Nina Kayser-Darius

Kurfürstenklinik Staffel 6 – Arztroman


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dort leben, wo du bist«, sagte sie dann. »Hauptsache ist, wir sind zusammen – gesund und glücklich.«

      Und glücklich gingen sie gleich darauf zu ihrem Wagen und fuhren zur Kurfürsten-Klinik, wo ein strahlendes kleines Mädchen seinen Papi mit einem Freudenschrei begrüßte, der laut durch den Klinikflur hallte.

      Aber es gab niemanden, der Tanja deswegen gerügt hätte. Im Gegenteil, alle freuten sich mit der kleinen Familie, die endlich wieder vereint war.

      *

      »Dr. Winter, bitte in die Notaufnahme! Herr Dr. Winter – dringend in die Notaufnahme!« Die Lautsprecherdurchsage war in der Caféteria der Kurfürsten-Klinik überlaut zu hören.

      »Um Himmels willen, was mag denn jetzt schon wieder passiert sein?« murmelte Olivia, die junge Bedienung, und nahm geistesgegenwärtig das Tablett an, das ihr Adrian Winter in die Hände drückte.

      Seit dem frühen Morgen stand der Arzt in Bereitschaft, und bisher hatte er nicht eine Minute Ruhe gefunden. Jetzt, am späten Nachmittag, hatte ihn der Hunger für einen Moment in die Kantine getrieben.

      »Ich brauche dringend eine Stärkung, sonst wird mir schwarz vor Augen«, hatte er zu Schwester Claudia gesagt.

      »Noch einen Kaffee? Ich hab’ auch Kekse«, hatte sie angeboten.

      »Danke, das ist lieb von dir, aber ich brauche was Handfestes. Ich hole mir schnell ein Schnitzel. Oder vielleicht erwische ich noch ein Stück von dem Rotbarsch-Filet, das auf der Karte stand.«

      Nun ja, den Rotbarsch hatte er bekommen – aber Zeit, das Essen zu genießen, fand er nicht.

      So schnell es ging, hastete Adrian zurück zur Notaufnahme, wo ihm Schwester Claudia schon aufgeregt entgegenwinkte. »Schnell, hierher«, rief sie.

      Adrian Winter eilte in den größeren der Untersuchungsräume. Und dann sah er es auch schon – ein etwa vier Jahre altes Mädchen lag mit verrenkten Gliedern auf einer Trage, zwei Sanitäter standen blaß daneben. Der ältere von beiden schüttelte nur den Kopf. Da kommt jede Hilfe zu spät, sollte das bedeuten.

      Adrian aber gab so rasch nicht auf. Er kontrollierte den Puls, der kaum noch fühlbar war, sah Dr. Schäfer zu, der eine stark blutende Wunde am Oberschenkel untersuchte und sich von Schwester Monika gerade eine Aortenklemme geben ließ.

      »Hier, die Kopfwunde…« Schwester Claudia trat ans Kopfende und wies auf eine klaffende Wunde am Schädel.

      Adrian mußte schlucken, denn das, was er da sah, ließ jede Hoffnung schwinden. »Was ist da passiert?« fragte er. »Wie hat das Kind sich so verletzen können?«

      »Ein Fenstersturz. Sie ist aus dem sechsten Stock in die Tiefe gefallen.« Der ältere Sanitäter mußte sich räuspern, ehe er weitersprechen konnte. »Die Mutter ist süchtig, der Vater ebenfalls… die Kleine war sich selbst überlassen, wie wir von einigen Mitbewohnern gehört haben.«

      »Und das Jugendamt?«

      »Die kontrollieren regelmäßig die Zustände, waren aber wohl der Meinung, daß sie nicht einschreiten mußten, denn das Kind war nicht verwahrlost.« Der Sanitäter, ein Mann von fast sechzig Jahren, schluckte. »Sie ist so alt wie meine Enkelin«, sagte er dann. »Wenn ich mir vorstelle…«

      »Besser nicht.« Adrian beugte sich wieder über das kleine Mädchen, dessen Atemzüge immer schwächer wurden. Und dann ging noch einmal ein Ruck durch den kleinen Körper – es war vorbei.

      »Verdammt!« Bernd Schäfer trat vom Tisch zurück, er biß sich die Lippen blutig und sah Adrian aus feuchten Augen an. »Warum so ein Kind? Warum nur?«

      »Das fragst du besser nicht.« Adrian wischte sich müde über die Augen. »Aber für die Kleine ist es besser so. Schau dir nur die Kopfwunde an. Die Schädeldecke ist zertrümmert. Wir hätten nicht viel mehr tun können.«

      »Ich weiß. Trotzdem…«

      Adrian winkte müde ab. »Laß gut sein, Bernd. Es kommt eben immer wieder vor, daß wir unsere Grenzen erkennen müssen.«

      Er ging müde hinüber in sein kleines Büro, ließ sich hinter dem Schreibtisch nieder und stützte den Kopf in die Hände. Es war nichts so schlimm wie der sinnlose Tod eines Kindes. Und wenn es auch müßig war, nach Schuldigen zu fragen, nach einem ›Warum‹ und ›Wieso gerade dieser junge Mensch?‹ – Dr. Adrian Winter fühlte sich so elend wie schon lange nicht mehr.

      An Essen war nicht mehr zu denken. Er arbeitete bis zum Ende seines Dienstes weiter und fuhr dann sofort nach Hause. Zum Glück hatte ihm seine liebenswürdige alte Nachbarin, Carola Senftleben, einen Topf mit Gulaschsuppe hingestellt.

      Manchmal hat sie wirklich einen sechsten Sinn, dachte Adrian. Sie weiß, wenn ich so was brauche. Er aß, weil er Hunger hatte. Und wenn ihm auch der rechte Appetit fehlte, so fühlte er sich nach einem Teller Suppe doch schon wieder besser. An diesem Abend ging er früh schlafen, froh, morgen nicht in die Klinik zu müssen.

      Sie hatten, in Absprache mit Dr. Franklin, beschlossen, sich vor der schweren Operation an Susanne Burgmer einen Tag Ruhe zu gönnen. Sie würden lange am OP-Tisch stehen und mit voller Konzentration arbeiten müssen. Da galt es, frisch und ausgeruht zu sein.

      Nur der Anästhesist würde morgen für ein paar Stunden in die Klinik kommen und die Patientin optimal vorbereiten.

      Alle hofften, daß dieser Eingriff gelingen möge, und Susanne war glücklich, als sich am Abend, als sie schon müde von der vorbereitenden Spritze war, Thorsten Franzen noch einmal bei ihr sehen ließ.

      »Ich wünsche Ihnen alles, alles Gute«, sagte er und zog ihre Hand an die Lippen. »Ich weiß, daß der Eingriff gelingen wird – und dann, Susanne, beginnt für uns ein neues Leben.«

      Sie sah ihn aus großen Augen fragend an, doch der Mann lächelte nur und drückte ihre Hand noch ein wenig fester.

      Susanne wollte etwas sagen, fragen, aber die Lider wurden schwer, die Spritze wirkte und sie fiel in einen tiefen, ruhigen Schlaf.

      *

      Obwohl sie noch nie miteinander gearbeitet hatten, war das Team um Dr. Winter sehr gut aufeinander eingespielt. Das merkte man schon nach wenigen Minuten, und der Chefarzt atmete erleichtert auf.

      »Wie sieht’s aus?« erkundigte sich Dr. Franklin und sah kurz zu dem Narkosefacharzt hinüber.

      »Alles bestens. Sie schläft fest, die Herz-Kreislauf-Werte sind gut«, meldete Dr. Roloff. »Von mir aus können Sie anfangen.«

      Der Neurochirurg warf einen letzten Blick in die Runde, er nickte Adrian Winter zu – und der schwere Eingriff konnte beginnen.

      Die Patientin war bäuchlings auf den OP-Tisch gelegt worden, der Mittelteil des Tisches war dann hydraulisch erhöht worden, bis das Eingriffsfeld in der richtigen Position war und die Operateure gut arbeiten konnten.

      Dr. Winter machte die ersten vorbereitenden Handgriffe, assistiert von Bernd Schäfer, der vor Nervosität jetzt schon schwitzte. Er war sich bewußt, daß er einem äußerst seltenen Eingriff beiwohnte und daß er so rasch nicht wieder die Gelegenheit bekommen würde, einem so außergewöhnlichen Operateur wie Dr. Franklin zuzusehen.

      Der Spezialist kümmerte sich, nachdem das OP-Feld freilag, erst einmal um den Tumor, denn das war der wichtigste Teil des Eingriffs.

      Justin Franklin hatte sich für eine minimal-invasive Methode entschieden, das hieß, es wurde nicht geschnitten, sondern die Ärzte wollten versuchen, eine Kanüle so zu legen, daß sie gleich neben dem Rückgrat platziert werden würde. Durch diese Kanüle würden dann das Laserskalpell und eine winzige Kamera eingeführt werden.

      Das Operationsgebiet war auf dem Kontroll-Bildschirm gut zu sehen, und Dr. Winter sagte beeindruckt:

      »Seht mal… der Tumor ist ganz deutlich zu erkennen! Faszinierend! Wenn man sich vorstellt, daß wir nur mit Hilfe modernster Technik so eine Operation durchführen können…«

      »Ja, das Kontrastmittel,