Daphne Niko

DAS RÄTSEL SALOMONS


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Kapitel 35

       Kapitel 36

       Kapitel 37

       Kapitel 38

       Kapitel 39

       Kapitel 40

       Kapitel 41

       Kapitel 42

       Kapitel 43

       Epilog

       Danksagungen

       Über die Autorin

       LUZIFER Verlag

      Prolog

      Davidstadt

       Zehntes Jahrhundert v. Chr.

      Der alte Priester Zadok stand am Rand der Quelle und hatte seine Augen auf das Antlitz des Mondes gerichtet, das sich auf dem reglosen Wasser spiegelte. Lichtschwanger und intensiver als gewöhnlich, war er der geeignete Mond für das, was Zadok zu tun gedachte. Er hob seinen Blick zum Himmel. Dort befand sich nicht eine einzige Wolke.

      Er betrachtete die Königsstadt, die sich im Tal erstreckte. Die Gebäude, die sich wie steinerne Finger zum äußersten Wüstenrand reckten, waren in ein helles, graublaues Licht getaucht, das nur von den Schatten der Dattelpalmen durchbrochen wurde, die aus der steinigen Erde wuchsen. Über den gedrungenen Flachdachhäusern erhob sich die königliche Festung, einst von jenem Schafhirten errichtet, der die zwölf Stämme Israels zu einem Reich vereint hatte. Steinterrassen führten zu einer befestigten Plattform, auf welcher ein von phönizischen Steinmetzen gebauter Palast stand: der höchste Punkt der Stadt, und dem Himmel am nächsten gelegen.

      Hinter Zadok schmiegten sich die Obstgärten Siloahs an die grünen Hänge. Reife Feigen hingen von den Bäumen und erfüllten die Nacht mit honigsüßem Duft. Er schloss die Augen und sog den lieblichen Geruch ein, der ihn umgab. Eine Wohltat für seinen zur Ruhe kommenden Geist. Er spürte, wie der Atem des Wüstensommers ihn wärmte. Auf diese Weise stand er da, bis alle Gedanken aus seinem Bewusstsein schwanden und er zu einem leeren Gefäß wurde, das bereit war, gefüllt zu werden. Er wandte sich an seinen Schüler.

      »Es ist so weit, mein König.«

      Der junge Herrscher, der kaum sein drittes Jahr auf dem Thron vollendet hatte, neigte den Kopf vor dem Hohepriester seines Hofes und dem seines Vaters vor ihm. Die Demut seines Souveräns stimmte Zadok freudig. Es waren erst einundzwanzig Jahre vergangen, seit seine Mutter ihn geboren hatte, und doch war Salomon bereits weise genug, um zu wissen, wann er ein König zu sein hatte und wann ein Schüler.

      Zadok streifte seine Gewänder ab und trat in den Teich. Es war das Wasser ebendieser Quelle, das die Könige Judas weihte, und nun würde es seinen Körper und den Salomons für das Ritual läutern, auf dessen Durchführung sie sich vorbereiteten. Zadok füllte eine irdene Schüssel mit dem Wasser und hielt sie hoch über seinen Kopf, als reiche er sie dem Himmel dar.

      »Oh weiser und mächtigster Gott, dieser Diener steht vor Dir mit reiner Absicht und bittet um nichts als Gnade. Mit diesem heiligen Wasser reinige ich diesen unwürdigen Leib und wasche meine Schuld hinfort, um in Deiner Gegenwart unbefleckt zu sein.«

      Er neigte die Schüssel und ließ das Wasser über seinen Scheitel fließen, durchnässte sein glattes, mit Silber durchzogenes, schwarzes Haar, das ihm bis zur Mitte des Rückens herabhing, und den drahtigen grauen Bart, der sein Gesicht und seine Kehle bedeckte. Er füllte die Schüssel erneut und ließ das Wasser die braune Haut säubern, die schlaff an seinen alten Knochen hing. Und als er mit seiner Reinheit zufrieden war, trocknete er sich ab und schlüpfte in ein Gewand aus frisch gewebtem weißen Leinen, das von der Nadel einer Jungfrau bestickt worden war.

      Salomon spürte sein Herz gleich einer Militärtrommel schlagen, als er sein königliches blaues Gewand abstreifte und seine vollen schwarzen Locken aus dem Goldband löste, das seinen Kopf wie ein Heiligenschein umgab. Nackt stand er vor seinem Gott, demselben Gott, der ihm die Weisheit gewährt hatte, die Stämme Israels mit Unvoreingenommenheit und Gerechtigkeit zu regieren, und trat in den Teich. Dank des eisigen Wassers fuhr ihm ein angenehmes Frösteln durch den Körper. Er gedachte seines Vaters. König David war nur noch eine Erinnerung, aber für Salomon blieb er ein Gigant. Er erinnerte sich an das Versprechen, das er ihm wenige Stunden vor seinem Tod gegeben hatte.

      Mein Vater, gehet in Frieden, denn ich, Euer Sohn Salomon, gelobe, das eine und glorreiche gesegnete Heiligtum zu errichten und es mit den heiligen Gefäßen zu versehen, so wie von Gott befohlen und von den Prophezeiungen vorausgesagt.

      Heute würde er den ersten Schritt zur Erfüllung dieses Versprechens unternehmen.

      Mit einer Robe aus purem weißen Leinen bekleidet, folgte Salomon Zadok die Steinstufen zu einer Lichtung im Obstgarten hinauf, wo der Priester eigens für diesen Anlass einen aus Zedernholz gefertigten Altar errichtet hatte. Unter den Schatten der Obstbäume knieten sie vor diesem Altar nieder und baten um Führung, denn was sie zu tun gedachten, war nur jenen vorbehalten, deren Seelen vor dem Himmel makellos waren. Zadok erhob sich als Erster und bot dem König seine Hand zum Kuss; Salomon folgte dieser Aufforderung pflichtbewusst und ohne Vorbehalt.

      Zadok näherte sich der Vielfalt an Objekten, die auf dem Altar lagen, und blieb vor dem mittleren stehen. Er entfernte eine weiße Hülle aus gewobener Spinnenseide, unter der ein steinerner Räucherkelch zum Vorschein kam. Dann schüttete er den Inhalt eines kleinen, weißen, mit einem goldenen Löwen bestickten Beutels in seine Handfläche. Diese Körnchen rieb er aneinander, sodass die Wärme seiner Hände ihre ätherischen Öle freisetzen konnte. Dann legte er sie in den Räucherkelch und entzündete sie mithilfe zweier Feuersteine. Ein zaghafter Rauchfaden stieg von dem Gefäß auf.

      »Dieser Duft soll die Sinne Deiner demütigen Diener klären, oh Allmächtiger, sodass sie den Visionen, die kommen mögen, offenliegen.« Mit beiden Händen drängte Zadok den Rauch zu seinem Gesicht hin und atmete tief ein. Dann schwenkte er das Räuchergefäß vor Salomon und ließ die Dämpfe von Myrre und Mastix in den König dringen.

      Die Nacht war so still, dass sich nicht einmal die Blätter an den Feigen- und Granatapfelbäumen rührten. Salomon war so ruhig wie die Luft, die über seines Vaters Stadt hing, ohne Begehr oder Erwartungen in das Ritual. Er hatte sich ganz fallen lassen, vertraute darauf, dass das Göttliche ihm alles gewährte, dessen er bereit war, und ihm verweigerte, was er noch nicht begreifen konnte.

      Trotz aller Rituale und Zeremonien, die seine königliche Herrschaft bestimmten, hatte er niemals an etwas Derartigem teilgenommen. Das Anrufen von Geistern und die Verständigung mit der Anderswelt waren das Hoheitsgebiet Zadoks, des Königreichs Priester und Seher. Salomon hatte vollstes Vertrauen in ihn. Schließlich war er es gewesen, der ihm geholfen hatte, jenen Thron zu besteigen, der ihm nicht rechtmäßig zustand. Der alte Priester hatte seine Loyalität viele Male bewiesen, vor allem als er König David davon überzeugte, dass es Salomon und nicht etwa Davids älterer Sohn Adonia sei, der über Israel herrschen und den heiligen Tempel errichten solle. Und so war es geschehen.

      Vorsichtig entfaltete Zadok einige