George Sand

Gesammelte Werke


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den Baron stets gleich eif­rig mit der Jagd be­schäf­tigt, den Ka­plan stets gleich pünkt­lich, im­mer die näm­li­chen An­dachts­übun­gen zu ver­rich­ten, und Ama­li­en stets gleich fröh­lich und spott­lus­tig. Die hei­te­re Lau­ne der letz­te­ren war ihr ganz be­son­ders är­ger­lich. Es war ihr un­be­greif­lich, wie die­se schä­kern und la­chen konn­te, wäh­rend sie selbst kaum Ruhe fand zu le­sen oder zu nä­hen.

      Das Stifts­fräu­lein stick­te mitt­ler­wei­le an ei­ner Al­tar­de­cke für die Schloss­ka­pel­le. Es war ein Meis­ter­stück von Ge­duld, von Fein­heit und Zier­lich­keit. Kaum hat­te sie einen Um­gang im Hau­se ge­hal­ten, so kam sie zu­rück und setz­te sich an ih­ren Stick­rahm, wenn auch nur um ei­ni­ge we­ni­ge Sti­che hin­zu­zu­fü­gen, und die Zwi­schen­zeit zu fül­len, bis es wie­der et­was auf dem Spei­cher, oder in der Kü­che, oder im Kel­ler zu schaf­fen gäbe. Man muss­te es se­hen, mit wel­cher Wich­tig­keit alle die­se klei­nen Din­ge be­han­delt wur­den, und wie die­ses schwäch­li­che Ge­schöpf mit im­mer glei­chem, im­mer wür­di­gen und ge­mes­se­nen, aber nie­mals zö­gern­den Schritt durch das Haus stapf­te und in al­len Win­keln ih­res klei­nen Rei­ches schal­te­te, tau­send­mal des Ta­ges und in al­len Rich­tun­gen den be­schränk­ten und ein­för­mi­gen Be­zirk ih­res häus­li­chen Ge­bie­tes durch­mes­send.

      Was der Con­sue­lo noch merk­wür­dig schi­en, war die Hochach­tung und Be­wun­de­rung, wel­che die­ser un­er­müd­li­chen Be­f­lis­sen­heit in ei­nem Magd­dienst, den die alte Dame mit so vie­ler Lie­be und Ei­fer­sucht um­fasst zu ha­ben schi­en, so­wohl in der Fa­mi­lie als au­ßer­halb all­ge­mein ge­zollt wur­den. Wenn man sie mit der größ­ten Spar­sam­keit und Be­däch­tig­keit die ge­ring­fü­gigs­ten Din­ge an­ord­nen sah, so hät­te man sie für be­schränkt und miss­trau­isch hal­ten sol­len. Und den­noch be­saß sie in al­len ent­schei­den­den La­gen wah­re See­len­grö­ße und Hoch­her­zig­keit.

      Aber die­se ed­len Ei­gen­schaf­ten, und son­der­lich die müt­ter­li­che Zärt­lich­keit, wel­che sie in Con­sue­lo’s Au­gen so see­len­ver­wandt und so ehr­wür­dig mach­ten, hät­ten nicht hin­ge­reicht, sie in den Au­gen der an­de­ren zur Hel­din der Fa­mi­lie zu ma­chen. Da be­durf­te es mehr; es be­durf­te vor al­len Din­gen die­ser erns­ten fei­er­li­chen Hand­ha­bung all die­ses wirt­schaft­li­chen Tands, wenn auch einen Wert ha­ben soll­te was sie al­lem dem zum Trotz be­saß, einen ho­hen weib­li­chen Sinn und eine star­ke See­le. Es ging kein Tag hin, ohne dass Graf Chris­ti­an, oder der Baron oder der Ka­plan, so oft sie nur den Rücken wand­te, wie­der­hol­ten: was für eine klu­ge Frau! was für eine tüch­ti­ge Frau! was für eine be­däch­ti­ge Frau! Selbst Ama­lie, wel­che kei­nen Un­ter­schied kann­te zwi­schen der wah­ren Höhe des Le­bens und den Kin­de­rei­en, die, wie­wohl in an­de­rer Form, auch das ih­ri­ge aus­füll­ten, ge­trau­te sich es nicht, ih­rer Tan­te in Be­zug auf die­sen Punkt et­was an­zu­hän­gen, den ein­zi­gen, der für Con­sue­lo einen Schat­ten mit­ten in das hel­le Licht warf, das die lau­te­re, lie­be­vol­le See­le die­ser buck­li­gen Wences­la­wa von sich strahl­te.

      Der Cin­ga­rel­la, auf der Land­stra­ße ge­bo­ren und ver­lo­ren in der Welt, ohne an­de­ren Herrn und an­de­ren Hü­ter als ih­ren ei­ge­nen Ge­ni­us, dünk­ten so vie­le Mü­hen, so viel Tä­tig­keit und Auf­wand geis­ti­ger Kraft umso elen­de Zwe­cke als die Er­hal­tung oder Her­stel­lung von dem und je­nem, die­sem oder an­de­rem Es­sen, eine schreck­li­che Miss­hand­lung des mensch­li­chen Geis­tes. Sie, die nichts be­saß und nichts be­gehr­te von den Gü­tern die­ser Welt, sie schmerz­te es, eine schö­ne See­le sich so mit Wil­len ver­un­stal­ten zu se­hen durch die Ge­schäf­tig­keit um Korn, Wein, Holz, Flachs, Vieh und Haus­be­darf.

      Wenn man ihr all dies Gut, wo­nach die meis­ten Men­schen gie­ren, an­ge­bo­ten hät­te, sie hät­te nichts an des­sen Statt be­gehrt als eine Mi­nu­te zu­rück von ih­rem al­ten Glück, nichts als ihre Lum­pen, ih­ren schö­nen Him­mel, ihre rei­ne Lie­be und ihre Frei­heit auf den La­gu­nen Ve­ne­digs: bit­te­res und köst­li­ches An­ge­den­ken, das sich in ih­rem Hirn mit im­mer glän­zen­de­ren Far­ben mal­te, je wei­ter sie sich von die­sem la­chen­den Ho­ri­zont ent­fern­te, um in die ei­si­ge Re­gi­on zu drin­gen, die man das wirk­li­che Le­ben nennt.

      Es schnür­te ihr furcht­bar das Herz zu, wenn sie bei ein­bre­chen­der Nacht das Stifts­fräu­lein von Hans be­glei­tet, mit ei­nem großen Schlüs­sel­bun­de durch alle Ge­bäu­de, alle Höfe ge­hen sah, um per­sön­lich die Run­de zu ma­chen, um je­des Tür­chen sel­ber zu­zu­schlie­ßen, um je­den Win­kel, wo sich Mis­se­tä­ter ver­steckt ha­ben konn­ten, zu durch­su­chen, gleich als hät­te nie­mand hin­ter die­sen furcht­ba­ren Mau­ern si­cher schla­fen kön­nen, be­vor nicht die Flut des von na­her Schleu­se ge­fes­sel­ten Ba­ches sich brau­send in die Schloss­grä­ben ge­stürzt hat­te, wäh­rend man die Gat­ter ver­rie­gel­te und die Brücken auf­zog.

      Con­sue­lo hat­te so oft auf ih­ren wei­ten Rei­sen am Ran­de ei­ner Heer­stra­ße ge­schla­fen, mit ei­nem Zip­fel von dem zer­ris­se­nen Man­tel ih­rer Mut­ter über sich statt al­les Schut­zes! Sie hat­te so oft die Mor­gen­rö­te auf Ve­ne­digs wei­ßen, wel­len­ge­küss­ten Flie­sen be­grüßt, ohne einen Au­gen­blick für ihre jung­fräu­li­che Ehre, ihr ein­zi­ges Gut, des­sen Hü­tung ihr am Her­zen lag, zu fürch­ten. Ach! sag­te sie zu sich, wie sind doch die­se Leu­te zu be­kla­gen, dass sie so viel zu be­wa­chen ha­ben! Ihre Si­cher­heit ist das Ziel, dem sie Tag und Nacht nach­ja­gen, und vor al­lem Ja­gen da­nach, fin­den sie kei­ne Zeit, es zu er­rei­chen, noch sich sein zu freu­en.

      Sie seufz­te da­her schon eben­so, wie Ama­lie, in die­sem schwar­zen Ge­fäng­nis, die­ser schau­ri­gen Rie­sen­burg, wo die Son­ne selbst sich zu fürch­ten schi­en, hin­ein zu schei­nen. Aber an­statt dass die jun­ge Baro­nin Fes­te, Putz und Hul­di­gun­gen träum­te, träum­te Con­sue­lo eine Acker­fur­che, ein Ge­hölz oder eine Bar­ke sich zum Wohn­pal­las­te, und den wei­ten Ho­ri­zont zur Mau­er und den un­end­li­chen Ster­nen­him­mel zur ein­zi­gen Au­gen­wei­de.

      Da das raue Kli­ma und der Ver­schluss des Schlos­ses sie zwan­gen, die Ge­wohn­heit auf­zu­ge­ben, wel­che sie noch von Ve­ne­dig mit­ge­bracht hat­te, einen Teil der Nacht zu durch­wa­chen und mor­gens spät auf­zu­ste­hen, so mach­te sie Ver­su­che, und nach man­cher schlaflo­sen, un­ru­hi­gen Stun­de und man­chem schau­ri­gen Träu­men ge­lang es ihr end­lich, sich in das raue Ge­setz der Ein­sper­rung zu fü­gen, und sie ent­schä­dig­te sich dann da­für, in­dem sie es wag­te, al­lein auf die be­nach­bar­ten Ber­ge hin­aus einen Mor­gen­spa­zier­gang zu ma­chen. Beim ers­ten An­bruch des Ta­ges wur­den die Tore ge­öff­net und die Brücken nie­der­ge­las­sen, und wäh­rend Ama­lie, die einen Teil der Nacht da­mit zu­brach­te, heim­lich Ro­ma­ne zu le­sen, lag und schlief, bis es zum Früh­stück läu­te­te, eil­te die Por­po­ri­na hin­aus, die freie Luft zu at­men und die feuch­ten Pflan­zen des Wal­des nie­der­zu­tre­ten.

      Ei­nes mor­gens, als sie sehr lei­se auf den Ze­hen­spit­zen hin­ab­stieg, um nie­man­den zu we­cken, ver­fehl­te sie ih­ren Weg un­ter den vie­len Trep­pen und end­lo­sen Cor­ri­do­ren der Burg, in wel­cher sie sich noch im­mer nur mit Mühe zu­recht­fand. In die­sem La­by­rin­the von Gän­gen und Qu­er­gän­gen ver­irrt, ge­riet sie in eine Art Vor­hal­le, die ihr fremd war und hoff­te von da einen Aus­gang in den Gar­ten zu fin­den. Aber sie ge­lang­te nur zum Ein­gang ei­ner klei­nen Ka­pel­le von schö­nem