Nun vorwärts zu zweien, ich habe die Schlüssel zu jeder Tür, und hier – sind wir in – den Gemächern des alten Herrn! Puh, was für eine Luft!«
Wir standen in dem Zimmer des Herrn Grafen und warfen einen Blick in sein Schlafgemach. Das waren voreinst ziemlich unnahbare, unbetretbare Räume für uns gewesen, aber wir hatten doch als Knaben dann und wann hineingeguckt; heute guckte mir der jetzige Herr des Schlosses scheu über die Schulter, und wir fühlten uns beide nicht sicherer in unserem Fürwitz als vor Jahren.
»Wir hätten jedenfalls besser getan, zuerst in den oberen Stock hinaufzusteigen, Ewald. Dort haben wir wenigstens die Sonne der Gegenwart für uns und nicht diese unheimlichen Laden vor den Fenstern!« flüsterte ich.
»Nicht wahr, es spukt? Es geht um?«
»Ja, es geht um! Die Witwe Warneke hatte recht.«
Die kahlen Räume, die Dämmerung, der Staub und der Schimmel sprachen zu deutlich, als dass ein tröstlicheres Wort mir möglich gewesen wäre. Es war kein Wunder, wenn die Leute aus dem Dorfe dann und wann den letzten Grafen Everstein im Zwielicht oder in der Mitternacht um sein verlorenes, verwildertes Schloss wandern sahen. Dass seine Tochter auf dem Steinhofe bei dem Vetter Just eine Unterkunft in ihrer Not gefunden hatte, machte den Spuk nur noch glaubwürdiger; aber – es war in der Tat so: das war auch mir in diesem Augenblicke das Gespenstischste, dass der lebendige, starke, tapfere Freund diese Mauern wieder beleben, diese Räume wieder zu einem Sitz der Ruhe und des Glückes für das letzte Kind des Hauses zu machen sich vorgenommen hatte.
Wo war das Geräte, das dazu gehörte? Das hatte er nicht mitbringen können aus Irland. Verstoben in alle vier Winde war’s während seiner Abwesenheit im Lebenskampfe. Neu konnte er das Schloss Werden bauen; aber das alte wieder aufzurichten, das war unmöglich, und der Vetter Just auf seinem Steinhofe war kein Beispiel dafür, dass es doch wohl anginge. Der hatte etwas Lebendiges wiedergefunden, als er von seinen Weltfahrten nach Hause und auf den Steinhof zurückkehrte; aber Schloss Werden war tot! Die Fliesen und das Getäfel unter den Füßen, die zerbröckelnden Plafonds über unseren Köpfen, alle Mauern rundum erzählten davon, wie man von und in einem Märchen erzählt: Es war einmal!
Ohne noch weiter miteinander zu reden, stiegen wir jetzt die breite steinerne Treppe mit dem stattlichen Geländer aus künstlich geschnitztem Eichenholz empor zu dem oberen Stockwerk des Hauses. Die Dämmerung, die Dunkelheit, den feuchten Moder ließen wir zwar hinter uns, das Licht, die Sonne fanden wir hier in den Gemächern; aber geirrt hatten wir uns doch, wenn wir geglaubt hatten, dass das uns zu einem leichteren Atemholen verhelfen könne.
Sie kann sehr grausam sein, die Sonne, viel grausamer als die Nacht! Und dass sie lacht, ist nur allzu häufig nicht das Liebenswürdigste an ihr. Dass Hoffnungen getäuscht, Täuschungen zunichte gemacht werden, dass die Vergänglichkeit alles Irdischen dem Menschen klargemacht werden muss, ist zwar eine recht löbliche und vernunftgemäße Aufgabe; aber ist es denn unbedingt notwendig, dass dabei gelacht wird?
Die Dämmerung, die Nacht tun das auch nicht; aber die Sonne tut es, und dem armen, hilflosen Erdbewohner kommt es vielleicht nicht ohne Grund dann und wann in den Sinn, dass sie sich doch wohl auch einmal zu sehr in ihrem Rechte seinen Schmerzen, Hoffnungen und Täuschungen gegenüber fühlen könne.
Wenn die Sonne, der helle Tag sagt: Es war einmal! so ist das ein ganz ander Ding, als wenn die Nacht, die gute alte Mutter, mit tonloser, aber doch mitleidiger Stimme das melancholische Wort ausspricht. Sie, die Nacht, stemmt nie die Arme in die Seite und kreischt und kräht und will’s nie von allen Ecken und Enden her hören, dass sie recht hat; aber der Tag tut das und will das nur zu gern. Ach, und der Mensch könnte recht häufig etwas Besseres tun, als sich darauf zu berufen und von einem Rechte zu sprechen, das so klar sei wie der helle Tag!
In dem Erdgeschoss von Schloss Werden hatten die unberufenen Gäste und Besucher aus der Umgegend hier und da auch wohl eine Fensterscheibe und einige Male hinter den Läden auch einen ganzen Fensterflügel des Mitnehmens wert gehalten, und so vermochte doch noch immer ein frischerer Hauch von außen in die verriegelten, verschlossenen Räume zu dringen: in dem Oberstock fanden wir nicht nur alle Türen verschlossen und unerbrochen, sondern auch alle Scheiben ganz. Das Licht teilte sich da mit dem Staube allein in die Herrschaft. Der Staub wirbelte uns unter den Füßen auf; die Luft wurde durch unser Eindringen seit Jahren zum ersten Mal wieder bewegt, und die Sonne, die durch die schmutzigen, trüben, mit Spinnweb verhängten hohen Bogenfenster drang, kreischte auch hier und lachte gell: Macht euch keine Illusionen! – Und hier – hier war das Reich der Frauen des Hauses Werden gewesen, und hier war das Kind aufgewachsen, das jetzt als kummervolle Frau, für welche der tapfere Mann an meiner Seite das Alte neu machen wollte, auf dem Steinhofe saß!… Ach, für wie ehrlich hielten wir die Sonne, als wir selber in unserer Kindheit und Jugend in diesen Räumen lachten oder unser junges Leben zuweilen so drollig ernsthaft nahmen!
»Ich hätte schon im vorigen Winter den Handel abschließen und nach Hause kommen können«, seufzte der Freund. »Fritz, ich wollte, ich hätte es getan. Wie ein Maikäfer habe ich aber in meiner Dummheit gezählt, eh ich aufflog. Uh, wenn der Mensch nur nicht immerfort ebenso schlau sein wollte, als er dumm ist! Langreuter, ich habe mich noch nie nach Landregen, Schneegestöber und dem erbärmlichsten Hundewetter so sehr gesehnt als an diesem verruchten, nichtswürdigen Sonnentage. Übrigens wollen wir wenigstens doch die Fenster aufmachen oder einstoßen – schon deinetwegen, armer Kerl. Was mich anbetrifft, so kommt es jawohl auf ein bisschen mehr oder weniger Erstickungsgefühl weiter nicht an! Ich habe mein frei Atmen schon drüben jenseits des Kanals diskontiert; – geh du wieder voran, Fritz, – dies hier war ihr Mädchenstübchen, und ich habe mir – drüben in Irland eingebildet – dass sie und es und ich und wir alle geblieben wären, was wir waren!«
Elftes Kapitel
Einst hatte sich die Tür lautlos in ihren Angeln gedreht, jetzt gab sie nur mit Widerstreben und mit einem schrillen, ärgerlichen Ton nach. Mit angestemmtem Knie hatte ich nachzuhelfen und dachte dabei daran, wie es gewesen war, wenn sich die Mädchen hier in ihrem geheimsten Neste verriegelt hatten und wir gegen ihren Mutwillen, ihr Lachen und Kichern momentan nichts weiter aufzubieten vermochten als durch das Schlüsselloch das alte tröstliche Wort:
»Na, wartet nur! Morgen ist auch noch ein Tag, ihr Mamsellen, und ihr sollt euch ganz gehörig wundern, wenn das Lachen wieder an uns ist! Wer zuletzt lacht, lacht am besten.«
Nun blickten wir aus dem Vorgemach in die geöffnete Tür –
»Da