Hans Fallada

Hans Fallada – Gesammelte Werke


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laut, klat­schen­des Geräusch wird laut, Ge­jam­mer. Un­se­re Zel­len­tür fliegt auf, eine Ge­stalt fliegt hin­ein.

      Eine kräf­ti­ge Stim­me ruft: »Wirst du ma­chen, dass du in dein Bett kommst, dich nicht in frem­den Zel­len her­um­trei­ben, du war­mer Sack, du!«

      Und eine jam­mern­de, gel­le Stim­me – ich er­ken­ne sie so­fort, es ist der Hau­er­zäh­ni­ge: »Herr Wacht­meis­ter, Sie ha­ben mich ja so ge­hau­en! Herr Wacht­meis­ter, ich kann mor­gen nicht ar­bei­ten!«

      »War­mer Sack, du«, klingt drau­ßen die Stim­me noch ein­mal grol­lend, »mach, dass du schnells­tens in dei­ne Fal­le rollst! Sonst gib­t’s noch mal was!«

      Der Hau­er­zäh­ni­ge fährt mit sei­nem Ge­sicht in mein Bett. »Na, Neu­er, liegs­te un­ter mir? Das sage ich dir aber, wenn du nachts nicht stil­le liegst und wa­ckelst, ich kom­me run­ter und ver­wa­cke­le dich!«

      »Ich lie­ge schon still«, ver­si­che­re ich und den­ke be­sorgt an mein Rö­cheln und Schnar­chen.

      Der Klei­ne zieht sich mit un­glaub­li­cher Schnel­lig­keit aus und »feu­ert sei­ne Lum­pen« vor die Tür. Dann be­nutzt er mit ei­ner scham­lo­sen Un­ge­niert­heit den Kü­bel an der Tür.

      »Hät­t’s­te auch drau­ßen er­le­di­gen kön­nen, Lexer!« ruft eine un­wil­li­ge Stim­me.

      »Bis­te zu fein, mei­nen Ge­stank auf­zu­rie­chen?«, schreit so­fort die gel­le, fre­che Stim­me. »Jetzt wird’s wohl fein hier bei uns, wo der Neue ge­kom­men ist? So blau, jetzt schei­ße ich erst recht hier!« Und er lässt don­nernd einen fah­ren.

      ›Die Höl­le‹, den­ke ich. ›Ich bin in die Höl­le ge­ra­ten. Wie soll ich hier je le­ben kön­nen? Und schla­fen? Das sind ja kei­ne Men­schen mehr, das sind Tie­re! Und hier soll ich sechs Wo­chen le­ben, viel­leicht län­ger? Vi­el­leicht lan­ge? In die­ser Höl­le? Der Lexer, oder wie er heißt, ist ein wah­rer Teu­fel!‹

      Sie ver­su­chen, mich noch aus­zu­fra­gen. Aber ich mag von ih­nen nichts mehr hö­ren noch se­hen. Ich stel­le mich schla­fend. Und all­mäh­lich wer­den auch sie ru­hig, die ver­hass­te gel­le Stim­me ver­stummt. Es wird im­mer dunk­ler, die meis­ten schla­fen wohl schon. Ich höre eine Uhr schla­gen, drei­mal. Was wird es sein? Drei­vier­tel neun? Drei­vier­tel zehn? Hof­fent­lich zeigt der Glo­cken­schlag auch die vol­len Stun­den an. Das ver­kürzt die Nacht. Über mir der Lexer wälzt sich un­ru­hig hin und her, je­des Mal kommt dann mein Bett ins Schwan­ken. Und ich soll mich nicht rüh­ren! Ich lie­ge ganz still, mein Ge­sicht im Arm ver­bor­gen.

      Ich bin völ­lig al­lein mit mir. Ich bin mir klar: Ich wer­de von nun an im­mer völ­lig al­lein mit mir sein. Ich bin dort, wo­hin we­der Lie­be noch Freund­schaft rei­chen. Ich bin in der Höl­le … Ich habe eine kur­ze Zeit ge­sün­digt, und ich wer­de da­für eine lan­ge Zeit un­glaub­lich hart be­straft! Aber man hät­te es wis­sen müs­sen, be­vor man sün­dig­te, wie hart die Stra­fe aus­fällt. Es hät­te ei­nem vor­her ge­sagt wer­den müs­sen, dann hät­te man nicht ge­sün­digt … Gott, das biss­chen Schnapstrin­ken, ist das nun wirk­lich so schlimm? Die­se Kab­be­lei mit Mag­da – nun gut, ju­ris­tisch ha­ben sie eine Be­dro­hung dar­aus ge­macht, aber muss ich dar­um bei le­ben­di­gem Lei­be in der Höl­le sein? Wenn Mag­da wüss­te, wie ich lei­de – sie wür­de we­nigs­tens Mit­leid mit mir ha­ben, aus Mit­leid wür­de sie mir hel­fen, wenn sie mich auch nicht mehr liebt.

      Es gibt noch eine ein­zi­ge Hoff­nung, das ist der Arzt. Die­ser Me­di­zi­nal­rat Stie­bing, er hat­te kei­nen so schlech­ten Ein­druck auf mich ge­macht, da­mals bei je­ner Au­to­fahrt. Er hat­te mit Dr. Mans­feld ge­scherzt und ge­lacht, wie ein rich­ti­ger Mensch. Vi­el­leicht war er ein rich­ti­ger Mensch, nicht bloß ein Ma­schi­nen­teil. Ich wer­de wie mit ei­nem Men­schen mit ihm re­den, um mei­ne See­le wer­de ich mit ihm kämp­fen, mei­ne See­le wer­de ich aus die­ser Höl­le er­ret­ten.

      ›Herr Me­di­zi­nal­rat‹, wer­de ich zu ihm spre­chen, ›ich tra­ge die vol­le Verant­wor­tung für al­les, was ich ge­tan habe. Ich war nie so be­rauscht, dass ich nicht wuss­te, was ich tat. Ich will hart be­straft wer­den, ein Jahr, zwei Jah­re will ich ger­ne ins Ge­fäng­nis ge­hen, ger­ne will ich das tun. Aber las­sen Sie mich nicht in die­sem Haus, in die­ser Höl­le, in die man hin­ein­ge­bracht wird, und nicht weiß, wann man wie­der hin­aus­geht; viel­leicht wird man erst auf dem Rücken hin­aus­ge­tra­gen.‹

      ›Herr Me­di­zi­nal­rat‹, wer­de ich noch spre­chen, ›Sie ken­nen un­se­ren Haus­arzt, den Herrn Dr. Mans­feld, ich habe es ge­se­hen. Sie ha­ben mit ihm ge­scherzt und ge­plau­dert im Auto. Fra­gen Sie Herrn Dr. Mans­feld, er kennt mich seit vie­len Jah­ren; er wird Ih­nen be­stä­ti­gen, dass ich ein an­stän­di­ger, so­li­der, nüch­ter­ner Mensch bin. Das jetzt war nur ein An­fall, ich weiß selbst nicht, wie ich dazu ge­kom­men bin. – Nein‹, un­ter­brach ich mich, ›das darf ich dem Me­di­zi­nal­rat nicht sa­gen, sonst er­klärt er mich für geis­tes­krank. Aber Dr. Mans­feld wird be­stä­ti­gen, dass ich im­mer an­stän­dig war: Ich habe Mag­da in die zwei­te Klas­se im Kran­ken­haus ge­legt, und ich habe ohne Mur­ren die ho­hen Ope­ra­ti­ons­kos­ten be­zahlt und nie et­was an ih­rer Pfle­ge ge­spart. Im­mer war ich an­stän­dig, Herr Me­di­zi­nal­rat, las­sen Sie mich wie­der un­ter an­stän­di­gen Men­schen le­ben. Ge­ben Sie mir eine Chan­ce …‹

      Die Uhr schlägt, sie schlägt die vol­le Stun­de, eine Vier­tel­stun­de der lan­gen Nacht ist ab­ge­lau­fen, es ist jetzt zehn Uhr. Und so ver­brin­ge ich die­se ers­te Nacht in der Heil- und Pfle­gean­stalt, Vier­tel­stun­de um Vier­tel­stun­de zäh­lend, Re­den hal­tend und Brie­fe schrei­bend, zwi­schen Schlaf und Wa­chen, so wer­de ich ge­pflegt und ge­heilt. Manch­mal bin ich, über­mü­det, nahe am Ein­schla­fen, aber dann schre­cke ich wie­der hoch: Lexer hat sich oben im Bett her­um­ge­wor­fen, oder je­mand ist auf den Kü­bel ge­gan­gen. Ich habe es »spa­ßes­hal­ber« ge­zählt in die­ser ers­ten Nacht: Von zehn Uhr abends bis drei­vier­tel sechs Uhr früh gin­gen sie­ben Mann achtund­drei­ßig­mal auf den Kü­bel. Als ich ihn am Mor­gen be­nut­zen woll­te, war er so ge­häuft voll, dass er be­reits über­lief. Und kein ein­zi­ger Mensch be­nutz­te Pa­pier – dar­über wa­ren sie hin­aus. Oh, ich habe schon wirk­lich ein hüb­sches Stück Höl­le ken­nen­ge­lernt in die­ser Nacht!

      38

      Ich wur­de vom Ober­pfle­ger ein­ge­klei­det, ich be­kam eine brau­ne Ja­cke und eine ge­streif­te Hose aus Tuch, dazu Le­der­pan­tof­feln. Die Sa­chen, die ich be­kam, wa­ren neu, ich wur­de vom Ober­pfle­ger mit Aus­zeich­nung be­han­delt. Aber viel­leicht wäre es bes­ser ge­we­sen, er hät­te mir alte Lum­pen wie den an­de­ren ge­ge­ben; sie sa­hen es ja, dass ich neu­es Zeug trug, das be­stärk­te sie in ih­rer Ab­nei­gung ge­gen mich. »Der will was Bes­se­res sein, der Speck­jä­ger!«, sag­ten sie und war­fen böse Bli­cke auf mich.

      Üb­ri­gens tat ich et­was Selt­sa­mes bei die­sem Ein­klei­den. Ich durf­te aus mei­nem Kof­fer Sei­fe und Zahn­bürs­te neh­men, und da­bei ge­lang es mir, in ei­nem un­be­wach­ten Au­gen­blick eine Ra­sier­klin­ge zu steh­len. Ich hat­te das schon ein­mal ge­tan, aber da­mals war ich noch schlapp und fei­ge ge­we­sen, ich hat­te noch nicht ge­ahnt, welch Un­heil mir al­les noch be­vor­stand. Jetzt wür­de ich an­ders han­deln, ohne Angst vor Schmer­zen wür­de ich zu­schnei­den. Nein, noch nicht jetzt, mei­ne Tat, die­se heim­li­che Fort­nah­me ei­ner Ra­sier­klin­ge, war mir selbst über­ra­schend ge­kom­men. Noch nicht jetzt – erst wür­de