will noch vierzig Jahre älter werden, von dieser Stunde an gerechnet, bloß um vierzig Jahre lang von dir zu hören, was für ein Esel von Kindesbeinen an in mir gesteckt hat und dass meine einzige Entschuldigung ist, dass – ich es nur zu gern getan habe und also nichts dafür kann!«
»Der Vater…!« stammelte sie. »Ist es denn wahr, Bruder?… Es war wohl ein Gerücht seit einiger Zeit, doch – – O, der Vater, der Vater; er sitzt da am Fenster – er ist so alt geworden und immer noch so sehr gut; – o Ewald, lieber Ewald, aber er hat es mir nicht glauben wollen, dass du wieder zu uns kommen würdest, und es hat ihm keiner mehr von dem Gerücht reden dürfen.«
»Eva«, klang es jetzt von dem Fenster her, »wen hast du denn da, Kind?«
Der alte Mann schob neugierig den Kopf hervor; aber die einst so scharfen Weidmannsaugen reichten nicht mehr so weit in die Abenddämmerung hinein, um die Fremden zu erkennen, die mit seiner Tochter sprachen. Der Irländer hielt meinen Arm so fest, dass es mich schmerzte. Eva Sixtus trat näher an das Fenster heran; sie trocknete ihre Augen und versuchte ruhig und fröhlich zu sprechen, es gelang ihr jedoch schlecht.
»O Vater«, schluchzte sie, »wir haben Besuch bekommen –«
»Das freut mich, Kind, – wenn er mit einem alten Mann vorliebnehmen will. Aber wie sprichst du denn? Was hast du mit dem Tuch?«
»Vater, Besuch aus – vom – Schloss Werden – aus Berlin – aus – England. Lieber Vater, ich freue mich so, und du wirst dich auch freuen. Denke dir, Fritz – der Herr Doktor Langreuter aus Berlin – Herr – Fritz Langreuter –«
»Alle Wetter!« rief der Alte, und der Kater neben ihm tat vor Schrecken einen Satz durch das Fenster und fuhr uns dicht an den Köpfen vorbei über den Hof, um sich, eine Stalleiter aufwärts, mit möglichster Eile in Sicherheit zu bringen. Mr. Ewald und ich hatten zu bleiben und das Weitere abzuwarten.
»Was ist das?« fragte glücklicherweise noch eine Stimme aus der Tiefe der Stube. Wir hörten den Alten sich aufrappeln, und – da stand er auf der Schwelle seiner Amtswohnung, weißhaarig, die einst so scharfen Augen suchend auf uns richtend, auf seinen Stock gestützt, und – über die Schulter sah ihm zu unserem, d. h. zu Ewald Sixtus’ Glück der Vetter Just Everstein, der, wie sich auswies, sehr häufig vom Steinhofe zu seiner Unterhaltung herüberritt und dessen Gaul auch an diesem merkwürdigen Abend wieder einmal im Stall einträchtiglich neben den zwei Kühen des Försterhauses stand.
Er war wieder der einzige, der Vetter Just nämlich, der ganz richtig und zur richtigen Zeit an Ort und Stelle war. Er allein war schuld daran, dass eine Viertelstunde später – eine schlimme Viertelstunde! – der alte Mann mit dem guten Gesicht und der immer noch bitterbösen Falte zwischen den zusammengezogenen weißen, buschigen Brauen die Faust auf einen abgegriffenen Schweinslederband auf dem alten braunen, so teuern Klapptische zwischen den beiden Fenstern fallen ließ und murrte:
»Dieser hier hätte dich kurzab hängen lassen, Ewald, wenn du sein Junge gewesen wärest. Und wäre ich jünger und noch besser bei Kräften und Gedanken, so kämest du mir heute Abend nicht so leicht weg, mein Sohn, das sage ich dir. Da wollte ich das Leben dieses Papstes doch nicht so lange studiert haben, um nicht zu wissen, was ich zu tun hätte!«
»O, lieber Vater«, rief aber Ewald Sixtus, »ist denn nicht das verdammte Buch an der ganzen Geschichte schuld? Kann ich denn dafür, dass du mich alle Augenblicke mit der Nase darauf geduckt hast? Da frage nur den Just und den Doktor da, was sonst leichter im Menschen hängenbleibt als solche guten Lehren und Beispiele! Um auch meinen Willen durchzusetzen, habe ich gleichfalls jahrelang das Maul gehalten. Viel Reden hilft nicht und viel Schreiben macht dumm – frage dreist nur den Doktor hier danach, der kennt aus seiner Praxis genug Leute, die sich in beiderlei nie genugtun konnten und auch nach Hause kamen wie ich und doch noch weniger das Rechte getroffen hatten. Und ich bin doch auch nur darum wieder da, um mich von jetzt an von euch allen – ja allen! – lenken zu lassen wie an einem seidenen Faden, und das ist noch mehr, als du von deinem Papst und unserem allerheiligsten Herrn Namensvetter, Sixtus dem Fünften, behaupten kannst, lieber Papa!«
Der Greis schüttelte den Kopf.
»Ich bin eben zu alt, um mich noch in allen euren Finessen zurechtfinden zu können, habe es auch nie recht gekonnt. Wenn dich dein Gewissen freispricht, so will ich es dir gönnen, mein Sohn, helfen täte es mir ja doch nichts, wenn ich mich auch noch mal abmühte, über die Verschiedenheit der Menschen auf Erden nachzusimulieren und mich über ihr Wesen gegeneinander zu ärgern. Also – lassen wir es gut sein; du bist wieder da und sagst, du habest es zu was gebracht, und das kann mir ja nur lieb sein. Was du unterwegs verloren hast, kann ich nicht taxieren; aber ein reicher Mann bist du geworden, sagen sie im Dorfe und sagt der Vetter Just; und Schloss Werden ist nun auch dein Eigentum; meine Sache ist das nicht, also sieh selber zu, was du mit deinen Ausrichtungen zu deinem Glücke weiter anfängst. Unter diesem meinem Dache will ich dich als einen Gast ansehen, wenn es deine Zeit und Umstände zulassen und du deiner Schwester und mir die Ehre schenken willst. Auch der Fritz – der Herr Doktor Langreuter ist mir willkommen, und das Kind soll auch ihm seinen Stuhl am Tische wieder zurücken. Wie ist es, Just Everstein, kann ich und soll ich noch mehr sagen und tun?«
Der Vetter Just fasste nur die Hand des Greises; Eva trocknete sich die Augen mit dem Schürzenzipfel; wir zwei anderen standen mit den Hüten in den Händen in Wahrheit kläglich genug da – wirklich zwei dumme Buben, die zu spät zum Essen nach Hause gekommen waren, und zwar vom Fischfang in den Bächen dieser Welt, mit der Angelrute über der Schulter und ein paar Gründlingen in einem zerborstenen Henkeltopfe.
Siebentes Kapitel
Dies Gefühl verstärkte sich noch um ein bedeutendes, als wir nunmehr endlich einmal wieder in der niedrigen Stube standen, deren Decke der Förster Sixtus, so gebeugt ihn das Alter haben mochte, immer noch mit ausgestreckter Hand abreichte. Aber Eva hielt den Bruder von neuem fest in den Armen und schluchzte an seiner Brust; und dann reichte sie dem Vetter Just die Hand und sagte leise:
»O, wir danken dir!«
Und dann gab sie auch mir die Hand und versuchte es, durch ihre Tränen zu lächeln, und sie sagte:
»Und Ihnen danke ich auch recht schön und aus vollem Herzen. Es ist so sehr freundlich von Ihnen, dass Sie mit meinem Bruder heim- und hergekommen sind. Nicht wahr, es hat sich wenig bei uns verändert? Wenn Sie es nur noch so behaglich wie in früheren guten Jahren finden!«
Ich griff mit der Hand nach der Kehle, weil eine andere – eine sehr heiße Geisterhand sie mir bedenklich zusammendrückte.
»Ach, Eva – Fräulein Eva –«
Glücklicherweise sprach der alte Herr, der seinen Platz in dem