George Sand

Gesammelte Werke


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Sek­ten schon zu ih­rer ei­ge­nen Zeit nicht, konn­te, woll­te sie nicht ken­nen, ließ es sich ge­nü­gen, sie als Ket­zer und dem Mut­ter­scho­ße der Kir­che ent­frem­de­te Ge­schöp­fe be­zeich­nen zu dür­fen; auf das, was sie glaub­ten, lehr­ten, aus­üb­ten, kam es we­nig an; glaub­ten, lehr­ten und üb­ten sie doch je­den­falls nicht das was sie soll­ten. Aber ei­ni­ge ket­ze­ri­sche Schrif­ten je­ner fer­nen Zeit sind uns ge­ret­tet: die­se ge­ben über­ra­schen­de Auf­schlüs­se. Wel­cher Ket­zer­par­tei sie an­ge­hör­ten, d. h. wel­cher so oder so von ih­ren Mit­glie­dern oder Geg­nern be­nann­ten Ge­sell­schaft, ist un­we­sent­lich; wahr­schein­lich kei­ner von al­len, son­dern sie sind Wer­ke ein­sa­mer Den­ker und nur von Wich­tig­keit in­so­fern sie von dem Geis­te der Frei­heit, wel­cher durch die Zei­ten we­he­te zeu­gen, und den Ge­dan­ken­in­halt, den er da­mals sich zu schaf­fen wuss­te, uns zu er­ken­nen ge­ben.

      Die ers­ten Spu­ren, wel­che noch üb­rig sind, ge­hö­ren, wie ge­sagt, in das 11. Jahr­hun­dert. Sek­ten, die sich da­mals von Ita­li­en aus, wie es scheint, nach Süd­frank­reich und auch nach Deutsch­land ver­brei­te­ten, wur­den von ih­ren Geg­nern mit dem al­ten Ket­zer­na­men der Ma­ni­chä­er be­zeich­net. Sie sol­len den Ge­nuss von Tier­fleisch und von Wein ver­mie­den und ein ehe­lo­ses Le­ben emp­foh­len ha­ben; die­se Art, dem Geis­te sei­ne Ehre durch Be­schrän­kung der fleisch­li­chen Trie­be zu er­wei­sen, lag im Zeit­ge­schma­cke. Die He­xen­küns­te und gro­ben Las­ter, de­ren man sie an­klag­te, kön­nen über­gan­gen wer­den. Aber wich­tig ist der Glau­be, der ih­nen zu­ge­schrie­ben wird, dass der hei­li­ge (der all­ge­mei­ne) Geist sich nicht in hei­li­gen Schrif­ten, wel­che ei­tel Per­ga­ment sei­en, son­dern in dem Geis­te des le­ben­di­gen Men­schen of­fen­ba­re und dass die kirch­li­chen In­sti­tu­tio­nen Lug und Trug sei­en. Ob un­ter ih­nen gno­s­ti­sche Theo­ri­en, in de­nen das böse Prin­zip zu Ehren kam, wie uns er­zählt wird, wirk­lich ver­brei­tet wa­ren, oder ob man dies nur vor­gab, um sie als Ma­ni­chä­er ver­dam­men zu kön­nen, lässt sich nicht er­mit­teln. In Deutsch­land kam bald der Name Ka­tha­rer auf; »un­ser Deutsch­land«, sagt der Mönch Eck­bert, »nennt sie Ka­tha­rer«; die Frei­en je­ner Zeit nann­ten sich wohl selbst so, näm­lich mit ei­nem grie­chi­schen Wor­te Êáèáñïß, d. i. Rei­ne. Ka­tha­rer ist ei­ner­lei mit Ket­zer, und die­sen Na­men ga­ben die Päpst­li­chen in Kur­zem al­len de­nen, wel­che sich von der Kir­che los­sag­ten. Sek­ten, die man so nann­te, wa­ren im 12. Jahr­hun­dert in Ita­li­en, Frank­reich, Deutsch­land, Eng­land ver­brei­tet; bald wird ih­nen Teu­fels­dienst und Ma­ni­chä­is­mus, bald nur Ent­hal­tung von Fleisch und geis­ti­gen Ge­trän­ken, da­ne­ben Aus­schwei­fung in Be­frie­di­gung des Flei­sches bei heim­li­chen un­ter­ir­di­schen Zu­sam­men­künf­ten und Ver­wer­fung der kirch­li­chen Ge­bräu­che zur Last ge­legt. Man­che Par­tei­en dach­ten üb­ri­gens nicht dar­an, sich förm­lich von der Kir­che zu tren­nen und de­ren Leh­ren zu ver­wer­fen, son­dern streb­ten nur ein from­mes, keu­sches, lie­be­vol­les Le­ben an, wie es, ih­rer Mei­nung nach, in der apo­sto­li­schen Zeit in der christ­li­chen Kir­che herr­schend ge­we­sen war, so die Wal­den­ser, wel­che Pe­trus Wal­dus (um 1160) in Lyon stif­te­te, die Al­bi­gen­ser in der Pro­vence, ge­gen wel­che um die­se Zeit ein or­dent­li­cher Kreuz­zug un­ter­nom­men wur­de, die Pe­tro­bru­sia­ner und Hen­ri­ceia­ner, die von ei­nem Pe­ter von Bruis und ei­nem ge­wis­sen Hein­rich, Geist­li­chen, wel­che ge­gen die Ver­derbt­heit des Kle­rus ei­fer­ten, den Na­men ha­ben, u. a.

      In Deutsch­land, son­der­lich in Ös­ter­reich und in Böh­men, ver­brei­te­te sich im 14. Jahrh., wie es scheint von Hol­land aus, ein Volks­wort, um freie Re­li­gi­ons­par­tei­en zu be­zeich­nen, näm­lich der Name Lol­lar­den (oder Lol­hards). Auch die­sen Na­men hat man von ei­nem Sek­ten­stif­ter, Na­mens Walt­her Lol­hard, ei­nem Ös­ter­rei­cher um 1315 her­lei­ten wol­len. Die­ser Mann, der 1322 in Köln ver­brannt wur­de, nach­dem man sei­ne Sek­te in dem Städt­chen Krems (in der Pas­sau­er Di­öces) auf­ge­spürt hat­te, hieß wahr­schein­lich schlecht­hin Walt­her, und Lol­hard nur des­halb, weil er ein Lol­lard war. Man lei­tet näm­lich wie Beg­hard von »Beg­gen«, so auch Lol­hard von »lol­len, lul­len, sum­men, sum­mend be­ten« ab. In Ant­wer­pen, wo der Name Lol­hard zu­erst bald nach 1300 vor­kommt, nann­te die Ge­sell­schaft, der er bei­ge­legt wur­de, sich selbst Ale­xia­ner oder Cel­li­ten­brü­der.