Оноре де Бальзак

Gesammelte Romane: 15 Romane in einem Band


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Wagen hält hoffentlich etwas aus?«

      »Aushalten, Monsieur? Ho, ja! Der trägt seine dreitausend. Was wiegt es denn, Ihr drolliges Fäßchen?«

      »Na«, sagte Nanon, »ich sollt das ja wohl wissen! 's wird schon so seine achtzehnhundert haben.«

      »Wirst du still sein, Nanon! – Du sagst also meiner Frau, ich sei über Land gefahren. Ich werde zum Mittagessen hier sein. – Fahr tüchtig zu, Cornoiller; ich muß vor neun Uhr in Angers sein.«

      Der Wagen fuhr davon. Nanon verriegelte das große Tor, ließ den Kettenhund los, legte sich mit schmerzender Schulter schlafen, und niemand im Städtchen hatte von der Abreise Grandets oder von seinen Absichten eine Ahnung. Der Biedermann war ein Meister an Vorsicht. Niemals sah jemand einen Sou in diesem goldgefüllten Hause.

      Der Weinbauer, der am Morgen am Hafen davon hatte reden gehört, daß infolge der in Nantes vorgenommenen umfangreichen Ausrüstungen der Wert des Goldes um das Doppelte gestiegen sei, und daß in Angers Spekulanten eingetroffen seien, um Gold zu kaufen, erreichte es – indem er einfach von seinen Pächtern ein Gespann entlieh –, daß er sein Gold dort verkaufen und nun die Summe heimbringen konnte, die zum Ankauf der Rentenpapiere unter Zuschlag des Agio notwendig war. ›Mein Vater fährt fort‹, sagte sich Eugénie, die droben an der Treppe alles gehört hatte.

      Im Hause herrschte wieder Schweigen, und das ferne Rollen des Wagens, das nach und nach erstarb, weckte kein Echo mehr im schlafenden Saumur. In diesem Augenblick vernahm Eugénie – früher noch mit dem Herzen als mit dem Ohr – einen Klagelaut, der aus dem Zimmer des Cousins kam. Ein Lichtstreifen, fein wie eine Säbelklinge, drang durch die Türritze und spaltete das Treppengeländer in zwei Teile.

      »Er leidet«, flüsterte sie, zwei Stufen hinaufsteigend.

      Ein zweiter Seufzer lockte sie bis an die Türschwelle droben. Die Tür war angelehnt; sie schob sie auf. Charles schlief; sein Kopf hing seitwärts über die Lehne des Sessels herab; die Hand, der die Feder entfallen war, berührte fast den Boden. Das fast röchelnde Atmen des jungen Mannes, eine Folge seiner schlechten Lage im Stuhl, erschreckte Eugénie; sie trat ein.

      ›Da kann er allerdings müde sein‹, sagte sie sich, als sie etwa ein Dutzend versiegelter Briefe liegen sah. Sie las die Adressen: An Messieurs Farry, Breilmann & Co., Wagenbauer. An Monsieur Buisson, Schneider, . . .

      ›Er hat gewiß alle seine Angelegenheiten geordnet, um bald Frankreich verlassen zu können‹, dachte sie.

      Ihr Blick fiel auf zwei offene Briefe. Sie las die Anfangsworte des einen: ›Meine liebe Annette . . .‹ Ein Schwindel erfaßte sie. Ihr Herz hämmerte, ihre Füße klebten am Boden.

      ›Seine liebe Annette! Er liebt – er wird geliebt! Keine Hoffnung mehr! . . . Was sagt er ihr?‹

      Diese Gedanken gingen ihr durch Herz und Hirn. Überall las sie die Worte, sogar in Flammenschrift auf dem Fußboden.

      ›Schon ihm entsagen! – Nein, ich werde den Brief nicht lesen. Ich muß wieder gehen . . . Wenn ich ihn nun dennoch lesen würde?‹

      Sie blickte auf Charles, hob sanft seinen Kopf und legte ihn auf die Rücklehne des Sessels; und er ließ es geschehen, wie ein Kind, das selbst im Schlaf die Mutter erkennt und, ohne zu erwachen, ihre Sorgfalt, ihre Küsse hinnimmt. Wie eine Mutter hob Eugénie Charles' schlaff niederhängende Hand in eine bequemere Lage und küßte ihn leise aufs Haar. ›Liebe Annette!‹ . . . ein kleiner Teufel schrie ihr die Worte ins Ohr.

      ›Ich weiß, ich tue vielleicht unrecht – aber ich werde den Brief lesen‹, sprach sie zu sich.

      Eugénie wandte den Kopf ab. Ihr Feingefühl, ihre Ehrlichkeit grollten ihrem Plan. Zum erstenmal in ihrem Leben hatte ihr Herz einen Kampf zu bestehen zwischen Gut und Böse. Bis jetzt hatte sie noch wegen keiner Handlung zu erröten gebraucht. Leidenschaft und Neugier rissen sie fort. Ihr Herz weitete sich bei jedem Satz, den sie las, und die prickelnde Glut, die sie bei dieser Lektüre befiel, ließen ihr die Freuden der ersten Liebe noch köstlicher und begehrenswerter erscheinen.

      ›Meine liebe Annette, nichts hätte uns zu trennen vermocht, wäre nicht dies vernichtende Unglück über mich gekommen, das keine Menschenweisheit voraussehen konnte. Mein Vater hat sich erschossen; sein und mein Vermögen ist vollständig verloren. Ich bin Waise in einem Alter, wo ich – infolge meiner Erziehung – kaum lebenserfahrener bin als ein Kind, und ich muß mich trotzdem wie ein Mann aus dem Abgrund emporarbeiten, in den ich gestürzt bin. Ich habe einen Teil der Nacht benutzt, um meine Lage zu berechnen. Wenn ich als ein Ehrenmann Frankreich verlassen will – und das ist zweifellos –, so bleiben mir keine hundert Francs, um in Indien oder Amerika mein Glück zu versuchen. Ja, meine arme Anne, ich werde in einem mörderischen Klima dem Glück nachjagen müssen; in solchen Himmelsstrichen soll es sicher und schnell zu erreichen sein – so sagte man mir. In Paris zu bleiben, könnte ich nicht ertragen. Weder meine Seele noch mein Leib sind geschaffen, Beleidigungen, Kälte und Verachtung zu ertragen – und das ist es, was den Ruinierten, den Sohn des Bankrotteurs, erwartet. Großer Gott! Eine Schuldenlast von zwei Millionen! . . . Ich würde in Paris schon nach der ersten Woche im Duell gefallen sein. Ich werde also nicht mehr dorthin zurückkehren. Selbst Deine Liebe, die zärtlichste und ergebenste Liebe, die jemals das Herz eines Mannes beglückte, könnte mich nicht dorthin rufen. Ach, meine Geliebte, ich habe nicht einmal genug Geld, um hinzufahren zu Dir und Dir einen letzten Kuß zu geben und zu nehmen, einen Kuß, der mir Kraft verleihen könnte zu meinem Entschluß . . . .‹

      »Armer Charles, ich tat recht daran, den Brief zu lesen! Ich habe eine Summe Gold, ich werde sie ihm geben«, sagte Eugénie. Sie trocknete ihre Tränen und nahm die Lektüre wieder auf.

      ›Ich habe noch kaum Zeit gehabt, über meine elende Lage nachzudenken. Wenn ich auch die hundert Louis zur Überfahrt habe, so hätte ich doch keinen Sou für meine Equipierung. Doch nein: ich habe weder hundert Louis noch einen Louis – erst wenn meine Schulden in Paris bezahlt sind, werde ich wissen, was mir an Geld bleibt. Wenn es nichts ist, so gehe ich still nach Nantes und schiffe mich als einfacher Matrose ein und fange dort unten von neuem an, wie jene Energischen angefangen haben, die, als sie jung hinübergingen, nicht einen Sou besaßen und dort in Indien reich geworden sind. Seit heute morgen sehe ich meiner Zukunft kalt ins Auge. Sie ist für mich wohl schrecklicher als für manchen andern, für mich, den eine bewundernde Mutter liebkoste, den der beste der Väter verwöhnte und der gleich bei seinem Eintritt in die große Lebewelt die Liebe einer Anne fand! Ich kannte vom Leben nur die Blüten. Solch ein Glück konnte nicht von Dauer sein. Dennoch, meine geliebte Annette, fühle ich mehr Mut in mir als wohl sonst ein junger Mann in meiner Lage, der durch die Zärtlichkeit der reizendsten Frau von Paris verwöhnt worden und sich im Schoß seiner Familie, seines glücklichen Heims geborgen fühlte und dessen Wünsche seinem Vater Gesetz waren . . . . O mein Vater! Annette, er ist tot . . . . Also höre: Ich habe über meine Lage nachgedacht – auch über Deine Lage. Ich bin in vierundzwanzig Stunden alt und weise geworden. Liebste Anna, wenn Du, um mich in Paris und an Deiner Seite zu behalten, alles opfern würdest: Deinen Luxus, Deine Toiletten, die Loge in der Oper –, so würde sich noch immer nicht die Summe ergeben, die ich bisher für meine dringenden Ausgaben nötig hatte; auch könnte ich so große Opfer gar nicht annehmen. Wir müssen uns also heute für immer Lebewohl sagen.‹

      ›Er trennt sich von ihr! Heilige Jungfrau! Welche Seligkeit!‹

      Eugénie machte einen Freudensprung. Charles regte sich – kalter Schrecken durchfuhr sie. Aber zum Glück erwachte er nicht. Sie las weiter.

      ›Wann werde ich zurückkommen? Ich weiß es nicht. Das Klima Indiens macht den Europäer früh alt, und vor allem den arbeitenden Europäer. Versetzen wir uns einmal in die Zukunft, eilen wir zehn Jahre voraus: in zehn Jahren ist Deine Tochter achtzehn, sie wird Deine Kameradin sein – vielleicht auch ein kleiner lästiger Spion. Die Welt wird grausam gegen Dich sein, Deine Tochter vielleicht noch mehr. Wir haben schon Beispiele gehabt von solcher Hartherzigkeit der Welt und von der Undankbarkeit der jungen Mädchen; ziehen wir unsern Nutzen daraus. Bewahre in der Tiefe Deiner Seele die Erinnerung dieser vier glücklichen Jahre – so wie ich es tun werde – und sei Deinem armen Freunde getreu, wenn Du kannst. Ich werde das nicht auf die Dauer von Dir verlangen können, denn siehst Du, meine geliebte