George Sand

Gesammelte Werke


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sie sonst in noch ganz an­de­re Ge­fah­ren stür­zen, als de­nen sie bis jetzt hat trot­zen mö­gen …

      – Ich ver­ste­he Sie nicht, ant­wor­te­te das Stifts­fräu­lein Wences­la­wa mit der un­be­fan­gens­ten Ernst­haf­tig­keit.

      – Es macht mich in der Tat sehr ver­le­gen, wie ich mich nä­her er­klä­ren soll, ver­setz­te der wür­di­ge Mann … In­des­sen es be­dünkt mich … wenn ein heim­li­cher Um­gang, in al­len Züch­ten und Ehren ver­steht sich, Platz grif­fe zwi­schen die­ser jun­gen Künst­le­rin und dem ed­len Gra­fen …

      – Nun? sag­te das Stifts­fräu­lein und mach­te große Au­gen.

      – Nun! mei­ne Gnä­digs­te! Mei­nen Sie nicht, dass Ge­füh­le der Teil­nah­me und Be­sorgt­heit, sehr un­schul­di­ge Ge­füh­le al­ler­dings in ih­rem Ur­sprun­ge, den­noch wohl in ei­ni­ger Zeit, mit Hil­fe der Um­stän­de und ro­ma­nen­haf­ter Ide­en, für die Ruhe und die Wür­de der jun­gen Sän­ge­rin ge­fähr­lich wer­den könn­ten?

      – Ich wäre nie­mals auf so et­was ge­kom­men! rief das Stifts­fräu­lein, be­trof­fen von der Be­mer­kung des Ka­plans. Glau­ben Sie denn, ehr­wür­di­ger Va­ter, die Por­po­ri­na könn­te es je­mals au­ßer Acht las­sen, was für eine de­mü­ti­gen­de und zwei­fel­haf­te Stel­lung sie ein­neh­men wür­de in ei­nem Ver­hält­nis­se, wel­cher Art es sei, mit ei­nem Man­ne, der so hoch über ihr steht, wie mein Nef­fe, Al­bert von Ru­dol­stadt!

      – Der Graf Al­bert von Ru­dol­stadt könn­te, ohne es zu wol­len, durch sei­ne er­küns­tel­te Ver­ach­tung der schätz­ba­ren Vor­zü­ge von Ge­burt und Rang, die er als blo­ße Vor­ur­tei­le be­han­delt, wohl selbst dazu bei­tra­gen.

      – Sie er­we­cken in mir eine sehr ernst­li­che Un­ru­he, sag­te Wences­la­wa, die sich bei ih­rer ein­zi­gen schwa­chen Sei­te, dem Fa­mi­li­en­stolz und der Ei­tel­keit auf ihre Ge­burt, an­ge­grif­fen fühl­te. Hät­te wohl das Übel schon Wur­zel ge­fasst in dem Her­zen die­ses Kin­des? Soll­te wohl ih­rer Auf­ge­regt­heit, ih­rem Ei­fer, Al­bert wie­der­zu­fin­den, ein min­der rei­ner Be­weg­grund als ihr Edel­mut und ihre Teil­nah­me für uns zum Grun­de lie­gen?

      – Ich schmeich­le mir noch mit der Hoff­nung des Ge­gen­tei­les, ant­wor­te­te der Ka­plan, der nur die eine Lei­den­schaft hat­te, un­ter al­ler ängst­li­chen Dar­le­gung ei­ner ehr­furchts­vol­len Er­ge­ben­heit und Un­ter­wür­fig­keit, mit sei­nen Win­ken und Ratschlä­gen eine wich­ti­ge Rol­le in der Fa­mi­lie zu spie­len. Je­den­noch wird es dien­lich sein, mei­ne lie­be Toch­ter, Ihre Au­gen für das, was dem­nächst vor­geht, of­fen zu ha­ben und Ihre Wach­sam­keit bei sol­cher Fahr nicht ein­schlum­mern zu las­sen. Für die­se de­li­ca­te Pf­licht ist nie­mand ge­eig­net, als Sie, und sie er­for­dert die gan­ze Klug­heit und den gan­zen Scharf­blick, wo­mit der Him­mel Sie be­gabt hat.

      Die­se Un­ter­re­dung ver­setz­te das Stifts­fräu­lein in die äu­ßers­te Be­klom­men­heit, und ihre in­ne­re Un­ru­he hat­te einen neu­en Ge­gen­stand. Dass Al­bert so gut wie ver­lo­ren für sie, viel­leicht dem Tode nahe, viel­leicht tot war, ver­gaß sie fast, um nur dar­auf zu den­ken, wie den Fol­gen ei­ner Nei­gung, die sie bei sich »un­pro­por­tio­nir­lich« nann­te, nach ge­ra­de zu be­geg­nen wäre: ganz wie der In­dia­ner in der Fa­bel, der vor dem Ent­set­zen, das ihn in Ge­stalt ei­nes Ti­gers ver­folgt, auf einen Baum ge­flo­hen, sich dort oben die Kurzweil macht, mit dem Ver­drus­se sich her­um­zu­schla­gen, der ihn in Ge­stalt ei­ner Flie­ge um­summt.

      Den gan­zen Tag ließ sie kein Auge von der Por­po­ri­na, be­lausch­te je­den ih­rer Schrit­te und wog mit Ängst­lich­keit je­des ih­rer Wor­te. Un­se­rer Hel­din, denn das war die tap­fe­re Con­sue­lo jetzt in der vol­len Be­deu­tung des Wor­tes, ent­ging dies nicht, aber sie war weit ent­fernt, et­was an­de­res dar­in zu su­chen als die Furcht, ob sie auch ihr Ver­spre­chen hal­ten und Al­bert zu­rück­füh­ren wür­de. Sie dach­te nicht dar­an, ihre ei­ge­ne Auf­re­gung zu ver­ber­gen, so ge­wiss war sie in ih­rem ru­hi­gen und star­ken Be­wusst­sein, dass sie bei ih­rem Un­ter­neh­men mehr Ur­sa­che hat­te stolz zu sein als zu er­rö­ten. Die scham­haf­te Ver­wir­rung, in wel­che we­ni­ge Tage zu­vor des jun­gen Gra­fen En­thu­si­as­mus sie ver­setzt hat­te, war An­ge­sichts ei­nes erns­ten und von al­ler per­sön­li­chen Ei­tel­keit frei­en Ent­schlus­ses ge­wi­chen.

      Die bit­tern Spöt­te­rei­en Ama­li­ens, wel­che wohl ahn­te, dass Con­sue­lo, et­was vor­hät­te, ohne doch zu wis­sen was, mach­ten die­ser kei­nen Ein­druck. Sie hör­te sie kaum, be­ant­wor­te­te sie mit Lä­cheln und über­ließ es dem Stifts­fräu­lein, dem sich von Stun­de zu Stun­de mehr die Ohren öff­ne­ten, die­sel­ben zu Pro­to­koll zu neh­men, zu kom­men­tie­ren und in ih­nen ein schreck­li­ches Licht auf­gehn zu se­hen.

      11.

      In­des­sen fürch­te­te Con­sue­lo, da sie sich von Wences­la­wa mehr be­ob­ach­tet fand, als es je ge­sche­hen war, dass ein übel­ver­stand­ner Ei­fer ihr hin­der­lich wer­den könn­te, und sie gab sich eine kal­te, ru­hi­ge Hal­tung, mit de­ren Hil­fe es ihr mög­lich wur­de, im Lau­fe des Ta­ges der Auf­merk­sam­keit ih­rer Wäch­te­rin zu ent­schlüp­fen und leich­ten Fu­ßes dem Schre­cken­stein zu­zu­ei­len. Sie hat­te in die­sem Au­gen­bli­cke kei­nen an­de­ren Ge­dan­ken als Zden­ko auf­zu­su­chen, ihn zu ei­ner Er­klä­rung zu nö­ti­gen und sich Ge­wiss­heit zu ver­schaf­fen, ob er sie zu Al­bert wür­de füh­ren wol­len.

      Ziem­lich nah beim Schlos­se, auf dem Fuß­steig, der zum Schre­cken­stei­ne führ­te, be­geg­ne­te sie ihm. Er schi­en zu ihr zu wol­len, und re­de­te sie mit großer Ge­läu­fig­keit böh­misch an.

      – Ach! lei­der ver­ste­he ich dich nicht, sag­te Con­sue­lo, so­bald sie ein Wort an­brin­gen konn­te; kaum Deutsch ver­ste­he ich, die­se har­te Spra­che, wel­che du has­sest wie die Knecht­schaft und wel­che mir trüb­se­lig wie das Exil ist. Aber da wir uns nicht an­ders ver­stän­di­gen kön­nen, so sei so gut und sprich sie mit mir: wir spre­chen sie bei­de gleich schlecht, ich ver­spre­che dir aber, Böh­misch zu ler­nen, wenn du es mich leh­ren willst.

      Bei die­sen Wor­ten, die für ihn sym­pa­the­tisch wa­ren, wur­de Zden­ko ernst­haft und Con­sue­lo sei­ne trock­ne, schwie­li­ge Hand rei­chend, wel­che sie un­be­denk­lich drück­te, sag­te er zu ihr auf Deutsch:

      – Gute Toch­ter Got­tes, ich will dir mei­ne Spra­che leh­ren und alle mei­ne Lie­der. Wel­ches soll ich dir zu­erst vor­sa­gen?

      Con­sue­lo glaub­te auf sei­ne Lau­ne ein­ge­hen zu müs­sen und hoff­te ihn aus­zu­for­schen, in­dem sie sich der­sel­ben Vor­stel­lun­gen be­dien­te.

      – Sin­ge mir, sag­te sie zu ihm, den Ge­sang vom Gra­fen Al­bert.

      – Es gibt, ent­geg­ne­te er, mehr als zwei­mal­hun­dert­tau­send Ge­sän­ge auf mei­nen Bru­der Al­bert. Ich kann sie dir nicht leh­ren; die wür­dest du nicht ver­ste­hen. Ich ma­che alle Tage neue, und die neu­en sind nie­mals wie die al­ten. For­de­re an­de­res, was du willst.

      – Wa­rum soll­te ich sie nicht ver­ste­hen? Ich bin der Trost. Ich hei­ße für dich, hörst du? und für den Gra­fen, der hier al­lein mich kennt, Con­sue­lo.

      – Du, Con­sue­lo! sag­te Zden­ko mit spöt­ti­schem