Hans Fallada

Hans Fallada – Gesammelte Werke


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mit der zer­bis­se­nen Nase.

      Der Wacht­meis­ter hat mich nach mei­nem »Ver­bre­chen« und nach mei­nem »Vor­le­ben« aus­fra­gen wol­len, aber ich habe ihm nur ein­sil­big geant­wor­tet. Da er aber ent­schlos­sen ist, uns den Weg durch ein Ge­spräch zu kür­zen, er­zählt jetzt er mir von sich, das heißt von ei­nem Gar­ten, den er mit sei­ner jun­gen Frau be­stellt. Und er möch­te nun so ger­ne noch ein an­gren­zen­des Stück Land dazu pach­ten und trägt mir nun, be­hag­lich er­wä­gend, alle Grün­de für und wi­der vor, das ge­rin­ge Ge­halt und die teu­re Pacht, den ver­un­krau­te­ten Bo­den, die zwei­fel­haf­te Ern­te – ach, es gibt ei­gent­lich nur Grün­de da­wi­der. Der Wacht­meis­ter stößt eine bläu­lich-weiß­li­che Ta­bak­wol­ke aus und sagt ab­schlie­ßend: »Also, ich pach­te das Stück un­ter al­len Um­stän­den. Ein Stück Land – das ist bes­ser als tau­send Mark auf der Spar­kas­se!«

      Ich höre nur halb hin auf sein Ge­schwätz, und nur, als er jetzt zu sei­nem über­ra­schen­den Schluss kommt, lächle ich bit­ter. Mit sol­chen Stroh­köp­fen muss ich also nun um­ge­hen von jetzt an, und sie sa­gen ein­fach »Som­mer« zu mir, ohne »Herr«, und be­stä­ti­gen mir gü­tigst, dass ich »so­weit einen ganz ver­nünf­ti­gen Ein­druck« ma­che! Laut aber fra­ge ich: »Ist das die Heil­an­stalt?«

      »Das ist sie«, ant­wor­tet der Wacht­meis­ter. »Und jetzt wol­len wir einen Schritt schnel­ler zu­ge­hen; es ist gleich Bü­ro­schluss, und der Obe­rin­spek­tor schimpft, wenn ich dann noch mit Ih­nen an­ge­kle­ckert kom­me!«

      Von der Stra­ße aus ge­se­hen, macht die Heil­an­stalt kei­nen schlech­ten Ein­druck, mein Herz fängt et­was leich­ter zu schla­gen an. Auf ei­ner leich­ten An­hö­he ge­le­gen, von ho­hen, al­ten, reich­lau­bi­gen Bäu­men um­stan­den, liegt sie statt­lich da wie ein großes Schloss oder eine al­ter­tüm­li­che Burg. Gro­ße Fens­ter blin­ken im Licht der Abend­son­ne.

      Ein rich­ti­ger brei­ter Wall­gra­ben läuft um den gan­zen Kom­plex, fried­lich schwim­men En­ten und Gän­se auf ihm, aber auf der Brücke, die wir über­schrei­ten, steht ein be­waff­ne­ter Pos­ten in grü­ner Uni­form, und das Büro, in das ich ge­führt wer­de, ist kein biss­chen an­ders als das Ge­fäng­nis­bü­ro, aus dem ich vor an­dert­halb Stun­den ent­las­sen wur­de. So­gar die Be­am­ten drin schei­nen von ge­nau der glei­chen Art zu sein, der­sel­be ge­lang­weil­te, teil­nahms­lo­se und doch prü­fen­de Blick, der »die Neu­auf­nah­me« streift, die­sel­be lang­sa­me Um­ständ­lich­keit, mit der dem Trans­por­teur für mich quit­tiert wird, mit der mei­ne Per­so­na­li­en ein­ge­tra­gen wer­den.

      An die­sem Abend gab es nur einen kur­z­en Licht­blick für mich: Ich war we­gen Mord­ver­suchs ver­haf­tet, we­gen Tot­schlag­ver­suchs hat­te der alte Amts­ge­richts­di­rek­tor mei­ne Über­wei­sung in eine Heil­an­stalt an­ge­ord­net, jetzt wur­de ich mit dem Ver­merk »we­gen Be­dro­hung« ein­ge­lie­fert. Ohne dass ich et­was dazu ge­tan hat­te, ver­min­der­te sich die Last des mir Vor­ge­wor­fe­nen be­stän­dig, einen Au­gen­blick sag­te ich mir, dass man un­mög­lich we­gen ei­nes so ge­rin­gen Ver­ge­hens mich län­ger hier­hal­ten, mir mein gan­zes Le­ben zer­stö­ren konn­te.

      Aber dann, als ich wie­der hin­ter ei­nem mei­ner Füh­rer in grü­ner Uni­form mit ei­nem dick­li­chen, trau­ri­gen Ge­sicht über all die trost­lo­sen Stein­hö­fe ging, auf die nur ver­git­ter­te Fens­ter schau­ten, als ich in ei­nem Rie­sen­stein­kas­ten, durch zwei ei­ser­ne Tü­ren ge­las­sen, ein düs­te­res Trep­pen­haus hin­auf­stieg, als ich be­griff, dass das er­war­te­te Kran­ken­haus sich in nichts von ei­nem Ge­fäng­nis un­ter­schied, dass es hier wie dort Git­ter gab und Wacht­meis­ter und ei­ser­ne Dis­zi­plin und blin­den Ge­hor­sam, da dach­te ich nicht mehr an den großen Schritt, den ich vom Mord­ver­such bis zur Be­dro­hung ge­macht hat­te, da glaub­te ich nicht mehr an ein ge­rin­ges Ver­ge­hen – da hielt ich al­les für mög­lich, da fühl­te ich, wie hilf­los ich großen Mäch­ten ohne Gna­de aus­ge­lie­fert war, Mäch­ten, die kein Herz ha­ben, die kein Mit­leid ken­nen, die nichts Men­sch­li­ches ha­ben. In eine große Ma­schi­ne war ich ge­ra­ten, und nichts be­deu­te­te es mehr, was ich tat oder fühl­te, die Ma­schi­ne lief un­ab­än­der­lich ih­ren Lauf, ich moch­te wei­nen oder la­chen, das merk­te die Ma­schi­ne gar nicht!

      1 La­dung ei­nes Heu­wa­gens <<<

      2 (franz.) ›trail­la­ge‹: Git­ter­werk, Git­ter­stä­be <<<

      37

      Ein Ei­sen­git­ter und noch ein Ei­sen­git­ter, und nun tre­ten wir auf einen lan­gen, düs­tern Gang, der voll steht von fah­len Ge­stal­ten. Es stinkt hier, stinkt durch­drin­gend nach Ab­ort, nach Kohl, nach schlech­tem Ta­bak. Hin­ter dem Gang­fens­ter drau­ßen ver­glüht das letz­te Aben­d­rot. Ich sehe über die hohe, ei­sen­spie­ßi­ge Mau­er hin­weg in das fried­lich-abend­li­che Land mit Wie­sen und schon lang­sam rei­fen­den Fel­dern, bis fern am Ho­ri­zont zum nied­ri­gen Wald­strei­fen. Um mich ste­hen schwei­gend die fah­len Ge­stal­ten, leh­nen an den Wän­den. Ich kann manch­mal ein Stück von ih­rem Ge­sicht er­ken­nen, wenn die Glut in ih­rer Pfei­fe auf­leuch­tet.

      Ein Mann, ein un­ter­setz­ter, kräf­ti­ger Mann in wei­ßer Ja­cke, holt mich in einen Ver­schlag am Ende des Gan­ges, sein Hei­lig­tum, »der Glas­kas­ten«, wie die­ser Ver­schlag ge­nannt wird. Von die­sem Glas­kas­ten aus kann der Stäm­mi­ge, der »Herr Ober­pfle­ger« ti­tu­liert wird, al­les be­ob­ach­ten, was auf dem Gang ge­schieht, und er be­ob­ach­tet sehr scharf, wie ich noch er­fah­ren soll. Er sieht so­gar Din­ge, die er gar nicht se­hen kann, er weiß, was in den Zel­len ge­schieht, er kennt al­les, was bei der Ar­beit pas­siert – er ist das stren­ge Ge­wis­sen der Sta­ti­on 3, der Nach­rich­ten­dienst des Arz­tes.

      »Set­zen Sie Ihren Kof­fer erst ein­mal hier ab, Som­mer«, sagt der Ober­pfle­ger zu mir. »Mor­gen früh gebe ich Ih­nen An­stalts­zeug, Zi­vil ist hier ver­bo­ten. Und jetzt zei­ge ich Ih­nen Ihr Bett, es ist Schla­fens­zeit, hier wird um halb acht Uhr abends ins Bett ge­gan­gen, mor­gens um drei­vier­tel sechs Uhr ste­hen wir aber auch schon wie­der auf …«

      »Darf ich viel­leicht noch um et­was Abendes­sen bit­ten?«, fra­ge ich. »Ich habe dort kei­nes be­kom­men …« Ich habe er­war­tet, dass ich ein »Nein« höre, wie da­mals bei mei­ner ers­ten Ein­lie­fe­rung ins Ge­fäng­nis. Ich habe ei­gent­lich gar nicht fra­gen wol­len, ich habe es doch nun ge­lernt: Ein Ge­fan­ge­ner darf nichts sa­gen, nichts fra­gen, nichts