Hans Fallada

Hans Fallada – Gesammelte Werke


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mei­ne Ent­schul­di­gun­gen und Be­teue­run­gen, vor­sich­tig ge­we­sen zu sein – kaum ent­ging ich Schlä­gen.

      So kann sich auch der Fried­fer­tigs­te Fein­de ma­chen, und die­ser Epi­lep­ti­ker blieb wirk­lich dau­ernd mein Feind, ob­gleich ich mei­ne Wasch­zeit, um al­len wei­te­ren Zu­sam­men­stö­ßen zu ent­ge­hen, ver­leg­te. Im­mer folg­te er je­dem Schritt von mir mit fins­te­ren, arg­wöh­ni­schen Bli­cken, und nur mei­ner äu­ßers­ten Be­hut­sam­keit ist es zu dan­ken, dass ein neu­er Zu­sam­men­stoß zwi­schen uns bis­her aus­ge­blie­ben ist. An ei­ner ab­ge­bis­se­nen Nase habe ich schließ­lich ge­nug!

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      Mei­ne Spa­zier­gän­ge auf dem Freihof hät­ten ganz ein­sam und ohne alle Un­ter­hal­tung ver­lau­fen müs­sen, wä­ren nicht zu die­ser zwei­stün­di­gen Frei­zeit auch die we­ni­gen In­sas­sen der Ar­beits­zel­len hin­aus­ge­las­sen wor­den. Es han­del­te sich hier­bei um Ge­fan­ge­ne, die ent­we­der we­gen ih­rer Un­ver­träg­lich­keit oder we­gen schon vor­ge­nom­me­ner Flucht­ver­su­che nicht in die Au­ßen­kom­man­dos ein­ge­reiht wer­den konn­ten und die des­halb tag­aus, tagein in Ein­zel­zel­len mit Bürs­ten­ma­chen oder Mat­ten­flech­ten be­schäf­tigt wur­den. Un­ter die­sen wähl­te ich mei­ne Spa­zier­ge­fähr­ten, und es wa­ren vor­nehm­lich vier, mit de­nen ich ab­wech­selnd ging.

      Der Ers­te von ih­nen war ein ge­wis­ser Kur­mann, ein klei­ner, ver­wach­se­ner, hin­ken­der Mann mit in­tel­li­gen­tem Ge­sicht und Bril­le. Er gab vor, eine Dru­cke­rei in Ber­lin zu be­sit­zen, be­haup­te­te, aus po­li­ti­schen Grün­den in­haf­tiert zu sein und di­rekt vor sei­ner Ent­las­sung zu ste­hen. Im­mer wur­de er am nächs­ten oder doch am über­nächs­ten Tag frei, im­mer war sei­ne Frau im Be­griff, ihn zu be­su­chen, aber sie kam nie (wenn sie ihm auch Pa­ke­te schick­te), und auch er selbst wan­dert noch heu­te täg­lich zwei Stun­den im Gras­gar­ten um­her, wird aber mor­gen be­stimmt ent­las­sen.

      Sonst konn­te man schon ein ver­nünf­ti­ges Wort mit ihm re­den, na­ment­lich, wenn er auf sei­ne Ju­gend und Lehr­zeit als Buch­dru­cker zu re­den kam. Er war auch ge­fäl­lig und zum Ab­ge­ben be­reit, er ließ mich re­gel­mä­ßig an sei­ner Zei­tung teil­ha­ben, auch hat er mir man­che Zi­ga­ret­te ge­schenkt.

      Be­son­ders be­gehrt war er als Be­sit­zer ei­nes Ver­grö­ße­rungs­gla­ses, das bei Son­nen­schein aus­ge­zeich­net zum An­bren­nen von Zi­ga­ret­ten und Pfei­fen zu be­nut­zen war. Es ge­hör­te zu den Un­be­greif­lich­kei­ten der An­stalts­lei­tung, uns zwar das Rau­chen zu er­lau­ben, aber den Be­sitz von Streich­höl­zern oder Feu­er­zeu­gen streng zu ver­bie­ten. Of­fi­zi­ell wa­ren die Wacht­meis­ter ver­pflich­tet, uns Feu­er zu ge­ben; da die An­stalts­lei­tung ih­nen aber kei­ne Streich­höl­zer lie­fer­te, wa­ren sie meist recht un­wil­lig, von ih­rem klei­nen Ge­halt auch noch Streich­höl­zer für uns zu kau­fen. Wie oft habe ich es er­lebt, dass eine Grup­pe von sechs oder acht Mann mit Pfei­fen und Zi­ga­ret­ten um den klei­nen ver­wach­se­nen Kur­mann er­war­tungs­voll her­um­stand!

      Es ist noch früh am Tage, die Son­ne hat noch nicht die rech­te Kraft, und Mi­nu­te um Mi­nu­te steht Kur­mann ge­dul­dig da und rich­tet das klei­ne Strah­len­bün­del auf den Kopf der Zi­ga­ret­te, bis end­lich, end­lich ein dün­ner bläu­lich-wei­ßer Rauch­fa­den auf­steigt, und Kur­mann ruft: »Rasch, Som­mer, zie­hen, ehe es wie­der aus­geht!« Oder aber er ließ das Brenn­glas sin­ken und sag­te: »Wir müs­sen noch eine Vier­tel­stun­de war­ten, die Son­ne ist noch nicht stark ge­nug!« Dann gin­gen wir alle oft sehr ent­täuscht aus­ein­an­der, denn in ei­ner Vier­tel­stun­de sa­ßen wir bei der Ar­beit, und bei der Ar­beit war Rau­chen wie­der streng ver­bo­ten.

      Zu An­fang war ich bei mei­nen Spa­zier­gän­gen noch arg­los und glaub­te bei­na­he je­des Wort, das mir Kur­mann ge­läu­fig vor­trug. Er wuss­te vie­ler­lei vom Bau, ob­wohl er erst an­dert­halb Jah­re hier war. Bald aber lern­te ich, sei­ne Nach­rich­ten mit ei­ni­ger Vor­sicht auf­zu­neh­men, und schließ­lich glaub­te ich ihm kaum noch ein Wort, wenn es Neu­ig­kei­ten aus der An­stalt be­traf. Kur­mann glaub­te sich über­all von po­li­ti­schen Wi­der­sa­chern um­ge­ben, und vor al­lem wa­ren es die Kom­mu­nis­ten, die ihm zu schaf­fen mach­ten. Da­bei ver­fuhr er sehr pri­mi­tiv: Hat­te ihn ir­gend­ei­ner sei­ner An­sicht nach ge­schä­digt, hat­te ihm zum Bei­spiel der Kal­fak­tor Brot ge­ge­ben, das nicht das vol­le Ge­wicht zu ha­ben schi­en, so wur­de er zum Kom­mu­nis­ten er­nannt. Un­ser Ober­pfle­ger aber, mit dem er sich gar nicht ver­tra­gen konn­te, war »der Kom­mu­nis­ten­häupt­ling«, der »je­den Sonn­tag an alle kom­mu­nis­tisch ge­sinn­ten Ge­fan­ge­nen je sechs Zi­ga­ret­ten ex­tra ver­teil­te«. – »Fin­den Sie das nicht auch un­er­hört, Som­mer?«

      Ich muss hier ein­fü­gen, dass ich bei den et­was um­gäng­li­che­ren Ge­fan­ge­nen strikt am »Sie« fest­hielt, we­nigs­tens in der ers­ten Zeit. Al­les in mir sträub­te sich da­ge­gen, in dem wi­der­li­chen Topf der Gleich­ma­che­rei zu ver­sin­ken. Ich war et­was an­de­res als die an­de­ren Kran­ken, ich war völ­lig ge­sund und hat­te alle Aus­sicht, bald wie­der in die Frei­heit zu kom­men – die­ses klei­ne Wort »Sie« war wie eine letz­te Erin­ne­rung an das bür­ger­li­che Le­ben, in das bald zu­rück­zu­keh­ren ich so er­sehn­te. Ich habe auch be­ob­ach­tet, dass mei­ne Mit­kran­ken, auch die stump­fe­ren, ger­ne auf die­ses »Sie« rea­gier­ten. Es ge­mahn­te sie an die Zeit, da sie noch Men­schen wa­ren, da nie­mand ih­nen je­den Schritt be­fahl, je­den Bis­sen zu­teil­te, sie am frü­hen Abend wie klei­ne Kin­der ins Bett schick­te.

      Mein zwei­ter Ge­fähr­te im Freihof war ein Deut­scher von den Hal­li­gen, der aber al­les Deut­sche glü­hend hass­te und Schles­wig-Hol­stein am liebs­ten zu Dä­ne­mark ge­schla­gen hät­te. Da­rauf kam ich nicht ger­ne mit ihm zu spre­chen, ich konn­te es kaum an­hö­ren, wenn er die Deut­schen als das min­der­wer­tigs­te Volk der Erde hin­stell­te und dies mit Er­leb­nis­sen aus sei­ner Ver­gan­gen­heit be­wei­sen woll­te. Die­se Er­leb­nis­se hat­te er dem Um­stand zu dan­ken, dass er ein erns­ter Bi­bel­for­scher war, der sich aber nicht mit stil­ler For­schung be­gnügt hat­te, son­dern mit der Faust den Lei­bern und mit der Lun­te den Scheu­nen ver­has­s­ter An­ders­gläu­bi­ger zu nahe ge­kom­men war.

      Kemp war schon ein äl­te­rer Mann über die Sech­zig, die letz­ten fünf­zehn Jah­re war er über­haupt nicht mehr aus An­stal­ten und Ge­fäng­nis­sen her­aus­ge­kom­men. Er war noch im­mer ein großer, statt­li­cher Mensch mit ei­nem fes­ten Ge­sicht, kla­ren, weit­bli­cken­den Au­gen un­ter bu­schi­gen, fast wei­ßen Au­gen­brau­en auf un­ge­wöhn­lich star­kem Stirn­bein.

      Im Ge­gen­satz zu den meis­ten Kran­ken, die nur ge­zwun­gen ar­bei­te­ten, war er von ei­nem un­er­müd­li­chen Fleiß. Sein Mat­ten­pen­sum für die An­stalt schaff­te er spie­lend, und in der Frei­zeit da­nach knüpf­te er un­er­müd­lich die feins­ten Fi­let­de­cken, die er dann zum Ver­kauf an sei­ne Frau sand­te. Da­für be­kam er dann und wann ein Pa­ket mit Le­bens­mit­teln und neu­em Garn, meist mehr Garn als Le­bens­mit­tel. Dar­über klag­te er aber nie.

      Er hat wohl auch drau­ßen kein glück­haf­tes Le­ben ge­habt. Auf ei­ner Hal­lig ge­bo­ren, in jun­gen Jah­ren schon auf ei­nem Fisch­kut­ter be­schäf­tigt, zog er nach sei­ner Ver­hei­ra­tung nach Ham­burg und er­öff­ne­te dort eine Se­gel­ma­che­rei, die aber nie recht ging, wahr­schein­lich, weil sein