sie zeigte mir den Typus einer Vollendung, den wir immer in der Frau finden, in die wir verliebt sind; muß man nicht, um sie zu lieben, die Merkmale jener erträumten Schönheit an ihr finden, die mit unseren besonderen Vorstellungen übereinstimmt? Wenn ich das Wort an sie richtete, erwiderte sie einfach, ohne Eifer und falsche Scham, da sie das Vergnügen nicht kannte, welches die Harmonien ihres Organs und ihre äußeren Vorzüge hervorriefen. Alle solche Engel besitzen die nämlichen Merkmale, an denen sie das Herz erkennt: die nämliche sanfte Stimme, den nämlichen zärtlichen Blick, die nämliche weiße Haut und etwas Anziehendes in den Bewegungen. Diese guten Eigenschaften harmonieren miteinander, passen zusammen und gehen ineinander auf, um uns zu entzücken, ohne daß wir uns klarmachen können, worin der Reiz besteht. Eine göttliche Seele strömt aus allen Bewegungen aus. Ich liebte leidenschaftlich. Diese Liebe erweckte die Gefühle, die mich einst erregten: Ehrgeiz, Glück, kurz alle meine Träume wieder und befriedigte sie. Das junge Mädchen war schön, vornehm, reich und wohlerzogen und besaß die Vorzüge, welche die Welt bei einer Frau, die in die hohe Stellung, die ich erstreben wollte, kommt, despotisch verlangt. Sie war gebildet und drückte sich mit jener geistreichen Beredsamkeit aus, die in Frankreich zugleich selten und häufig ist, wo bei vielen Frauen die hübschesten Worte inhaltlos sind, während alles, was sie sagte, zugleich sinnvoll war. Endlich besaß sie vor allem ein tiefes Gefühl ihrer Würde, das Respekt einflößte; ich weiß mir für eine Gattin nichts Schöneres. Ich halte ein, Hauptmann! Eine geliebte Frau schildert man immer nur sehr unvollkommen; zwischen ihr und uns bestehen von vornherein Geheimnisse, die der Analyse entgehen. Bald hatte ich meinem alten Freunde meine Liebe gestanden. Er stellte mich der Familie vor und unterstützte mich mit seiner achtunggebietenden Autorität. Obwohl ich anfangs mit jener kühlen Höflichkeit aufgenommen wurde, die exklusiven Leuten eigen ist, welche die Freunde, die sie einmal aufgenommen haben, nicht wieder aufgeben, gelang es mir später, im Familienkreise zugelassen zu werden. Zweifelsohne verdankte ich diesen Achtungsbeweis dem Benehmen, das ich in diesem Falle zeigte. Trotz meiner Leidenschaft tat ich nichts, was mich in meinen Augen herabsetzen konnte, zeigte keine servile Nachgiebigkeit, schmeichelte denen, von denen mein Schicksal abhing, nicht; ich gab mich so, wie ich war, und vor allem als Mann. Als man meinen Charakter gut kennengelernt hatte, sprach mein alter Freund, der ebensosehr wie ich mein trauriges Zölibat beendigt zu sehen wünschte, von meinen Hoffnungen. Man nahm sie günstig, aber mit jener Feinheit auf, welche Leute von Welt selten ablegen. Und in dem Verlangen, mir ›eine gute Partie‹ zu verschaffen – ein Ausdruck, der aus einer so feierlichen Angelegenheit eine Art Handelsgeschäft macht, wobei der eine der beiden Gatten den anderen zu betrügen sucht –, bewahrte der Greis über das, was er meine Jugendirrung nannte, Schweigen. Seiner Meinung nach würde die Existenz meines Kindes moralische Bedenken hervorrufen, mit denen verglichen die Vermögensfrage nichts bedeuten würde, und die einen Bruch herbeiführen dürften. Er hatte recht.
»Das wird eine Angelegenheit sein,« sagte er zu mir, »die sich sehr gut zwischen Ihnen und Ihrer Frau erledigen wird, von der Sie leicht eine schöne und gute Verzeihung erlangen werden!«
Um meine Bedenken zum Schweigen zu bringen, vergaß er keinen der verfänglichen Vernunftschlüsse, welche die übliche Weltklugheit eingibt. Ich will Ihnen gestehen, mein Herr, daß trotz meines Versprechens mein erstes Gefühl mich antrieb, dem Familienoberhaupte alles ehrlich zu entdecken; seine Strenge jedoch machte mich nachdenklich, und die Folgen dieses Geständnisses erschreckten mich; feige fand ich mich mit meinem Gewissen ab, beschloß zu warten und von meiner Braut genügende Liebesbeweise zu erhalten, um mein Glück durch ein gefährliches Geständnis nicht aufs Spiel zu setzen. Meinen Entschluß, alles in einem günstigen Augenblicke zu gestehen, rechtfertigte die Sophismen der Welt und des klugen Greises. Ich wurde also ohne Wissen der Hausfreunde als zukünftiger Gatte bei den Eltern des jungen Mädchens angenommen. Die unterscheidende Charaktereigenschaft solcher frommer Familien ist eine grenzenlose Diskretion; man schweigt sich dort über alles, selbst über die gleichgültigsten Dinge aus. Sie können sich nicht vorstellen, mein Herr, welche Tiefe solch ein sanfter Ernst, der sich auf die geringsten Handlungen erstreckt, den Gefühlen verleiht. Alle Beschäftigungen dort waren nützlich, die Frauen verwandten ihre Muße dazu, Wäsche für die Armen zu nähen; die Unterhaltung war niemals leichtfertig, doch war das Lachen nicht aus ihr verbannt, wiewohl die Scherze dort harmlos und ohne Schärfe waren. Die Reden solcher orthodoxen Leute muteten anfangs merkwürdig an, da sie des Pikanten entbehren, das üble Nachrede und Skandalgeschichten den weltlichen Unterhaltungen verleihen, denn nur der Vater und der Oheim lasen die Zeitungen, und niemals hatte meine Braut einen Blick in jene Blätter geworfen, deren harmlosestes noch von Verbrechen oder öffentlichen Lastern spricht. Später aber hatte die Seele in dieser reinen Atmosphäre die Empfindung, welche die Augen beim Anblick grauer Farbtöne haben: eine süße Erholung und eine sanfte Ruhe. Dem Anscheine nach war es ein Leben von schrecklicher Einförmigkeit. Der innere Anblick dieses Hauses hatte etwas Eisiges: ich sah dort täglich alle Möbel, selbst die am meisten gebrauchten, genau in der nämlichen Weise aufgestellt, und die geringsten Gegenstände immer gleichmäßig sauber. Nichtsdestoweniger zog diese Lebensweise sehr an. Nachdem ich den anfänglichen Widerwillen eines an die Freuden der Abwechslung, des Luxus und der Beweglichkeit von Paris gewöhnten Mannes besiegt hatte, erkannte ich die Vorzüge einer solchen Existenz an: sie entwickelt die Gedanken in ihrer ganzen Ausdehnung und ruft unwillkürliche Betrachtungen hervor: das Herz herrscht dort, nichts lenkt es ab und schließlich sieht es dort irgend etwas, das ebenso unendlich ist wie das Meer. Wie in den Klöstern, wo man unaufhörlich die nämlichen Dinge wiedersieht, löst sich dort der Gedanke notwendigerweise von den Dingen und versetzt sich ohne Ablenkung in die Unendlichkeit der Gefühle. Für einen Mann, der so aufrichtig verliebt war wie ich, erzeugten das Schweigen, die Lebenseinfachheit und die fast klösterliche Wiederholung der nämlichen, in den nämlichen Stunden sich vollziehenden Geschehnisse noch größere Liebeskraft. Dank dieser tiefen Ruhe gewannen die geringsten Bewegungen, ein Wort und eine Bewegung ein wunderbares Interesse. Da sie aus dem Ausdruck der Gefühle alles Gewaltsame fernhalten, zeigen ein Lächeln und ein Blick den Herzen, die sich verstehen, unerschöpfliche Bilder in der Ausmalung ihrer Wonnen und ihrer Betrübnisse. Darum begriff ich damals, daß die Sprache mit dem Prunk ihrer Phrasen nicht so mannigfaltig und beredt sein kann wie der Austausch von Blicken und die Harmonie des Lächelns. Wie viele Male habe ich mich nicht bemüht, meine Seele in meine Augen oder auf meine Lippen zu legen, wenn ich mich zu schweigen und zugleich die Glut meiner Liebe einem jungen Mädchen zu sagen genötigt sah, das in meiner Nähe beständig ruhig blieb, und dem das Geheimnis meiner Anwesenheit in der Wohnung noch nicht enthüllt worden war; denn ihre Eltern wollten ihr in ihrer wichtigsten Lebensangelegenheit freien Entscheid lassen. Stillt aber, wenn man wahre Leidenschaft empfindet, des geliebten Wesens Gegenwart nicht unsere heftigsten Sehnsuchtsgefühle? Ist es nicht das Glück des Christen vor Gott, wenn wir bei ihr weilen dürfen? Heißt sehen nicht anbeten? Wenn es mehr als für jeden anderen für mich eine Marter war, nicht das Recht zu haben, der Begeisterung meines Herzens Ausdruck zu verleihen, wenn ich gezwungen war, darin jene heißen Worte zu begraben, die noch glühendere innere Erregungen vortäuschen, indem sie sie aussprechen, ließ dieser Zwang, indem er meine Leidenschaft gefangenhielt, sie nichtsdestoweniger um so lebhafter bei kleinen Anlässen hervorbrechen, und die geringsten Zufälle erlangten dann einen übermäßigen Wert. Sie stundenlang bewundern, eine Antwort erwarten und die Modulationen ihrer Stimme lange auskosten, um ihre geheimsten Gedanken darin zu suchen, das Zittern ihrer Finger belauern, wenn ich ihr irgendeinen Gegenstand reichte, den sie gesucht hatte, Vorwände ersinnen, um ihr Gewand oder ihre Haare zu streifen, um ihre Hand zu ergreifen, um sie mehr reden zu lassen, als sie wollte: all diese Nichtigkeiten waren große Ereignisse. Während solcher Ekstasen gaben die Augen, die Gebärde, die Stimme der Seele unbekannte Liebesbeweise. Das war meine Sprache, die einzige, die mir des jungen Mädchens kühl jungfräuliche Zurückhaltung erlaubte; denn ihre Art und Weise änderte sich nicht, sie benahm sich mir gegenüber immer, wie eine Schwester sich gegen ihren Bruder benimmt. Lediglich wurde in dem Maße, wie sich meine Leidenschaft steigerte, der Kontrast zwischen meinen Worten und den ihren, zwischen meinen Blicken und den ihren auffälliger, und schließlich erriet ich, daß jenes ängstliche Schweigen das einzige Mittel war, welches dem jungen Mädchen dazu dienen konnte, seine Gefühle auszudrücken. Weilte sie nicht stets im Salon, wenn ich dorthin kam? Blieb sie nicht während meines erwarteten und vielleicht vorhergeahnten Besuches dort? Verriet solch schweigende Treue nicht das Geheimnis ihrer unschuldigen