein, wenn Sie jetzt zu fin­gen an­fin­gen, so wür­de er es hö­ren und zu uns kom­men.

      – Wenn ich das glau­ben dürf­te! … sag­te Con­sue­lo, be­reit, zu ge­hor­chen.

      – Aber wenn Al­bert in un­se­rer Nähe ist, und nun doch viel­leicht die Mu­sik sei­nen Wahn­sinn stei­gert? wand­te die ei­fer­süch­ti­ge Ama­lie ein.

      – Je nun! sag­te Graf Chris­ti­an, man muss den Ver­such je­den­falls ma­chen. Ich habe sa­gen hö­ren, dass der un­ver­gleich­li­che Fa­ri­nel­li die Macht be­saß, durch sei­nen Ge­sang die Schwer­mut des Kö­nigs von Spa­ni­en zu ver­scheu­chen, wie der jun­ge Da­vid Macht hat­te, Sauls Ra­se­rei durch den Klang sei­ner Har­fe zu be­zäh­men. Ver­su­chen Sie es, ede­le Por­po­ri­na! eine so rei­ne See­le, wie die Ih­ri­ge, muss durch­aus einen heil­sa­men Ein­fluss auf al­les um­her aus­üben.

      Con­sue­lo, ge­rührt, setz­te sich an das Kla­vier und sang einen spa­ni­schen Hym­nus zu Ehren »Un­se­rer lie­ben Frau zum Tros­te«, den ihre Mut­ter ihr in ih­rer Kind­heit ge­lehrt hat­te und der so an­fing: »C­on­sue­lo de mi al­ma« (»Trost mei­ner See­le«).

      Sie sang ihn mit so rei­ner Stim­me und in ei­nem so rüh­rend from­men Tone, dass die Be­woh­ner des al­ten Schlos­ses fast den Ge­gen­stand, der sie be­schäf­tig­te, ver­ga­ßen, um sich ganz den Ge­füh­len der Hoff­nung und des Ver­trau­ens zu über­las­sen. Ein tie­fes Schwei­gen herrsch­te in­ner­halb und au­ßer­halb des Schlos­ses; man hat­te Tü­ren und Fens­ter ge­öff­net, da­mit Con­sue­lo’s Stim­me so weit als mög­lich drin­gen könn­te, und der Mond warf ein grün­li­ches Licht auf die Ver­tie­fun­gen der un­ge­heu­ern Fens­ter. Al­les schwieg, und eine Art se­li­ger Hei­ter­keit war an die Stel­le der Her­zens­angst ge­tre­ten, als ein tiefer Seuf­zer, wie aus ei­ner Men­schen­brust ge­haucht, dem letz­ten Ton ant­wor­te­te, den Con­sue­lo hö­ren ließ.

      Die­ser Seuf­zer war so ver­nehm­bar und so lang ge­zo­gen, dass alle An­we­sen­den ihn be­merk­ten, selbst Baron Frie­de­rich, der aus sei­nem Schlum­mer halb auf­fuhr und sich um­sah, als ob ihn je­mand ge­ru­fen hät­te. Alle er­bleich­ten und sa­hen ein­an­der an, als woll­ten sie sa­gen: ich war es nicht, wart ihr es? Ama­lie konn­te einen Schrei nicht zu­rück­hal­ten, und Con­sue­lo, der es vor­kam, als ob der Seuf­zer von dicht ne­ben ihr aus­ge­gan­gen wäre, ob­gleich sie ganz ab­ge­son­dert von der üb­ri­gen Fa­mi­lie am Kla­vier saß, war so er­schro­cken, dass sie kein Wort her­vor­brin­gen konn­te.

      – Gött­li­che Güte! sag­te das Stifts­fräu­lein vor Schreck zit­ternd, habt ihr die­sen Seuf­zer ver­nom­men, der aus den Ein­ge­wei­den der Erde zu kom­men schi­en?

      – Sa­gen Sie lie­ber, Tan­te! rief Ama­lie aus, dass er über un­sern Häup­tern hin­ging, wie ein Nacht­hauch.

      – Eine Nacht­eu­le, vom Lich­te an­ge­zo­gen, wird durch das Zim­mer ge­flo­gen sein, wäh­rend wir ganz in die Mu­sik ver­tieft wa­ren, und wir ha­ben den lei­sen Schlag ih­rer Flü­gel ge­hört, als sie durch das Fens­ter ent­wich, äu­ßer­te der Ka­plan, dem je­doch die Zäh­ne vor Furcht zu­sam­menschlu­gen.

      – Es war viel­leicht Al­ber­t’s Hund, sag­te Graf Chris­ti­an.

      – Ajax ist nicht hier, ent­geg­ne­te Ama­lie. Wo Al­bert ist, da ist Ajax auch im­mer bei ihm. Es hat hier je­mand selt­sam ge­seufzt. Wenn ich mir nur ge­trau­te ans Fens­ter zu ge­hen, so wür­de ich nach­se­hen, ob nicht wer im Gar­ten zu­ge­hört hat, aber wenn es mein Le­ben gäl­te, so hät­te ich nicht so viel Kraft.

      – Für ein so vor­ur­teils­freie Per­son, sag­te Con­sue­lo lei­se zu ihr, in­dem sie sich zu lä­cheln zwang, für eine klei­ne, fran­zö­si­sche Phi­lo­so­phin sind Sie gar nicht tap­fer, lie­be Baro­nin; ich will ver­su­chen, ob ich es mehr sein wer­de als Sie.

      – Ge­hen Sie nicht, Lie­be! ant­wor­te­te Ama­lie laut. Spie­len Sie nicht die Hel­din, denn Sie sind bleich wie der Tod, und Sie wer­den eine Ohn­macht da­von­tra­gen.

      – Was für Kin­de­rei­en äf­fen dei­ne Sor­ge, lie­be Ama­lie! sag­te Graf Chris­ti­an und ging mit ge­mes­se­nem, schwe­rem Schritt ans Fens­ter.

      Er sah hin­aus und ge­wahr­te nie­man­den; ru­hig mach­te er das Fens­ter zu und sag­te:

      – Es scheint, dass für die hit­zi­ge Ein­bil­dungs­kraft der Frau­en die wirk­li­chen Lei­den noch nicht heiß ge­nug sind; sie müs­sen im­mer noch die Schöp­fun­gen ih­res in Selbst­qual nur zu er­fin­de­ri­schen Kop­fes hin­zu­tun. Die­ser Seuf­zer hat ge­wiss nichts Wun­der­ba­res. Ei­ner von uns, er­grif­fen von der herr­li­chen Stim­me und dem un­end­li­chen Ta­lent der Si­gno­ra, wird, ohne es selbst zu wis­sen, die­se Art Ruf aus der tiefs­ten See­le aus­ge­sto­ßen ha­ben. Vi­el­leicht bin ich es ge­we­sen und habe es selbst nicht ein­mal wahr­ge­nom­men. Ach Por­po­ri­na, wenn es Ih­nen nicht ge­lingt, Al­bert zu hei­len, so müs­sen Sie we­nigs­tens einen himm­li­schen Bal­sam in so tie­fe Wun­den, wie die sei­ni­gen, gie­ßen.

      Das Wort die­ses hei­li­gen Grei­ses, der un­ter al­lem häus­li­chen Un­glück, das ihn drück­te, stets wei­se und ru­hig er­schi­en, war selbst ein himm­li­scher Bal­sam und Con­sue­lo emp­fand die Wir­kung da­von. Sie war ver­sucht, sich vor ihm auf die Knie zu wer­fen und ihn um sei­nen Se­gen zu bit­ten, wie sie den des Por­po­ra emp­fan­gen hat­te, als sie von ihm schied, und den Mar­cel­los an dem schöns­ten Tage ih­res Le­bens, der die Rei­he ih­rer un­glück­li­chen und ein­sa­men Tage an­ge­fan­gen hat­te.

      4.