George Sand

Gesammelte Werke


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sie lieb­te, wäh­rend sie ihn nicht lie­ben konn­te noch woll­te.

      Gott, dach­te sie, hat mich hier­her ge­zo­gen und durch schreck­li­che Ge­fah­ren hin­durch ge­lei­tet. Mehr noch auf sein Ge­heiß als mit sei­ner Hil­fe bin ich hier. Mit glü­hen­der See­le, mit men­schen­freund­li­cher Ab­sicht, mit ru­hi­gem Her­zen, mit rei­nem Ge­wis­sen, mit Unei­gen­nüt­zig­keit in je­der Hin­sicht bin ich ge­kom­men. Der Tod harrt mei­ner viel­leicht, und doch er­schreckt mich die­ser Ge­dan­ke nicht. Mein Le­ben ist ver­wüs­tet und ich wer­de es, ohne mich viel zu här­men, da­hin­ge­ben; das habe ich noch vor we­ni­gen Au­gen­bli­cken ge­fühlt und seit ei­ner Stun­de habe ich mich ei­nem schreck­li­chen Un­ter­gan­ge ge­weiht, mit ei­ner See­len­ru­he, die ich nicht in mir er­war­tet hät­te. Vi­el­leicht ist dies eine Gna­de, die mir Gott in mei­nem letz­ten Au­gen­bli­cke schenkt. Vi­el­leicht wer­de ich un­ter den Strei­chen ei­nes Ra­sen­den fal­len und ich gehe die­sem Ende mit der Fes­tig­keit ei­nes Mär­ty­rers ent­ge­gen. Ich glau­be fest und brüns­tig an ein ewi­ges Le­ben, und ich weiß, wenn ich hier um­kom­me als das Op­fer ei­ner viel­leicht un­nüt­zen, ge­wiss aber from­men Hin­ge­bung, so wer­de ich den Lohn da­für in ei­nem schö­ne­ren Da­sein emp­fan­gen. Was hält mich denn zu­rück? Wo­her die­se un­säg­li­che Un­ru­he, als gin­ge ich ein Un­recht zu be­ge­hen, und vor dem, den ich ret­te, zu er­rö­ten?

      So kämpf­te Con­sue­lo mit sich selbst, zu scham­haft, um recht ihre Scham zu be­grei­fen, und mach­te sich die Zart­heit ih­res Ge­fühls bei­na­he zum Vor­wurf. Nur das kam ihr nicht in die See­le, dass sie viel­leicht ei­ner schreck­li­che­ren Ge­fahr als der des To­des ent­ge­gen­gin­ge. In ih­rem keu­schen Sin­ne fand der Ge­dan­ke kei­ne Stät­te, dass sie der tie­ri­schen Lei­den­schaft ei­nes Wahn­sin­ni­gen zur Beu­te wer­den könn­te. Aber un­be­wusst fürch­te­te sie, von et­was an­de­rem be­seelt zu schei­nen, als von dem er­ha­be­nen, gött­li­chen Ge­fühl, dem sie ge­horch­te.

      In­des­sen steck­te sie den Schlüs­sel in das Schloss. Mehr als zehn­mal setz­te sie an, ihn um­zu­dre­hen, und konn­te sich nicht dazu ent­schlie­ßen. Eine un­glaub­li­che Er­mat­tung, eine völ­li­ge Ab­span­nung ih­res gan­zen We­sens kam hin­zu, um ihr vollends die Ent­schlos­sen­heit zu rau­ben, in dem Au­gen­bli­cke, wo sie im Be­griff war den Preis zu er­wer­ben, sei es auf Er­den – durch ein großes Lie­bes­werk, sei es im Him­mel – durch einen er­ha­be­nen Tod.

      13.

      End­lich über­wand sie sich. Sie hat­te drei Schlüs­sel. Es muss­ten drei Tü­ren sein, und zwei Räu­me zu durch­schrei­ten, ehe sie den er­reich­te, wo Al­bert, wie sie glaub­te, ge­fan­gen war. Sie hät­te ja, wenn es ihr an Kraft ge­brach, noch im­mer Zeit ge­habt, zu­rück­zu­blei­ben.

      Sie be­trat einen ge­wölb­ten Saal, worin es kei­nen Haus­rat gab als ein La­ger von tro­ckenem Far­ren­kraut, wor­über ein Schaf­fell ge­wor­fen war. Ein Paar alt­mo­di­scher, ganz zer­ris­se­ner und zer­fal­le­ner Schu­he diente ihr zum Zei­chen, dass es Zden­ko’s Schlaf­ge­mach war. Auch be­merk­te sie das Körb­chen, das sie auf dem Schre­cken­stein mit Früch­ten zu­rück­ge­las­sen hat­te, und das nach zwei Ta­gen end­lich ver­schwun­den war. Sie ent­schied sich, die zwei­te Tür zu öff­nen, nach­dem sie die ers­te wie­der vor­sich­tig ver­schlos­sen hat­te, denn noch im­mer dach­te sie mit Ent­set­zen an die Mög­lich­keit von dem wil­den Be­sit­zer die­ser Woh­nung ein­ge­holt zu wer­den.

      Das zwei­te Ge­mach, in wel­ches sie ein­trat, war ge­wölbt wie das ers­te, aber die Wän­de wa­ren mit Mat­ten und ge­floch­te­nen Moos­de­cken be­klei­det. Ein Ka­min ver­brei­te­te hin­läng­li­che Wär­me, und der durch den Fels ge­führ­te Schlot war es ohne Zwei­fel, wel­cher auf dem Gip­fel des Schre­cken­stein je­nen von Con­sue­lo be­ob­ach­te­ten flüch­ti­gen Schein er­zeug­te. Al­ber­t’s La­ger be­stand, wie Zden­ko’s, aus ei­nem Hau­fen von tro­ckenem Lau­be und Kräu­tern, aber Zden­ko hat­te ein präch­ti­ges Bä­ren­fell dar­über ge­brei­tet, trotz der un­be­ding­ten Gleich­heit in der Le­bens­wei­se, wel­che Al­bert for­der­te und Zden­ko auch in al­lem an­nahm, was nicht sei­ner lei­den­schaft­li­chen Zärt­lich­keit für Al­bert und sei­nem Trie­be, mehr für ihn als für sich selbst zu sor­gen, wi­der­stritt.

      Con­sue­lo wur­de in die­sem Saa­le von Ajax emp­fan­gen, der, da er den Schlüs­sel dre­hen hör­te, sich mit ge­spitz­tem Ohr und lau­ern­dem Auge auf die Schwel­le ge­setzt hat­te. Ajax war von sei­nem Herrn ei­gen­tüm­lich er­zo­gen: er war ein Freund, kein Wäch­ter. Es war ihm von Ju­gend auf so streng ver­bo­ten wor­den, zu heu­len und zu bel­len, dass er die­se den Ge­schöp­fen sei­ner Gat­tung na­tür­li­che Ge­wohn­heit ganz ver­lo­ren hat­te. Hät­te man sich Al­bert in feind­se­li­ger Ab­sicht ge­nä­hert, so wür­de Ajax wohl sei­ne Stim­me wie­der­ge­fun­den, hät­te man Hand an je­nen ge­legt, so wür­de er ihn wü­tend ver­tei­digt ha­ben. Aber klug und vor­sich­tig wie ein Klaus­ner, mach­te er nie den ge­rings­ten Lärm, ohne sei­ner Sa­che ge­wiss zu sein, und ohne zu­vor sei­ne Leu­te auf­merk­sam be­trach­tet und bero­chen zu ha­ben.

      Er nä­her­te sich Con­sue­lo mit ei­nem spä­hen­den, Blick, der et­was mensch­li­ches hat­te, be­schnop­per­te ihr Kleid und be­son­ders ihre Hand, mit wel­cher sie die von Zden­ko be­rühr­ten Schlüs­sel lan­ge ge­hal­ten, und durch die­sen Um­stand voll­kom­men be­ru­higt, über­ließ er sich dem freund­schaft­li­chen An­den­ken, das er ihr be­wahrt hat­te, in­dem er ihr laut­los sei­ne bei­den großen zot­ti­gen Pfo­ten zu­tun­lich und freund­lich auf die Schul­tern leg­te und mit sei­ner präch­ti­gen Rute lang­sam den Bo­den feg­te. Nach die­ser fei­er­li­chen und ehr­ba­ren Be­grü­ßung kehr­te er um und leg­te sich wie­der auf den Rand des Bä­ren­fel­les, das sei­nes Herrn La­ger be­deck­te, in­dem er sich mit der Läs­sig­keit des Al­ters aus­streck­te, aber nicht ohne mit den Au­gen je­den Schritt und jede Be­we­gung Con­sue­lo’s zu ver­fol­gen.

      Ehe sie der drit­ten Tür zu, na­hen wag­te, warf Con­sue­lo einen Blick auf die Ein­rich­tung die­ser Ere­mi­ta­ge, um dar­aus einen Schluss auf den Ge­müts­zu­stand des Man­nes zu ma­chen, der sie be­wohn­te.

      Gro­ße Rein­lich­keit, eine Art Ord­nung herrsch­te dar­in. Ein Man­tel und Klei­der zum Wech­seln hin­gen an Au­er­ochs­hör­nern, Sel­ten­hei­ten, die Al­bert aus Lit­hau­en mit­ge­bracht hat­te. Vie­le Bü­cher stan­den ge­ord­net auf ro­hen Bret­tern, die auf star­ken von gro­ber aber ge­schick­ter Hand künst­lich ge­füg­ten Baumä­s­ten ruh­ten. Der Tisch und zwei Stüh­le wa­ren aus dem­sel­ben Stof­fe und von der­sel­ben Ar­beit. Ein Her­ba­ri­um und alte No­ten­bü­cher mit sla­vi­schen Ti­teln und Text­wor­ten vollen­de­ten das Bild des fried­fer­ti­gen, ein­fa­chen, ar­beit­sa­men Le­bens in die­ser Anacho­re­ten­woh­nung. Eine ei­ser­ne Lam­pe von merk­wür­di­ger Al­ter­tüm­lich­keit hing in der Mit­te vom Ge­wöl­be her­ab und brann­te in der ewi­gen Nacht die­ses schau­er­li­chen Hei­lig­tums.

      Con­sue­lo be­merk­te noch, dass kei­ner­lei Waf­fe vor­han­den war. Im Wi­der­spruch mit der Lie­be je­ner rei­chen Wald­be­woh­ner zur Jagd und den Lu­xus­ge­gen­stän­den, wel­che die­sem Ver­gnü­gen ge­sellt zu wer­den pfle­gen, be­saß Al­bert kei­ne Flin­te, kein Waid­mes­ser, und sein al­ter Hund war nie­mals »ge­ar­bei­tet« wor­den, da­her auch Ajax für den Baron Frie­de­rich ein Ge­gen­stand der Ver­ach­tung und des Mit­leids war.

      Al­bert