ich verfluche dich – dich, deinen Cousin und deine Kinder! Hörst du? Niemals wird dir daraus etwas Gutes erwachsen, nie! Wenn es dieser Charles gewesen sein sollte – aber nein, das ist unmöglich. Wie! Dieses elende Zierpüppchen sollte mich ausgeplündert haben? . . .«
Er blickte die Tochter an, die stumm und kalt blieb.
»Sie rührt sich nicht, sie zuckt nicht mit der Wimper, sie ist mehr Grandet, als ich je Grandet gewesen bin. Du hast hoffentlich dein Gold nicht für gar nichts hingegeben. Laß sehen, sag?«
Eugénie warf ihrem Vater einen ironischen Blick zu, der ihn sehr verletzte.
»Eugénie, du bist bei mir, bei deinem Vater. Solange du hier bist, mußt du dich meinen Anordnungen fügen, Die Religion gebietet dir, mir zu gehorchen.«
Eugénie senkte den Kopf.
»Du beleidigst mich in dem Teuersten, das ich besitze«, fuhr er fort; »ich will und muß dich unterworfen sehen, demütig. Geh auf dein Zimmer. Dort wirst du bleiben, bis ich dir gestatte, es zu verlassen. Nanon wird dir Wasser und Brot bringen. Hast du mich verstanden? Marsch!«
Eugénie brach in Tränen aus und flüchtete zu ihrer Mutter.
Nachdem Grandet ein paarmal durch den Garten, in dem hoher Schnee lag, gewandert war, ohne sich an den starken Frost zu kehren, fiel ihm ein, seine Tochter werde wohl zu seiner Frau geeilt sein; und entzückt davon, sie bei der Nichtbefolgung seines Befehls zu ertappen, klomm er behende wie ein Kätzchen die Treppe hinauf und erschien im Zimmer seiner Frau gerade, als sie Eugénies Haar streichelte, deren Gesicht im Schoße der Mutter lag. »Beruhige dich, mein armes Kind – auch dein Vater wird sich beruhigen.«
»Sie hat keinen Vater mehr!« donnerte der Böttcher. »Haben denn Sie und ich, Madame Grandet, dieses ungeratene Kind in die Welt gesetzt? Schöne Erziehung das, schöne Frömmigkeit! – Wie, du bist nicht in deinem Zimmer? Marsch ins Gefängnis, ins Gefängnis, Mademoiselle!«
»Wollen Sie mir mein Kind nehmen, Monsieur?« sagte Madame Grandet mit fieberheißen Wangen.
»Wenn Sie sie behalten wollen, entführen Sie sie! Macht beide, daß ihr aus dem Hause kommt! . . . Donner und Doria, wo ist das Gold? Was hat sie mit dem Gold angefangen?«
Eugénie erhob sich, blickte ruhig und stolz den Vater an und ging in ihr Zimmer, das der Vater sofort hinter ihr abschloß.
»Nanon«, rief er, »lösch das Feuer im Saal aus!«
Er setzte sich im Zimmer seiner Frau neben den Kamin und sagte: »Sie hat es gewiß diesem elenden Verführer Charles gegeben; der wollte ja nichts anderes als unser Geld.«
Madame Grandet fand in der Gefahr, die ihre Tochter und ihre Liebe zu dieser Tochter bedrohte, Kraft genug, um scheinbar gleichgültig zu bleiben; sie verhielt sich taub und stumm. »Ich habe von alledem nichts gewußt«, erwiderte sie, indem sie sich zur Wand drehte, um den funkelnden Blicken ihres Mannes auszuweichen. »Ich leide so sehr unter Ihren Zornausbrüchen, daß – wenn ich meinen Ahnungen glauben darf – ich nur als Tote dies Bett wieder verlassen werde. Sie hätten wenigstens jetzt auf mich Rücksicht nehmen sollen, Monsieur, auf mich, die – wie ich denke – Ihnen niemals Kummer gemacht hat. Ihre Tochter liebt Sie, sie ist so unschuldig wie ein neugeborenes Kind; bereiten Sie ihr keinen Schmerz, widerrufen Sie den Arrest. Der Frost ist sehr stark, Sie könnten die Veranlassung sein, daß sie ernstlich erkrankte.«
»Ich werde sie weder sehen noch mit ihr sprechen. Sie hat in ihrem Zimmer zu bleiben – bei Wasser und Brot –, so lange, bis sie ihren Vater zufriedengestellt hat. Zum Teufel! Das Haupt der Familie darf doch wohl erfahren, was aus dem Gold in seinem Hause wird. Sie besaß wahrscheinlich die einzigen Rupien, die es überhaupt in ganz Frankreich gibt, ferner Genueser, Holländer . . .«
»Monsieur, Eugénie ist unser einziges Kind, und selbst wenn sie das Geld ins Wasser geworfen hätte . . .«
»Ins Wasser!« schrie der Biedermann, »ins Wasser! Sie sind toll, Madame Grandet. Es bleibt bei dem, was ich gesagt habe. Wenn Sie den Frieden wollen, so fragen Sie sie aus, Ihre Tochter, ziehen Sie ihr die Würmer aus der Nase; die Frauen verstehen das untereinander besser. Was sie auch getan haben mag, ich kann sie ja nicht fressen. Hat sie Angst vor mir? Und wenn sie ihren Cousin von Kopf bis zu Fuß in Gold gesteckt hat – der schwimmt nun auf dem Wasser! Wir können ihm nicht nachlaufen . . .«
»Nun also, Monsieur . . .«
Ihr nervöser Anfall und das Unglück ihrer Tochter, das Madame Grandets Liebe und Intelligenz vertieft hatte, hatte sie scharfsinnig gemacht. Sie sah im selben Augenblick, als sie antworten wollte, daß Grandets Nasengeschwür Sturm verkündete, und blitzschnell änderte sie ihren Gedankengang, ohne aber den Ton zu ändern: »Nun also, Monsieur, habe ich mehr Macht über sie als Sie? Sie hat mir nichts gesagt; sie kann schweigen, gerade wie Sie, ihr Vater, das können.«
»Gerechter Gott! Wie gesprächig Sie heute sein können! Ta ta ta ta! Sie führen mich wohl an der Nase herum, was? Sie sind womöglich mit ihr im Einverständnis?« Er sah seine Frau drohend an.
»Wahrhaftig, Monsieur Grandet, wenn Sie mich töten wollen, brauchen Sie nur so fortzufahren. Ich sage Ihnen, Monsieur, und kostete es mein Leben, ich wiederhole es: Sie handeln unrecht an Ihrer Tochter; sie ist vernünftiger als Sie. Dieses Geld gehörte ihr, sie hat davon nur einen guten Gebrauch machen können, und Gott allein hat das Recht, unsere guten Werke zu kennen. Monsieur, ich beschwöre Sie, seien Sie gütig zu Eugénie! . . . Damit könnten Sie den Schlag mildern, den Ihr Zorn gegen mich geführt hat, und mir vielleicht das Leben retten. Meine Tochter, Mann! Geben Sie mir mein Kind zurück!«
»Ich räume das Feld«, sagte er; »in meinem Hause ist es nicht mehr auszuhalten. Frau und Tochter haben eine Beredsamkeit, als ob – Pfui, pfui! Eugénie, mir solch ein Neujahrsgeschenk zu machen!« schrie er. »Ja, ja, weine nur! Was du tust, das wirst du noch schmerzlich bereuen. Was nützt es dir, daß du alle Vierteljahr sechsmal das Abendmahl nimmst, wenn du das Gold deines Vaters an so einen Nichtstuer verschleuderst, der dir das Herz zerreißen wird, wenn du ihm nichts anderes mehr zu geben hast. Du wirst ja sehen, was dein Charles wert ist mit seinen Saffianschuhen und seinem Rührmichnichtan-Gesicht. Der hat kein Herz und keine Seele, sonst würde er nicht wagen, einem armen Mädchen hinter dem Rücken der Eltern seinen kleinen Sparschatz zu rauben.«
Als die Haustür ins Schloß fiel, schloß Madame Grandet die Tür zum Zimmer ihrer Tochter wieder auf, und Eugénie setzte sich zur Mutter ans Bett. »Sie haben viel Mut gehabt für Ihr Kind«, sagte sie.
»Du siehst, mein Kind, wohin verbotene Dinge führen! . . . Du hast mich dazu gebracht, eine Lüge zu sagen.«
»Oh! ich werde Gott bitten, nur mich dafür zu strafen.«
»Ist es wahr«, fragte Nanon, die bestürzt hereinkam, »daß Mademoiselle bis ans Ende ihrer Tage bei Wasser und Brot eingesperrt werden soll?«
»Was tut das, Nanon?« sagte Eugénie ruhig.
»So will ich nie mehr einen Bissen Zukost essen, solange die Tochter des Hauses sich mit trockenem Brot begnügen muß . . . gewißlich nein!«
»Kein Wort mehr davon, Nanon«, sagte Eugénie.
»Gut, ich will nichts mehr sagen, aber Sie werden sehen!«
Zum erstenmal seit vierundzwanzig Jahren speiste Grandet allein.
»Da sind Sie also Witwer, Monsieur?« sagte Nanon zu ihm. »Das ist recht ungemütlich, Witwer zu sein, wenn man zwei Frauen im Hause hat.«
»Habe ich dich um deine Meinung gefragt? Halt dein Maul, oder ich werfe dich hinaus! Was hast du denn im Topf am Feuer? Ich höre doch etwas kochen.«
»Das ist Fett, das ich auslasse.«
»Heute abend kommt Besuch. Mach Feuer an.«
Die Cruchots, Madame des Grassins und ihr Sohn kamen um acht Uhr und verwunderten sich, weder Madame Grandet noch ihre Tochter zu sehen.
»Meiner Frau ist nicht ganz wohl; Eugénie ist bei ihr«, erwiderte der alte Weinbauer, ohne eine Miene zu verziehen.
Nach einer Stunde gleichgültiger Unterhaltung kam Madame des Grassins, die zu Madame Grandet