Polly Adler

Adieu, Fortpflanz


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leer fressen.

      9. Mit dem Geld, das Sie sich ohne Kind ersparen, können Sie sich im Alter drei Chippendales in der »Golden Girls«-Residenz leisten, die ausschließlich damit beschäftigt sind, das Speichelrinnsal von Ihren Mundwinkeln zu tupfen.

      10. Sie werden nie dieses elende Gefühl erleben müssen, jemanden mehr zu lieben als sich selbst.

      »Kann ich mich bitte jetzt endlich einmal

      auf eine glückliche Kindheit konzentrieren?«

      Stella, im Alter von acht Jahren

      »Mothers are all slightly insane.«

      J. D. Salinger, Schriftsteller

      So eine Art

      verbales Fotoalbum

      Wie ich durch die Kindheit meiner Tochter wie in einem Schnellzug fuhr, mir den Luxus leistete, dabei recht unmuttrig zu sein, und der Fortpflanz dennoch weder Bankräuberin noch Serienkillerin geworden ist. Zumindest bis jetzt nicht.

      Den Eva-Test machte ich im Beisein meiner engsten Freundinnen mit vorsorglich gekühltem Sekt. Wir waren fest entschlossen, ihn so oder so zu trinken.

      Es war ein warmer Hochsommernachmittag im Jahr 1993 und wir saßen im Garten. Ich war gerade Housesitter bei meinen Eltern. Irgendwie fühlte sich die ganze Aktion an, als ob es sich um ein lustiges Gesellschaftsspiel handelte. Als sich im Kontrollfenster jene berüchtigte rosa Linie bildete, sprangen alle auf und umarmten mich kreischend, als ob ich im Lotto gewonnen hätte.

      Ich versuchte meine sofort den Hals hinaufkriechende Angst mit Freude zuzudecken. Es wollte mir nicht gelingen. Ich ahnte schon damals, dass die Mutter-Nummer bei mir zu einem Solo-Flug werden würde. Aber ich hatte noch nicht die geringste Ahnung, wie anstrengend das alleine Fliegen ist.

      Zuerst einmal hatte ich alle Hände damit voll, mich zu fürchten. Ich hatte Angst, meinen Kindsvater mit der Neuigkeit zu konfrontieren. Ich begann also mit dem kleineren Übel – mit der Frau, die mich im Alter von neunzehn Jahren geboren hatte.

      Mein Vater ist nur zwei Jahre älter als meine Mutter. Sie sind bis heute mit Bluttemperatur verheiratet. Es fliegen die Fetzen, aber sie lieben sich. Meine Mutter ist keine emotionale Milchzuckerpackung, das kann manchmal ganz schön anstrengend sein. Im vergangenen Jahr haben wir ihre goldene Hochzeit gefeiert. Meine ganze Pubertät über hatte meine Mutter mir eingetrichtert: »Lass dir ja von keinem ein Kind anhängen.«

      Jetzt war es umgekehrt gekommen: Ich hatte einem Mann knallhart ein Kind angehängt. Allerdings waren wir damals nicht drei Tage, sondern schon elf Jahre mehr, aber auch manchmal weniger zusammen gewesen.

      Meine Intuitionsantennen signalisierten mir, dass sowieso immer ein ungünstiger Zeitpunkt für solche Entscheidungen war, aber dass eben jetzt der bestmögliche aller ungünstigen Zeitpunkte gekommen war. Wenn heute den Mädels suggeriert wird, dass sie erst einmal Karriere machen sollen, für das Kinderkriegen wäre dann ohnehin mit achtunddreißig-plus noch ausreichend Zeit, dann kann ich an dieser Stelle nur einen Warnschuss in die Luft gehen lassen. Statistisch gesehen liegt nämlich bei Frauen ab vierzig die Wahrscheinlichkeit einer Schwangerschaft ohne turbomedizinische Hilfe bei unter zehn Prozent pro Monatszyklus, was mit dem reduzierten Vorrat an Eizellen und der Qualität des Eisprungs zu tun hat. Auch die Reproduktionsmediziner können nur beschränkt Gott spielen: Während eine gesunde Achtunddreißigjährige noch mit dreißigprozentiger Wahrscheinlichkeit künstlich befruchtet werden kann, sinkt ab vierzig die Chance massiv. Wie hochgradig seelisch belastend das Lotteriespiel der Fertilitätsmedizin für Frauen und Männer werden kann, weiß jeder, der derartige Prozeduren durchgemacht hat. Der Glaube an die gesellschaftliche Wunschvorstellung, dass man die Natur jederzeit an der Nase herumführen kann, wird für manche der »Delay-Mums« zum schmerzhaften Reinfall. Denn die Grenzen von der gewollten zur ungewollten Kinderlosigkeit verschwimmen ab vierzig weit häufiger als in den Jahren davor. Abgesehen davon, dass sich auch das Risiko von Fehl- und Frühgeburten, Schwangerschaftsvergiftungen und anderen Widrigkeiten erheblich erhöht.

      Mütter jenseits der fünfundvierzig sind fünfzig Mal so gefährdet, ein behindertes Baby zu bekommen, wie solche unter der biologischen Demarkationslinie von fünfunddreißig Jahren. Und ja – auch in der pränatalen Diagnostik werden Fehler gemacht: Wenn also Gianna Nannini mit vierundfünfzig stolz mit nacktem Babybauch und einem T-Shirt mit der Aufschrift »God Is A Woman« posiert oder die Endvierzigerin Marcia Cross in mildes Hollywood-Licht getaucht ihre Zwillinge im Bugaboo über den Strand von Malibu chauffiert, dann hatten sie echtes Glück und verkaufen den jungen Frauen damit auch eine gefährliche Lüge. Die Biologie lässt sich nicht so einfach austricksen, wie wir das vielleicht gerne hätten. Ganz abgesehen davon, dass »Delay-Mums« mit ihrem Energie-Potenzial weitaus ökonomischer umgehen müssen. Und es für Kinder auch nicht so wahnsinnig lustig ist, ihre Mütter knapp vor dem Wechsel kennenzulernen.

      Ich hatte mit dreißig noch ein hohes Kräftereservoir und fühlte mich damals eigentlich ganz wohl mit dieser Eine-Frau-gegen-den-Rest-der-Welt-Attitüde. Seit meinem zweiundzwanzigsten Lebensjahr hatte ich mir in diversen Redaktionsstuben die Finger wund geschrieben, unter Schreibtischen geschlafen – ich hatte also den Nachweis der Vollalphabetisierung erbracht und musste mir keine allzu großen Sorgen machen, auch mit einem Fortpflanz an der Backe meine Texte unterbringen zu können.

      Ich hatte außerdem vor, die fantastischste doppelbelastete alleinerziehende Journalistin dieses Landes zu werden. Zuhause zu bleiben, sich im Alete-Inferno zu verbarrikadieren, ein Leben in der Infinitivsprache war überhaupt keine Option.

      Heute würde ich sehr, sehr viel dafür opfern, mir dieses erste halbe Jahr mit meiner Tochter zurückholen zu können. Das weiß sie auch weidlich auszunützen, das kleine Luder. Wenn sie mir ans Eingemachte will, seufzt sie mit wässrigen Augen: »Du warst doch immer nie da und hast mich ständig allein gelassen.«

      Und ehrlich gesagt, sie hat damit auch Recht. Aber ich habe es, ganz unter uns, so gerne gemacht. Denn ich wollte mein früheres Leben einfach nicht an der Garderobe abgeben, nur weil ich ein Kind hatte. Dass das in unserem Kulturkreis als verwerflich gilt, hat wahrscheinlich mit den historischen Nachwirkungen zu tun. Man wird oft scheel angeblickt, wenn man diese Facette seines Lebens nicht als die oberste Erfüllung zu betrachten gedenkt.

      Als der Fortpflanz erste Schritte machte, hat mich seine Großmutter, die geliebte Oma-Lotte, aus dem Burgenland angerufen. Ich hatte ein riesiges Massel, was das Engagement der Familie betraf: Ich hatte de facto drei Omas, denn meine Großmutter war damals auch noch voll als Urgroßi einsetzbar. Die »Herma-Omama« umschwemmte ihre Urenkelin mit der gleichen selbstlosen Wärme und Engelsgeduld, die sie zuvor ihren beiden Söhnen und später ihren drei Enkelkindern im Übermaß zukommen hatte lassen. Auch deswegen ist ihr dieses Buch gewidmet.

      Und dann hatten wir noch den Luxus von drei Großvätern, einer energiegeladenen Großtante und einem halben Kindsvater, der mir immer wieder signalisierte, dass diese ganze Nummer eigentlich meine Idee gewesen war und ich sie deswegen auch genau so durchziehen sollte.

      Was ich nicht bedacht hatte: Dass einem mit solchen Vorgaben immer die Zunge wie ein roter Wollschal aus dem Gesicht hängt und die Frisur in der Regel nicht sitzt. Und das Leben kein SAT.1-Filmfilm ist, sondern ein Tretminenfeld zwischen den Antipoden »zu viel Wollen« und »zu wenig Können«. Und dazwischen verrinnt die Wimperntusche.

      Dass meine Mutter mich seit meiner Pubertät mit dem Anti-Kernfamilien-Virus infiltriert hatte, war aus ihrer Perspektive irgendwie verständlich. Sie setzte große Hoffnungen in meine Talente, die sie von Beginn an mit Leidenschaft gefördert hatte. Wahrscheinlich wünschte sie sich, dass ich die Karriere machte, die sie gegen meine Existenz eingetauscht hatte. Sie hatte ihr Malereistudium abgebrochen, um eine viel schnellere Ausbildung zur Volksschullehrerin zu machen. Danke, Mama. Sie ist eine großartige Lehrerin geworden; ihre Schüler besuchten sie noch mit beginnendem Haarausfall. Und sie war immer da – ich hatte nie das Gefühl, dass sie keine Zeit für mich hatte. Dieses luxuriöse Gefühl der Sicherheit würde ich meiner Tochter in den folgenden Jahren nicht vermitteln können.

      Als