George Sand

Gesammelte Werke


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braucht es nur, um sei­ne Blu­men zu be­gie­ßen. Sie müs­sen näm­lich wis­sen, dass sich an die­sem Brun­nen seit etwa zwei Jah­ren ein sehr merk­wür­di­ges Phä­no­men zeigt. Die Quel­le, denn er hat eine, ich weiß nicht wie tief im Scho­ße des Ber­ges, setzt zu Zei­ten aus. Wäh­rend gan­zer Wo­chen sinkt der Was­ser­spie­gel auf­fal­lend und Graf Al­bert lässt sich von Zden­ko aus dem großen Hof­brun­nen das Was­ser zum Be­gie­ßen sei­ner ge­lieb­ten Blu­men ho­len. Dann plötz­lich wäh­rend ei­ner Nacht und manch­mal ehe eine Stun­de um ist, füllt sich die Cis­ter­ne mit ei­nem schmut­zi­gem trü­ben Was­ser, wie Sie da se­hen. Manch­mal leert sie sich un­ge­mein schnell; in an­de­ren Fäl­len bleibt das Was­ser ziem­lich lan­ge dar­in ste­hen, klärt sich dann nach und nach und wird zu­letzt kalt und klar wie Berg­kris­tall. Es muss heu­te Nacht ein Phä­no­men der er­wähn­ten Art ein­ge­tre­ten sein, denn noch ges­tern habe ich die Cis­ter­ne klar und ganz voll ge­se­hen, und jetzt sehe ich sie trüb, als ob sie sich ge­leert und wie­der ge­füllt hät­te.

      – Die­se Phä­no­me­ne ha­ben also kei­nen re­gel­mä­ßi­gen Ver­lauf?

      – Nein! und ich wür­de schon ge­naue Beo­b­ach­tun­gen an­ge­stellt ha­ben, wenn mir Graf Al­bert, der nach sei­ner ge­wohn­ten men­schen­scheu­en Art nie­man­den in sei­ne Zim­mer und auf sei­ne Ter­ras­se lässt, nicht die­se Er­göt­zung un­ter­sagt hät­te. Ich habe ge­dacht, und den­ke noch, dass der Bo­den der Cis­ter­ne mit Was­ser­ge­wäch­sen und Sch­ling­kraut be­deckt ist, wo­durch bis­wei­len die Öff­nung, aus wel­cher sich der Brun­nen speist, ver­stopft und dem un­ter­ir­di­schen Was­ser der Zu­tritt ver­sperrt wird, bis sich das an­drin­gen­de Was­ser selbst wie­der Luft macht.

      – Wie er­klä­ren Sie je­doch das plötz­li­che Ver­schwin­den des Was­sers, das in an­de­ren Fäl­len ein­tritt?

      – Daraus, dass der Graf un­ge­wöhn­lich viel zum Be­gie­ßen sei­ner Blu­men ver­braucht.

      – Es wür­den vie­le Arme, scheint mir, nö­tig sein, um die­sen Brun­nen aus­zu­schöp­fen. Er ist also wohl nicht tief?

      – Nicht tief? Man kann nicht auf den Bo­den kom­men.

      – Dann reicht Ihre Er­klä­rung nicht aus, sag­te Con­sue­lo, von der Dumm­heit des Ka­plans über­rascht.

      – Fin­den Sie eine bes­se­re! sag­te er in ei­ni­ger Ver­wir­rung und ver­drieß­lich, dass ihm sein Scharf­sinn nicht aus­half.

      – Ge­wiss! dach­te Con­sue­lo, ich wer­de eine bes­se­re fin­den, und ver­tief­te sich ganz in Be­trach­tun­gen über den merk­wür­di­gen Ei­gen­sinn des Brun­nens.

      – O, wenn Sie Graf Al­bert frü­gen, was das Phä­no­men be­deu­tet, hob der Ka­plan wie­der an, der gern ein we­nig den star­ken Geist ma­chen woll­te, um sein An­sehn in den Au­gen der klar­bli­cken­den Frem­den wie­der zu ge­win­nen, so wür­de er Ih­nen sa­gen, dass das die Trä­nen sei­ner Mut­ter sind, die im Scho­ße des Ber­ges ver­sie­gen und von Neu­em strö­men. Der be­rühm­te Zden­ko, dem Sie so viel Ver­stand zu­trau­en, wür­de Ih­nen zu­schwö­ren, dass da un­ten eine Si­re­ne sitzt und de­nen sehr an­ge­nehm vor­singt, die Ohren ha­ben zu hö­ren. Sie bei­de ha­ben die­sen Brun­nen die Trä­nen­quel­le ge­tauft. Es ist das viel­leicht sehr poe­tisch, und wer ein Freund von den heid­nischen Fa­beln ist, kann sich dar­an ge­nü­gen las­sen.

      – Ich wer­de mir nicht dar­an ge­nü­gen las­sen, dach­te Con­sue­lo, und ich wer­de er­fah­ren, auf wel­che Wei­se die­se Trä­nen ver­sie­gen.

      – Üb­ri­gens, fuhr der Ka­plan fort, habe ich mir ge­dacht, dass es einen Ab­zug in ei­nem an­de­ren Win­kel der Cis­ter­ne ge­ben wird …

      – Es scheint mir, dass ohne einen sol­chen die Cis­ter­ne, wenn sie von ei­ner Quel­le ge­speist wird, be­stän­dig über­flie­ßen müss­te.

      – Na­tür­lich, na­tür­lich! ent­geg­ne­te der Ka­plan, der nicht so aus­se­hen woll­te, als ob ihm die­ser Ge­dan­ke zum ers­ten Male ein­ge­kom­men wäre; man braucht nicht weit­her zu sein, um eine so sim­ple Sa­che zu ent­de­cken! Es muss aber eine we­sent­li­che Ver­än­de­rung in den Ab­fluss­we­gen des Was­sers vor­ge­gan­gen sein, da es nicht mehr so re­gel­mä­ßig, wie ehe­dem, sei­nen Stand be­haup­tet.

      – Sind es na­tür­li­che Kanä­le, frag­te die be­harr­li­che Con­sue­lo, oder Lei­tun­gen von Men­schen­hand ge­macht? das müss­te man wis­sen.

      – Das kann nie­mand er­grün­den, sag­te der Ka­plan, da Graf Al­bert nicht lei­det, dass man sei­nen lie­ben Brun­nen an­rüh­re und aus­drück­lich ver­bo­ten hat, mit ei­ner Rei­ni­gung ein­mal einen Ver­such zu ma­chen.

      – Das dacht’ ich, sag­te Con­sue­lo, in­dem sie sich ent­fern­te, und ich den­ke, man tut wohl dar­an, sei­nen Wil­len zu ach­ten, denn Gott weiß, wel­ches Un­glück ihm ge­sche­hen könn­te, wenn man sich un­ter­fin­ge, sei­ne Si­re­ne zu be­lei­di­gen.

      – Es wird mir fast zur Ge­wiss­heit, sag­te der Ka­plan zu sich, als er von Con­sue­lo ging, dass die­se jun­ge Per­son nicht we­ni­ger ver­wirrt im Kop­fe ist als der Herr Graf. Soll­te Toll­heit an­ste­ckend sein? Oder hät­te Meis­ter Por­po­ra sie uns ge­schickt, da­mit die fri­sche Land­luft wohl­tä­tig auf ihre Kopf­ner­ven wir­ke? Nach der Hart­nä­ckig­keit zu ur­tei­len, wo­mit sie sich das Rät­sel die­ses Brun­nens er­klä­ren ließ, hät­te ich fast ge­wet­tet, dass sie die Toch­ter von ei­nem In­ge­nieur bei den Kanä­len in Ve­ne­dig ist und sich so ein An­se­hen ge­ben woll­te, als ob sie das Fach ver­stün­de; aber an ih­ren letz­ten Re­den mer­ke ich wohl, son­der­lich, wenn ich ihre Vi­si­on von die­sem Mor­gen in Be­treff des Zden­ko da­mit zu­sam­men­hal­te und die Pro­me­na­de, die sie uns die­se Nacht nach dem Schre­cken­stein ma­chen ließ, dass es al­les Fan­tasi­en von dem näm­li­chen Ge­nus sind. Glaubt sie nicht gar, den Gra­fen Al­bert auf dem Grun­de die­ses Brun­nens zu fin­den! Ar­mes jun­ges Volk! dass ihr nicht auf die Ver­nunft und Wahr­heit der Sa­chen kom­men könnt!

      Hier­auf ging der Ka­plan und be­te­te sein Bre­vier ab in Er­war­tung der Mit­tags­mahl­zeit.

      – Es muss sein, dach­te ih­rer­seits Con­sue­lo, dass Mü­ßig­gang und Hin­brü­ten den Ver­stand selt­sam schwä­chen, wie soll­te sonst nicht die­ser hei­li­ge Mann, der so viel ge­le­sen und ge­lernt hat, so­gleich auf die Ver­mu­tung fal­len, die mir bei die­sem Brun­nen auf­steigt. O mein Gott, ver­zeih mir, aber das ist ei­ner dei­ner Die­ner, der sehr we­nig Ge­brauch von sei­ner ge­sun­den Ver­nunft macht. Und den Zden­ko nen­nen sie un­ver­nünf­tig!

      Hier­mit ging Con­sue­lo und ließ die jun­ge Baro­nin eine Stun­de sol­feg­gie­ren, in Er­war­tung der Zeit, ihre Nach­for­schun­gen wie­der auf­zu­neh­men.

      10.

      – Ha­ben Sie das Ab­flie­ßen des Was­sers je­mals be­ob­ach­tet, und ha­ben Sie selbst es ir­gend ein­mal stei­gen se­hen? frag­te sie am Abend lei­se den Ka­plan, der in bes­ter Ar­beit der Ver­dau­ung war.

      – Wie? was ist? rief der Ka­plan, auf sei­nem Stuhl hoch auf­hüp­fend und sei­ne Au­gen rund und weit auf­rei­ßend.

      – Ich spre­che von der Cis­ter­ne, sag­te sie, ohne sich ir­ren zu las­sen, ken­nen Sie den Ver­lauf des Phä­no­mens aus ei­ge­ner An­schau­ung?

      – Ja