George Sand

Gesammelte Werke


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die den Hei­li­gen ge­tan wer­den, oft um der welt­lichs­ten, ja, um der un­sitt­lichs­ten Zwe­cke wil­len. Dann die der ho­hen Geist­lich­keit und der schö­nen Welt, die bloß Schein ist; denn die­se Leu­te ge­hen in die Kir­che wie ins Thea­ter, den­ken, dass es mit kei­ner Sa­che Ernst ist, dass nichts sie im Ge­wis­sen bin­det, und al­les nur Form­we­sen und Her­kom­men ist.

      An­zo­le­to hat­te kei­ne Spur von Re­li­gi­on: das war mein Kum­mer, und ich hat­te wohl Recht, dass mir sei­ne Ungläu­big­keit ban­ge mach­te. Mein Leh­rer Por­po­ra … was war sein Glau­be? ich weiß es nicht. Er sprach sich nie dar­über aus und doch hat er mir in dem schmerz­lichs­ten und fei­er­lichs­ten Au­gen­bli­cke mei­nes Le­bens von Gott und himm­li­schen Din­gen ge­re­det. Sei­ne Wor­te ha­ben mich zwar er­schüt­tert, aber sie ha­ben mir nichts zu­rück­ge­las­sen als Ban­gig­keit und Un­ge­wiss­heit. Er schi­en an einen eif­ri­gen und ei­gen­wil­li­gen Gott zu glau­ben, der Ge­nie und In­spi­ra­ti­on nur de­nen gäbe, die sich stolz und fühl­los vor den Lei­den und den Freu­den ih­rer Ne­ben­menschen ver­schlie­ßen. Mein Herz stößt die­se men­schen­feind­li­che Re­li­gi­on zu­rück, ich kann einen Gott nicht lie­ben, der zu lie­ben mir ver­bö­te.

      Wel­cher ist denn nun der wah­re Gott? Wer wird mich’s leh­ren? Mei­ne arme Mut­ter war gläu­big. Aber mit wie vie­lem kin­di­schen Göt­zen­dienst war ihre Got­tes­ver­eh­rung ge­mischt! Was soll ich glau­ben, was soll ich den­ken?

      Soll ich wie die sorg­lo­se Ama­lie sa­gen: die Ver­nunft al­lein ist Gott?

      Aber sie kennt selbst die­sen Gott nicht ein­mal, und kann ihn mich nicht ken­nen leh­ren; denn es gibt kei­ne Per­son von we­ni­ger Ver­nunft als sie.

      Kann man le­ben ohne Re­li­gi­on? Wo­für dann le­ben? Wo­für mü­he­te ich mich dann? Wozu soll­te ich Er­bar­men, Mut, Auf­op­fe­rung ha­ben, Ge­wis­sen­haf­tig­keit und Recht­schaf­fen­heit, ich, die ich al­lein bin in der Welt, wozu? wozu? wenn nicht im All ein höchs­tes We­sen ist, voll Weis­heit und voll Lie­be, das mich kennt, mich sieht, mich rich­tet, mir Bei­fall gibt, mir hilft, mich hü­tet und mich seg­net? Wo schöp­fen Die im Le­ben Kraft und Be­geis­te­rung, die nichts nach ei­ner Hoff­nung, ei­ner Lie­be fra­gen, wel­che über al­len Täu­schun­gen und al­lem ir­di­schen Wech­sel ist?

      Höchs­tes We­sen! rief sie in ih­rem Her­zen, die ge­wohn­ten For­meln ih­res Ge­bets ver­ges­send, leh­re mich, was ich tun soll. Höchs­te Lie­be! leh­re mich, was ich lie­ben soll. Höchs­tes Wis­sen! leh­re mich, was ich glau­ben soll.

      So be­tend und den­kend ver­gaß sie der ver­rin­nen­den Zeit, und Mit­ter­nacht war vor­bei, als sie, be­vor sie sich nie­der­leg­te, noch einen Blick auf die vom Mon­de be­schie­ne­ne Land­schaft warf. Die Aus­sicht, wel­che sie aus ih­rem Fens­ter hat­te, war nicht sehr aus­ge­dehnt, der ein­schlie­ßen­den Ber­ge we­gen, aber höchst ma­le­risch. Ein Bergstrom floss tief un­ten durch ein en­ges, ge­wun­de­nes Tal; in sanf­ten Wel­len­li­ni­en brei­te­te die­ses sei­ne Trif­ten über den Fuß un­re­gel­mä­ßi­ger Hö­hen, wel­che den Ge­sichts­kreis schlos­sen, aber hier und da sich öff­ne­te, um einen Blick auf an­de­re Schluch­ten und an­de­re, schrof­fe­re und ganz mit schwar­zen Tan­nen be­deck­te Berg­hö­hen frei­zu­las­sen. Das Licht des sin­ken­den Mon­des stahl sich hin­ter die Haupt­par­ti­en die­ser erns­ten, kräf­ti­gen Land­schaft, worin al­les düs­ter war, das leb­haf­te Grün, das ein­ge­schlos­se­ne Was­ser, das von Moos und Ep­pich über­wu­cher­te Ge­stein.

      Wäh­rend Con­sue­lo die Land­schaft mit de­nen ver­glich, durch die sie in ih­ren Kin­der­jah­ren ge­kom­men war, über­rasch­te sie der Ge­dan­ke, dass die­se Na­tur, die hier vor ih­ren Au­gen lag, ihr nicht fremd und neu wäre, sei es, dass sie schon ein­mal die­se böh­mi­sche Ge­gend durch­reist, sei es, dass sie an­ders­wo sehr ähn­li­che Ge­gen­den ge­se­hen hät­te.

      – Wir sind so viel um­her­ge­zo­gen, mei­ne Mut­ter und ich, sag­te sie zu sich, dass es mich nicht wun­dern soll­te, wenn ich schon ein­mal hier ge­we­sen wäre. Von Dres­den und von Wien habe ich eine be­stimm­te Erin­ne­rung. Wir kön­nen leicht auf dem Wege von ei­ner die­ser Städ­te zu der an­de­ren durch den Böh­mer­wald ge­wan­dert sein. Son­der­bar wäre es doch, wenn wir da­mals gast­li­che Auf­nah­me ge­fun­den hät­ten in ei­ner Scheu­ne die­ses Schlos­ses, in wel­chem ich jetzt als eine Per­son von Be­deu­tung woh­ne, oder wenn wir mit Sin­gen ein Stück Brot er­wor­ben hät­ten an der Tür ei­ner die­ser Hüt­ten, wo jetzt Zden­ko die Hand aus­streckt und sei­ne al­ten Lie­der singt – Zden­ko, der um­her­zie­hen­de Künst­ler, mei­nes Glei­chen und mein Bru­der, ob­gleich es nicht mehr so den Schein hat!

      In die­sem Mo­men­te fie­len ihre Bli­cke auf den Schre­cken­stein, des­sen Gip­fel sich über ei­nem der vor­de­ren Hü­gel er­hob und es kam ihr vor, als ob an die­ser schau­ri­gen Stel­le ein röt­li­cher Schein die durch­sich­ti­ge Klar­heit des Him­mels lei­se färb­te. Sie spann­te ihre gan­ze Auf­merk­sam­keit an, und sah den un­deut­li­chen Schein zu­neh­men, ver­schwin­den und wie­der­keh­ren, bis er end­lich so be­stimmt und hell wur­de, dass sie ihn kei­ner Sin­nen­täu­schung mehr zu­schrei­ben konn­te. Moch­te es der Ras­tort ei­ner Zi­geu­ner­ban­de oder die Zuf­luchts­stät­te ei­nes Räu­bers sein, ge­wiss schi­en, dass der Schre­cken­stein in die­sem Au­gen­bli­cke von le­ben­den We­sen ein­ge­nom­men war, und Con­sue­lo hat­te, nach ih­rem hei­ßen und kind­li­chen Ge­be­te zu dem Gott der Wahr­heit, nicht den ge­rings­ten Hang, an das Da­sein je­ner ein­ge­bil­de­ten, feind­se­li­gen Geis­ter zu glau­ben, wo­mit die Volks­sa­ge den Schre­cken­stein be­völ­ker­te.

      Aber war es nicht viel­mehr Zden­ko, der dort ein Feu­er an­ge­zün­det hat­te, um die Nacht­käl­te von sich ab­zu­weh­ren? Und wenn es Zden­ko war, brann­te dann nicht das dür­re Reis des Wal­des, um Al­ber­t’s star­re Glie­der zu er­wär­men? Man hat­te die­sen Schein oft auf dem Schre­cken­stein ge­se­hen; man sprach da­von mit Grau­en, man maß ihn ei­ner über­na­tür­li­chen Ur­sa­che bei. Man hat­te tau­send­mal ge­sagt, er gin­ge aus dem Stam­me der ver­hex­ten Zis­kaei­che her­vor. Aber der Hus­sit war nicht mehr da, we­nigs­tens lag er tief in der Schlucht, aber das röt­li­che Licht schim­mer­te noch. Wie kam es, dass die­se rät­sel­haf­te Er­schei­nung nicht schon die For­schun­gen nach Al­bert auf die­sen sei­nen mut­maß­li­chen Zuf­luchts­ort hin­ge­lenkt hat­te?

      O über den Stumpf­sinn die­ser From­men! dach­te Con­sue­lo; ist es eine Wohl­tat des Him­mels oder ein Elend un­fer­ti­ger Na­tu­ren?

      Sie frag­te sich zu­gleich, ob sie den Mut ha­ben wür­de, al­lein, zu die­ser Stun­de, nach dem Schre­cken­stei­ne zu ge­hen, und sie sag­te sich, sie wür­de, von Men­sch­lich­keit ge­trie­ben, ihn ge­wiss­lich ha­ben. In­des­sen das hat­te sie schon um­sonst, sich mit die­ser Zu­ver­sicht zu schmei­cheln, denn der ängst­li­che Ver­schluss der Burg ließ ihr kei­ne Mög­lich­keit, ih­ren Ge­dan­ken aus­zu­füh­ren.

      Sie er­wach­te mit dem Tage, voll von Ei­fer, und lief so­gleich nach dem Schre­cken­stein. Al­les war dort still und tot. Das Gras rings um den Stein schi­en nicht be­tre­ten. Kei­ne Res­te von ei­nem Feu­er, kei­ne Spur von ei­nem nächt­li­chen Be­su­che. Sie ging nach al­len Rich­tun­gen und fand kein An­zei­chen. Sie rief Zden­ko’s Na­men nach al­len Sei­ten, sie ver­such­te zu pfei­fen, um zu se­hen, ob Ajax nicht bel­len wür­de, sie nann­te ih­ren Na­men zu wie­der­hol­ten Ma­len, sie rief das Wort Trost in al­len Spra­chen, die sie wuss­te, sie