mit unserem Leben wieder aufs Laufende zu bringen, einerlei ob wir den Uhrmacher im Hause haben oder nicht.«
»Fürs erste gehe ich einmal mit in die Küche!« rief der Besitzer von Schloss Werden aufspringend. »Endlich will ich doch mal wieder da die Funken im Schlot aufwirbeln sehen.«
Nach fünf weiteren Minuten schlich auch ich mich den beiden nach; aber ich blickte nur durch die Türspalte. Sie standen Arm in Arm an dem alten väterlichen Herde, und die Schwester hatte dem Bruder wieder den Kopf auf die Schulter gelehnt, und sie sahen stumm in die hüpfenden Funken des Heimatherdes. Als ich in die Stube zurückkam, sagte der Vater Sixtus:
»Recht hat das Kind, Fritze. Wir werden wohl eine ziemliche Zeit brauchen, um mit allen unseren Erlebnissen ins klare zu kommen. Da frage nur den Vetter Just, der ist jetzt doch schon über ein Jahr aus seinem Amerika zurück; aber wir sind immer noch nicht mit ihm fertig. Manchmal ist es mein Wunder, wie viel das Mädchen aufs Tapet zu bringen hat, sobald er die Nase in die Tür steckt. Die zwei kann man schon einen ganzen Sommertag beieinander sitzen lassen, ohne dass ihnen der Unterhaltungsfaden abbricht. Na, ihr seid recht gute Freunde geworden, nicht wahr, Just Everstein?«
Ich aber, der ich hier sitze und schreibe, dachte wunders, wie viel ich von jenem inhaltreichen Abend zu Papier zu bringen haben würde, und wundere mich doch nun gar nicht, dass ein so kurzes Kapitel daraus geworden ist.
Achtes Kapitel
»Wie süß das Mondlicht auf den Hügeln schläft!«
Gegen elf Uhr abends ging er auf, der Mond, und in der längst aufgegangenen Sommersonne am Morgen unter. Um elf Uhr hatte uns der Alte gute Nacht gewünscht und sich von seinem heimgekehrten Sohne in seine Kammer führen lassen. Erst nach einer geraumen Weile hörten wir Ewalds Schritt wieder auf der Treppe. Sehr schweigsam und nachdenklich nahm der Herr von Schloss Werden wieder an unserem Tische Platz und sprach wenig mehr. Auch Eva wurde schweigsamer, rückte aber näher zu dem Bruder und hielt von neuem fortwährend seine Hand zwischen den ihrigen. Es war, als ob für diesen Abend nunmehr jedes Wort zwischen uns vier ausgesprochen worden sei. Nur die Uhr im Winkel redete weiter; als sie aber Mitternacht schlug und der weiße Schein des Mondes plötzlich voll in die Fenster fiel, da erschraken wir alle, und der Vetter Just stand auf und sagte:
»Nun wird’s doch wohl Zeit, dass ich reite! Was werden sie auf dem Hofe sagen, wenn ich ihnen fast das Morgenrot heimbringe?«
»Sie liegen wohl alle in einem guten Schlafe und kümmern sich wenig darum, wieweit es an der Zeit ist«, meinte Eva.
»Frau Irene nicht«, sagte der Vetter; Ewald Sixtus aber sah rasch aus seinem trüben Sinnen empor, tat jedoch keine Frage.
»Ich habe alles versucht, sie darin zur Vernunft zu bringen«, fuhr der Bauer vom Steinhofe fort, »aber was hat es mir geholfen? Nichts!… Und wenn ich es um sie verdient hätte, so wäre dies zu gut, zu lieb, zu sorglich und zu dankbar. Was habe ich ihr denn viel helfen können in ihrer schlimmen Lebensnot und Angst? Du, Fritz, bist ja auch dabeigewesen und kannst bezeugen, dass ich nichts als den guten Willen gehabt habe. Und das Kind haben wir ihr ja doch auch begraben müssen, und hätte ich auch mein Herzblut hergegeben, – sage selbst, Fritze, dass keine Hilfe dafür war! Jetzt aber sitzt sie gottlob auf dem Steinhofe in Ruhe und Sicherheit, soweit beides hienieden möglich ist; aber nun ist es fast, als sei ich ein krankes Kind und müsse gepflegt werden und süß behandelt werden wie ein solches. Die alte Jule war darin schon arg genug, nachdem wir von neuem auf dem Hofe beisammen waren; aber Frau Irene gibt ihr nicht das geringste nach. Geraten sich die beiden Guten einmal in die Haare, so könnt ihr sicher sein, dass es über mich geschieht. Sie sehen aus nach mir, sie erwarten mich bei dem schlechtesten Wetter draußen vor der Tür. Sie rücken mir den Stuhl zurecht, und ihr einziger Jammer ist, dass ich keinen Schlafrock trage und sie mir also mit dem nicht entgegenkommen können. Die Alte ist wohl zu alt, um bis nach Mitternacht auf mich warten zu können; aber die beiden anderen lieben Augen wachen, und in Irenes Stube brennt in dieser Nacht die Lampe bis in den Morgen hinein. Ich habe es natürlich versucht, böse darüber zu werden, aber geholfen hat es gar nichts! O, und es geht doch auch nichts über solch ein liebes Licht aus dem Fenster des alten Heimatnestes. Wie wird sich die Frau Irene wundern und von ihrem Buche aufsehen, wenn ich diesmal heimkomme und ihr zur Entschuldigung die Nachricht mitbringe, wer heute hier in der Försterei das alte Nest wiedererreicht hat. Jetzt aber im Galopp und im Mondschein gen Bodenwerder! Nur selten hat mir der Mond so ganz zur rechten Zeit am Himmel gestanden wie in dieser Nacht.«
Ewald Sixtus stützte den Kopf mit der Hand und beschattete die Augen mit der Hand.
»Durch das Dorf führst du doch noch deinen Gaul am Zaum, Just«, sagte ich. »Durch das Dorf Werden begleite ich dich bis auf die Straße nach Bodenwerder. Es ist freilich eine helle Nacht, und ein segensreicher Zauber liegt hoffentlich über uns allen. Ich begleite dich noch ein Stück Weges, Vetter Just. Es ist lange her, seit ich zum letztenmal die Heimat im Mondenschein liegen sah.«
Im Mondenschein sattelte der Vetter auf dem Hofe der Försterei seinen Fuchs. An den hohen Ulmen des Hofes, denen es so viel besser geworden war als den stolzen Bäumen um Schloss Werden, regte sich kein Blatt. Schatten und Licht lagen still auf dem Boden. An dem Hoftor gaben Ewald und Eva noch einmal dem Bauer vom Steinhofe die Hand – die des lieben Mädchens hielt er eine geraume Weile fest und sagte dann nur zögernd:
»Nun, so komm, Fritz Langreuter. Nach einer Reise wie die deinige solltest du freilich schon längst im Bette liegen –«
»Und recht angenehm von euch hier und euren Zuständen träumen! O, du Egoist, und du willst wachend hoch zu Ross währenddem durch die Mondnacht jagen und mit kitzelndem Behagen deinen Spaß über den Berliner Doktor haben?«
»Ganz gewiss nicht, Fritze«, meinte der Vetter ehrlichst. »Solange du willst, führe ich den Gaul am Zügel hier an deiner Seite. Vielleicht wäre es sogar recht gut, du gingest den ganzen Weg mit mir und erzähltest an meiner Statt der Frau Irene, wen du heute nach Schloss Werden begleitet hast. Ach, Fritz, du weißt zu sprechen und deine Worte zu stellen, ich aber nicht! Mir muss alles abgefragt werden, und mir ist dann stets, als wäre alles, was dann herauskommt, als sei es durch Zufall gekommen. Sieh, alter Kerl, das Gegenteil hiervon ist’s eben, was ihr Gelehrten allezeit vor uns voraushabt, die wir zum Nachdenken kommen so wie ich, heute bei Regen, morgen bei Sonnenschein, heute hinter dem Pfluge und morgen auf dem Stoppelfelde bei den letzten Erntegarben. Es ist gar keine Logik darin, und dann am wenigsten, wenn man sie am nötigsten braucht. Und dass man fast zehn Jahre lang in den Vereinigten Staaten den Schulmeister gespielt hat, hilft gar nichts dazu. Und Fritz, Fritz, lieber Fritz, da wir jetzt wieder zwischen uns beiden allein sind – ich habe das Schwabenalter längst hinter mir und –