George Sand

Gesammelte Werke


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den Wor­ten, die sie von Ama­lie ge­lernt hat­te.

      Zden­ko hör­te ihr ent­zückt zu, und sag­te seuf­zend:

      – Sehr lieb dich habe, Schwes­ter! sehr, sehr! Willst du ein an­de­res ler­nen?

      – Ja, das vom Gra­fen Al­bert, erst deutsch, nach­her sollst du mirs böh­misch sa­gen.

      – Wie fängt es an? frag­te Zden­ko, sie lis­tig an­se­hend.

      Con­sue­lo be­gann die Wei­se des Lie­des vom vo­ri­gen Abend: »Un­ten, dort un­ten, in Müh und Leid …«

      – O, das ist von ges­tern; weiß ich heut nicht mehr, sag­te Zden­ko sie un­ter­bre­chend.

      – Recht, sage mir das von heu­te.

      – Den An­fang, den An­fang musst du wis­sen.

      – Den An­fang? Gut, es fängt so an: Graf Al­bert ist un­ten, da un­ten, in der Grot­te vom Schre­cken­stein …

      Kaum hat­te sie die­se Wor­te aus­ge­spro­chen, als Zden­ko plötz­lich Mie­ne und Stel­lung ver­än­der­te; sei­ne Au­gen blitz­ten vor Zorn. Er sprang drei Schrit­te zu­rück, er­hob sei­ne Hän­de über sei­nem Haup­te, wie um Con­sue­lo zu ver­wün­schen und fing an böh­misch zu re­den in der vol­len Kraft des Zor­nes und der Dro­hung.

      Con­sue­lo er­schrak zu­erst; da sie ihn aber sich ent­fer­nen sah, woll­te sie ihn zu­rück­ru­fen und ihm nach­ge­hen. Er wen­de­te sich wü­tend um, und einen un­ge­heu­ern Stein auf­raf­fend, den er mit sei­nen ma­ge­ren, ge­brech­li­chen Ar­men ohne alle An­stren­gung zu he­ben schi­en, rief er auf Deutsch: Zden­ko hat nie kei­nem We­sen Lei­des ge­tan, Zden­ko nicht ei­ner ar­men Mücke den Flü­gel bre­chen möch­te, und woll­t’ ihn ein Kind tot­ma­chen, lie­ße sich tot­ma­chen von ei­nem Kind. Aber siehst du noch mich an, sagst du ein Wort, Kind des Un­glücks, Lüg­ne­rin, Östrei­che­rin, dich Zden­ko wie einen Wurm zer­tre­ten will, müss­te Zden­ko in den Strom sich wer­fen, Leib und See­le rein zu wa­schen von dem ver­gos­se­nen Blut.

      Con­sue­lo floh er­schro­cken, und traf wei­ter hin­ab auf einen Bau­er, der, da er mit Er­stau­nen sie so blass und wie vor ei­nem Ver­fol­ger lau­fen sah, sie frag­te, ob ihr ein Wolf be­geg­net wäre.

      Con­sue­lo woll­te wis­sen, ob Zden­ko An­fäl­len von Ra­se­rei un­ter­wor­fen sei und sag­te ihm, sie sei dem »Un­schul­di­gen« be­geg­net und habe sich vor ihm ge­fürch­tet.

      – Sie brau­chen sich vor dem Un­schul­di­gen nicht zu fürch­ten, sag­te der Bau­er, über das, was er für eine jüng­fer­li­che Zag­haf­tig­keit hielt, la­chend. Zden­ko ist nicht bös: er lacht im­mer, oder er singt auch, oder er er­zählt Ge­schich­ten, die man nicht ver­ste­hen kann und die sehr wun­der­schön sind.

      – Aber er wird manch­mal böse, und droht dann und wirft mit Stei­nen, wie?

      – Nie­mals, nie­mals! ent­geg­ne­te der Bau­er; das ist noch nie ge­sche­hen und wird nie ge­sche­hen. Man braucht vor Zden­ko kei­ne Furcht zu ha­ben, Zden­ko ist un­schul­dig wie ein Lamm.

      Als sie sich von ih­rem Schre­cken er­holt hat­te, sah Con­sue­lo ein, dass der Bau­er wohl recht ha­ben müss­te, und dass sie durch ein un­be­dach­tes Wort zum ers­ten Male einen An­fall von Wut her­vor­ge­ru­fen hat­te, den ein­zi­gen, in wel­chen Zden­ko noch je ge­ra­ten war. Sie mach­te sich dar­über bit­te­re Vor­wür­fe.

      – Ich bin zu has­tig ge­we­sen, sag­te sie zu sich; ich habe in der fried­fer­ti­gen See­le die­ses Men­schen, dem das fehlt, was man dreist­weg Ver­nunft nennt, ein Lei­den ge­weckt, das ihm noch fremd war, und das sich jetzt sei­ner bei der ge­rings­ten Ver­an­las­sung be­mäch­ti­gen kann. Er war nur ge­müts­krank, und ich habe ihn viel­leicht ra­send ge­macht.

      Aber noch trau­ri­ger wur­de sie, als sie über die Ur­sa­chen nach­dach­te, die Zden­ko’s Zorn ha­ben konn­te. Es war nun ge­wiss, dass sie recht ge­ra­ten hat­te, in­dem sie an­nahm, dass sich Al­bert un­ter dem Schre­cken­stein ver­bor­gen hielt. Aber mit wel­cher ängst­li­chen miss­traui­schen Sorg­falt such­ten Al­bert und Zden­ko die­ses Ge­heim­nis zu ver­ste­cken, selbst vor ihr!

      Sie war also nicht aus­ge­nom­men, sie hat­te kei­nen Ein­fluss auf den Gra­fen Al­bert, und jene Ein­ge­bung, die er ge­habt hat­te, sie sei­nen Trost zu nen­nen, je­ner Ver­such, sie durch ein sym­bo­li­sches Lied Zden­ko’s am vo­ri­gen Abend ru­fen zu las­sen, jene Mit­tei­lung des Na­mens Con­sue­lo an den Wahn­sin­ni­gen, al­les das war nichts bei ihm, als eine au­gen­blick­li­che Lau­ne, ohne dass eine wirk­li­che und an­hal­ten­de Sehn­sucht ihm eine be­stimm­te Per­son vor an­de­ren als sei­ne Ret­te­rin und sei­nen Trost be­zeich­ne­te?

      Selbst dass er den Na­men Con­sue­lo nann­te und gleich­sam er­riet, war nur eine Fü­gung des Zu­falls. Sie hat­te es nie­man­den ver­bor­gen, dass sie eine Spa­nie­rin sei und dass ihre Mut­ter­spra­che ihr im­mer noch ei­ge­ner ge­blie­ben als die ita­lie­ni­sche. Al­bert, be­geis­tert von ih­rem Ge­san­ge, und kei­nen bes­se­ren Aus­druck wis­send als den, des­sen Ge­dan­ke be­stän­dig vor sei­ner ver­lan­gen­den See­le schweb­te, hat­te mit die­sem sie ge­nannt in sei­ner Spra­che, die er voll­kom­men in­ne­hat­te und die au­ßer ihr nie­mand von sei­ner Um­ge­bung ver­ste­hen konn­te.

      Con­sue­lo hat­te sich nie in die­ser Hin­sicht über­trie­be­ne Vor­spie­ge­lun­gen ge­macht. Al­lein in ei­nem so zar­ten und sinn­rei­chen Spie­le des Zu­falls hat­te sie doch et­was Ver­häng­nis­vol­les zu fin­den ge­glaubt, des­sen ihre ei­ge­ne Ein­bil­dungs­kraft sich ohne zu stren­ge Prü­fung be­mäch­tigt hat­te.

      Jetzt war al­les wie­der in Fra­ge ge­stellt. Hat­te Al­bert in ei­ner neu­en Pha­se sei­ner Ver­zückung die Ver­zückung, in wel­che sie ihn ge­setzt hat­te, ver­ges­sen? war sie ihm von nun an nicht mehr nö­tig, um sich Er­leich­te­rung zu schaf­fen, war sie ohn­mäch­tig, ihn zu ret­ten? Oder war Zden­ko, der ihr bis da­hin so ge­schickt und be­flis­sen ge­schie­nen, Al­ber­t’s Ab­sich­ten zu un­ter­stüt­zen, be­dau­erns­wer­ter und ernst­li­cher ver­rückt, als Con­sue­lo es hat­te glau­ben mö­gen? Han­del­te er im Wil­len sei­nes Herrn oder des­sen un­ein­ge­denk, als er mit sol­cher Wut dem jun­gen Mäd­chen weh­ren woll­te, sich dem Schre­cken­stein zu nä­hern und der Wahr­heit auf die Spur zu kom­men?

      – Nun! flüs­ter­te ihr Ama­lie zu, als sie ins Haus trat, ha­ben Sie Al­bert in den Abend­wol­ken vor­über­flie­gen se­hen? Wer­den Sie ihn die­se Nacht durch einen mäch­ti­gen Zau­ber­spruch zum Schorn­stein her­ein be­schwö­ren?

      – Vi­el­leicht! ant­wor­te­te Con­sue­lo ein we­nig ver­stimmt.

      Es war das ers­te Mal in ih­rem Le­ben, dass sie ih­ren Stolz ge­kränkt fühl­te. Sie hat­te sich mit so rei­nem Ei­fer, mit so ed­ler Hin­ge­bung ih­rem Un­ter­neh­men ge­wid­met, dass sie der Ge­dan­ke schmerz­te, ver­höhnt und ver­ach­tet zu wer­den, weil es miss­lang.

      Sie war den gan­zen Abend trau­rig, und das Stifts­fräu­lein, das die­se Ver­än­de­rung be­merk­te, ver­fehl­te nicht, sie ei­ner Furcht zu­zu­schrei­ben, dass sie die in ih­rem Her­zen auf­kei­men­de schlim­me Nei­gung ver­ra­ten ha­ben möch­te.

      Das Stifts­fräu­lein war in ei­nem selt­sa­men Irr­tum. Wenn Con­sue­lo die lei­ses­te An­wand­lung ei­ner neu­en Lie­be ge­fühlt hät­te, so wäre ihr die­ses le­ben­di­ge Ver­trau­en, die­se