braven Mannes nicht, der mit seinem Freunde Renard und dem Vater des Mädchens zusammen angesichts der Prinzessin friedlich seine Pfeife raucht. Das ist sehr angenehm. Doch muß ich Ihnen sagen, Renard war ein Pariser, ein Sohn aus gutem Hause. Sein Vater, der einen großen Spezereienhandel betrieb, hatte ihn für den Advokatenstand bestimmt, und er hatte einiges Wissen; als ihn jedoch die Konskription erwischt hatte, mußte er der Schreibstube ade sagen. Uebrigens, wie geschaffen dazu, die Uniform zu tragen, hatte er ein Gesicht wie ein junges Mädchen, und verstand sich vortrefflich darauf, die Leute einzuwickeln. Ihn liebte Judith, die sich aus mir soviel wie ein Pferd aus gebratenen Tauben machte! Während ich mich begeisterte und bei Judiths Anblick in höheren Regionen schwebte, benahm sich mein Freund Renard, der seinen Namen Fuchs (Renard) nicht gestohlen hatte, wissen Sie, ganz irdisch. Der Verräter verstand sich mit dem Mädchen, und zwar so gut, daß sie sich nach der Landessitte verheirateten, weil es zu lange gedauert hätte, bis die Einwilligungen würden eingetroffen sein. Er versprach aber, sie nach dem französischen Gesetz zu heiraten, wenn die Heirat etwa angefochten werden sollte. Tatsache ist, daß Madame Renard in Frankreich wieder Mademoiselle Judith wurde. Hätt' ich's gewußt, würd' ich Renard getötet haben, und das, ohne ihm Zeit zum Schnaufen zu lassen; aber Vater, Mutter, Tochter und mein Unteroffizier, all das verstand sich untereinander wie Diebe auf dem Jahrmarkte. Während ich meine Pfeife rauchte, Judith wie einen Abendmahlskelch anbetete, machte mein Renard seine Stelldicheins ab und betrieb seine Liebesangelegenheiten wohl … so wohl …
Sie sind der einzige Mensch, mit dem ich über diese Geschichte, die ich eine Ruchlosigkeit nenne, gesprochen habe. Immer hab' ich mich gefragt, warum ein Mann, der vor Scham stürbe, wenn er ein Goldstück fortnehmen würde, seinem Freunde ohne Gewissensbisse die Frau, das Glück und das Leben stiehlt. Kurz, meine Schelme waren verheiratet und glücklich, während ich immer abends beim Essen dort saß, wie ein Trottel, Judith bewunderte, und wie ein Tenor die Blicke erwiderte, die sie mir zuwarf, um mir Sand in die Augen zu streuen. Sie können sich wohl denken, daß sie ihre Täuschungen sehr teuer bezahlt haben. Bei meinem Ehrenwort! Gott schenkt den Dingen dieser Welt viel mehr Aufmerksamkeit, als wir glauben. Schon überflügeln uns die Russen. Der Feldzug von 1813 fängt an. Wir sind überfallen worden. Eines schönen Morgens kommt der Befehl, wir sollen uns zu einer festgesetzten Stunde auf dem Schlachtfelde von Lützen einfinden. Der Kaiser wußte genau, was er tat, als er uns sofort aufzubrechen befahl. Die Russen hatten uns umzingelt. Unser Oberst ist so kopflos, einer Polin, die eine Achtelmeile vor der Stadt wohnte, Lebewohl sagen zu wollen, und die Vorhut der Kosaken packt ihn gerade dabei, ihn und sein Pikett. Wir haben nur Zeit zum Aufsitzen, uns vor der Stadt zu formieren, um ein Kavalleriescharmützel zu liefern und meine Russen zurückzutreiben, um uns während der Nacht drücken zu können. Zwei Stunden lang haben wir Angriffe gemacht und wahre Kraftstücke verrichtet. Während wir uns schlugen, nahmen das Gepäck und unser Material die Spitze. Wir hatten einen Artilleriepark und große Pulvervorräte, die der Kaiser bitter nötig hatte, wir mußten sie ihm um jeden Preis bringen. Unsere Verteidigung machte Eindruck auf die Russen, die uns von einem Armeekorps unterstützt wähnten. Nichtsdestoweniger wurden sie bald von ihren Spähern über ihren Irrtum aufgeklärt und erfuhren, daß sie es nur mit einem Kavallerieregiment und unseren Infanteriedepots zu tun hatten. Da, mein Herr, machten sie gegen Abend einen Angriff, um alles zu vernichten, und zwar einen so hitzigen, daß viele von uns dort geblieben sind. Wir wurden umzingelt. Ich war mit Renard in vorderster Reihe und sah meinen Renard sich wie einen Teufel schlagen und angreifen; denn er dachte an sein Weib. Ihm war's zu verdanken, daß wir die Stadt erreichen konnten, die unsere Kranken in Verteidigungszustand versetzt hatten; aber es war jammervoll! Wir kehrten als die letzten zurück, er und ich; fanden unseren Weg durch einen Haufen Kosaken versperrt, und wir ritten hinein. Einer der wilden Kerle will mich mit seiner Lanze kitzeln, Renard sieht es, treibt, um den Stich abzuwehren, sein Pferd zwischen uns beide. Sein armes Tier, ein schöner Gaul, meiner Treu!, erhielt den Stoß und reißt, zu Boden fallend, Renard und den Kosaken mit sich. Ich töte den Kosaken, packe Renard beim Arm und lege ihn wie einen Mehlsack vor mich quer über mein Pferd.
›Ade, Hauptmann, alles ist zu Ende …‹ sagt Renard zu mir.
›Nein,‹ antworte ich ihm, ›wir wollen sehen.‹
Ich war da in der Stadt, springe ab und setze ihn in eine Hausecke auf ein bißchen Stroh. Sein Schädel war eingeschlagen worden, das Hirn hing in den Haaren und er redete! … Oh, er war ein tapferer Mann!
›Wir sind quitt!‹ sagte er. ›Ich habe Ihnen mein Leben gegeben, ich hatte Ihnen Judith genommen. Tragen Sie Sorge für sie und ihr Kind, wenn sie eins hat. Im Uebrigen heiraten Sie sie.‹
In der ersten Erregung, mein Herr, ließ ich ihn dort liegen wie einen Hund; als meine Wut aber verraucht war, kehrte ich zurück … Er war tot. Die Kosaken hatten Feuer an die Stadt gelegt; da erinnerte ich mich Judiths, suchte sie also, ließ sie hinter mir aufsitzen und erreichte dank der Schnelligkeit meines Pferdes das Regiment, das seinen Rückzug bewerkstelligt hatte. Was den Juden und seine Familie anlangte: kein Mensch war mehr da, alles wie Ratten verschwunden. Judith allein wartete auf Renard; anfangs, Sie verstehen, hab' ich ihr nichts gesagt. Ich mußte inmitten all der unglücklichen Ereignisse des Feldzugs von 1813 an dies Weib denken, sie unterbringen, für ihre Bequemlichkeit sorgen, kurz, sie pflegen, und ich glaube, sie hat nicht viel gemerkt von dem Zustande, in welchem wir uns befanden. Ich achtete darauf, daß sie immer zehn Meilen vor uns auf dem Wege nach Frankreich war; während wir uns bei Hanau schlugen, ist sie mit einem Jungen niedergekommen. In dieser Schlacht wurde ich verwundet, in Straßburg stieß ich zu Judith, dann kehrte ich nach Paris zurück; denn ich habe das Unglück gehabt, während der Kampagne in Frankreich im Bett zu liegen. Ohne diesen traurigen Zufall wäre ich zu den Gardegrenadieren gekommen, der Kaiser hatte mir die Beförderung versprochen. Kurz, mein Herr, ich bin also gezwungen gewesen, eine Frau zu unterhalten, ein Kind, das nicht mir gehörte, und hatte drei zerschossene Rippen! Sie verstehen, daß mein Sold nicht Frankreich war. Vater Renard, ein alter zahnloser Menschenhai, wollte von seiner Schwiegertochter nichts wissen; der Judenvater war mittellos geworden. Judith verging vor Kummer. Eines Morgens weinte sie, als sie meinen Verband fertigmachte.
›Judith,‹ sagte ich zu ihr, ›Ihr Kind ist verloren …‹
›Und ich auch!‹ erwiderte sie.
›Bah,‹ antwortete ich, ›wir wollen die nötigen Papiere kommen lassen, ich werde Sie heiraten und es als das meinige anerkennen, das Kind von …‹
Ich habe nicht zu Ende sprechen können … Ach, mein lieber Herr, alles kann man tun, um den Todesblick zu empfangen, mit dem Judith mir dankte; ich sah, daß ich sie immer lieben würde, und von dem Tage an hatte ihr Kleiner seinen Platz in meinem Herzen. Während die Papiere, Judenvater und -mutter unterwegs waren, starb die arme Frau vollends. Am Abend vor ihrem Tode besaß sie die Kraft, sich anzuziehen, zu schmücken, alle üblichen Zeremonien zu vollziehen und den Haufen Papiere zu unterschreiben, den sie haben; als dann ihr Kind einen Vater und einen Namen hatte, legte sie sich wieder hin, ich küßte sie auf Stirn und Hände, dann starb sie. Das war meine Hochzeit! Nachdem ich einige Fuß Erde gekauft hatte, worin das arme Mädchen begraben wurde, sah ich mich am übernächsten Tage als Vater eines Waisenkindes, das ich während des Feldzuges von 1815 in Pflege gab. Seit der Zeit habe ich, ohne daß jemand meine Geschichte wußte, die nicht schön zu erzählen ist, für den kleinen Schelm gesorgt, wie wenn er mir gehörte. Sein Großvater ist zum Teufel, ist ruiniert und läuft mit seiner Familie zwischen Rußland und Persien hin und her. Er hat Aussichten, zu Vermögen zu kommen, denn er versteht sich, scheint's, auf den Handel mit kostbaren Steinen. Ich habe das Kind ins Gymnasium getan; unlängst aber habe ich ihn so fleißig in seinen mathematischen Fächern manövrieren lassen, um ihn ans Polytechnikum schicken zu können und von dort mit einem guten Examen abgehen zu sehen, daß das arme brave Kerlchen krank geworden ist. Er hat eine schwache Brust. Nach Meinung der Pariser Aerzte würd' es noch Rettung für ihn geben, wenn er schnell in die Berge ginge und ordentlich und in jedem Augenblick von einem gutwilligen Manne gepflegt werden würde. Ich hatte also an Sie gedacht, und war gekommen, um Bekanntschaft mit Ihren Ideen und Ihrer Lebensweise zu machen. Nach dem, was Sie mir gesagt haben, würde ich Ihnen diesen Schmerz nicht antun, obwohl wir bereits gute Freunde sind.«
»Major,« sagte Benassis nach einem Augenblick des Schweigens, »bringen Sie mir Judiths Kind. Sonder Zweifel will Gott,