»Nicht wirklich, wir haben nur das Vampirspiel gespielt. Uns war ein bisserl fad ...«
»Die ganze Nacht?!?«
»Nein, aber dann sind wir recht bald sehr müde geworden ...«
»Und da kann man nicht Mitteilung machen, äh?«
Ausdrücke hat das Kind.
»Die M [der Babysitter] und ich, wir haben uns Sorgen gemacht ...«
»Das ist lieb von euch ...«
»Ich habe mir vor allem um mich Sorgen gemacht. Was soll denn aus mir werden, mit einer Mutter, die nachts nicht nach Hause kommt, weil sie mit der Tante F Vampirzeugs spielt. Die Mamis der N und A würden so was nie tun.«
»Schreib doch einen saugroben Beschwerdebrief an den da oben ...«
»Mit dem lieben Gott scherzt man nicht.«
Weiß Gott. Jetzt griff ich zu materialistischen Druckmitteln: »Und wer so viele blöde Fragen stellt, dem scheißt der Osterhase was.«
»Scheiße sagt man nicht.«
Bleierne Müdigkeit meinerseits.
Es war ihr egal: »Und nicht, dass mir da einmal ein Mann nach Hause kommt.«
Ich wollte nur noch meine Ruhe: »Wo denkst du hin! Ich weiß gar nicht mehr, wie so jemand aussieht.«
»Geh, Mami ... Das sind doch die, die dich so nie verstehen, dass du sie immer wieder sehen willst.«
Der Satz hatte was.
»Mutter ist völlig erblindet!«
Abends trage ich jetzt zu Hause immer Sonnenbrillen. Das gehört ab sofort zur Hausordnung, denn meine Tochter will, dass ich mit ihr betteln gehe. Die Sonnenbrillen sollen als Mitleids-Aphrodisiakum wirken: Bei Sehbehinderten sitzen bei den potenziellen milden Gebern die Schillinge dementsprechend lockerer.
Das Kind ist nämlich gerade in seiner »Pünktchen-Phase«. Rechtzeitig zu Erich Kästners hundertstem Geburtstag lese ich ihr »Pünktchen und Anton« vor, und zwar bis der Arzt kommt. Wenn’s blöd kommt, zerrt sie mich dann ins Stiegenhaus und brüllt, dass es sämtliche Nachbarn aus den Fernsehstühlen haut: »Streichhölzer, meine Damen und Herren! Die Schachtel nur zehn Pfennige, haben Sie ein Herz mit uns armen Leuten. Mutter ist völlig erblindet, und dabei ist sie doch noch so jung!«
Manchmal ist mir meine Tochter richtig sympathisch.
Gerade bevor ein paar Münzen erbost aus den Türen klirren, damit Ruhe einkehrt, flüstere ich ihr zu: »Stella, genug gespielt. Mami muss noch was arbeiten.«
»Ich heiße Pünktchen, eigentlich Louise, Fräulein Andacht«, empört sie sich dann, »und es ist mir ernst.«
Mit dem Angebot, Rührei und Salzkartoffeln – ganz wie Anton – zu kochen, kann ich das Kind kurz ruhigstellen.
»Muttchen«, fragt sie, selbst ganz Kästner-sozialkritisch, »warum musst du immer so schwer arbeiten?«
»Damit wir Kenzo-Kleidchen, Barbie-Kreuzschiffe, ›Bernhard und Bianca‹-Videos und grässliche Schockies fürs Frühstück kaufen können«, antworte ich leicht hysterisch – mir erscheint der Mann, der mich morgen früh nach meinem Text fragen wird, bedrohlich vor Augen.
»Muttchen, warum sorgt Vati nicht für unser Geld? Ist er im Krieg invalide geworden?«
Ich enthalte mich der Aussage, weil ich eine entspannte alleinunterhaltende Mutter bin. Das hält sie nicht davon ab, ihren Erzeuger anzuklingeln.
»Duhu, Papi, warum muss Mami immer so schwer arbeiten, damit ich Kenzo-Kleidchen haben kann?«
Zwei Sekunden später muss ich mir anhören, dass ich das Kind aufhetze und überdies zu einer materialistischen Zicke heranzüchte.
Tja, der Apfel fällt nicht weit vom Stamm, kann ich da nur sagen.
Polygamie mit fünf
Der Fortpflanz ist verliebt.
»In wen denn, mein Mausizausi?«
»In den Dominik, weil er so lieb schauen kann. Und in den Kaspar, weil er mich das Rotkäppchen spielen hat lassen. Und dann noch ein bisschen in den Konstantin, weil der so eine ursupervollcoole Frisur hat.« Dann grinst sie nicht unschmutzig, meine Lieblings-Terroristin, in der Blüte ihrer fünf.
Jetzt meldet sich meine moralische Stimme: »Aber Stellchen, man kann doch nur in einen verliebt sein. Drei sind ein bisschen viel, das bedeutet Stress – und unromantisch ist es obendrein.«
Es folgt ein hochgradig dreckiges Lächeln: »Dabei haben wir den Christian vom Zeichenkurs noch gar nicht mitgerechnet. Morantisch hin oder her. Wenn ich nur an all die Pokémon-Karten denk’, die ich von dem bekommen hab’, wird mir ganz wummerig!«
Dieses frühe Schlampen-Stadium macht auch mich ganz wummerig: »Trotzdem sollte man versuchen, einen zu finden, der eine coole Frisur hat, ordentlich Pokémons und lieb schauen kann«, mach’ ich jetzt auf meganaiv.
»Mama«, schnappt sie zurück, »und was soll ich bitte machen, wenn der liebe Gott mir so viele liebe Buben schickt? Der muss sich dabei doch was gedacht haben.«
Offensichtlich handelt es sich bei meinem Fortpflanz um einen hoffnungslosen Fall von Polygamie. Vielleicht sollte ich mir an ihr ein kleines Beispiel nehmen. Und mich von diesem katholisch verseuchten Ansinnen befreien, dass einer für alles da sein muss und obendrein noch in Besitz genommen gehört. Denn bei Lichte betrachtet: Ist Ihnen schon einmal ein Mann untergekommen, der aussieht wie ein bolivianischer Freiheitskämpfer, den Boiler reparieren kann, im Museum bei den richtigen Bildern lacht und nach Einbruch der Dunkelheit das Ticket »Einmal Himmel und zurück« jederzeit zu lösen imstande ist? Nein? Na also, da haben wir ja den Salat.
Der Ernst des Lebens
»Mamutschi«, sagt sie und wippt dabei so aufmüpfig, »Mamutschi, morgen beginnt der Ernst des Lebens.«
»Wieso denn, Stellchen? Die Schule hat doch schon vor vier Wochen angefangen.«
Es folgt eine Geste der Geringschätzigkeit: »Ach, die Schule! Morgen, Mamutschi, werd’ ich dem Kaspar sagen, dass ich in ihn verliebt bin.«
Mein armes Kind! Wie kann ich sie vor programmiertem Leid bewahren? Wie ihr erklären, dass Männer, richtige Männer, auf ungefilterte Zuneigungsbekenntnisse so reagieren wie Krähen auf Schrotsalven? »Ich halte das möglicherweise nicht für so eine tosende Idee.«
»Warum nicht, Mutti?«
Wenn sie mich ärgern will, nennt sie mich Mutti, das kleine Biest. »Weil der Kaspar sich dann nicht mehr anstrengen wird. Wir werden uns die Milchschnitten und Pokémon-Karten in Zukunft wieder selbst kaufen müssen ...«
Schweigen.
»Aber wieso? Wenn ich ihn liebe, wird er mir sie doch noch lieber geben.«
»Tja, das möchte man meinen. Aber das läuft nicht so. Die müssen kämpfen müssen, sonst sind sie gelangweilt.«
Es kommt ein Blickgemisch aus Mitleid und Verachtung zum Abschuss: »Nicht, dass ich dich kränken will, aber der Kaspar ist nicht so wie die Buben, die du kennst.«
Die Ansage sitzt, zur Strafe gibt es heute Abend was Gesundes. Spät nachts telefoniere ich mit einem meiner zahlreichen »Nur«-Freunde. Der Begriff impliziert jede Menge Spaß, aber unter gar keinen Umständen Sex.
Eine kleine, verschlafene Gestalt steht in der Tür: »Mama, du lachst so laut. Wer ist das?«
»Nur der G.«
»Mama, bist du jetzt in den G verliebt?«
»Nein, Stelli, mit dem