aus meinem Bett natürlich!« Tanja zog die Schultern hoch. Es war ihr ein bißchen kalt.
Susanne sah es und sie wies auf einen Bademantel, der an einem Haken an der Wand hing. »Versuch mal, den Mantel runterzuziehen«, sagte sie. »Dann leg ihn dir um. Ich kann dich nämlich nicht zu mir unter die Decke nehmen. Ich liege in einer Gipsschale. Oder wenigstens in was Ähnlichem.«
»Gips? Was ist das?«
»Ein ganz harter Stoff. Und darin muß ich liegen, bis man mich operiert.«
»Das ist doch doof«, konstatierte Tanja.
Susanne mußte unwillkürlich lächeln. Es war unmöglich, sich dem Charme des kleinen Mädchens zu entziehen. Und es war ihr selbst plötzlich völlig egal, zu wissen, daß diese Fixierung vielleicht ganz überflüssig war, weil sie durch den Tumor eventuell für immer gelähmt sein würde. Was sollten da die Vorsichtsmaßnahmen? hatte sie noch gestern gegrollt. Jetzt war das anders. Jetzt war sie ganz darauf konzentriert, mit der kleinen Tanja zu reden.
»Wenn du so krank bist… warum fragst du meinen Onkel Adrian nicht, ob er dich gesund machen kann?« Tanja hatte den Bademantel erwischt und sich hinein gehüllt. Sie hockte jetzt auf einem Stuhl dicht neben Susannes Bett.
»Ach, jetzt sagst du schon Onkel Adrian!« Susanne lachte.
»Wenn ich doch darf!« Tanja reckte das Kinn ein bißchen vor.
»Hast ja recht. Und ich glaube wirklich, daß dein Onkel Adrian ein sehr guter Arzt ist. Es wäre schon schön, wenn er mir auch helfen könnte.«
»Soll ich mal mit ihm reden?«
Wieder mußte Susanne lächeln, und es war herrlich, für eine Weile mal die Angst vor der Zukunft und die Trauer und Enttäuschung über Jonas’ Verhalten vergessen zu können. Tanja schaffte mit ihrem kindlichen Charme das, was alle Ärzte und Schwestern bisher vergeblich versucht hatten: Sie lenkte Susanne ab und vermittelte mit ihrem kindlichen Vertrauen auf die Kunst Adrian Winters so etwas wie eine Grundlage für das Vertrauen, das auch Susanne dem Arzt entgegenbringen mußte.
»Danke, aber das mache ich schon selbst.« Susanne zog sich den Zeichenblock ein bißchen näher. »Du, ich habe eine Idee: Ich male dich!«
»Toll!« Tanja war begeistert. »Kannst du das denn?«
»Eigentlich schon. Aber jetzt, da ich mich nicht so richtig aufsetzen kann, ist es schon schwieriger.«
»Mach’s trotzdem, ja?« Ehe sie es sich versah, hatte Tanja den Block hochgehoben und sah sich die Zeichnung auf dem obersten Blatt an. »Der ist nett«, urteilte sie dann. »Wer ist das?«
Susanne wurde leicht verlegen. »Ein Mann, den ich zufällig mal hier in der Klinik gesehen habe«, sagte sie dann.
»Ich bin dir nicht zufällig begegnet«, meinte Tanja. »Mir kannst du ruhig auch Arme und Beine malen. Und einen Bauch«, lachte sie. »Mit Schnitt, ja?«
Susanne nickte und begann so gut es ging zu skizzieren. Erst Tanjas Gesicht. Dann, auf einem weiteren Blatt, ihren kleinen Körper, der auf dem OP-Tisch lag, umgeben von zwei Ärzten, die ihr den Bauch aufschnitten. Und dann, auf dem dritten Blatt, eine lachende Tanja, die auf ihren Bauch wies, der mit großen X-en geschlossen war.
»Das will ich auch mal können«, rief das kleine Mädchen begeistert. »Darf ich die behalten?«
»Aber natürlich. Die hab’ ich doch für dich gemacht.«
»Danke.«
»Gern geschehen. Aber jetzt schlag ich vor, daß du schnell wieder in dein Bett gehst, ehe wir zwei Ärger mit der Nachtschwester bekommen.«
»Geht klar.« Tanja zwinkerte. »Morgen darf ich aber wiederkommen, ja? Malst du mir dann einen Hund? Und eine Katze?«
»Versprochen. Doch jetzt ab ins Bett.«
»Tschüs. Du bist nett!« Und schon hatte Tanja sich den Block geschnappt, riß ein paar Blätter ab und war auch schon davongelaufen.
Susanne sah ihr irritiert nach. So ein Wirbelwind! Aber niedlich war die Kleine. Aufgeweckt und amüsant.
Die Kranke griff nach ihrem Block und wollte wieder das Bild aufschlagen, das sie von dem Fremden gezeichnet hatte, der ihr auf dem Weg zur Computertomographie begegnet war.
Doch das Bild war fort! Tanja mußte es mitgenommen haben. Susanne schloß die Augen. Schade. Jetzt mußte sie versuchen, sich das Gesicht des Mannes, der sie irgendwie angerührt hatte, nochmals genau ins Gedächtnis zu rufen…
*
»Na, wie war die Nacht?« Fragend sah Dr. Adrian Winter in die Runde. Es war kurz nach Dienstbeginn, und der Chef der Unfallstation wollte den Arbeitsplan für den Tag festlegen. Heute waren sie ziemlich knapp besetzt. Schwester Walli hatte frei, sie würde mit ihrem Freund ein Konzert besuchen und erst übermorgen zurückkehren. Dr. Schäfer hatte erst am Nachmittag Dienst, und Schwester Claudia lag mit Grippe im Bett.
Also mußten sie alle ein bißchen mehr als normal tun, und auch die junge Lernschwester Bea wurde heute mit Aufgaben betraut, die ihr normalerweise noch nicht zugemutet wurden. Aber Bea war eine sehr engagierte Pflegerin, und Dr. Winter wußte, daß er ihr schon sehr viel zutrauen konnte.
Dr. Roloff, der Anästhesist, war bei der Dienstbesprechung ebenso zugegen wie Dr. Martensen, die Internistin. Unterstützt wurden die Mitarbeiter der Unfallstation an diesem Tag von Pfleger Markus, einem etwa dreißigjährigen Mann, der schon über viel Erfahrung verfügte und normalerweise auf der Intensivstation Dienst tat.
»Schön, daß Sie uns heute helfen, Markus«, sagte Adrian. »Ich hoffe nicht, daß uns mehr als ein hektischer Routinetag bevorsteht.«
Das hätte er wohl besser nicht gesagt, denn kaum waren die Worte ausgesprochen, meldete die Notrufzentrale einen schweren Unfall auf der Autobahn, bei dem es drei Schwerverletzte gegeben hatte.
Zwei Männer wurden mit dem Notarztwagen gebracht, der Dritte gar mit dem Hubschrauber, da er einen Aortenriß hatte und zu verbluten drohte.
Das Team um Dr. Winter bereitete sich hastig, aber ohne unnötige Hektik auf den Noteinsatz vor, und als die Verletzten eintrafen, wurden sie optimal versorgt.
Drei Stunden stand Adrian Winter selbst im OP, und er atmete auf, als es ihm endlich gelungen war, den Mann, der laut Ausweispapiere gerade mal 23 war, zu retten. Zwar würde er noch lange in der Klinik liegen müssen, und auch um einen Reha-Aufenthalt kam er mit Sicherheit nicht herum, aber er würde leben und gesund werden, und das war das einzig Wichtige.
Kurz vor der Mittagspause kam dann ein Anruf von Dr. Julian Franklin, der sein Kommen für den übernächsten Tag ankündigte.
»Was meinst du?« fragte er Adrian, »ist die Patientin dann psychisch so weit wiederhergestellt, daß wir offen mit ihr reden können? Ich finde, sie sollte schon wissen, welches Risiko wir eingehen, wenn wir operieren.«
»Das weiß sie jetzt schon«, antwortete Dr. Winter. »Und ich hoffe sehr, daß sie ihr seelisches Gleichgewicht bis dahin wiedergefunden hat.« Er zögerte, dann sprach er seine Gedanken aus. »Weißt du, der Unfallschock ist es gar nicht, der ihr so zu schaffen macht. Auch nicht der Tumor. Ich denke, daß sie viel mehr darunter leidet, daß der Mann, mit dem sie eine ganze Zeit zusammen war, sich jetzt, in den Stunden der Not, von ihr distanziert hat.«
»Tja, das ist immer schwer zu verkraften. Aber tu dein Bestes, um sie etwas aufzumuntern. Ich halte sehr viel davon, daß Kranke motiviert werden, es fördert den Heilungsprozeß, wenn viel Lebenswille da ist.«
»Das sehe ich genauso«, erwiderte Adrian. »Und ich werde alles tun, was ich kann, um Susanne Burgmer aufzumuntern.«
»In Ordnung, dann sehen wir uns übermorgen.«
»Willst du nicht schon am Abend vorher kommen? Wir könnten uns bei einer guten Flasche Wein zusammensetzen und was erzählen. Ich weiß so wenig von dem, was du in der letzten Zeit erlebt hast.«
Dr.