den sie wegen ständigen Querulantentums mit uns eingesperrt hatten, gemütlich eine gebratene Ente in unserer Gegenwart verzehrte, Knochen für Knochen abnagte. Er triefte von Fett, wir aber saßen dabei, und unsere Augen wurden immer größer, das Wasser lief uns im Munde zusammen und schließlich aus ihm herunter, unsere Hände zitterten, und nur Gier und Neid erfüllten unsere Herzen.
Ich habe es nie verstanden, warum man so etwas zuließ. Wenn man wenigstens diese Bevorzugten ihr Sonderessen in aller Heimlichkeit hätte vertilgen lassen, aber nein, vor unseren Augen musste es geschehen! Freilich, es gab ja keinerlei Heimlichkeit auf dieser Station, in diesem Hause, alle lagen zu sechs, acht Mann in ihren Zellen, nichts, wohin man sich zurückziehen konnte, nicht einmal die Klos hatten Riegel, immer riss einer die Tür auf, man saß eben erst auf der Brille.
Aus alldem aber, aus dem ständigen Hungergefühl und dem Hass gegen die diebischen Kalfaktoren und aus dem Neid gegen die Prasser entstanden jene nie endenden Gereiztheiten, Streitereien, Schlägereien, Bestrafungen. Nie war auch nur einen einzigen Tag Ruhe im Bau, immer war irgendetwas los. Man hörte schon gar nicht mehr hin, wenn zwei sich in der unflätigsten Weise beschimpften. Man ging fort, wenn sie sich die Augen blau und die Nasen blutig schlugen. Man war froh, wenn man nicht selbst noch hineingezogen wurde. Man musste auf jedes Wort achten, was man sagte, es wurde sofort weitergetragen, sofort kehrte es sich gegen seinen Sprecher.
Ich für meine Person muss gestehen, dass ich anfänglich nicht nur mit Neid auf die Paketfresser sah. Ich hatte es ja so einfach: Ich brauchte nur einen Brief an Magda zu schreiben, und ich gehörte auch zu diesen Besitzenden. So würde Magda doch nicht sein, dass sie ihren eigenen angetrauten Mann hungern ließ! Eine Woche lang kämpfte ich mit mir, dann siegte der Hunger, und ich entschloss mich zu dem Brief.
Ich hatte weder Schreibpapier noch einen Umschlag, und geliefert wurde einem von der Anstalt gar nichts; aber ich sparte mir eine Scheibe Brot ab und bekam dafür, was mir nottat. Ich schrieb den Brief, und von da an wartete ich. Ich malte mir abends im Bett aus, was alles in dem Paket sein würde; wenn ich an eine dick mit fetter Leberwurst bestrichene Scheibe Brot dachte, wurde mir beinahe übel vor Hunger und Wollust.
Ich hatte mir den frühesten Tag ausgerechnet, an dem das Paket hier sein konnte; aber der Tag verstrich und mancher Tag nach ihm, und das Paket kam nicht. Dann erfuhr ich, dass der Brief erst durch die Zensur des Medizinalrates gehen musste, dann auf das Büro der Verwaltung zum Frankieren ging und dass man die Briefe dort nicht etwa sofort, sondern nur gelegentlich, wenn man mehrere zusammenhatte, abschickte.
»Die haben die Ruhe weg«, sagten die Gefangenen. »Glaubst du, die laufen, wenn du was möchtest? Die setzen sich dann gerade erst recht fest auf ihren Arsch!«
So wartete ich weiter und hoffte weiter.
Dann sagte der Oberpfleger eines Tages beiläufig zu mir: »Auf dem Büro liegt ein Brief von Ihnen, Sommer. Die lassen Ihnen sagen, der kann nicht abgehen, Sie haben kein Geld gut für Porto.«
»Wie?«, rief ich. »Wegen zwölf Pfennig Porto kann mein Brief nicht abgehen? Und ich habe aus dem Untersuchungsgefängnis viertausend Mark an meine Frau zurückgeschickt!«
»Da hätten Sie sich eben ein paar Mark zurückbehalten sollen«, sagte der Oberpfleger und wollte weitergehen.
»Aber, Herr Oberpfleger!«, rief ich. »Das geht doch nicht. Wegen zwölf Pfennigen! Die können doch anrufen bei meiner Frau, und die wird bestätigen …«
»Ein Telefongespräch kostet auch zehn Pfennig, die Sie nicht haben, Sommer!«, sagte der Oberpfleger kühl. »Beruhigen Sie sich nur, der Brief wird schon abgehen, nächsten Monat, wenn Ihnen Ihre erste Arbeitsbelohnung gutgeschrieben ist!«
Ich habe keine Ahnung, ob der Brief an Magda schließlich wirklich abgegangen ist oder ob er in der Zwischenzeit verloren ging. Ein Fresspaket habe ich jedenfalls nie bekommen, ich blieb immer unter den hungrigen, gierigen Neidern. Denn als ich wirklich eine Arbeitsbelohnung guthatte, war ich längst viel zu mutlos geworden, noch einmal an Magda zu schreiben. Ich war daran verzweifelt, dass irgendein Mensch es noch gut mit mir meinte.
40
Ich bin den Ereignissen weit vorausgeeilt. Noch stehe ich am ersten Tage meines Anstaltsaufenthaltes, habe meine Pellkartoffeln noch ganz vornehm ohne Schalen in mich hineingegessen und bin nun todmüde nach der durchwachten Nacht. Ich wende mich an den Oberpfleger und bitte ihn, mich eine Stunde auf mein Bett legen zu dürfen, ich hätte die ganze Nacht nicht schlafen können.
»Das ist verboten!«, sagt der Oberpfleger streng. Dann aber milder: »Also legen Sie sich hin. Aber ziehen Sie sich aus und legen sich richtig ins Bett.«
Ich tue es, und kaum liege ich, habe die Augen geschlossen, so erklingt schon die verhasste gellende Stimme. »Willst du Schwein wohl machen, dass du sofort aus dem Bett kommst! Das möchtest du Speckjäger, nichts tun, wenn wir für dich arbeiten müssen. Marsch, raus aus der Falle!«
Er hatte mich aufgestöbert, der immer wache Spürhund. Aber ich bin jetzt auch wütend, mein Hass gibt mir die Kraft zum Protest. »Hältst du sofort das Maul!«, schreie ich wütend. »Du bist wohl mehr als der Oberpfleger? Der hat’s mir erlaubt, und du Schwein …«
»Hat er’s dir erlaubt, hat er’s dir wirklich erlaubt?« geifert er grinsend und entblößt seine verfärbten Hauer. »Na, du musst ja was mächtig Feines sein, dass der Oberpfleger solche Ausnahmen für dich macht! Nimm’s nicht übel, Kumpel, ich bin hier, damit Ordnung ist auf der Station, sonst scheißt mich der Oberpfleger an!« Damit verschwindet er, und ich lege mich zurück, ganz zufrieden, dass ich endlich ihn einmal hereingelegt habe.
Ich bin wirklich eingeschlafen, aber nur für wenige Minuten, dann weckte mich etwas. Es war wohl kein Geräusch, das mich weckte, sondern eher ein Instinkt, der mich Gefahr wittern ließ: Ich bildete in diesem Haus den Instinkt eines gejagten Wildes aus.
Ich liege auf der Seite und sehe gerade auf den Schemel vor meinem Bett, auf den ich meine Kleider gelegt habe. Ich blinzele und sehe etwas Weißes, das sich mit diesen Kleidern zu schaffen macht. Es ist schon wieder der Lexer, ganz behutsam, unendlich leise nimmt er ein Kleidungsstück von mir nach dem anderen zur Hand, fährt in die Taschen, fühlt die Nähte ab …
Mein erster Impuls ist, aufzuspringen und mich auf diesen Teufel zu stürzen, diesen nimmer ruhenden Quälgeist. Aber ich besinne mich, ich bleibe ruhig liegen, ich beobachte sein Tun. Lass ihn suchen! Ich grinse. Ich habe nicht das Allergeringste in den Taschen, was seine Begehrlichkeit reizen könnte. Nicht das Allergeringste? Mir stockt das