Vater ihr gesagt hatte, ihr Liebhaberwert aber war hundertundachtzig Francs, infolge der Seltenheit und Schönheit der Stücke, die wie Sonnen strahlten. Ferner fünf Genueser, d. h. fünf Hundertlirestücke von Genua, eine ebenfalls seltene Münze, deren Kurswert siebenundachtzig Francs betrug, für Münzensammler jedoch hundert Francs. Sie hatte sie vom alten Monsieur de la Bertellière erhalten. Ferner drei doppelte spanische Goldpistolen Philipps V., geprägt im Jahre 1729, geschenkt von Madame Gentillet, die bei jedesmaliger Überreichung immer denselben Satz wiederholte: »Dieses reizende Kanarienvögelchen ist achtundneunzig Francs wert. Verwahre es gut, mein Herzchen, es wird die Zierde deiner Sammlung sein.‹ Ferner Stücke, die ihr Vater ganz besonders schätzte – das Gold dieser Münzen hatte etwas über dreiundzwanzig Karat –: hundert holländische Dukaten aus dem Jahre 1756, von einem Wert von je dreizehn Francs. Ferner eine große Seltenheit, ein paar für Sammler sehr wertvolle Münzen: drei Rupien mit dem Zeichen der Waage und fünf Rupien mit dem Zeichen der Jungfrau, alle aus vierundzwanzigkarätigem Gold, das herrliche Geld des Großmogul; ein jedes Stück hatte einen Kurswert von siebenunddreißig Francs vierzig Centimes, für den Kenner aber galt das Stück mindestens fünfzig Francs. Ferner der Napoleon zu vierzig Francs, den sie vorgestern erhalten und gleichgültig zu dem andern in die rote Börse getan hatte.
Dieser Schatz bestand aus lauter neuen und jungfräulichen Stücken, wahren Kunstwerken, über die Grandet gern zu reden liebte und die er sich von Zeit zu Zeit zeigen ließ, um seiner Tochter die prächtige Prägung, die schöne Randverzierung, die kräftigen Lettern zu zeigen, deren reine Konturen noch tadellos erhalten waren. Nun aber dachte sie weder an die Seltenheit der Münzen, noch an die Manie ihres Vaters, noch an die Gefahr, die es ihr bringen würde, sich dieses dem Vater so wertvollen Schatzes zu entäußern; nein, sie dachte an ihren Cousin, und nach einigen Rechenfehlern gelang es ihr schließlich, festzustellen, daß sie ein Vermögen von etwa fünftausendachthundert Francs Kurswert besaß, das aber bei günstigem Verkauf gegen zweitausend Taler einbringen konnte. Beim Anblick dieses Reichtums klatschte sie in die Hände wie ein Kind, das seiner überströmenden Freude Ausdruck geben muß.
So hatten in dieser Nacht sowohl Vater wie Tochter ihr Kapital gezählt: er, um sein Gold zu verkaufen, Eugénie, um das ihre in ein Meer der Liebe zu werfen. Sie tat die Stücke in die alte Börse zurück und stieg damit ohne Zögern wieder hinauf. Der geheime Kummer ihres Cousins ließ sie die Nacht vergessen und alle Konvention; sie fühlte sich von einer starken Kraft beseelt, der Kraft des guten Gewissens, der Aufopferung, der inneren Glückseligkeit.
Im selben Augenblick, als sie, in einer Hand die Kerze, in der andern ihre Börse, oben bei Charles wieder eintrat, erwachte dieser; sein Erstaunen war grenzenlos. Eugénie trat näher, stellte die Kerze auf den Tisch und sagte mit bewegter Stimme: »Mein lieber Cousin, ich muß Sie um Verzeihung bitten, ich habe ein großes Unrecht an Ihnen begangen; aber Gott wird mir die Sünde vergeben, wenn Sie es zuerst tun.«
»Aber was denn?« fragte Charles, sich die Augen reibend.
»Ich habe die beiden Briefe hier gelesen.«
Charles wurde rot.
»Wieso das geschehen ist?« fuhr sie fort; »weshalb ich zu Ihnen heraufgestiegen bin? In Wahrheit, jetzt weiß ich es nicht mehr. Aber ich kann es wirklich nicht allzusehr bedauern, diese Briefe gelesen zu haben, denn sie haben mir Ihr Herz enthüllt, Ihre Seele und . . .«
»Und was?« fragte Charles.
»Und Ihre Pläne, und daß Sie dringend einer Summe bedürfen . . .«
»Meine liebe Cousine . . .«
»Still, still, lieber Cousin! Nicht so laut, wir wollen niemanden wecken.« Sie öffnete die Börse. »Hier sind die Ersparnisse eines armen Mädchens, das keine Bedürfnisse hat. Charles, nehmen sie an! Heute morgen noch wußte ich nicht, was Geld für eine Sache ist. Sie haben es mich gelehrt: es ist ein Mittel zum Zweck; das ist alles. Ein Cousin ist fast ein Bruder; Sie können sich getrost die Börse Ihrer Schwester ausleihen.«
Eugénie, die ebensoviel Weib war wie junges Mädchen, hatte eine Weigerung nicht vorausgesehen; der Cousin aber blieb stumm.
»Sie weisen es wirklich zurück?« fragte Eugénie, deren Herzschläge in dem tiefen Schweigen hörbar waren.
Es beschämte sie tief, daß er so zögerte. Aber die Notlage, in der er sich befand, trat ihr noch lebhafter vor Augen, und sie sank in die Knie.
»Ich werde mich nicht eher wieder erheben, als bis Sie das Geld angenommen haben!« sagte sie. »Mein Cousin, Erbarmen! Antworten Sie! . . . Damit ich weiß, ob Sie mir die Ehre erweisen, ob Sie edel sind, ob . . .«
Als Charles diesen Verzweiflungsschrei eines reinen, vornehmen Herzens hörte, ergriff er die Hand der Cousine, um sie emporzuziehen, und seine Tränen fielen auf diese Hand. Als Eugénie die warmen Tropfen spürte, sprang sie auf, ergriff die Börse und schüttete den Inhalt vor ihm auf den Tisch aus.
»Also ja, nicht wahr?« sagte sie, vor Freude weinend. »Seien Sie unbesorgt, lieber Cousin, Sie werden reich werden. Dies Gold wird Ihnen Glück bringen; eines Tages werden Sie es mir zurückgeben; oder wir wollen uns zusammentun; ich bin ja zu allen Bedingungen bereit, die Sie mir auferlegen. Aber Sie dürfen diese Gabe nicht gar zu hoch bewerten.«
Charles fand endlich Worte: »Ja, Eugénie, ich hätte eine recht kleinliche Seele, wenn ich mich jetzt noch weigern wollte. Doch – umsonst ist der Tod! – Vertrauen gegen Vertrauen!«
»Was meinen Sie?« fragte sie erschreckt.
»Also passen Sie auf, liebe Cousine, ich habe hier . . .«
Er unterbrach sich und wies auf ein viereckiges Kästchen in Lederfutteral, das auf der Kommode stand.
»Sehen Sie, ich habe da etwas, das mir ebenso teuer ist wie mein Leben. Dies Kästchen ist ein Geschenk meiner Mutter. Seit heute morgen mußte ich daran denken, daß sie, wenn es ihr möglich wäre, wohl gern aus dem Grabe steigen würde, um das Gold zu verkaufen, das ihre Zärtlichkeit auf das Kästchen verschwendete; würde ich selbst das tun, so würde ich eine Entweihung begehen.«
Als Eugénie diese Worte vernahm, preßte sie heftig die Hand des Cousins.
»Nein«, fuhr er nach einer kurzen Pause fort, während der sie einander mit tränenfeuchten Blicken ansehen, »nein, ich möchte diese Reliquie nicht mit auf die Reise nehmen; sie könnte verlorengehen oder beschädigt werden. Liebe Eugénie, Sie sollen ihr Hüter sein. Niemals hat ein Freund dem Freunde ein heiligeres Kleinod anvertraut. Urteilen Sie selbst.«
Er holte das Kästchen herbei, nahm es aus dem Futteral, öffnete es und zeigte seiner erstaunten Cousine ein goldenes Reisenecessaire von wundervoller Arbeit, die den Metallwert noch bei weitem überstieg.
»Was Sie hier bewundern, ist nichts«, sagte er, auf eine Feder drückend, worauf ein doppelter Boden sichtbar wurde. »Hier sehen Sie, was mir über alles auf der Welt wertvoll ist.«
Er nahm zwei Porträts heraus, zwei Meisterwerke von Madame de Mirbel; sie waren von kostbaren Perlen umrahmt.
»Oh, die schöne Dame! Ist es nicht die Dame, an die Sie soeben geschrieben . . .?
»Nein«, sagte er lächelnd. »Diese Frau ist meine Mutter, und hier ist mein Vater. Es sind die Bilder Ihres Onkels und Ihrer Tante. Eugénie, ich möchte Sie auf Knien beschwören, mir dies Kleinod zu hüten. Sollte ich zugrunde gehen und Ihr kleines Vermögen verlieren – dies Gold wird Sie schadlos halten; und – nur Ihnen kann ich diese beiden Porträts anvertrauen; Sie sind es wert, sie zu bewahren; aber vernichten Sie sie später, damit sie nach Ihnen nicht in andere Hände kommen . . .« Eugénie schwieg. »Also ja, nicht wahr?« fügte er liebenswürdig hinzu.
Als sie dieselben Worte hörte, die sie soeben ihm gegenüber angewendet hatte, dieselbe liebliche Bitte, warf sie ihm den ersten innigen Liebesblick zu, einen Blick, in dem wohl ebensoviel Koketterie wie Tiefe lag. Er ergriff ihre Hand und küßte sie.
»O reiner Engel! Nicht wahr, zwischen uns soll das Geld niemals eine Rolle spielen? Das Gefühl, das es anzuwenden weiß, soll für uns von nun ab alles sein.«
»Sie sehen Ihrer Mutter ähnlich. Hatte sie eine ebenso sanfte Stimme wie Sie?«
»Oh!