George Sand

Gesammelte Werke


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die Stirn zu bie­ten und stieg die Trep­pe wie­der hin­un­ter, um das Stifts­fräu­lein zu ru­fen. Aber als sie an das un­te­re Stock­werk kam, er­kann­te sie ih­ren Cor­ri­dor, die Tür ih­res Zim­mers und ward inne, dass es Al­ber­t’s Zim­mer ge­we­sen, wo­hin­ein sie Zden­ko hat­te ge­hen se­hen.

      Tau­send Ver­mu­tun­gen bo­ten sich ih­rem nun wie­der ru­hi­gen und prü­fen­den Geis­te dar. Wie konn­te der Irre über Nacht in das so wohl ver­wahr­te, je­den Abend von dem Stifts­fräu­lein und der Die­ner­schaft so sorg­fäl­tig durch­such­te Schloss drin­gen? Die Er­schei­nung Zden­ko’s be­stärk­te sie in dem Ge­dan­ken, den sie im­mer schon ge­hegt hat­te, dass das Schloss einen ge­hei­men Aus­gang, viel­leicht eine un­ter­ir­di­sche Ver­bin­dung mit dem Schre­cken­stein ha­ben müs­se. Sie lief und klopf­te an Wences­la­wa’s Tür, die sich be­reits in ih­rer stren­gen Klau­se ein­ge­rie­gelt hat­te und einen großen Schrei aus­stieß, als sie sie ohne Licht und et­was bleich an­kom­men sah.

      – Be­ru­hi­gen Sie sich, teu­re Frau! sag­te das jun­ge Mäd­chen; ich brin­ge ein neu­es Er­eig­nis, das selt­sam ge­nug ist, aber nichts Er­schre­cken­des hat: ich habe Zden­ko in des Gra­fen Al­bert Zim­mer ge­hen se­hen.

      – Zden­ko! aber Sie träu­men, lie­bes Kind! wie soll­te er her­ein­ge­kom­men sein? Ich habe alle Tü­ren mit der­sel­ben Sorg­falt wie im­mer zu­ge­schlos­sen, und wäh­rend Sie au­ßen wa­ren nach dem Schre­cken­stein, habe ich die gan­ze Zeit über gute Wa­che ge­hal­ten: die Brücke war auf­ge­zo­gen, und als Sie sie pas­siert hat­ten, um ins Haus zu ge­hen, war ich hin­ter Ih­nen die letz­te und ließ sel­ber sie wie­der auf­zie­hen.

      – Wie dem auch sei, gnä­di­ge Frau! Zden­ko ist in Al­ber­t’s Zim­mer. Es hängt nur von Ih­nen ab, sich per­sön­lich da­von zu über­zeu­gen.

      – Ich gehe auf der Stel­le hin, ant­wor­te­te das Stifts­fräu­lein, ihn hin­aus­zu­ja­gen, wie es Recht ist. Das elen­de Ge­schöpf muss bei Tage hin­ein­ge­gan­gen sein. Aber was kann er da wol­len? Ge­wiss sucht er Al­bert oder will ihn er­war­ten; ein Be­weis, lie­bes Kind, dass er nicht bes­ser als wir weiß, wo Al­bert ist.

      – Nun, ge­hen wir im­mer und fra­gen ihn! sag­te Con­sue­lo.

      – Ei­nen Au­gen­blick, einen Au­gen­blick! sag­te Wences­la­wa, die im Be­griff zu Bett zu gehn, zwei ih­rer Rö­cke ab­ge­legt hat­te und sich in den üb­ri­gen drei­en zu we­nig be­klei­det glaub­te; ich kann mich so vor kei­nem Man­ne zei­gen, mei­ne Lie­be! Ru­fen Sie den Ka­plan oder mei­nen Bru­der Frie­de­rich, den ers­ten, den Sie er­lan­gen kön­nen … wir kön­nen uns nicht bei­de al­lein der Ge­fahr aus­set­zen, mit die­sem wahn­sin­ni­gen Men­schen zu­sam­men­zu­kom­men … aber nein! das geht ja nicht. Eine jun­ge Per­son, wie Sie, kann doch nicht bei den Her­ren an­klop­fen … war­ten Sie, war­ten Sie! ich wer­de ge­schwind ma­chen, in ei­nem Au­gen­blick­chen bin ich fer­tig.

      Sie brach­te hier­auf ih­ren An­zug in Ord­nung, was umso län­ger dau­er­te, je mehr sie es ge­schwind tun woll­te und weil sie, mehr als es seit lan­ger Zeit ge­sche­hen war, in ih­ren re­gel­mä­ßi­gen Ge­wohn­hei­ten ge­stört, ganz und gar den Kopf ver­lo­ren hat­te. Un­ge­dul­dig über die­sen Ver­zug, wäh­rend des­sen Zden­ko Al­ber­t’s Zim­mer ver­las­sen und sich im Schlos­se so ver­ber­gen konn­te, dass er nicht zu fin­den wäre, fand Con­sue­lo alle ihre Ent­schie­den­heit wie­der.

      – Ver­ehr­te Frau! sag­te sie, ein Licht an­zün­dend, ge­hen Sie, die­se Her­ren her­bei­zu­ru­fen, ich will in­des­sen se­hen, ob uns Zden­ko nicht ent­wischt.

      Sie stieg has­tig die bei­den Trep­pen hin­auf, und öff­ne­te mit mu­ti­ger Hand Al­ber­t’s Tür, die nicht wi­der­stand; sie fand aber das Zim­mer ver­las­sen. Sie trat in ein an­sto­ßen­des Ka­bi­net, hob die Vor­hän­ge auf, war so kühn, selbst un­ter das Bett und hin­ter alle Mö­bel zu schau­en. Zden­ko war nicht mehr da und kei­ne Spur ver­riet, dass er da ge­we­sen.

      – Er ist fort! sag­te sie zu dem Stifts­fräu­lein, das von Hans und dem Ka­plan be­glei­tet her­auf­ge­tappt kam. Der Baron hat­te sich schon nie­der­ge­legt ge­habt und schlief; es war un­mög­lich, ihn zu er­mun­tern.

      – Ich fan­ge an zu fürch­ten, sag­te der Ka­plan ein we­nig ver­drieß­lich, dass man ihn zum zwei­ten Male aus sei­ner Ruhe ge­jagt hat­te, ich fan­ge an zu fürch­ten, dass die Si­gno­ra Por­po­ri­na sich von täu­schen­den Ein­bil­dun­gen zum Bes­ten ha­ben lässt …

      – Nein, Herr Ka­plan! ant­wor­te­te Con­sue­lo leb­haft, nie­mand hier macht sich de­ren we­ni­ger als ich.

      – Und nie­mand be­sitzt mehr See­len­stär­ke und Auf­op­fe­rung, al­les wahr! ent­geg­ne­te der gute Mann, je­den­noch, Si­gno­ra! mö­gen Sie wohl, aus zu feu­ri­ger Hoff­nung, An­zei­chen er­bli­cken, wo lei­der kei­ne vor­han­den sind.

      – Va­ter! sag­te das Stifts­fräu­lein, die Por­po­ri­na ist mu­tig wie ein Löwe und klug wie ein Doc­tor. Wenn sie Zden­ko ge­se­hen hat, so ist Zden­ko da ge­we­sen. Man muss ihn im gan­zen Hau­se su­chen, und da al­les wohl ver­schlos­sen ist, Gott sei Dank, so kann er uns nicht ent­wi­schen.

      Man weck­te die üb­ri­ge Die­ner­schaft und such­te in al­len Win­keln. Kein Schrank blieb un­ge­öff­net, kein Mö­bel un­ver­rückt. Al­ler Vor­rat auf den ge­räu­mi­gen Spei­chern wur­de um und um­ge­kehrt. Hans trieb so­gar die Nai­vi­tät so weit, in die großen Stie­fel des Frei­herrn hin­ein­zu­gu­cken. Zden­ko war so we­nig dar­in als sonst wo. Man fing an zu glau­ben, Con­sue­lo habe ge­träumt; sie aber wur­de nur noch fes­ter in der Über­zeu­gung, dass ein ge­hei­mer Aus­gang zu fin­den sein müss­te, und nahm sich vor, alle ihre Be­harr­lich­keit an die Ent­de­ckung des­sel­ben zu set­zen.

      Kaum hat­te sie ei­ni­ge Stun­den ge­ruht, als sie ihre Un­ter­su­chung be­gann. Der Flü­gel, in wel­chem sie wohn­te, und worin auch Al­ber­t’s Zim­mer sich be­fand, lehn­te sich an die Fels­wand. Al­bert hat­te selbst sich sei­ne Woh­nung so ge­wählt und ein­rich­ten las­sen, dass er nach Sü­den ei­ner ma­le­ri­schen Aus­sicht ge­noss und dicht bei sei­nem Ar­beits­ka­bi­net eine hüb­sche klei­ne Gar­ten­ter­ras­se hat­te, auf wel­che man un­mit­tel­bar aus dem Zim­mer hin­austrat. Er lieb­te die Blu­men und zog dort in Erde, die man auf die stei­ni­ge Berg­stu­fe hin­auf­ge­schafft hat­te, sel­te­ne Ge­wäch­se.

      Die Ter­ras­se um­gab eine Brust­wehr von großen Werk­stücken, wel­che auf dem schrof­fen Fels­ran­de auf­la­gen; man über­sah von die­sem Blu­men­par­kett den Ab­sturz der an­de­ren Tal­wand und einen Teil des wei­ten za­cki­gen Ho­ri­zonts des Böh­mer­wal­des. Con­sue­lo, die hier noch nicht ge­we­sen war, be­wun­der­te die schö­ne Lage und die ma­le­ri­sche An­ord­nung; dann ließ sie sich vom Ka­plan sa­gen, wozu die­se Ter­ras­se ge­dient hät­te, ehe das Schloss aus ei­ner Fes­tung in einen herr­schaft­li­chen Wohn­sitz um­ge­wan­delt wor­den.

      – Es war dies, sag­te er, eine alte Bas­ti­on, eine Art be­fes­tig­ter War­te, von wo auf die Be­sat­zung die Be­we­gun­gen des Fein­des un­ten im Tal und auf den an­lie­gen­den Berg­hän­gen be­ob­ach­ten konn­te. Es gibt kei­nen Zu­gang zum Schlos­se, den man hier nicht über­se­hen könn­te. Ehe­mals war die Platt­form mit ei­ner ho­hen Mau­er um­ge­ben, wel­che Schieß­schar­ten nach al­len Sei­ten hat­te und die­je­ni­gen, wel­che sie be­setzt hiel­ten, vor den feind­li­chen Bol­zen oder Ku­geln