Оноре де Бальзак

Gesammelte Romane: 15 Romane in einem Band


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kleine, dicke Person mit weißem und rosigem Teint, eine jener Frauen, die dank der klösterlichen Sitten des Provinzlebens und dank eines tugendhaften Lebenswandels noch mit vierzig Jahren einen jugendlichen Eindruck machen. Sie sind wie die letzten Rosen des Sommers, deren Anblick erfreut, deren Blütenblätter aber seltsam kühl und duftlos sind. Sie kleidete sich ziemlich gut, bestellte ihre Toiletten in Paris, war in Saumur tonangebend und hielt Soireen ab. Ihr Gatte, ehemaliger Quartiermeister der kaiserlichen Garde, aber bei Austerlitz schwer verwundet und infolgedessen in den Ruhestand versetzt, hatte ungeachtet seiner Hochschätzung Grandets die derbe, gebieterische Redeweise des Offiziers beibehalten.

      »Bonjour, Grandet«, sagte er, dem Weinbauer die Hand reichend. Sein Ton hatte eine Überlegenheit, die die Cruchots ganz vernichtete. »Mademoiselle«, wandte er sich an Eugénie, nachdem er Madame Grandet begrüßt hatte, »Sie sind immer schön und klug – ich weiß wahrhaftig nicht, was man Ihnen wünschen kann.«

      Dann überreichte er ihr ein kleines Kästchen, das sein Diener ihm nachgetragen hatte und das eine ›Bruyère du Cap‹ enthielt, eine erst unlängst in Europa eingeführte und sehr seltene Blume.

      Madame des Grassins umarmte Eugénie innig, drückte ihr die Hand und sagte: »Adolphe hat es übernommen, Ihnen mein kleines Geschenk zu überreichen.«

      Adolphe war ein großer, blonder junger Mann, etwas bleich und schwächlich, von guten Manieren und schüchternem Auftreten; immerhin hatte er es fertiggebracht, in Paris als Student der Rechte acht- bis zehntausend Francs mehr auszugeben, als sein Wechsel betrug.

      Er trat auf Eugénie zu, küßte sie auf beide Wangen und übergab ihr ein Nähkästchen, dessen sämtliche Utensilien aus vergoldetem Silber waren; im übrigen waren sie herzlich minderwertig, trotz des auf das Schloßblech eingravierten Monogramms E G, das dem Ganzen den Eindruck einer gewissen Solidität verlieh.

      Eugénie öffnete das Kästchen und empfand beim Anblick seines funkelnden Inhalts eine so innige Freude, daß sie wie ein ganz junges Mädchen errötete und erbebte. Sie blickte ihren Vater an, als wollte sie fragen, ob er ihr die Annahme dieses so kostbaren Geschenks gestattete, und Monsieur Grandet sagte ein »Nimm, meine Tochter!«, dessen Betonung einem Schauspieler zur Ehre gereicht haben würde.

      Die drei Cruchots sahen verblüfft, welch leuchtenden Blick die Erbin, der solche Reichtümer unerhört schienen, dem bescheidenen Adolphe spendete.

      Monsieur des Grassins bot Grandet eine Prise an, nahm selbst auch eine, schüttelte dann die Körnchen vom Ordensbändchen der Ehrenlegion, das das Knopfloch seines blauen Rockes zierte, und blickte auf die Cruchots, als wollte er sagen: ›Nun pariert einmal diesen Stoß.‹

      Madame des Grassins ließ die Blicke zu den blauen Kelchgläsern wandern, in denen die Sträuße der Cruchots standen, und suchte mit der gut gespielten Naivität der maliziösen Frau nach den Geschenken der drei.

      Die Situation war peinlich; man gruppierte sich im Halbkreis um das Kaminfeuer. Diesen Augenblick benutzte der Abbé Cruchot, um sich dem noch immer auf und ab wandernden Grandet zu nähern. Als die beiden Alten in der Fensterecke waren, die von den des Grassins am weitesten entfernt war, flüsterte der Geistliche dem Geizhals ins Ohr: »Diese Leute da werfen das Geld zum Fenster hinaus.«

      »Was tut das, da es in meinen Keller fällt?« entgegnete der alte Weinbauer.

      »Sie haben selber die Mittel, um Ihrer Tochter goldene Scheren zu schenken«, zischelte der Abbé.

      »Ich schenke ihr mehr als Scheren«, versetzte Grandet.

      ›Mein Neffe ist ein Esel‹, dachte der Abbé, mit einem Blick auf den Präsidenten, dessen zerzauste Haare sein unschönes rotes Gesicht noch häßlicher machten, – ›hätte er sich nicht auch eine kleine kostspielige Albernheit ausdenken können?‹

      »Lassen Sie uns ein Spielchen machen, Madame Grandet«, sagte Madame des Grassins. »Aber wir sind heute alle beisammen, da füllen wir zwei Tische . . .«

      »Da heute Eugénies Geburtstag ist, könntet ihr eigentlich alle zusammen Lotto spielen«, sagte Vater Grandet; »die beiden Kinder sind gern dabei.«

      Der frühere Böttchermeister, der sich nie an irgendeinem Spiel beteiligte, wies auf seine Tochter und Adolphe. »Nur zu, Nanon, richte die Tische!«

      »Wir werden Ihnen helfen, Nanon«, sagte Madame des Grassins fröhlich. Sie war ganz glücklich, Eugénie eine so große Freude bereitet zu haben.

      »In meinem ganzen Leben hat mir noch nichts soviel Freude gemacht«, sagte die Erbin zu ihr; »ich habe noch nie etwas so Hübsches gesehen.«

      »Adolphe hat das Kästchen in Paris ausgewählt und hat es mitgebracht«, flüsterte ihr Madame des Grassins ins Ohr.

      ›Nur zu, verfluchte Intrigantin‹, grollte der Präsident in sich hinein. ›Solltest du jemals in einen Prozeß geraten – du oder dein Mann –, so soll es euch nicht leicht werden, Sieger zu sein.‹

      Der Notar sah aus seinem Winkel heraus zum Abbé hinüber und dachte sorglos: ›Mögen sich die des Grassins nur anstrengen! Mein Vermögen, zusammen mit dem meines Bruders und dem meines Neffen, ergibt elfmalhunderttausend Francs. Die des Grassins haben höchstens halb soviel, und außerdem haben sie noch eine Tochter. Sie können machen, was sie wollen – Erbin und Geschenke sind eines Tages unser.‹

      Um halb neun Uhr abends waren die zwei Tische zum Lottospiel vorbereitet. Der hübschen Madame des Grassins war es gelungen, ihren Sohn an Eugénies Seite zu setzen.

      Es war ein interessantes Bild. Alle Spieler schienen eifrig bei der Sache; jeder hatte eine buntbemalte numerierte Karte und kleine blaue Glasstückchen, und alle schienen den Späßen des alten Notars zu lauschen, der keine Nummer ausrief, ohne sie mit einem Scherzwort zu begleiten. Man schien zu lauschen – aber in Wahrheit dachten alle an die Millionen von Monsieur Grandet.

      Der alte Böttcher betrachtete wohlgefällig die duftige Toilette Madame des Grassins, den martialischen Kopf des Bankiers, die Mienen Adolphes, des Präsidenten, des Abbés, des Notars, und sagte sich: ›Sie sind nur meinen harten Talern zuliebe hier. Sie kommen und langweilen sich bei mir – alles wegen meiner Tochter. Ho, keiner von ihnen soll sie bekommen; aber sie sollen mir alle als Angelhaken dienen – jeder in seiner Weise!‹

      Die familiäre Fröhlichkeit in diesem düstern, von zwei Kerzen spärlich erhellten Salon, das Scherzen und Lachen, das die Große Nanon mit surrendem Spinnrad begleitete und das nur auf den Lippen Eugénies und ihrer Mutter aufrichtig war – diese ganze kleinliche Gemeinheit, die so großen Interessen nachschlich – das arglose junge Mädchen, das man wie einen seltenen Vogel umlauerte und mit hinterlistigen Freundschaftsbeweisen belästigte –, alles trug dazu bei, diese abendliche Szene tragikomisch zu gestalten. Und ist dies nicht ein Spiel, das an allen Orten und zu allen Zeiten vor sich geht – nur daß es sich hier auf eine einfache Szenerie und einfache Ausdrucksmittel beschränkte?

      Die Gestalt Grandets, der die falsche Anhänglichkeit der beiden Familien benutzte, um daraus ungeheuren Vorteil zu ziehen, beherrschte das Drama und beleuchtete es. Ist er, der Mammon, nicht heute der einzige Gott, an den man glaubt? Spricht seine souveräne Macht nicht deutlich aus so manchem Antlitz?

      Hier im Hause Grandet nahmen die stillen Freuden des Lebens nur ein bescheidenes Plätzchen ein; sie belebten drei reine Herzen: die Herzen Nanons, Eugénies und ihrer Mutter. Übrigens – wie viel Unwissenheit in ihrer Naivität! Eugénie und ihre Mutter wußten nichts vom Vermögen Grandets; sie betrachteten die Dinge des Lebens nur im Licht ihrer eigenen blassen Gedanken und hatten für das Geld weder Verehrung noch Verachtung, da sie gewohnt waren, es entbehren zu können. Ihr starkes Empfinden, das ohne ihr Wissen verletzt wurde, ihre zurückgezogene Lebensweise bildeten eine seltsame Ausnahme in diesem Kreis von Leuten, deren ganzes Dasein nur materiellen Interessen diente. Abscheuliche Eigenschaft des Menschen! Es kann für ihn kein Glück geben, das nicht irgendeiner Unkenntnis entspringt.

      Gerade als Madame Grandet einen Lottogewinn von sechzehn Sous einstreichen konnte, der ansehnlichste Betrag, der jemals in diesem Raum beim Spiel ausgezahlt worden war, und die Große Nanon mit breitem Lachen zusah, wie ihre Herrin diese beträchtliche Summe zusammenraffte, erdröhnte ein Schlag des Türklopfers, und