George Sand

Gesammelte Werke


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dau­er­haft ge­ar­bei­tet und ge­wölbt war, vor­wärts zu schrei­ten.

      Sie war un­ge­hin­dert und furcht­los seit un­ge­fähr fünf Mi­nu­ten dar­in fort­ge­gan­gen, als sie hin­ter sich ein leich­tes Geräusch zu hö­ren glaub­te. Es war viel­leicht Zden­ko, wel­cher zu­rück­kam und wie­der sei­nen Weg nach dem Schre­cken­stein nahm. Aber sie hat­te den Vor­sprung und ver­dop­pel­te ihre Schrit­te, um nicht von die­sem ge­fähr­li­chen Rei­se­ge­fähr­ten ein­ge­holt zu wer­den. Er konn­te nicht ver­mu­ten, dass sie vor ihm war. Er hat­te kei­ne Ur­sa­che sie zu ver­fol­gen, und wäh­rend er sich die Zeit da­mit ver­trie­be, dach­te sie, sei­ne Kla­ge­lie­der und sei­ne end­lo­sen Ge­schich­ten vor sich hin­zu­sin­gen und zu mur­meln, wür­de sie ihr Ziel er­rei­chen und sich un­ter Al­ber­t’s Schutz stel­len kön­nen.

      Al­lein das Geräusch, das sie ge­hört hat­te, nahm zu und klang all­mäh­lich wie von brau­sen­dem, ar­bei­ten­dem und fort­schie­ßen­dem Was­ser. Was war ge­sche­hen? Hat­te Zden­ko ihr Vor­ha­ben ge­merkt? hat­te er die Schleu­se ge­öff­net, um sie dar­an zu ver­hin­dern und sie in der Flut zu be­gra­ben? Aber er hät­te das doch nicht tun kön­nen, ohne selbst hin­durch zu sein, und er war ja hin­ter ihr.

      Die­se Be­trach­tung war durch­aus nicht be­ru­hi­gend. Zden­ko war fä­hig, sich dem Tode lie­ber zu wei­hen, und sich mit ihr zu er­trän­ken, als dass er sie Al­ber­t’s Ver­steck ent­de­cken lie­ße. In­des­sen hat­te Con­sue­lo kein Wehr, kei­ne Schleu­se, nicht einen Stein, der das Was­ser auf­hal­ten und dann wie­der frei­las­sen konn­te, auf ih­rem Wege ge­fun­den. Die­ses Was­ser hät­te nur vor ihr sein kön­nen und das Geräusch kam von hin­ter ihr. Es wuchs in­zwi­schen, wur­de ge­wal­tig, kam mit Don­ner­to­sen nä­her.

      Jetzt erst – schreck­li­che Ent­de­ckung! – nahm Con­sue­lo wahr, dass der Kanal, an­statt zu stei­gen, sich senk­te, an­fangs sanft ab­schüs­sig, nun aber im­mer jä­her. Die Un­glück­li­che hat­te den Weg ver­fehlt. In ih­rer Eile und bei dem dich­ten Dampf, wel­cher aus der Tie­fe der Cis­ter­ne auf­stieg, hat­te sie eine zwei­te, weit grö­ße­re Wöl­bung, der, wel­che sie ge­wählt hat­te, ge­ra­de ge­gen­über, nicht be­merkt.

      Sie war in den Kanal ge­ra­ten, wel­cher dem Was­ser des Brun­nens zum Ab­zug diente. Zden­ko, der aus dem ent­ge­gen­ge­setz­ten Wege zu­rück­ging, hat­te ru­hig die Schleu­se ge­öff­net; das Was­ser schoss im Bo­gen in die Cis­ter­ne ein und hat­te die­se schon bis zu der Höhe des Ab­flus­ses an­ge­füllt; es er­goss sich jetzt in den Kanal, wo Con­sue­lo in töd­li­chem Ent­set­zen vor­wärts eil­te.

      Bald muss­te die­ser Kanal, wel­cher dazu ein­ge­rich­tet war, das Was­ser ab­zu­lei­ten, wel­ches dem Brun­nen auf der an­de­ren Mün­dung reich­li­cher zu­ström­te, als es Ab­fluss hat­te, sich ganz mit Was­ser fül­len.

      In ei­nem Au­gen­blick, in ei­nem Nu, muss­te der Gang über­schwemmt sein, und er senk­te sich im­mer schnel­ler zu Ab­grün­den hin­ab, de­nen das Was­ser zu­stürz­te.

      Die noch trop­fen­de De­cke zeig­te ge­nug­sam, dass ihn die Flut ganz aus­füll­te, dass kei­ne Er­lö­sung mög­lich war, und dass die Be­schleu­ni­gung ih­rer Schrit­te die Un­glück­li­che nicht vor dem wild da­her­to­ben­den Stro­me ret­ten wür­de.

      Die Luft wur­de schon durch die her­an­sau­sen­de Was­ser­mas­se zu­sam­men­ge­presst. Eine er­sti­cken­de Hit­ze hemm­te den Atem und tö­te­te nicht min­der als die Angst und die Verzweif­lung.

      Jetzt schlug das Ge­brüll der los­ge­las­se­nen Flut dicht an Con­sue­lo’s Ohr, jetzt spritz­te ja­cher Schaum, der trau­ri­ge Ver­bo­te der Woge auf das Pflas­ter nie­der und kam dem un­si­che­ren und häu­fig auf­ge­hal­te­nen Trit­te des ver­lo­re­nen Schlachtop­fers zu­vor.

      12.

      O mei­ne Mut­ter! schrie sie, öff­ne mir dei­ne Arme! O An­zo­le­to, ich habe dich ge­liebt! Mein Gott, ent­schä­di­ge mich in ei­nem bes­sern Le­ben.

      Kaum hat­te sie so in To­des­angst, zum Him­mel ge­schri­en, als sie strau­chelt und an ein un­er­war­te­tes Hin­der­nis stößt. O gött­li­che Barm­her­zig­keit! Es ist eine schma­le stei­le Trep­pe, wel­che an der einen Wand des Gan­ges in die Höhe führt; von Furcht und Hoff­nung be­flü­gelt klimmt sie hin­an.

      Das Ge­wöl­be hebt sich über ih­rem Haup­te; der Strom kommt, peitscht die Trep­pe, wel­che Con­sue­lo noch ge­ra­de Zeit ge­habt hat zu er­stei­gen, ver­schlingt die un­ters­ten zehn Stu­fen, sprüht em­por bis an den Knö­chel des be­hän­den Fu­ßes, wel­cher vor ihm flieht, und nach­dem er das Ge­wöl­be, das Con­sue­lo so­eben ver­las­sen, bis an den Keil ge­füllt hat, stürzt er sich hin­ab in die Nacht, und schießt mit fürch­ter­li­chem Don­ner in ein tie­fes Be­cken ein, auf wel­ches der klei­ne Söl­ler hin­ab­schaut, den das hel­den­mü­ti­ge Kind auf den Kni­en und in der Dun­kel­heit er­reicht hat.

      Denn ihr Licht ist er­lo­schen. Ein wü­ten­der Wind­stoß war dem Ein­bru­che der Was­ser­mas­se vor­an­ge­gan­gen. Auf der obers­ten Stu­fe ist Con­sue­lo zu­sam­men­ge­sun­ken; bis da­hin hat­te sie der Trieb des Le­bens auf­recht er­hal­ten. Sie weiß nicht, ob sie ge­ret­tet, oder ob die­ses To­ben des Was­ser­stur­zes ein neu­es Un­heil ist, das sie be­droht, ob die­ser kal­te Re­gen, wel­cher bis zu ihr hin­auf­sprüht und ihr Haar be­netzt, die ei­si­ge Hand des To­des ist, die sich nach ih­rem Haup­te aus­streckt.

      In­des­sen füllt sich der Be­häl­ter nach und nach, bis zur Höhe von an­de­ren Ablei­tungs­we­gen, wel­che noch tiefer in die Ein­ge­wei­de des Be­ckens hin­ab den rei­chen Er­guss der Quel­le tra­gen. Der Lärm erstirbt, der Dampf lässt nach, ein tie­fes Mur­meln, mehr wohl­klin­gend als schreck­lich, ver­brei­tet sich durch die Grot­ten.

      Mit zit­tern­der Hand hat Con­sue­lo ihre Ker­ze müh­sam wie­der an­ge­zün­det. Ihr Herz schlägt noch hef­tig ge­gen die Brust, aber ihr Mut be­lebt sich wie­der. Sie fällt aufs Knie, dankt Gott und ih­rer Mut­ter. Nun un­ter­sucht sie den Ort, an wel­chem sie sich be­fin­det und lässt das schwan­ken­de Licht ih­rer La­ter­ne über die um­ge­ben­den Ge­gen­stän­de glei­ten.

      Eine wei­te von der Na­tur ge­bil­de­te Grot­te über­wölbt eine Schlucht, in wel­che die ent­fern­te Quel­le des Schre­cken­stein ihr Was­ser ent­sen­det, das sich end­lich im Scho­ße des Ber­ges ver­liert. Die­se Schlucht ist so tief, dass man das hin­ab­ge­stürz­te Was­ser nicht mehr wahr­nimmt, und dass ein Stein, den man hin­ein­wirft, zwei Mi­nu­ten rollt und un­ter­tau­chend einen Schall gibt, als ob eine Ka­no­ne ab­ge­schos­sen wür­de. Der Wie­der­hall der Grot­te wie­der­holt ihn lan­ge und noch län­ger währt das schau­ri­ge Ge­klatsch des un­sicht­ba­ren Was­sers, als ob man das Ge­bell der höl­li­schen Meu­te hör­te.

      An ei­ner der Wän­de die­ser Grot­te klimmt ein schma­ler, schwie­ri­ger Fuß­steig, aus dem Fel­sen ge­hau­en, hart am Ran­de des Ab­grunds hin und ver­liert sich in ei­nem neu­en fins­te­ren Gan­ge, der kei­ne Spur der Men­schen­hand mehr auf­weist, sich je­doch von dem Was­ser­lau­fe und sei­nem Fal­le ab­wen­det und auf­wärts zu hö­her ge­le­ge­nen Or­ten führt.

      Das ist der Weg, den Con­sue­lo neh­men muss. Es gibt kei­nen an­de­ren: das Was­ser hat den, auf wel­chem sie ge­kom­men ist, ver­sperrt und gänz­lich aus­ge­füllt. Es ist un­mög­lich, Zden­ko’s Rück­kehr in der Grot­te ab­zu­war­ten.