Daphne Niko

DAS RÄTSEL SALOMONS


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Fäuste. Sie gab sich keinen Illusionen hin: Er würde es tun.

      Sarah biss sich so fest auf die Lippe, dass der metallische Geschmack ihres eigenen Blutes ihren Mund füllte. Sie warf Daniel einen verstohlenen Blick zu. Er sah stur geradeaus, ausdruckslos und sich ihrer Notlage scheinbar nicht bewusst.

      Der Stammesangehörige wandte sich an Daniel. »Nehmt nichts mehr von diesem Ort an euch, oder wir werden zurückkehren … mit mehr als nur einer Warnung.«

      Er bestieg sein Kamel und gab seinen Männern das Zeichen zum Aufbruch. Eilig ritten sie davon, die Pferde im Schlepptau. Die Hufe der Tiere wirbelten große Staubwolken auf, als sie über die sandigen Ebenen auf die Bergmassive im Westen zu galoppierten.

      Daniel erhob sich und atmete hörbar aus. »Was zur Hölle sollte das, Sarah? Du weißt es besser, als solche Kerle zu reizen.«

      »Ich weiß, was Frauen hierzulande dürfen und was nicht. Reden ist kein Verbrechen.«

      »Du und ich, wir wissen das, aber die sind vom alten Schlag. Die hätten dich umbringen können.«

      Auch wenn sie den ganzen Tag über Saudi-Arabiens Entmündigung von Frauen hätte diskutieren können, so war dies doch keine gewinnbringende Debatte. Sie ließ die Sache auf sich beruhen. »Wer waren die überhaupt?«

      »Al Murra. Sie sind Nomaden. Kamelhirten.« Er schüttelte den Kopf. »Die Al Murra stammen vom beduinischen Adel ab und sind für gewöhnlich ehrenwerte Menschen. Ich nehme an, diese Typen sind Teil eines Klans, einer Art militärischer Fraktion. Die gibt es in jedem Stamm.«

      Sarah beobachtete, wie sie hinter den Felswänden verschwanden, während die Staubwolke hinter ihnen zurückblieb. »Denkst du, das hier ist eine Karawane ihrer Vorfahren?«

      »Das ist diesen Rohlingen völlig egal.« Daniel spuckte auf die Erde. »Wahrscheinlich verkaufen sie den Kram und benutzen das Geld, um Waffen zu finanzieren.«

      Sarah stand auf. Ihr weites Chambray-T-Shirt flatterte wie eine Flagge im aufkommenden Wind. »Wie weit bist du in der Knochengrube gekommen?«

      »Vielleicht sollten wir für heute Schluss machen.« Daniel zeigte mit dem Daumen auf die Felswände, hinter denen die Kamelreiter verschwunden waren. »Ich schlage vor, wir reizen sie nicht noch mehr.«

      »Ich geh hier nicht ohne die Knochen weg. Außerdem wird es deine Freunde an der König-Saud wenig glücklich machen, wenn wir mit leeren Händen heimkommen.«

      Er schenkte ihr ein schmallippiges Lächeln, das die Falten um seine Augen herum tiefer erscheinen ließ. »Eines Tages wird dich deine Sturheit noch in Teufels Küche bringen.«

      Sie verstand seinen Kommentar als Einwilligung, packte ihre Ausrüstung in den Rucksack zurück und hängte ihn sich über die Schulter. »Dann los. Unsere Proben warten.«

      »Tatsächlich«, sagte er im Gehen, »hatte ich gerade die Fingerknochen gefunden, als du mich angefunkt hast. Sie waren überraschend unversehrt. So kleine Knochen zerbrechen normalerweise.«

      »Das ist das Schöne an der Konservierung in Sand. Ich frage mich, was sonst noch in diesem Tal vergraben liegt.«

      An der Ausgrabungsstelle waren die größeren Armknochen schon geborgen, klassifiziert und bereit fürs Labor. Der Rest – die Mittelhand- und Fingerknochen – lagen mit bernsteinfarbenen Sand verkrustet in situ.

      »Lass uns einfach einpacken, was wir haben, und zurückgehen.« Daniel funkte das Hauptlager an und bat eines ihrer Crewmitglieder, sie am Rand des Tals abzuholen, da Fahrzeuge nicht weiter vordringen konnten. Er machte das Walkie-Talkie an seinem Gürtel fest und begann, die vorbereiteten Proben einzusammeln.

      Sarah starrte in die Sandgrube, die die Handknochen enthielt. Etwas sprang ihr ins Auge: Ein schwacher Schimmer von Weiß, dessen Form auf eine Kante hindeutete. »Warte kurz.« Sie winkte ihn zu sich. »Hast du das gesehen?«

      Er kam herüber, um einen Blick darauf zu werfen. »Das sind die Fingerknochen, von denen ich dir erzählt hab.«

      »Nein.« Sie kniete sich hin und wischte den Bereich mit einem Pinsel sauber. Eine glatte, weiße Fläche kam zum Vorschein. »Das ist kein Knochen.«

      Ein weiterer Windstoß fegte durch das Tal und blies den Sand in heftigen Wirbeln nach oben. Der Angriff schmerzte in Sarahs Augen. Sie zog sich ein Ende ihres Turbans ins Gesicht und arbeitete weiter, während der Wind peitschte.

      »Sarah, wir müssen von hier verschwinden.« Daniel betrachtete die unheilvolle Staubwolke, die sich um sie herum zusammenzog. »Das könnte hässlich werden.«

      »Nicht ohne das hier«, sagte sie, noch immer grabend.

      »Ich meine es ernst, Sarah.«

      »Warum schnappst du dir nicht ein Werkzeug und hilfst mir? Es würde schneller gehen.«

      Er schnaufte. »Verdammt, Sarah Weston. Wie schaffst du es eigentlich immer, mich zu solchen Sachen zu überreden?«

      »Später wirst du mir dankbar sein.«

      Daniel nahm einen Pinsel in die Hand und half ihr, mehr und mehr des weißen Objekts freizulegen.

      »Da! Das ist Alabaster. Eine Schatulle aus Alabaster.«

      »Lass sie liegen«, rief er über den Wind hinweg. »Wir holen sie ein anderes Mal.«

      »Auf keinen Fall. Sie könnte dann nicht mehr hier sein. Willst du das riskieren?«

      Während der Schamal in ihren Ohren fauchte, arbeitete Sarah wie wild weiter, bis sie den gesamten Deckel freigelegt hatte. Und dort waren sie, so zuverlässig und feierlich wie ein Gebet: Dieselben Insignien geflügelter Löwen, die auf den Honigtopf geprägt gewesen waren.

      Daniel sah Sarah mit geweiteten Augen an.

      Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, schoben sie schnell den Rest des Sandes mit Kellen beiseite. Gemeinsam arbeiteten sie in einem so mühelosen Rhythmus, dass es an Telepathie grenzte. Sarah genoss das Gefühl, ihn an ihrer Seite zu haben, auch wenn er ihr manchmal so weit weg schien.

      Schließlich zeigte sich die Schatulle. Sie war nicht größer als ein Federetui. Der Sandfilm, der nach all diesen Jahren noch immer an ihrer Oberfläche haftete, konnte ihren durchscheinenden Glanz kaum verbergen.

      Sarah hob die Schatulle auf und schüttelte sie behutsam. »Da ist etwas drin.« Obwohl sie wusste, dass es unmöglich war, pulsierte das Verlangen, die Schatulle zu öffnen, durch ihre Nerven.

      Daniel hielt ihr einen Probenbeutel hin. »Pack sie rein.«

      Nicht gewillt, das Kistchen loszulassen, wenn auch nur vorübergehend, umklammerte sie es.

      »Sarah …«

      Er hatte recht. Mit einer an Obsession grenzenden Ehrfurcht legte sie die Schatulle in den Beutel und sah dabei zu, wie Daniel das Bündel in seinen Rucksack steckte, der nach seinen Vorgaben zum Sammeln von Artefakten unterteilt und gepolstert worden war.

      Sie wusste, wie unorthodox dieses Verfahren war, aber ihrer Meinung nach gab es keine andere Möglichkeit. Wenn sie jetzt nicht handelten, könnten sie den Gegenstand für immer verlieren, entweder an Plünderer oder an den gierigen Schlund der stets veränderlichen Wüste.

      Und damit auch das Wissen, das möglicherweise darin lag.

      Trotz des eifrigen Bestrebens des Windes, sie gebückt zu halten, stand Sarah auf und schob ihre Arme durch die Riemen ihres Rucksacks. Sie drückte ihren Turban fest und zeigte Daniel einen erhobenen Daumen.

      Mit geneigten Köpfen kämpften sich die beiden gegen die heftigen Windstöße und durch den aufgewühlten Sand zum Rand des Tals.

      Kapitel 2

      Sarah ließ ihre langen, schlanken Finger über die Oberfläche der Schatulle gleiten. Sie fühlte sich glatt und kalt an. Die Kanten waren noch immer scharf, als wäre sie gerade erst gemeißelt worden.

      Das