ist immer noch jung, und du bist auch noch jung, Fritzchen, – wenigstens – wenigstens recht viel jünger als ich; und wenn ich in meiner jetzigen Ruhe und meinem Glück und Behagen an die alten Tage denke, wo ihr junges Volk zum Besuch nach dem Steinhofe kamt, so – – ach, Fritz, Fritz Langreuter, du musst es doch wohl dir selber sagen, was ich in diesem Moment dir sagen möchte! Aber die Frau Irene weiß es auch und hat Eva geküsst und – mich auch, wirklich und wahrhaftig! Wenn du sie gleichfalls fragen willst: sie billigt auch unser Vorhaben, unsere alten Tage in Friede und Glück und in der alten Freundschaft mit der ganzen alten Heimat zu verleben. Sie hat nicht gemeint, dass es zu spät sei, – sie, die soviel mehr als wir alle übrigen zusammen in der boshaften, stürmischen Welt erlebt hat und es also auch wohl am besten verstehen muss.«
»Sie hat vollständig recht, Just! Aber von uns allen bist auch du nur der einzige, der nie etwas zur unrichtigen Zeit erleben kann, dem alles recht und richtig gekommen ist im Leben, Segen wie Ungemach. Ja, so gnädig waren dir, und dir von uns allen allein, die Götter, als sie dir deine Wiege auf den Steinhof stellten und dich nachher an den Weg setzten –«
»Mit offenem Munde und um Maulaffen feilzuhalten! Ei ja, es wundert mich freilich heute noch, wie viel Abenteuer der Mensch erleben kann, ohne dass er etwas dazu tut. Manchmal ist das gar mein Kummer und Gewissensbiss sozusagen; dann fühle ich es, wie als ob ich eine Stelle in mir hätte, wo ich im größten Tumult wie ein Stück Holz werde, während die anderen sich weiter abängstigen.«
Das stille Licht des Mondes lag über uns und um uns, und der Vetter Just sprach, ohne es zu wissen, von dem Unterschied zwischen den vornehmen Naturen innerhalb der Menschheit und den gewöhnlichen. Er drückte sich eben nur schlecht aus, wenn er da von einem ton- und klanglosen Stück Holz sprach, wo er von der Stelle in seiner Seele hätte erzählen sollen, wohin keine Welle des vorbeifließenden Tages schlagen konnte.
»Ihr werdet ein schönes Leben haben, und mich lasst ihr – alle dann und wann an eurem Herde als euren Historiografen niedersitzen«, sagte ich leise und tief gerührt. »Für Kinder, wie wir waren, als wir zu dir auf den Steinhof zu Besuche kamen, werdet ihr freilich nicht erzählen und werde ich nicht wiedererzählen.«
In und an dem Dorfe Werden hatte sich in den Jahren, während ich es nicht sah, nichts verändert. Es dehnte sich genügend weit in die Länge aus, dass wir vollkommen Zeit hatten, während wir es durchwanderten, uns alles das mitzuteilen, was ich eben hier niedergeschrieben habe. Von den Bewohnern störte uns auch niemand dabei; sie lagen sämtlich im tiefen Schlafe. Es saß keiner bei der Lampe wach – selbst der Pastor und der Kantor nicht. Der Mondenschein hatte das Reich für sich allein, und das war gut; für mich sowohl wie auch für den Vetter Just Everstein. Wären wir bei hellem Tage und unter dem Zudrängen alter Bekanntschaft durch das alte Nest im Grünen gewandelt, so würden wir sicherlich mehr Mühe und Plage gehabt haben, mit unseren Gefühlen und Stimmungen ins reine gegeneinander zu kommen. Sonderbarerweise aber dachte ich in dieser hellen, schönen Nacht, auf dieser Wanderung durch das friedliche vergessene Heimatdorf, nicht ohne ein Gefühl stiller Sicherheit an die große Stadt Berlin, meine kleine Stube und meine Tätigkeit, kurz an das Dasein, das mir dort zuteil geworden war. Es lag ein Gefühl von Wehmut darin, aber doch zugleich eine innerlichste Beruhigung: sie, die anderen alle konnten und durften heimkehren in das alte Leben, wann sie wollten, sie waren da zu Hause, ich aber nicht oder doch nie mehr so, wie sie noch zu jeder Zeit sein konnten. Resignation nennt man das mit einem Fremdwort, das wir wohl nicht so leicht aus dem deutschen Sprachgebrauch loswerden. Die deutsche Welt darf manchmal noch so süß in Mondenlicht und in weiche Redensarten gebettet liegen: wir wollen das scharfe, aber gesunde Wort festhalten und es uns durch kein anderes zu ersetzen suchen.
Am Ausgange des Dorfes nahmen der Vetter und ich für diesmal von neuem Abschied voneinander und trennten uns gottlob im besten Einvernehmen. Er schwang sich ein wenig schwerfällig auf seinen Fuchs und ritt gen Bodenwerder; ich wandelte langsamen Schrittes und unter einigem Selbstgespräch nach der Försterei zurück.
Hier saßen Ewald und Eva wieder bei der Lampe am Tische und hatten wohl das Ihrige gesprochen während meiner Abwesenheit. Das gute Mädchen mochte auch wohl wieder einige Tränen vergossen haben, doch schmerzhafte waren es nicht gewesen. Ein wenig befangen lächelnd sah sie aus ihren lieben Augen zu mir auf; doch ich reichte ihr schnell die Hand und sagte:
»Ich habe dem Vetter Just schon Glück gewünscht, Eva, nun lass du es auch dir von mir wünschen. Du weißt es auch schon, Freund Ewald, was für eine neue Freude dem Steinhofe von unserem Geschick zugedacht ist?«
»Ja, sie hat es mir so ruhig gesagt, wie sie uns immer alles ruhig sagte. Darin hat sich an ihr nicht das mindeste geändert. Aber sie passen nur desto besser zueinander, und die Jahre, die sie gebraucht haben, sich zu finden, sind ihnen ja ebenfalls nur etwas ganz Selbstverständliches gewesen. Nicht wahr, mein Herz, mein Herzensmädchen, um ein Glück, das aus den Wolken fiele, würdet ihr eine geraume Zeit herumgehen, ehe ihr es vom Boden aufhöbet. Doch ob ihr nicht darum gerade die Glücklichen seid, gewesen seid und sein werdet, das ist an dem heutigen Abend für mich eine Frage, die einen sein wüstes, wirres Lebenswerk noch einmal wie im Fluge von neuem tun lässt. Och, arrah, arrah, komme ich noch einmal auf die Welt, so tue ich vielleicht auch meine Arbeit, ohne auf das Glück zu zählen, das aus den Wolken fällt! Selbst auf die Gefahr hin, dass man in Bodenwerder und Dorf Werden samt Umgegend selbstverständlich sagen wird: Auf das Glück, das aus den Wolken fällt, hat der Schlingel immer einzig und allein gerechnet – ja, da sieht man’s nun!«
»Mir ist das Herz so voll, dass ich gar nichts zu sagen weiß«, flüsterte Eva. »Lieber Friedrich – lieber Bruder Ewald, wir müssen alle, alle glücklich und zufrieden sein. Das Schicksal kann es ja nicht böse mit uns meinen, es hätte uns sonst wohl nicht diesen Abend geschenkt. Wir sind wieder alle zu Hause, und das ist doch die Hauptsache! Morgen wollen wir von dem Schloss Werden und von Irene sprechen – wir haben ja eigentlich noch von nichts vernünftig geredet. Nimm es nur nicht übel, Fritz: im Grunde bist du doch der einzige von uns gewesen, der alle seine fünf Sinne ordentlich beieinanderhalten konnte!«
»Und da kräht wirklich und wahrhaftig der erste Werdener Hahn den Morgen an«, sagte ich, um doch etwas zu erwidern. »Glückauf in der Heimat, Freund Ewald!«
Ich hatte ihn durch einen Schlag auf die Schulter von neuem aus seinem nachdenklichen Hinbrüten zu wecken.
»Was hast du gesagt?« fragte er zerstreut.
»Wir wollen doch noch den Versuch machen, vor Sonnenaufgang unter dem alten Heimatsdache einen glücklichen Traum zu träumen.«
»Ich habe alles oben