– besonders zu Hause, wo er sich weniger beherrschte als überall draußen.
Grandet war ein Mann von fünf Fuß, untersetzt, vierschrötig, mit Waden von zwölf Zoll Umfang, knotigen Knien und breiten Schultern. Sein Gesicht war rund, lederbraun und pockennarbig; sein Kinn war gerade, seine Lippen waren dünn und ohne Schwung, seine Zähne weiß; seine Augen hatten den kalten, vernichtenden Blick, den der Volksmund dem Basilisken gibt; seiner mit vielen Querfalten durchfurchten Stirn fehlten nicht die charakteristischen Höcker; seine gelblichen, teilweise ergrauenden Haare waren wie Silber und Gold – so sagten einige junge Leute, die nicht wußten, was es auf sich hatte, über Monsieur Grandet zu scherzen. Auf seiner dicken Nase balancierte eine rotgeäderte Geschwulst, von der die Rede ging, daß sie recht maliziös sein könne.
Dies Gesicht redete von gefährlicher Schlauheit, von einer Redlichkeit ohne innere Wärme oder Überzeugung, vom Egoismus eines Mannes, der sein Gefühlsleben auf zwei Dinge allein zu konzentrieren weiß: auf die Freuden des Geizes und auf die einzige Erbin seines Reichtums, auf seine Tochter Eugénie. Haltung, Manieren, Gang – alles an ihm betonte ein Selbstgefühl, das demjenigen zur Gewohnheit wird, der in all seinen Unternehmungen Erfolg hat; und trotz seines schlichten und lässigen, fast sanften Wesens hatte Grandet einen eisernen Charakter.
Seine Kleidung war jahraus jahrein die gleiche – heute genauso wie im Jahre 1791. Er trug feste, mit Lederriemen verschnürte Schuhe und stets wollene Strümpfe, eine Kniehose aus grobem, kastanienbraunem Tuch mit Silberschnallen, eine gelb- und braungestreifte Samtweste, einen weiten braunen Rock mit langen Schößen, eine schwarze Krawatte und einen Quäkerhut. Seine überaus dauerhaften Handschuhe behielt er stets zwanzig Monate in Gebrauch, und um sie sauber zu erhalten, legte er sie – immer mit derselben Geste – auf immer dieselbe Stelle seiner Hutkrempe nieder. Weiteres über seine Persönlichkeit wußte man nicht in Saumur.
Sechs Menschen nur hatten Zutritt zu seinem Hause. Der Angesehenste der ersten drei war der Neffe von Monsieur Cruchot. Seit seiner Ernennung zum Gerichtspräsidenten erster Instanz von Saumur hatte dieser junge Mann dem Namen Cruchot noch den Namen Bonfons angefügt und war nun bestrebt, Bonfons über Cruchot triumphieren zu lassen. Schon unterzeichnete er sich Cruchot de Bonfons. Der Prozessierende, der unerfahren genug war, ihn »Monsieur Cruchot« anzureden, konnte sich beim Termin bald von seiner Ungehörigkeit überzeugen. Dieser Beamte protegierte alle, die ihn »Monsieur le Président« titulierten, aber mit seinem liebenswürdigsten Lächeln begnadete er die Schmeichler, die ihn »Monsieur de Bonfons« anredeten.
Der Präsident war dreiunddreißig Jahre alt; er besaß den Landsitz de Bonfons, der ihm siebentausend Francs Rente brachte. Er war der zukünftige Erbe seiner beiden Onkel, des Notars und des Abbé Cruchot, Großwürdenträger des Domkapitels von Saint-Martin in Tours, die alle beide für ziemlich reich galten.
Diese drei Cruchots bildeten mit ihrem stattlichen Verwandtenanhang – sie hatten Familienbeziehungen zu zwanzig Häusern der Stadt – eine Partei, etwa wie ehemals die Medicis in Florenz; und wie die Medicis, so hatten auch die Cruchots ihre Pazzi.
Madame des Grassins, Mutter eines dreiundzwanzigjährigen Sohnes, besuchte Madame Grandet sehr eifrig; sie hoffte, ihren lieben Adolphe mit Mademoiselle Eugénie zu verheiraten. Monsieur des Grassins, der Bankier, unterstützte die Manöver seiner Frau durch allerlei kleine Dienste, die er dem alten Geizhals erwies, und wußte stets zur rechten Zeit auf dem Schlachtfeld zu erscheinen. Natürlich hatten auch die drei des Grassins ihre Anhänger, ihre Vettern, ihre treuen Verbündeten.
Auf der Seite der Cruchots machte der Abbé, der Talleyrand der Familie, nachdrücklich unterstützt von seinem Bruder, dem Notar, der Bankiersfrau das Feld streitig und suchte das reiche Erbe seinem Neffen, dem Präsidenten, zu sichern.
Dieser geheime Kampf zwischen den Cruchots und den Grassins, dessen Gegenstand die Hand Eugénie Grandets war, interessierte die verschiedenen Kreise von Saumur leidenschaftlich. Wen würde Mademoiselle Grandet nehmen, den Präsidenten oder Monsieur Adolphe des Grassins? Die einen meinten, Grandet gebe seine Tochter weder diesem noch jenem. Sie sagten, der alte, von Ehrgeiz geplagte Böttcher suche als Schwiegersohn irgendeinen Pair von Frankreich, dem dreihunderttausend Francs Rente wohl genügen würden, um alle früheren, gegenwärtigen und zukünftigen Fässer der Grandets mit in Kauf zu nehmen. Andere erwiderten hierauf, daß Monsieur und Madame des Grassins von Adel und sehr wohlhabend seien, und daß Adolphe ein recht gesitteter Kavalier sei, und falls sie nicht etwa einen Neffen des Papstes bei der Hand hätten, so müsse eine so vorteilhafte Verbindung solchen Leuten aus dem Volk recht annehmbar erscheinen – einem Mann wie Grandet, den ganz Saumur mit dem Böttcherbeil in der Hand gekannt und der seinerzeit die Jakobinermütze getragen habe. Dann machten wieder andere darauf aufmerksam, daß Monsieur Cruchot de Bonfons jederzeit Zutritt zum Hause habe, während sein Rivale nur des Sonntags empfangen werde. Diese hier behaupteten, daß Madame des Grassins den Damen des Hauses Grandet näher stehe als die Cruchots und sie daher leicht derart beeinflussen könne, daß ihr früher oder später der Erfolg sicher sei; jene da entgegneten, daß der Abbé Cruchot der einschmeichelndste Mensch von der Welt sei und daß – da Weib gegen Pfaff fechte – die Parteien also gleich stark seien. »Die Kämpen sind einander ebenbürtig«, sagte ein geistreicher Kopf von Saumur.
Die Alten im Ländchen aber, die mehr wußten, versicherten, die Grandets seien viel zu klug, um ihr Vermögen aus der Familie zu geben; Mademoiselle Eugénie Grandet aus Saumur werde dem Sohn des Monsieur Grandet in Paris, dem Sohn des reichen Weingroßhändlers, vermählt werden. Darauf erwiderten die Cruchotaner und die Grassinisten: »Zunächst haben die beiden Brüder einander seit dreißig Jahren kaum zweimal gesehen, und ferner hat Monsieur Grandet in Paris hohe Absichten mit seinem Sohn. Er ist Bezirksvorsteher, Deputierter, Oberst der Nationalgarde, Tribunal- und Handelsrichter. Er verleugnet die Grandets in Saumur und hofft, sich durch die Gnade Napoleons mit irgendeiner herzoglichen Familie liieren zu können.«
Was erzählt man nicht alles von einer Erbin, von der man an zwanzig Orten in der Runde spricht – und sogar in den Postkutschen von Angers bis Blois!
Zu Beginn des Jahres 1811 erlangten die Cruchotaner über die Grassinisten einen bedeutenden Vorteil. Die Besitzung Froidfond, bemerkenswert durch ihren Park, ihr herrliches Schloß, ihre Meiereien, ihre Flüsse und Waldungen, diese Besitzung im Werte von drei Millionen wurde vom jungen Marquis de Froidfond, der Geld brauchte, zum Verkauf ausgeboten. Der Notar Cruchot, der Präsident Cruchot und der Abbé Cruchot wußten, unterstützt von ihren Anhängern, die Aufteilung in kleine Parzellen zu verhindern. Der Notar schloß mit dem jungen Mann einen für seinen Klienten sehr günstigen Handel ab; er versicherte ihm nämlich, er würde mit den Leuten, denen die Landteile gerichtlich zuerkannt würden, zahllose Scherereien und Prozesse haben, ehe er zu seinem Gelde käme; es sei besser, das Ganze ungeteilt an Monsieur Grandet zu verkaufen, der ein solventer Mann und sogar in der Lage sei, den Kaufpreis auf den Tisch zu legen. Das schöne Besitztum wurde also dem Schlund des Monsieur Grandet zugeführt, der es – zum großen Erstaunen von ganz Saumur – nach Erledigung der Formalitäten unter Diskont bezahlte. Diese Sache wurde bekannt bis nach Nantes und Orléans.
Als sich Monsieur Grandet die Gelegenheit bot, einen nach dem Gute zurückkehrenden Wagen benutzen zu können, besichtigte er sein Schloß. Nachdem er den Herrscherblick des Eigentümers darauf geworfen hatte, kehrte er nach Saumur zurück – in der angenehmen Gewißheit, sein Geld zu mindestens fünf Prozent angelegt zu haben, und mit der famosen Idee, seinen ganzen Besitz mit dem Marquisat Froidfond zu vereinigen. Ferner beschloß er, um seine nun leer gewordene Kasse neu zu füllen, seine Forste abzuholzen und die Pappeln seines Wiesenlandes zu Geld zu machen.
Nun ist es ein leichtes, die ganze Bedeutung des Wortes »das Haus Grandet« zu erfassen. Es war ein bleiches, kaltes, schweigendes Haus, das, geschützt von den Wallmauern, über die Stadt aufragte.
Die beiden Stützpfeiler des Torbogens waren ebenso wie das ganze Haus aus Tuffstein errichtet, wie er im Gebiet der Loire häufig vorkommt. Dieser Stein ist weiß und so weich, daß er kaum zweihundert Jahre aushält. Die vielen unregelmäßigen Löcher, die der Wechsel der Witterung ihm geschlagen hatte, verliehen dem Rundbogen und den Seitenpfeilern Ähnlichkeit mit dem in der französischen Architektur besonders bei Staatsgebäuden zur Verwendung kommenden geäderten Gestein; daher kam es, daß man wohl meinen konnte, ein Gefängnistor