alten Seligen gewesen, und der hätte oft klüger sein sollen als der dumme tolle Junge aus der Försterei. Da ist der lieben Frau Langreuter ihrer ganz anders gewesen und sittsamer; aber sie sagen, der hat es auch dicke hinter den Ohren gehabt und ist ein Professor geworden und wohnt jetzt, was man nennt, in Berlin. Ja, so werden aus Kindern Leute, und ich habe es als junge Frau auch nicht gedacht, dass ich als alte Frau mal fünf Enkelkinder mit Tagelöhnerarbeit und Hunger und Kummer großziehen müsste. Aber die Herren lassen mich da schwatzen, und ich stehe da auch und schwatze, als wäre ich wie von oben her und vom Pfänder drangekriegt, und – – o du meine Güte – o liebster Himmel – jetzt falle ich um! Das sind Sie!… Das sind Sie ja selber, der kleine Fritz und der – Herr Ewald! Und so gewachsen! Solche Herren! Und wirklich noch im lebendigen Leben! Und wie wird sich der alte Herr Vater und die Schwester freuen, Herr Sixtus. Und die Schwester – ich meine Fräulein Eva, hat noch immer nicht gefreit. Jedermann im Dorfe wundert sich darüber –«
Der Ingenieur hielt die Alte am Oberarm und fing an, sie zu schütteln, um dem Übermaß der Gefühlsäußerungen ein Ende zu machen. Das Hereinsprechen in den Schrecken, die Verwunderung und die zitternde Hast, sich angenehm zu machen, half zu gar nichts weiter, als dass sich gar noch das helle Schluchzen und Schlucken in den Redeschwall mischte –
»Herr, mach ein Ende!« stöhnte fast ebenso erregt wie das graue Weiblein der Werdener Irländer. »Alle Hagel, da ist ja ganz das Ende weg! Witwe Warneke, honey, liebstes, bestes altes Mädchen, ja, wir sind wieder da, und es ist mir im höchsten Grade erfreulich, dass Sie die erste ist, die mir hier auf meinem Grund und Boden – weiß Sie was? Sie kriegt einen Taler von mir, wenn Sie jetzt auch mich und den Herrn Doktor Langreuter hier auf eine halbe Minute zu Worte kommen lässt!«
Die Alte duckte sich. Sie saß nieder neben ihrer Tragkiepe im Kraut und Unkraut des Parkes von Schloss Werden. Sie starrte zu uns empor von einem zum anderen:
»Ach Gott, ach Gott, ist das eine Freude! Und wie werden sich der Herr Vater und Fräulein Eva und die gnädigste Gräfin auf dem Steinhofe freuen! Das Futter aber haben sie sich alle im Dorfe hier im Schlossgarten geholt, seit keine Herrschaft dagewesen ist. Und der Herr Graf soll sich nur des Nachts ums Schloss herum und da in dem Gange, wo zu seiner Zeit die dicken Lindenbäume standen, haben sehen lassen!«
»Wohnt denn niemand mehr in dem Hause da?« fragte ich zögernd und beklommen.
»Wer sollte denn da wohnen? Seit fünf Jahren hat es ja keinen richtigen Herrn mehr gehabt, sondern ist nur immer auf dem Papier weitergegeben. Aber vor vierzehn Tagen ist die alte französische Mamsell – von des Herrn Grafen Seligen Zeiten her –, die Mamsell Martin mal vom Steinhofe ’rübergekommen und ist drumherumgegangen und hat in die Fenster gesehen – bei Tage, nicht zur Nacht- und zur Spukezeit – und hat geweint.«
»Und meine Schwester?« fragte Ewald Sixtus, und die Witwe Warneke sah sehr verwundert von neuem scheu ihn an.
»Jawohl, Fräulein Eva ist mit ihr gewesen und hat mit ihr nachher lange auf einer der Steinbänke gesessen. Das halbe Dorf aber hat nur von ferne zugesehen; wir haben das französische Parlieren der alten französischen Mamsell ja doch niemalen recht verstanden.«
»In meinem ganzen Leben ist mir die rote Abendsonne, wie sie jetzt hier rundum auf allem und vor allem dort auf den Mauern und Fenstern liegt, nicht so spukhaft und gespensterhaft öde und schwül vorgekommen wie jetzt, Fritz«, sagte der neue Herr von Schloss Werden, jetzt meinen Arm fassend und mich schüttelnd. »Es ist mir wie ein Traum, dass ich den Besitztitel vermittelst der Mathematik und der Arithmetik bei hellem, nüchternem Mittage und klar und kühl nächtlicherweile über dem Reißbrett und dazu vermittelst des Londoner Patentamtes erworben habe. Witwe Warneke, wer hat den Schlüssel von Schloss Werden?«
»Genau kann ich das wohl nicht sagen; aber der Vorsteher wird es ja wissen, Herr E – ach, ich weiß ja auch gar nicht einmal, wie ich Sie jetzt anreden und betitulieren soll, und bitte, es nicht übelzunehmen. Aber im Gartensaale ist ein Fensterflügel herausgefallen und mit Latten vernagelt. Aber die haben die Jungens und der Wind bald wieder lose gemacht, und –«
»So ist eigentlich eine Tür und ein Schlüssel dazu die letzten Jahre hindurch für das Dorf Werden ziemlich überflüssig gewesen«, brummte der Ingenieur. »Viel besser als hier herum im Garten sieht es drinnen im Hause wohl nicht aus, old girl?«
Die Alte hob nur stöhnend und ängstlich die Hände:
»Herre, Herr, für mein Teil will ich es vor jedem Gerichte beschwören –«
»Was meinst du, Fritz, sollen wir gleichfalls durch das Saalfenster Besitz von dem nehmen, was noch brauchbar von Schloss Werden ist? Zu dem Dorfe gehöre ich doch auch und taxiere mich um kein Haarbreit besser als das übrige saubere Gesindel! O Irene, Irene, meine schöne, stolze, wilde Irene!… Und der Herr Graf hat sich um Mitternacht dort auf der Vortreppe blicken lassen! Mademoiselle Martin hatte es verhältnismäßig noch gut. Sie konnte sich dreist hinsetzen und ihre Tränen fließen lassen, ohne sich lächerlich zu machen. Das ist ja rein zum Verrücktwerden! Sage es dreist heraus, Langreuter, wenn dir zur Stunde mein Eigentumsrecht hier beneidenswert, wünschenswert und solcher bitterschweren Lebensarbeit wert erscheint. Ich überlasse dir mit Vergnügen Kaufbrief, Gefühle, Stimmungen und – wollte – wollte – ja, was wollte ich denn?! Witwe Warneke, sehe Sie mich mal ganz genau an, wenn Sie einen richtigen Spuk sehen will. Ich komme als verhexter Mann aus der Fremde und gehe am hellen Tage um Schloss Werden und durch Dorf Werden als Gespenst um. Frage Sie nur die Leute im Försterhause und die – Frau auf dem Steinhofe und – den Vetter Just.«
»Ach Jeses, Herr Ewald, ich kann Sie ja wirklich nicht so sprechen hören; und die anderen werden es auch nicht können!« sagte das alte Weibchen mit zitternd gefalteten Händen und sprach damit ein braves, aber wenig tröstliches Wort.
Sechstes Kapitel
Ohne den Schlüssel vom Vorsteher zu holen, gingen wir jetzt im letzten Scheine der Abendsonne um das Schloss Werden herum: Ewald Sixtus, ich und die Witwe Warneke, letztere mit ihrer hochbepackten Kiepe auf dem vom Alter gekrümmten Buckel. Wir zwei anderen aber trugen freilich die schwerere Last.
Das schöne, rote Sonnenuntergangslicht spiegelte sich doch noch auf der westlichen Seite des alten, einst so stattlichen Herrensitzes in den erblindeten, zersprungenen Scheiben des Oberstockes. Und wir sahen ebenso scheu zu den Fenstern von Schloss Werden empor wie das Volk aus dem Dorfe, wenn es seine verstohlenen Wege hierher führten und ehe es in die mit losen Latten verschlagene Öffnung stieg und Furcht hatte – vor dem seligen Herrn Grafen.
Wie