Оноре де Бальзак

Gesammelte Romane: 15 Romane in einem Band


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kann man nur so klopfen«, verwunderte sich Nanon; »will man uns die Tür einschlagen?«

      »Wer zum Teufel kann das sein?« rief Grandet.

      Nanon ergriff eine der beiden Kerzen und ging, begleitet von Grandet, hinaus.

      »Grandet, Grandet!« rief seine Frau und eilte, von unbestimmter Furcht erfaßt, an die Saaltür.

      Alle Spieler sahen einander an.

      »Wenn wir mal nachsähen?« sagte Monsieur des Grassins. »Der Schlag war zweifellos böswillig.« Er trat zur Tür und vermochte im Dunkel des Ganges die Gestalt eines jungen Mannes zu erkennen, dem der Postträger, beladen mit zwei mächtigen Koffern und mehreren Reisetaschen, folgte.

      Grandet wandte sich brüsk um und sagte: »Madame Grandet, gehen Sie zu Ihrem Lotto. Ich werde mich mit Monsieur schon allein verständigen.«

      Dann zog er die Saaltür heftig hinter sich zu, und die Spieler nahmen ihre Plätze wieder ein, ohne jedoch das Spiel fortzusetzen.

      »Ist es jemand aus Saumur, Monsieur des Grassins?« fragte dessen Gattin.

      »Nein, es ist ein Fremder.«

      »Er kann nur aus Paris kommen.«

      »In der Tat«, sagte der Notar, seine zweidaumendicke Uhr ziehend, die klobig war wie eine holländische Barke, »es ist neun Uhr. Pest! Der Eilwagen des Grand Bureau verspätet sich nie.«

      »Und ist der Herr jung?« fragte der Abbé Cruchot.

      »Ja«, erwiderte Monsieur des Grassins; »er hat ein paar Koffer bei sich, die mindestens dreihundert Kilo wiegen.«

      »Nanon kommt gar nicht wieder«, bemerkte Eugénie.

      »Das kann nur ein Verwandter von Ihnen sein«, sagte der Präsident.

      »Spielen wir weiter«, mahnte Madame Grandet leise. »An Monsieur Grandets Stimme habe ich erkannt, daß er selbst bestürzt ist; er wird ärgerlich werden, wenn er sieht, daß wir uns mit seinen Angelegenheiten befassen.«

      »Mademoiselle«, wandte sich Adolphe zu seiner Nachbarin, »es ist sicherlich Ihr Cousin Grandet, ein recht hübscher junger Mann, dem ich auf dem Ball des Monsieur de Nucingen begegnet bin.«

      Adolphe sprach nicht weiter; seine Mutter hatte ihn auf den Fuß getreten. Dann verlangte sie mit lauter Stimme zwei Sous Spieleinsatz von ihm und flüsterte ihm darauf ins Ohr: »Wirst du den Mund halten, du Dummkopf!«

      In diesem Augenblick trat Monsieur Grandet wieder ein – ohne die Große Nanon, deren Schritte man neben den wuchtigen Tritten des Postträgers auf der Treppe knarren hörte. In Grandets Begleitung befand sich der fremde Reisende, der nun schon geraume Zeit die Gemüter so erregt und neugierig gestimmt hatte, daß man seine unerwartete Ankunft in diesem Hause und sein Eindringen in diesen Kreis mit dem plötzlichen Sturz einer Schnecke in einen Ameisenhaufen vergleichen könnte oder mit dem Herabfallen eines bunten Pfaus in irgendeinen dunklen Hofwinkel.

      »Setzen Sie sich ans Feuer«, sagte Grandet zu ihm.

      Ehe er sich niederließ, grüßte der junge Fremde sehr anmutig die Versammelten. Die Herren erhoben sich, um mit einer höflichen Verbeugung zu antworten, und die Damen neigten zeremoniös den Kopf.

      »Es ist Ihnen gewiß kalt, Monsieur?« fragte Madame Grandet. »Kommen Sie vielleicht von . . .?«

      »Sieh da, diese Frauen!« sagte der alte Weinbauer, die Lektüre eines Briefes unterbrechend. »Laßt doch Monsieur sich erst erholen.«

      »Aber, Vater, Monsieur braucht vielleicht dies oder jenes«, sagte Eugénie.

      »Er hat ja einen Mund«, erwiderte der Weinbauer streng.

      Der Unbekannte war der einzige, den diese Szene verblüffte. Die andern waren mit dem despotischen Wesen des Biedermanns vertraut.

      Als die beiden Fragen nun ihre Antworten erhalten hatten, stand der Unbekannte auf, stellte sich mit dem Rücken gegen das Feuer, hob einen Fuß, um die betreffende Schuhsohle an der Wärme des Feuers zu trocknen, und sagte zu Eugénie: »Ich danke Ihnen, liebe Cousine; ich habe in Tours gespeist. Und«, fügte er mit einem Blick auf Grandet hinzu, »ich habe gar nichts nötig; ich bin sogar kaum ein wenig müde.«

      »Kommen Monsieur aus Paris?« fragte Madame des Grassins.

      Als Monsieur Charles – so nannte sich der Sohn von Monsieur Grandet in Paris – sich angeredet hörte, ergriff er ein Lorgnon, das ihm an einem Kettchen vom Halse hing, hielt es ans rechte Auge, um zu erforschen, was auf und um den Tisch zu sehen sei, betrachtete Madame des Grassins lange und impertinent und sagte endlich: »Jawohl, Madame. – Sie spielen Lotto, liebe Tante?« fügte er hinzu. »Ich bitte Sie dringend, sich nicht stören zu lassen; es ist ein unterhaltendes Spiel – man sollte es nicht abbrechen.«

      ›Oh, ich wußte ja, daß es der Cousin sei‹, dachte Madame des Grassins, indem sie ihm verstohlene Blicke zuwarf.

      »Siebenundvierzig!« rief der alte Abbé, »setzen Sie, Madame des Grassins; es ist doch wohl Ihre Nummer?«

      Monsieur des Grassins legte ein Glasplättchen auf die Karte seiner Frau, die, von traurigen Vorahnungen ergriffen, abwechselnd auf den Cousin aus Paris und Eugénie starrte, ohne an das Lotto zu denken. Die junge Erbin warf ab und zu einen heimlichen Blick auf ihren Cousin, und die Frau des Bankiers konnte in diesen Blicken bald ein Wachsen an Bewunderung und Neugier wahrnehmen.

      Monsieur Charles Grandet, ein hübscher junger Mann von zweiundzwanzig Jahren, bot einen seltsamen Kontrast mit den guten Provinzlern, die seine aristokratischen Manieren empörten und die sein Benehmen eifrig studierten, um sich insgeheim darüber lustig zu machen.

      Das bedarf einer Erklärung. Mit zweiundzwanzig Jahren sind die jungen Leute ihrer Kindheit noch nahe genug, um Gefallen an Kindereien zu finden, und gewiß trifft man unter hundert von ihnen neunundneunzig, die sich ebenso betragen haben würden, wie Charles Grandet sich benahm. Einige Tage vor diesem Abend hatte sein Vater ihn veranlaßt, für ein paar Monate zu seinem Bruder nach Saumur zu fahren. Vielleicht dachte Monsieur Grandet in Paris an Eugénie. Charles, der zum erstenmal in die Provinz geraten sollte, kam auf den Einfall, dort mit aller Überlegenheit eines jungen Mannes, der mit der Mode geht, aufzutreten. Er wollte durch seinen Luxus verblüffen, Aufsehen erregen und das Raffinement des Pariser Lebens veranschaulichen. Kurz, er wollte in Saumur noch mehr als in Paris seine Zeit darauf verwenden, sich die Nägel zu pflegen; in der auserlesensten Aufmachung aufzutreten, die ein eleganter junger Mann nur selten zugunsten einer nicht der Grazie entbehrenden Nonchalance aufgibt.

      Charles stattete sich also mit dem entzückendsten Jagdkostüm, der entzückendsten Jagdflinte, dem entzückendsten Hirschfänger von Paris aus. Er versah sich mit einer Auswahl der interessantesten Westen: da waren graue, weiße, schwarze, goldkäferfarbene und mit Flitter benähte Westen, bunte und doppelreihige Westen, Westen mit spitzem Ausschnitt und solche mit schalartigem Umschlag, hochgeschlossene Westen und Westen mit Goldknöpfen. Er führte alle damals beliebten Varietäten von Kragen und Krawatten mit sich, zwei Gesellschaftsanzüge und die allerfeinste Leibwäsche. Er nahm sein goldenes Reisenecessaire mit; es war ein Geschenk seiner verstorbenen Mutter. Er nahm alle einem Stutzer unentbehrlichen Kleinigkeiten mit, darunter ein entzückendes Schreibzeug, das ihm die – für ihn wenigstens – liebenswürdigste der Frauen geschenkt hatte, die er Annette nannte und die sich gegenwärtig mit ihrem Gatten auf einer langweiligen Reise durch Schottland befand, einer Reise, die der Gemahl infolge einiger Verdachtsmomente eingeleitet hatte. Und er hatte sehr schönes Briefpapier mitgenommen, um seiner Annette alle vierzehn Tage einen Brief zu schreiben. Kurzum, es war eine ganze Schiffsladung unnützer Pariser Sächelchen – eine Sammlung; so vollständig, als es ihm nur möglich war; angefangen von der zur Einleitung eines Duells unentbehrlichen Reitpeitsche bis zu den schön ziselierten Pistolen, die dasselbe abschließen, enthielt sie alles Handwerkszeug, dessen ein junger Müßiggänger bedarf, um den Acker des Lebens zu bebauen.

      Da sein Vater ihn gebeten hatte, allein und bescheiden zu reisen, hatte er einen eigens für ihn reservierten Eilwagen benutzt, wodurch es ihm möglich war, den für die spätere Reise zu seiner Annette bestellten eigenen Reisewagen vorläufig unberührt zu lassen; er wollte mit