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war kaum eine Woche alt, als ich sie in die Redaktion mitschleppte. Und zwar nächtelang. Das Monatsmagazin, bei dem ich damals arbeitete, sollte nur noch zwei Mal erscheinen und dann eingestellt werden. Es war für mich Ehrensache, dass ich die zwei Ehrenrunden vor dem Begräbnis von »Basta« mitdrehte. Wir schrieben und produzierten meistens nachts. Das Kind schlief in seinem Wagen und wurde alle drei Stunden gestillt. Im Nebenzimmer wurde gesoffen und sonst auch noch viel Blödsinn gemacht. Ich genierte mich schon damals sehr vor dem Fortpflanz.

      »Verzeih mir bitte«, flüsterte ich ihm zu, »aber du bist ein afrikanisches Baby. Die Afrikanerinnen nehmen ihre Kinder auch mit aufs Feld. Entwicklungspsychologisch ist das möglicherweise nicht sehr günstig, aber wir haben keine andere Wahl.«

      Das Kind sah mich an, als hätte es in der genetischen Lotterie allerhöchstens einen Dreier gezogen und als wollte es eigentlich missbilligend den Kopf schütteln, dann seufzte es nur.

      Warum ich Ihnen das alles erzähle und Sie womöglich auch noch damit langweile? Weil Sie die Voraussetzungen, die zu diesem Buch führten, vielleicht kennen sollten. Es könnte Ihr Verständnis für den folgenden Mehrfronten-Krieg erhöhen.

      Ach ja, bevor der Irrsinn, den ich – ganz unter uns – um nichts in der Welt missen möchte, losgeht, sollten Sie vielleicht noch wissen, dass wir die Kernfamilien-Sache doch noch ausprobiert haben, mein Kindsvater und ich. Im Sommer nach Stellas Geburt zogen wir aufs Land, in ein kleines Winzerkaff im Burgenland, wo der Kindsvater ein prächtiges Haus geerbt hatte. Knappe zwei Jahre lang spielten wir Idylle. Und scheiterten natürlich mit Karacho und auf sehr hohem Niveau. Womit wir schon quasi mitten in der ersten Geschichte sind. Und in den ersten zehn Jahren meines Mutter-Kind-Lebens.

      Ich war wirklich mit Hingabe eine schlechte Mutter. Schlechtes Gewissen war mein zweiter Vorname. Ich holte mir später die Absolution von den Größten ihres Gewerbes.

      »Seid mittelmäßige Mütter, denn die ideale Mutter ist eine Utopie«, sagte mir Élisabeth Badinter, die französische Starfeministin, Jahre später in einem Interview in Paris: »Sehen Sie nur da hinaus!«

      Von den Fenstern ihrer hocheleganten Wohnung konnte man direkt in den »Jardin des Tuileries« blicken, wo Mütter mit ihren spielenden Kindern auf Parkbänken saßen.

      »Diese Frauen sehen doch nicht gerade glücklich aus«, konstatierte Madame Badinter entschieden. »Sie haben sich aus dem Arbeitsprozess wegsperren lassen und werden es später bereuen, denn die Mutterschaft ist bei unserer Lebenserwartung nur ein kleiner Teil unserer Biografien.«

      Und der Nobelpreis-verdächtige Verhaltensbiologe Kurt Kotrschal, direkter Nachfolger von Konrad Lorenz, erklärte mir, dass Mütter, die ständig auf ihren Kindern kleben, aber dabei das Gefühl haben, das Leben zöge an ihnen vorbei, für die Würste sind. Weil sie ihren Kindern trotz Dauerpräsenz kein Sicherheitsgefühl vermitteln könnten.

      Dieses Buch ist eine Art verbales Fotoalbum. Ich bin nämlich schlecht beim Einkleben und Ordnen von Sachen. Beim Durchlesen der alten Kolumnen, die ich seit dem Jahr 1997 unter dem Pseudonym »Polly Adler« für das »Freizeit«-Magazin des »Kurier« schrieb, bin ich noch einmal durch die Kindheit meiner Tochter getuckert. Denn damals, als wir all das miteinander erlebten, verflog die Zeit wie in einem rasenden Schnellzug. Eben noch hat sie das Laternenlied gesungen und mir ihre kleine Patschhand entgegengestreckt, und schon hat die Türe geknallt und das Kind gebrüllt: »Ich will nie so werden wie du.«

      Das muss aber angeblich so sein. Die Pubertät wurde ja angeblich erfunden, dass wir uns von unseren Kindern überhaupt abnabeln können.

      Ich hoffe, ich kann Ihnen bei der Lektüre den einen oder anderen Erleichterungsseufzer abringen. Und Sie fühlen sich weniger allein, wenn auch Sie beschlossen haben, eine richtig gute Rabenmutter zu sein. Und sich angesichts des empathielosen Monsters in Ihrer Wohnung, das einmal ihr geliebtes Kind gewesen ist, mürbe vor Ratlosigkeit die Frage stellen: »Womit habe ich das alles verdient?«

      An dieser Stelle möchte ich auch meiner Tochter danken. Die trotz ihrer Kindheit keine Bankräuberin und Serienkillerin geworden ist. Noch nicht, wohlgemerkt. Wahrscheinlich hatte sie recht, als sie mit vier Jahren einmal folgenden Satz sagte: »Ich bin leider kein gewöhnliches Kind, ich bin ein Zauberkind.«

      Und Timea, Veronika und Ilona – ihren Kindermädchen, diesen Himmelsgeschenken, ohne die ich mein Leben nie hätte führen können. Ohne sie wäre ich die erschöpfteste alleinerziehende, doppelbelastete Journalistin der westlichen Hemisphäre geworden.

      Nachträgliche Umarmungen auch an die vielen Tanten (Doroteja, Ulli, Nina, Mimi), die, wenn ich schlapp vor Verzweiflung in den härtesten Pubertätstagen des Fortpflanzes einfach nicht mehr konnte, das Ruder für eine kleine Weile übernahmen.

      Und jetzt zur ersten Geschichte. Wir schreiben das Jahr 1996. Das Kind war gerade knapp zwei Jahre alt. Damals hatte ich noch kurz den Ehrgeiz besessen, alles richtig zu machen. Mit Haus am Land, funktionierender Kernfamilie, dampfenden Töpfen, Schafen im Garten, die den Rasenmäher ersetzen sollten ... einem Leben wie in einem Ralph-Lauren-Spot eben.

      Und auch dabei hatte ich richtig gut versagt ...

      Die Landneurotikerin

      Mein Entschluss war gefasst. Nur: Wie sag ich es den Menschen, die all die Jahre an mich geglaubt haben?

      »Duhu«, setzte ich bei E betont nonchalant an, »ich ziehe aufs Lahaaand.«

      Schreckensstarre machte sich am anderen Ende der Leitung breit, die in einen gellenden Schrei des Entsetzens mündete: »Du bist doch nicht ganz dicht!«

      »Liebes«, gurrte ich, »meine Seele muss wieder gesunden. Die Stadt ist dreckig, krank und kaputt. Der Kindsvater hat dieses echt edle Herrenhaus geerbt. Ein glücklicher Zufall: Ich brauche nämlich sowieso innere Kontemplation, das Geräusch von Hühnern, ein Zimmer mit Aussicht auf Weite. Meine Tochter soll Schafe kennen, die nicht Dolly heißen. Du wirst sehen: Es wird auch einer urbanen Amazone wie dir gefallen.«

      Ein wehmütiges Seufzen der Resignation überrollte mich. Es sollte der Beginn einer langen Funkstille werden.

      Unter uns: Ich hatte sowieso genug von frustrierten Asphaltblüten wie E. In unserem Alter wirkt das Herumgehopse zwischen krachschwulen Gogo-Boys bei irgendwelchen abgedrehten Clubbings, das Erwachen in Betten, deren Eigentümer gerne inflationär »voll cool« sagen, und der ganze Wahnsinn, den das Metropolen-Leben eben so mit sich bringt, auf die Dauer so unpassend wie bauchfreie T-Shirts und Miniröcke in Stirnband-Länge.

      Außerdem hatte ich bereits wirklich genug Wesentlicheres um die Ohren. Ich vibrierte im Laura-Ashley-Fieber und laborierte an einem hartnäckigen Laura-Ashley-Virus. Abends warf ich mich mit erlesenen Gazetten wie »Home & Garden« oder »Landlust« in die handgeschöpfte irische Leinenwäsche, denn das Anwesen in jenem gottverlassenen Winzerdorf unweit der burgenländischen Landeshauptstadt gehörte schließlich ordentlich auf Trab gebracht.

      Zu diesem Behufe reiste ich oft nach London. Im englischen Raum hatte man country-technisch die Nase vorn. Mit jaguargrünen Gartenwerkzeugen, Picknick-Köfferchen inklusive Porzellangeschirr, dessen zentrales Motiv mausetote Fasane darstellten, Entsaftungsmaschinen im Nostalgiestil und getrockneten Lavendel-Arrangements in irdenen Krügen kehrte ich wieder in die freiwillige Idylle zurück. Die Augen des Mannes leuchteten, die Bäcklein des Kindes glühten.

      Ersten Anschluss an die Dorfbevölkerung fand ich bei der Bäckersfrau, die zwar nur zwei Brotsorten, dafür aber jede Menge Leid bezüglich ihrer hormonell umtriebigen Schwiegertochter auf Lager hatte. Schon lange hatte sie kein so wehrloses Opfer mehr vor dem Ladentisch gehabt.

      Beim allwöchentlichen Bauernmarkt, bei dem ich biologisch einwandfreies Obst und Gemüse erwarb, amüsierte sich das Händlervolk über meine nassforsche Verkostung Seewinkler Pfefferoni. Von meinem sportlichen Sprung in den Stadtbrunnen redeten die noch lang.

      An und ab bekamen wir Besuch aus der Stadt: schwarz gekleidete Menschen mit schlechtem Teint, die ratlos in meiner Küche – Calvin Klein nennt in seinem Landhaus auf Long