laut, klatschendes Geräusch wird laut, Gejammer. Unsere Zellentür fliegt auf, eine Gestalt fliegt hinein.
Eine kräftige Stimme ruft: »Wirst du machen, dass du in dein Bett kommst, dich nicht in fremden Zellen herumtreiben, du warmer Sack, du!«
Und eine jammernde, gelle Stimme – ich erkenne sie sofort, es ist der Hauerzähnige: »Herr Wachtmeister, Sie haben mich ja so gehauen! Herr Wachtmeister, ich kann morgen nicht arbeiten!«
»Warmer Sack, du«, klingt draußen die Stimme noch einmal grollend, »mach, dass du schnellstens in deine Falle rollst! Sonst gibt’s noch mal was!«
Der Hauerzähnige fährt mit seinem Gesicht in mein Bett. »Na, Neuer, liegste unter mir? Das sage ich dir aber, wenn du nachts nicht stille liegst und wackelst, ich komme runter und verwackele dich!«
»Ich liege schon still«, versichere ich und denke besorgt an mein Röcheln und Schnarchen.
Der Kleine zieht sich mit unglaublicher Schnelligkeit aus und »feuert seine Lumpen« vor die Tür. Dann benutzt er mit einer schamlosen Ungeniertheit den Kübel an der Tür.
»Hätt’ste auch draußen erledigen können, Lexer!« ruft eine unwillige Stimme.
»Biste zu fein, meinen Gestank aufzuriechen?«, schreit sofort die gelle, freche Stimme. »Jetzt wird’s wohl fein hier bei uns, wo der Neue gekommen ist? So blau, jetzt scheiße ich erst recht hier!« Und er lässt donnernd einen fahren.
›Die Hölle‹, denke ich. ›Ich bin in die Hölle geraten. Wie soll ich hier je leben können? Und schlafen? Das sind ja keine Menschen mehr, das sind Tiere! Und hier soll ich sechs Wochen leben, vielleicht länger? Vielleicht lange? In dieser Hölle? Der Lexer, oder wie er heißt, ist ein wahrer Teufel!‹
Sie versuchen, mich noch auszufragen. Aber ich mag von ihnen nichts mehr hören noch sehen. Ich stelle mich schlafend. Und allmählich werden auch sie ruhig, die verhasste gelle Stimme verstummt. Es wird immer dunkler, die meisten schlafen wohl schon. Ich höre eine Uhr schlagen, dreimal. Was wird es sein? Dreiviertel neun? Dreiviertel zehn? Hoffentlich zeigt der Glockenschlag auch die vollen Stunden an. Das verkürzt die Nacht. Über mir der Lexer wälzt sich unruhig hin und her, jedes Mal kommt dann mein Bett ins Schwanken. Und ich soll mich nicht rühren! Ich liege ganz still, mein Gesicht im Arm verborgen.
Ich bin völlig allein mit mir. Ich bin mir klar: Ich werde von nun an immer völlig allein mit mir sein. Ich bin dort, wohin weder Liebe noch Freundschaft reichen. Ich bin in der Hölle … Ich habe eine kurze Zeit gesündigt, und ich werde dafür eine lange Zeit unglaublich hart bestraft! Aber man hätte es wissen müssen, bevor man sündigte, wie hart die Strafe ausfällt. Es hätte einem vorher gesagt werden müssen, dann hätte man nicht gesündigt … Gott, das bisschen Schnapstrinken, ist das nun wirklich so schlimm? Diese Kabbelei mit Magda – nun gut, juristisch haben sie eine Bedrohung daraus gemacht, aber muss ich darum bei lebendigem Leibe in der Hölle sein? Wenn Magda wüsste, wie ich leide – sie würde wenigstens Mitleid mit mir haben, aus Mitleid würde sie mir helfen, wenn sie mich auch nicht mehr liebt.
Es gibt noch eine einzige Hoffnung, das ist der Arzt. Dieser Medizinalrat Stiebing, er hatte keinen so schlechten Eindruck auf mich gemacht, damals bei jener Autofahrt. Er hatte mit Dr. Mansfeld gescherzt und gelacht, wie ein richtiger Mensch. Vielleicht war er ein richtiger Mensch, nicht bloß ein Maschinenteil. Ich werde wie mit einem Menschen mit ihm reden, um meine Seele werde ich mit ihm kämpfen, meine Seele werde ich aus dieser Hölle erretten.
›Herr Medizinalrat‹, werde ich zu ihm sprechen, ›ich trage die volle Verantwortung für alles, was ich getan habe. Ich war nie so berauscht, dass ich nicht wusste, was ich tat. Ich will hart bestraft werden, ein Jahr, zwei Jahre will ich gerne ins Gefängnis gehen, gerne will ich das tun. Aber lassen Sie mich nicht in diesem Haus, in dieser Hölle, in die man hineingebracht wird, und nicht weiß, wann man wieder hinausgeht; vielleicht wird man erst auf dem Rücken hinausgetragen.‹
›Herr Medizinalrat‹, werde ich noch sprechen, ›Sie kennen unseren Hausarzt, den Herrn Dr. Mansfeld, ich habe es gesehen. Sie haben mit ihm gescherzt und geplaudert im Auto. Fragen Sie Herrn Dr. Mansfeld, er kennt mich seit vielen Jahren; er wird Ihnen bestätigen, dass ich ein anständiger, solider, nüchterner Mensch bin. Das jetzt war nur ein Anfall, ich weiß selbst nicht, wie ich dazu gekommen bin. – Nein‹, unterbrach ich mich, ›das darf ich dem Medizinalrat nicht sagen, sonst erklärt er mich für geisteskrank. Aber Dr. Mansfeld wird bestätigen, dass ich immer anständig war: Ich habe Magda in die zweite Klasse im Krankenhaus gelegt, und ich habe ohne Murren die hohen Operationskosten bezahlt und nie etwas an ihrer Pflege gespart. Immer war ich anständig, Herr Medizinalrat, lassen Sie mich wieder unter anständigen Menschen leben. Geben Sie mir eine Chance …‹
Die Uhr schlägt, sie schlägt die volle Stunde, eine Viertelstunde der langen Nacht ist abgelaufen, es ist jetzt zehn Uhr. Und so verbringe ich diese erste Nacht in der Heil- und Pflegeanstalt, Viertelstunde um Viertelstunde zählend, Reden haltend und Briefe schreibend, zwischen Schlaf und Wachen, so werde ich gepflegt und geheilt. Manchmal bin ich, übermüdet, nahe am Einschlafen, aber dann schrecke ich wieder hoch: Lexer hat sich oben im Bett herumgeworfen, oder jemand ist auf den Kübel gegangen. Ich habe es »spaßeshalber« gezählt in dieser ersten Nacht: Von zehn Uhr abends bis dreiviertel sechs Uhr früh gingen sieben Mann achtunddreißigmal auf den Kübel. Als ich ihn am Morgen benutzen wollte, war er so gehäuft voll, dass er bereits überlief. Und kein einziger Mensch benutzte Papier – darüber waren sie hinaus. Oh, ich habe schon wirklich ein hübsches Stück Hölle kennengelernt in dieser Nacht!
38
Ich wurde vom Oberpfleger eingekleidet, ich bekam eine braune Jacke und eine gestreifte Hose aus Tuch, dazu Lederpantoffeln. Die Sachen, die ich bekam, waren neu, ich wurde vom Oberpfleger mit Auszeichnung behandelt. Aber vielleicht wäre es besser gewesen, er hätte mir alte Lumpen wie den anderen gegeben; sie sahen es ja, dass ich neues Zeug trug, das bestärkte sie in ihrer Abneigung gegen mich. »Der will was Besseres sein, der Speckjäger!«, sagten sie und warfen böse Blicke auf mich.
Übrigens tat ich etwas Seltsames bei diesem Einkleiden. Ich durfte aus meinem Koffer Seife und Zahnbürste nehmen, und dabei gelang es mir, in einem unbewachten Augenblick eine Rasierklinge zu stehlen. Ich hatte das schon einmal getan, aber damals war ich noch schlapp und feige gewesen, ich hatte noch nicht geahnt, welch Unheil mir alles noch bevorstand. Jetzt würde ich anders handeln, ohne Angst vor Schmerzen würde ich zuschneiden. Nein, noch nicht jetzt, meine Tat, diese heimliche Fortnahme einer Rasierklinge, war mir selbst überraschend gekommen. Noch nicht jetzt – erst würde