wieder zur Tür. »Ich mache noch schnell eine letzte Visite und sehe auf Intensiv nach dem Rechten, dann muß ich heim. Meine Frau hat Opernkarten besorgt – und ich will nicht riskieren, daß für Tage der Haussegen schief hängt, nur weil ich nicht rechtzeitig zu Beginn der Vorstellung da war.«
Adrian lachte. »Kann ich verstehen. Was mußt du dir denn ansehen? Wagner?«
»Zum Glück nicht. Irgendwas von Verdi natürlich. Im Verdijahr kommt man an dem Komponisten ja nicht vorbei. Aber das ist mir noch immer am liebsten, ehrlich gesagt.«
»Dann viel Vergnügen. Und grüß schön zu Hause.«
»Mach ich. Bis morgen, Adrian.«
Damit ging Dr. Roloff und Adrian Winter versenkte sich nochmals in die Krankenunterlagen seiner augenblicklichen Sorgenpatientin. Aber was immer er auch erwog und in Gedanken durchspielte – Susannes einzige Rettung bestand in einer Operation!
*
Es ging fast schon auf Mitternacht zu, und in der Kurfürsten-Klinik war relative Ruhe eingekehrt. Nur die Nachtschwestern machten ihre Runden, auf der Intensivstation betreuten zwei Schwestern und drei Pfleger die ihnen anvertrauten Patienten, und im Kreißsaal kam gerade in dem Moment ein gesundes kleines Mädchen zur Welt.
Dr. Schäfer, der in der Notaufnahme Dienst hatte, war bisher noch nicht allzu oft zum Einsatz gekommen, er konnte sich sogar auf einer Liege ausstrecken und ein wenig schlafen.
Schwester Monika und die junge Lernschwester Bea saßen im Aufenthaltsraum und unterhielten sich, während Pfleger Manfred, der noch neu im Team war, sich um einen alten Stadtstreicher kümmerte, der volltrunken gestürzt war und sich eine harmlose, aber stark blutende Kopfwunde zugezogen hatte. Um die zu versorgen, mußte der Arzt nicht geweckt werden.
Manfred war etwa vierzig Jahre alt und schon fast zwanzig Jahre im Dienst. Er kannte sich gut aus und wurde mit fast allen Patienten fertig. So auch mit dem alten Obdachlosen, der froh war, versorgt zu werden. Sogar das Brot, das Manfred organisierte und ihm zusammen mit einem heißen Becher Tee gab, nahm er dankbar an.
»So, dann will ich mal wieder«, meinte er dann.
»Sie können auch noch bleiben«, bot Manfred an. »Hier ist’s ruhig zur Zeit und warm.«
»Laß mal, Junge, ich weiß schon, wo ich in dieser Nacht bleibe«, meinte der Alte und trollte sich, wobei er dankbar das Kuvert mit dem frischen Mull und dem Pflaster einsteckte, das Manfred ihm gab.
Während also allgemein Ruhe in der Kurfürsten-Klinik herrschte, lag Susanne Burgmer mit weit offenen Augen in ihrem Bett und starrte zur Decke hoch. Es gab so viel zu denken, zu grübeln… Susanne dachte an ihre Zukunfts-träume, die so jäh zerplatzt waren, sie dachte an Jonas, der in wenigen Tagen bereits in Budapest sein Rennen fahren würde. Ob er dann noch an sie denken würde? Oder hatte er sich schon so weit von ihr distanziert, daß er gar nichts mehr mit ihr zu tun haben wollte?
Sie schaute zu dem üppigen Rosenstrauß hin, der auf dem kleinen Tisch am Fenster stand. Rote Rosen… eigentlich waren es Blumen der Liebe, aber ihr schien es so, als wären Jonas’ Rosen ein Abschiedsgruß. Und ein Zeichen dafür, wie schnell eine Liebe sterben konnte.
Eine Station weiter lag auch Thorsten Franzen schlaflos in seinem Bett. Was ihn quälte waren die Gedanken an seine Firma, die jetzt für längere Zeit ohne ihn, den Chef, auskommen mußte. Ob die fünf Mitarbeiter es schaffen würden, alle anfallenden Arbeiten zu erledigen?
Thorsten seufzte auf. Er war Architekt und seit drei Jahren sehr gut im Geschäft. Er hatte hervorragende Mitarbeiter, und dennoch… ohne den Chef lief es nie so gut!
Es klopfte leise, dann trat die Nachtschwester ein. »Können Sie immer noch nicht schlafen?« erkundigte sie sich teilnahmsvoll.
»Die Gedanken in meinem Kopf lassen mich einfach nicht zur Ruhe kommen«, gab Thorsten zu. »Aber machen Sie sich keine Gedanken, Schwester Mathilde, morgen hab’ ich Zeit genug, den versäumten Schlaf nachzuholen. Ich kann ja immer noch nicht aufstehen.« Wieder begleitete ein Seufzer diese Worte.
»Sie sollten froh sein, daß Ihr Unfall noch relativ glimpflich abgelaufen ist«, meinte die Pflegerin.
»Glimpflich?« Thorsten richtete sich so gut es ging auf. »Ich liege hier hilflos wie ein Baby – und Sie meinen, alles wäre glimpflich abgelaufen?«
»Sie hätten tot sein können«, gab die grauhaarige Schwester zu bedenken. »Sie ahnen ja nicht, wie viele Motorradunfälle täglich geschehen. Und was ich schon alles gesehen habe«, fügte sie leise hinzu.
Der Mann nickte. »Sie haben wahrscheinlich recht«, gab er zu. »Ich lebe noch – und werde wieder ganz gesund. Dafür muß man wirklich dankbar sein.«
»Gut, daß Sie das so sehen.« Schwester Mathilde lächelte ihm zu. »Versuchen Sie mal abzuschalten«, riet sie. »Vielleicht kann morgen schon alles anders aussehen. Sie werden, glaube ich, morgen nochmals in die Röhre gesteckt, nicht wahr?«
»Dr. Winter sprach davon, ja.«
»Na, dann warten Sie diese Untersuchung mal ab – vielleicht kriegen Sie dann schon Gehgips und tanzen durch die Klinikflure.«
»Sie sind eine Spötterin, Schwester«, lachte Thorsten.
»Ich bin eine erfahrene Frau«, gab die Pflegerin zurück. »Und deshalb sollten Sie in allem auf mich hören.«
»Wird gemacht.« Thorsten legte sich zurück und versuchte wirklich an nichts mehr zu denken. Und wirklich… nach einer Weile kam auch zu ihm der Schlaf.
Am nächsten Morgen fühlte er sich recht gut, und mit einer positiven Einstellung ließ er sich gegen neun Uhr von zwei Pflegern fertigmachen und dann zu einer neuerlichen CT bringen. Seit in der Kurfürsten-Klinik Untersuchungen per Computertomographie durchgeführt wurden, war das teure Untersuchungsgerät häufig besetzt. Auch andere, kleinere Kliniken, schickten Patienten her, damit bei ihnen eine solch umfassende Untersuchung durchgeführt werden konnte.
So kam es, daß Thorsten noch ein wenig warten mußte, da noch ein anderer Patient im Untersuchungszimmer war.
»Tut mir leid, aber das hab’ ich wohl ein bißchen falsch verstanden, entschuldigte sich der junge Krankenpfleger Jürgen bei ihm. »Ich dachte, Sie wären schon um halb elf dran.«
»Kein Problem«, versicherte Thorsten. »Ich bin ja nicht so krank, daß ich nicht hier herumliegen und ein bißchen warten könnte.«
Kaum hatte er den Satz ausgesprochen, öffnete sich schon die große Schiebetür und ein anderes Krankenbett wurde herausgerollt.
Thorsten streifte den Mitpatienten erst mal nur mit einem flüchtigen Blick – und zuckte gleich darauf zusammen. Eine wunderschöne junge Frau lag in dem anderen Bett. Große, ein wenig melancholisch dreinblickende Augen, braune Haare, die leichte Naturlocken hatten, ein sensibler Mund, zarte, ein wenig hochstehende Wangenknochen… Er wußte es genau: Er war in dieser Sekunde seiner Traumfrau begegnet! Wenn man ihm gesagt hätte, daß es so etwas gab – er hätte nur amüsiert gelacht und behauptet, daß es einfach nicht möglich sei, sich Hals über Kopf in einen völlig fremden Menschen zu verlieben.
Doch jetzt… jetzt war es geschehen, und er sah sich diesem Gefühl völlig hilflos ausgesetzt.
Die Fremde rollte an ihm vorüber. Er sah ihren Blick, glaubte ein kleines Lächeln in ihren Mundwinkeln zu entdecken – und dann schob ihn der Pfleger auch schon in den Untersuchungsraum hinein, in dem das CT-Gerät stand.
Thorsten hätte am liebsten einen Fluch ausgestoßen. Warum mußte er gerade jetzt, in diesem Moment, so hilflos sein? Wenn er sich doch aufrichten und laufen könnte! Aber er mußte liegen bleiben, mußte diese Untersuchung über sich ergehen lassen.
Und erst nach einer qualvollen halben Stunde des Wartens erfuhr er endlich den Namen der Mitpatientin, die so großen Eindruck auf ihn gemacht hatte.
»Susanne Burgmer…« Er sagte diese zwei Wörter immer wieder leise vor sich hin, während er angestrengt darüber