meine Entschuldigungen und Beteuerungen, vorsichtig gewesen zu sein – kaum entging ich Schlägen.
So kann sich auch der Friedfertigste Feinde machen, und dieser Epileptiker blieb wirklich dauernd mein Feind, obgleich ich meine Waschzeit, um allen weiteren Zusammenstößen zu entgehen, verlegte. Immer folgte er jedem Schritt von mir mit finsteren, argwöhnischen Blicken, und nur meiner äußersten Behutsamkeit ist es zu danken, dass ein neuer Zusammenstoß zwischen uns bisher ausgeblieben ist. An einer abgebissenen Nase habe ich schließlich genug!
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Meine Spaziergänge auf dem Freihof hätten ganz einsam und ohne alle Unterhaltung verlaufen müssen, wären nicht zu dieser zweistündigen Freizeit auch die wenigen Insassen der Arbeitszellen hinausgelassen worden. Es handelte sich hierbei um Gefangene, die entweder wegen ihrer Unverträglichkeit oder wegen schon vorgenommener Fluchtversuche nicht in die Außenkommandos eingereiht werden konnten und die deshalb tagaus, tagein in Einzelzellen mit Bürstenmachen oder Mattenflechten beschäftigt wurden. Unter diesen wählte ich meine Spaziergefährten, und es waren vornehmlich vier, mit denen ich abwechselnd ging.
Der Erste von ihnen war ein gewisser Kurmann, ein kleiner, verwachsener, hinkender Mann mit intelligentem Gesicht und Brille. Er gab vor, eine Druckerei in Berlin zu besitzen, behauptete, aus politischen Gründen inhaftiert zu sein und direkt vor seiner Entlassung zu stehen. Immer wurde er am nächsten oder doch am übernächsten Tag frei, immer war seine Frau im Begriff, ihn zu besuchen, aber sie kam nie (wenn sie ihm auch Pakete schickte), und auch er selbst wandert noch heute täglich zwei Stunden im Grasgarten umher, wird aber morgen bestimmt entlassen.
Sonst konnte man schon ein vernünftiges Wort mit ihm reden, namentlich, wenn er auf seine Jugend und Lehrzeit als Buchdrucker zu reden kam. Er war auch gefällig und zum Abgeben bereit, er ließ mich regelmäßig an seiner Zeitung teilhaben, auch hat er mir manche Zigarette geschenkt.
Besonders begehrt war er als Besitzer eines Vergrößerungsglases, das bei Sonnenschein ausgezeichnet zum Anbrennen von Zigaretten und Pfeifen zu benutzen war. Es gehörte zu den Unbegreiflichkeiten der Anstaltsleitung, uns zwar das Rauchen zu erlauben, aber den Besitz von Streichhölzern oder Feuerzeugen streng zu verbieten. Offiziell waren die Wachtmeister verpflichtet, uns Feuer zu geben; da die Anstaltsleitung ihnen aber keine Streichhölzer lieferte, waren sie meist recht unwillig, von ihrem kleinen Gehalt auch noch Streichhölzer für uns zu kaufen. Wie oft habe ich es erlebt, dass eine Gruppe von sechs oder acht Mann mit Pfeifen und Zigaretten um den kleinen verwachsenen Kurmann erwartungsvoll herumstand!
Es ist noch früh am Tage, die Sonne hat noch nicht die rechte Kraft, und Minute um Minute steht Kurmann geduldig da und richtet das kleine Strahlenbündel auf den Kopf der Zigarette, bis endlich, endlich ein dünner bläulich-weißer Rauchfaden aufsteigt, und Kurmann ruft: »Rasch, Sommer, ziehen, ehe es wieder ausgeht!« Oder aber er ließ das Brennglas sinken und sagte: »Wir müssen noch eine Viertelstunde warten, die Sonne ist noch nicht stark genug!« Dann gingen wir alle oft sehr enttäuscht auseinander, denn in einer Viertelstunde saßen wir bei der Arbeit, und bei der Arbeit war Rauchen wieder streng verboten.
Zu Anfang war ich bei meinen Spaziergängen noch arglos und glaubte beinahe jedes Wort, das mir Kurmann geläufig vortrug. Er wusste vielerlei vom Bau, obwohl er erst anderthalb Jahre hier war. Bald aber lernte ich, seine Nachrichten mit einiger Vorsicht aufzunehmen, und schließlich glaubte ich ihm kaum noch ein Wort, wenn es Neuigkeiten aus der Anstalt betraf. Kurmann glaubte sich überall von politischen Widersachern umgeben, und vor allem waren es die Kommunisten, die ihm zu schaffen machten. Dabei verfuhr er sehr primitiv: Hatte ihn irgendeiner seiner Ansicht nach geschädigt, hatte ihm zum Beispiel der Kalfaktor Brot gegeben, das nicht das volle Gewicht zu haben schien, so wurde er zum Kommunisten ernannt. Unser Oberpfleger aber, mit dem er sich gar nicht vertragen konnte, war »der Kommunistenhäuptling«, der »jeden Sonntag an alle kommunistisch gesinnten Gefangenen je sechs Zigaretten extra verteilte«. – »Finden Sie das nicht auch unerhört, Sommer?«
Ich muss hier einfügen, dass ich bei den etwas umgänglicheren Gefangenen strikt am »Sie« festhielt, wenigstens in der ersten Zeit. Alles in mir sträubte sich dagegen, in dem widerlichen Topf der Gleichmacherei zu versinken. Ich war etwas anderes als die anderen Kranken, ich war völlig gesund und hatte alle Aussicht, bald wieder in die Freiheit zu kommen – dieses kleine Wort »Sie« war wie eine letzte Erinnerung an das bürgerliche Leben, in das bald zurückzukehren ich so ersehnte. Ich habe auch beobachtet, dass meine Mitkranken, auch die stumpferen, gerne auf dieses »Sie« reagierten. Es gemahnte sie an die Zeit, da sie noch Menschen waren, da niemand ihnen jeden Schritt befahl, jeden Bissen zuteilte, sie am frühen Abend wie kleine Kinder ins Bett schickte.
Mein zweiter Gefährte im Freihof war ein Deutscher von den Halligen, der aber alles Deutsche glühend hasste und Schleswig-Holstein am liebsten zu Dänemark geschlagen hätte. Darauf kam ich nicht gerne mit ihm zu sprechen, ich konnte es kaum anhören, wenn er die Deutschen als das minderwertigste Volk der Erde hinstellte und dies mit Erlebnissen aus seiner Vergangenheit beweisen wollte. Diese Erlebnisse hatte er dem Umstand zu danken, dass er ein ernster Bibelforscher war, der sich aber nicht mit stiller Forschung begnügt hatte, sondern mit der Faust den Leibern und mit der Lunte den Scheunen verhasster Andersgläubiger zu nahe gekommen war.
Kemp war schon ein älterer Mann über die Sechzig, die letzten fünfzehn Jahre war er überhaupt nicht mehr aus Anstalten und Gefängnissen herausgekommen. Er war noch immer ein großer, stattlicher Mensch mit einem festen Gesicht, klaren, weitblickenden Augen unter buschigen, fast weißen Augenbrauen auf ungewöhnlich starkem Stirnbein.
Im Gegensatz zu den meisten Kranken, die nur gezwungen arbeiteten, war er von einem unermüdlichen Fleiß. Sein Mattenpensum für die Anstalt schaffte er spielend, und in der Freizeit danach knüpfte er unermüdlich die feinsten Filetdecken, die er dann zum Verkauf an seine Frau sandte. Dafür bekam er dann und wann ein Paket mit Lebensmitteln und neuem Garn, meist mehr Garn als Lebensmittel. Darüber klagte er aber nie.
Er hat wohl auch draußen kein glückhaftes Leben gehabt. Auf einer Hallig geboren, in jungen Jahren schon auf einem Fischkutter beschäftigt, zog er nach seiner Verheiratung nach Hamburg und eröffnete dort eine Segelmacherei, die aber nie recht ging, wahrscheinlich, weil sein