Carl Friedrich Benz

Lebensfahrt eines deutschen Erfinders


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auf das neue Fahrzeug lenkte. Die Entwickelung vollzog sich zunächst fast ausschließlich in Frankreich, wo es Levassor gelungen war, unter Verwendung der Arbeiten früherer Techniker sowie derjenigen von Daimler und Benz einen Gesamtaufbau des Motorwagens zu schaffen, der im wesentlichen bis auf den heutigen Tag beibehalten worden ist.

      Wirtschaftliches.

      Wenn der M. heute noch in hohem Maße Sportszwecken dient, so teilt er diese Entwickelung mit dem Fahrrade, das sich vom Sportsfahrzeug im Laufe der Zeit zum unentbehrlichen und volkstümlichen Verkehrsmittel entwickelt hat. Der M hat indes diesen Entwickelungsgang heute schon zu einem großen Teil zurückgelegt; denn in aller Stille ist er in die verschiedensten Zweige des modernen Wirtschaftslebens eingedrungen und in der gesamten Fachliteratur steht der Gebrauchswagen im Vordergrunde des Interesses. Von den verschiedenen Arten solcher Wagen sind, abgesehen von den Personenwagen, am verbreitetsten die Lieferungswagen, die den größeren Geschäften zur Überbringung der Waren an die Kunden dienen, und die Lastwagen, wie sie namentlich von Brauereien, Fabriken, Spediteuren etc. in immer umfangreicherem Maße verwendet werden. Die Ursache, weshalb solche Betriebe von den Lieferungs- und Lastwagen so willig Gebrauch machen, liegt weniger darin, dass die Betriebskosten erheblich reduziert wurden gegenüber dem Pferdebetrieb, als vielmehr darin, dass der M. schneller ist und deshalb erhebliche Zeitersparnisse ermöglicht. Auch in der Armee und im Postdienst gewinnt seine Verwendung fortwährend an Ausdehnung. Ein ungeahntes Feld hat sich ihm in der Unterstützung der Eisenbahn durch die Automobilverbindungen eröffnet, indem sich besonders in weniger bevölkerten Gegenden, wo eine Eisenbahn nicht angezeigt erscheint, in neuerer Zeit Vereinigungen von Kapitalisten zur Einrichtung von Automobilverbindungen bilden. Für den großstädtischen Verkehr lassen den M. seine Schnelligkeit, leichte Lenkbarkeit und die Möglichkeit der raschen Bremsung wie geschaffen erscheinen. Wenn die früheren Versuche, das Automobil in Form der Motordroschke in Großstädten einzuführen, vielfach finanziell versagten, so ist dies auf technische und wirtschaftliche Gründe zurückzuführen. Bei dem gänzlichen Mangel an praktischen Erfahrungen und feststehenden Modellen fehlte die kalkulatorische Grundlage für die Rentabilitätsberechnung. Heute, wo man es mit ausprobierten, feststehenden Modellen zu tun hat, die Amortisationsquote, Betriebs- und Reparaturkosten auf Grund mehrjähriger Erfahrung bekannt sind, liegen die Verhältnisse anders, und nun zögert das Großkapital nicht mehr, diesem neuen, gewinnabwerfenden Verkehrsunternehmen mit großen Mitteln an die Hand zu gehen.

      Der ungeahnte Aufschwung des Motorwagens als Sports- und Gebrauchswagen hat eine blühende Industrie entstehen lassen, die allem Anscheine nach in den Mittelpunkt der gesamten industriellen Entwickelung treten wird und nur in dem seinerzeitigen wirtschaftlichen Aufschwung der elektrischen Industrie Ihresgleichen wieder findet. An der Spitze aller automobilproduzierenden europäischen Völker steht Frankreich. Die enorme Entwickelung der französischen Automobilindustrie zeigen die folgenden Zahlen (in Franken):

      Etwa 200 Motorwagenfabriken (abgesehen von den Sonderfabriken für Motorwagenzubehörstücke) fabrizierten 1904 ca. 22,000 M. im Gesamtwerte von 178,500,000 Frank.

      Die Ziffern der deutschen Handelsstatistik sind weit niedriger; es betrug in Mark:

      In Deutschland beschäftigen sich mit der Herstellung von M. ca. 15 Fabriken, abgesehen von den Sonderfabriken für Motorwagenzubehörstücke. Die Erzeugnisse der deutschen Werke erfreuen sich in der gesamten automobilistischen Welt eines glänzenden Rufes und gelten den erstklassigen französischen Wagen gegenüber in mancher Beziehung als überlegen.

      Die englische Motorwagenindustrie hat keine so rasche Entwickelung nehmen können, weil das englische Kapital infolge früherer finanzieller Misserfolge selbst heute sehr zurückhaltend ist und mehr der französischen Industrie zuströmt. Die Ausfuhr ist verhältnismäßig gering. Der italienische M. war bis vor kurzer Zeit nur gering entwickelt, hat aber neuerdings einen ungeahnten Aufschwung genommen, so dass es Frankreich und Deutschland gegenüber als ernster Konkurrent auftritt. Auch die schweizerische Motorwagenindustrie hat in jüngster Zeit einen bemerkenswerten Aufschwung genommen. Österreich-Ungarn besitzt einige anerkannte Fabriken, doch ist die Einfuhr deutscher und französischer M. nicht unbeträchtlich.

      Vereine.

      Von den im Laufe der Zeit entstandenen automobilistischen Vereinigungen und Klubs haben sich weitaus die meisten zu nationalen Verbänden zusammengeschlossen. Von ausländischen Klubs sind zu nennen: der Französische Automobilklub (Paris), der Englische Automobilklub (London), Österreichischer Automobilklub etc.; von deutschen Automobilklubs: der Bayrische, Frankfurter, Kölner, der kaiserliche Automobilklub in Berlin, der Mitteleuropäische Motorwagenverein (Sitz Berlin), die Automobiltechnische Gesellschaft (Sitz Berlin) etc.; sie haben sich unter der Bezeichnung »Deutscher Automobilverband« (Sitz Berlin) zusammengeschlossen. Neben der Veranstaltung von Vorträgen, Aussetzung von Preisen, Veranstaltung von Ausstellungen, Einschreiten gegen rücksichtslose Schnellfahrer, Zustellung von Fachzeitschriften, ermäßigte Überlassung von Landkarten, Fachliteratur etc. suchen sie vor allen Dingen ihren Zweck zu erfüllen durch Veranstaltung von Zuverlässigkeitsfahrten und ähnlichen Konkurrenzen, auch durch Rennen. Diese Rennen betrachten sie nicht als Selbstzweck, sondern als Mittel zu immer vollendeterer Ausbildung des Motorwagens als Verkehrsmittel; auch die gründlichsten Studien in den Laboratorien unsrer Hochschulen und der Konstruktionsbureaus der industriellen Werke hätten das nicht erreicht ohne die Rennen, d.h. praktische Erprobung der M.; die Rennen scheiden mangelhafte Fabrikate rasch und sicher aus und geben die Richtung an, die Technik und Industrie zur Erzielung immer vollendeterer Fabrikate einzuschlagen haben. Die Tätigkeit der Automobilklubs etc. ist also auch in dieser Richtung von unschätzbarer industrieller und damit volkswirtschaftlicher Bedeutung. Zu erwähnen ist noch der Verein deutscher Motorfahrzeug-Industrieller als Interessenvertretung der industriellen Unternehmer, der neuerdings ähnlich wie in Frankreich zu großem Einfluss gelangt ist.

      Rechtliches.

      Das Automobil untersteht bisher in privatrechtlicher Beziehung, insbes. bezüglich der Haftpflicht für angerichteten Schaden, den allgemeinen Normen des bürgerlichen Rechts. Dagegen bestehen fast überall besondere öffentlich rechtliche (Polizei-) Vorschriften bezüglich des Automobilverkehrs. In Preußen und den meisten übrigen deutschen Staaten müssen die Automobile betriebssicher sein. Erregung übermäßigen Geräusches, Rauches und Geruchs ist unstatthaft. Die Lenkvorrichtungen müssen ein Umwenden auf 10 m breiten Dämmen ermöglichen. Jeder Kraftwagen muss eine Huppe, zwei Vorderlaternen und zwei voneinander unabhängige Bremsen führen (für Motorräder bestehen einige Erleichterungen). Jedes Automobil erhält nach vorheriger Untersuchung eine Erkennungsnummer, die nebst einem Buchstaben (zur Bezeichnung der Provinz) beim Befahren öffentlicher Wege geführt werden muss. Für den Zustand des Fahrzeugs, namentlich der Bremsen, ist der Eigentümer (oft auch der Besitzer) polizeilich verantwortlich. Der Führer muss im Besitz eines Befähigungsscheines sein (das Recht der Polizei auf Fahrscheinentziehung ist mit Erfolg angefochten worden). Die Sperrung der Straßen für Automobile ist zulässig. Die Geschwindigkeitsgrenze beträgt in der Regel 15 km (gestreckt trabendes Pferd), höher ist sie nur außerhalb der Bebauungsgrenze auf geraden übersichtlichen Wegen. Strafen: Geldstrafe bis 60 Mk. oder Hast bis zu 14 Tagen.

      Vgl. Baudry de Saunier, Das Automobil in Theorie und Praxis (deutsch, Wien 1900–01, 2 Bde.; neuer Abdruck 1905), Praktische Ratschläge für Automobilisten (deutsch, das. 1901) und Grundbegriffe des Automobilismus (deutsch, das. 1902); Hasluck, Automobile (neue Ausg., Lond. 1903); Zechlin, Der Automobilsport (Leipz. 1903) und Automobilkritik (Berl. 1905); Lang, Die Adler-Fahrradwerke vormals Heinrich Kleyer, Festschrift (das. 1905); Vogel, Der M. und seine Behandlung (das. 1906); Jahrbuch der Automobil- und Motorbootindustrie (das., seit 1904); Zeitschriften: »Der M.« (das.); »Zeitschrift des Mitteleuropäischen Motorwagenvereins« (das.); »Stahlrad und Automobil« (Leipz.); »Allgemeine Automobilzeitung« (Münch.); »Das Fahrzeug« (Eisenach); »Automobilwelt« (Berl.); »L'Auto« (Par.); »L'Automobile« (Nizza); »La France Automobile« (Par.); »La Locomotion automobile« (das.); »Le Chauffeur« (das.); »The Autocar« (Coventry); »The