George Sand

Gesammelte Werke


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aber er sprach viel, was Con­sue­lo zu ih­rem großen Lei­de nicht ver­ste­hen konn­te. Sie hör­te ge­spannt hin und gab sich Mühe, einen Satz, den er oft un­ter Ver­beu­gun­gen wie­der­hol­te, zu be­hal­ten; ihr ge­üb­tes Ohr half ihr die Auss­pra­che ge­nau fas­sen, und so­bald ihr Zden­ko aus dem Ge­sich­te war, der ge­streck­ten Lau­fes hin­we­geil­te, schrieb sie ihn mit ita­lie­ni­scher Or­tho­gra­fie auf ihr Schreib­tä­fel­chen, um Ama­lie nach der Be­deu­tung zu fra­gen.

      Aber ehe noch Zden­ko fort war, hat­te sie dar­an ge­dacht, ihm et­was zu ge­ben, das auf zar­te­re Wei­se Al­ber­ten ihre Teil­nah­me aus­drücken könn­te, und den Tol­len zu­rück­ru­fend, der jetzt folg­sam auf ih­ren Ruf kam, warf sie ihm ein Blu­men­sträuß­chen zu, das sie im Treib­haus eine Stun­de zu­vor ge­pflückt hat­te und das an ih­rem Bu­sen noch frisch und duf­tig war. Zden­ko hob es auf, er­neu­er­te sei­nen Gruß, sei­ne Aus­ru­fun­gen und sei­ne Sprün­ge und ver­schwand im dich­tes­ten Ge­bü­sche, wo man höchs­tens ei­nem Ha­sen hin­ein­zu­schlüp­fen hät­te zu­trau­en kön­nen.

      Con­sue­lo ver­folg­te sei­nen has­ti­gen Lauf ei­ni­ge Au­gen­bli­cke mit den Au­gen, in­dem sie die Spit­zen des Ge­zwei­ges sich in der Rich­tung nach Süd­ost be­we­gen sah. Aber ein leich­ter Wind, der sich er­hob, mach­te die wei­te­re Beo­b­ach­tung un­mög­lich, da alle Zwei­ge des Ge­höl­zes zu zit­tern be­gan­nen, und Con­sue­lo ging ins Haus zu­rück, noch mehr als zu­vor ent­schlos­sen, ih­ren Zweck zu ver­fol­gen.

      8.

      Als Ama­lie ge­ru­fen wur­de, um den Spruch zu über­set­zen, den Con­sue­lo auf ihr Tä­fel­chen ge­schrie­ben und ih­rem Ge­dächt­nis ein­ge­prägt hat­te, sag­te sie, der Sinn wäre ihr nicht ver­ständ­lich, ob­gleich sie die Wor­te ver­stün­de; es lau­te­te wört­lich:

      »Grüß’ dich der, dem Un­recht ge­sche­hen!«

      – Vi­el­leicht, füg­te sie hin­zu, meint er Al­bert oder sich und will sa­gen, man täte ih­nen Un­recht, dass man sie für toll hiel­te, da sie sich selbst in der Tat für die ein­zi­gen ver­nünf­ti­gen Men­schen auf Er­den hal­ten. Aber wozu auch Sinn in den Re­den ei­nes Ver­rück­ten su­chen? Die­ser Zden­ko be­schäf­tigt Ihre Fan­ta­sie mehr als er ver­dient.

      – Es ist in al­len Län­dern Volks­glau­be, ent­geg­ne­te Con­sue­lo, den Wahn­sin­ni­gen eine Art hö­he­rer Er­leuch­tung bei­zu­mes­sen, wel­che dem be­son­ne­nen und ru­hi­gen Geis­te ver­sagt ist. Ich habe ein Recht, mich an die Vor­ur­tei­le mei­ner Klas­se zu hal­ten, und ich kann mir durch­aus nicht ein­bil­den, dass ein Ir­rer Wor­te nur so hin­spricht, wenn wir auch nicht wis­sen, was er meint.

      – Wir wol­len ein­mal se­hen, sag­te Ama­lie, ob der Ka­plan, der sich auf alle al­ten und neu­en For­meln, die bei un­sern Bau­ern im Schwan­ge sind, ver­steht, die­se hier ken­nen wird.

      Und zu dem gu­ten Man­ne lau­fend, frag­te sie ihn, ob er Zden­ko’s Spruch zu er­klä­ren wüss­te.

      Aber aus den dun­keln Wor­ten schi­en dem Ka­plan ein furcht­ba­res Licht auf­zu­ge­hen.

      – Gott im Him­mel! rief er erb­las­send, wo hat Ew. Gna­den die­se Läs­te­rung ver­nom­men?

      – Wenn es eine ist, ver­setz­te Ama­lie la­chend, so er­ra­te ich sie we­nigs­tens nicht, und eben des­halb wün­sche ich, dass Sie sie mir über­set­zen.

      – Von Wort zu Wort be­sagt es al­ler­dings auf gut Deutsch, was Sie schon be­merk­ten, gnä­di­ges Fräu­lein! »Der, dem Un­recht ge­sche­hen ist, grü­ße dich!« aber wenn Sie nach der Be­deu­tung fra­gen (ich ge­traue mir’s kaum über die Lip­pen zu brin­gen), so ist es ein ab­göt­ti­scher Spruch und will sa­gen: »Der Teu­fel sei mit dir!«

      – Mit an­de­ren Wor­ten, rief Ama­lie noch stär­ker la­chend: »Hol’ dich der Teu­fel!« Präch­tig! präch­tig! das ist ein al­ler­liebs­tes Kom­pli­ment. Da sehn Sie, Nina! was da­bei her­aus­kommt, wenn man sich mit Ver­rück­ten zu tun macht. Das ha­ben Sie nicht ge­dacht, dass Zden­ko Ih­nen mit ei­nem so sü­ßen Lä­cheln und mit so ver­gnüg­ten Gri­mas­sen eine sol­che Grob­heit an den Kopf wür­fe.

      – Zden­ko? rief der Ka­plan. Ach! ist es der un­glück­li­che Irre, der sol­che For­meln ge­braucht? Nun! mir war schon Angst, dass es sonst je­mand ge­we­sen wäre … und das war dumm, denn der­glei­chen konn­te nur aus die­sem, mit den Ver­rucht­hei­ten al­ler al­ten Ket­ze­rei voll­ge­stopf­ten Hir­ne kom­men! Wo­her hat er nur die­se heut zu Tage bei­nah un­be­kann­ten und ver­ges­se­nen Sa­chen? Es ist nicht an­ders denk­bar, als dass sie ihm der böse Geist selbst ein­gibt.

      – Aber das ist ja wei­ter nichts als eine gars­ti­ge Ver­wün­schung, die das Volk al­ler Zun­gen ge­braucht, sag­te Ama­lie; und die Ka­tho­li­ken ma­chen sich kein grö­ße­res Ge­wis­sen dar­aus als die an­de­ren.

      – Wel­che wie­der vie­le an­de­re er­zeu­gen wird, fuhr Ama­lie fort, in­dem sie, um den gu­ten Pries­ter zu ver­spot­ten, sei­nen fei­er­li­chen Ton an­nahm. Aber Scherz bei Sei­te! Er­klä­ren Sie uns doch, Herr Ka­plan, wie das ein Kom­pli­ment sein kann, je­man­den zum Teu­fel zu wün­schen!

      – Dem Glau­ben der Loll­har­den zu Fol­ge, sag­te der Ka­plan, war Sa­tan nicht der Feind des mensch­li­chen Ge­schlech­tes, son­dern viel­mehr sein Be­schüt­zer und Pa­tron. Sie nann­ten ihn ein Op­fer der Un­ge­rech­tig­keit und der Ei­fer­sucht. Nach ih­nen war der Erz­en­gel Mi­cha­el samt den üb­ri­gen himm­li­schen Mäch­ten, so den Sa­tan in den Ab­grund ge­stürzt ha­ben, das ei­gent­lich böse Prin­zip, da­ge­gen Lu­ci­fer, Beel­ze­bub, Asta­rot, Astar­te und alle an­de­ren Un­ge­heu­er der Höl­le die Un­schuld und das Licht selbst. Sie glaub­ten, dass das Reich Mi­chaels und sei­ner sieg­rei­chen Schar bald zu Ende ge­hen wür­de und dass der Teu­fel mit sei­ner ver­damm­ten Rot­te wie­der in den Him­mel ein­ge­setzt wer­den wür­de. Kurz, sie wid­me­ten ihm einen ab­göt­ti­schen Dienst, und be­grüß­ten sich un­ter ein­an­der mit dem Spru­che: Möge der, dem Un­recht ge­tan wor­den (d. h. den man ver­kannt und mit Un­recht ver­dammt hat), dich grü­ßen (d. h. dich be­schüt­zen und dir bei­stehn).

      – Nun seht mir! sag­te Ama­lie hell auf­la­chend, da steht ja mei­ne lie­be Nina un­ter sehr güns­ti­gen Au­spi­zi­en, und es soll mich nicht wun­dern, wenn man bin­nen Kur­zem zu Exor­cis­men schrei­ten muss, um die Wir­kung von Zden­ko’s Be­spre­chun­gen zu zer­stö­ren.

      Die­ser Spaß mach­te Con­sue­lo ein we­nig be­trof­fen. Sie war mit sich nicht ganz im Rei­nen, ob der Teu­fel ein Hirn­ge­spinnst und die Höl­le eine poe­ti­sche Fa­bel wäre. Sie hät­te den Zorn und Ab­scheu des Ka­plans ge­wiss sehr ernst ge­nom­men, wenn nicht sein Är­ger über Ama­li­ens Ge­spött ihn zu­gleich voll­kom­men lä­cher­lich ge­macht hät­te.

      Be­stürzt und an al­lem, was von Kind­heit auf ihr ein­ge­prägt war, durch den in­nern Streit ge­irrt, in wel­chen