viel Menschen auf dieser einen Station schon zu leben scheinen), Türen schlagen; in einem Nebenraum, in dem wohl die Aborte untergebracht sind, beginnt ununterbrochen Wasser zu rauschen. Halb acht Uhr und ins Bett, wie die Kinder, früher als die Kinder!
Wie werde ich diese Nacht hinbringen? Wie die sechsunddreißig Nächte der Beobachtungszeit? Und vielleicht viele, viele Nächte danach? Die unendliche Länge einer endlosen Zeit, in der nichts geschieht, legt sich wie ein Bleigewicht auf mich. Dieser kahle Raum, in dem nichts als das Allernotwendigste ist, erscheint mir wie ein Abbild meines künftigen Lebens. Nichts mehr zu erwarten, nichts mehr zu wünschen, nichts mehr zu hoffen … Leben und warten, ein Leben, das sich nur auf das Künftige richtet, in dem jede Stunde leer ist, und auch das Künftige wird leer sein …
Eine Aluminiumschüssel wird vor mich hingestellt, ein Löffel dazugelegt … Ein kleiner Mensch in schmutziger Leinenjacke ist es, der das tut. Sein Gesicht ist hässlich, und es wird besonders hässlich dadurch, dass ihm vorne im Oberkiefer alle Zähne fehlen, bis auf die beiden hauerartigen, gelbschwärzlich verfärbten Eckzähne. Der Mann sieht wie ein böses Tier aus. »Was bist denn du für einer?«, fragt er mit einer frechen, hohen Stimme. »Woher kommst du? Was hast du ausgefressen? Was ist mit deiner Nase passiert?«
Ich antworte ihm gar nicht, schweigend beginne ich, in der Aluminiumschüssel zu löffeln. Es ist nichts wie Wasser und Kohl, warmes gesalzenes Wasser mit wenig Kohl. »Ist das euer Abendessen?«, frage ich. »Gar kein Brot?«
Um mich schleichen, obwohl doch jetzt Schlafenszeit ist, schon mehrere Gestalten, in einer bräunlichen, verschlissenen Tracht, die bei manchen völlig zerlumpt ist …
Der Kleine mit den Hauerzähnen lacht schrill auf. »Ob das unser Abendessen ist?« lacht er böse. »Das fragt der? Der denkt wohl, für ihn wird besonders gekocht! Der denkt, er ist in ein Restaurant gekommen! Der ist so fein, der redet nicht mit unsereinem! Gar kein Brot, sagt der!« Er lacht noch einmal, und plötzlich ist alles still.
Sechs, sieben Gestalten sind es jetzt schon, die um mich schleichen, an den Wänden lehnen, stumm. Ich lege den Löffel in die Schüssel zurück – was hat es für Zweck, sich den Bauch mit warmem Wasser zu füllen? Ich stehe auf, mache einen Schritt nach der Tür hin. Im gleichen Augenblick entsteht in meinem Rücken Getümmel. Sie haben sich auf meine kaum halb geleerte Schüssel gestürzt, sie kämpfen um sie wie die Tiere. Unterdrückte Ausrufe werden laut … das klatschende Geräusch von Schlägen … O du mein lieber Gott, sie prügeln sich um einen halben Liter heißes Kohlwasser wie die Tiere!
Da, ein triumphierendes, hohes, gellendes Gewieher! Das ist der Kleine mit den Hauerzähnen – er ist Sieger geworden!
»Wollt ihr machen, dass ihr fortkommt! Ich melde euch beim Oberpfleger! Ich habe dem Neuen die Schüssel gebracht, mir gehört sie! Nicht wahr, Neuer, du gibst mir dein Essen?«
Ich mache, dass ich aus der Tür komme, ich stehe wieder auf dem Gang beim Glaskasten.
Der Oberpfleger kommt heraus. »Na, dann kommen Sie mal mit, Sommer. Ist Ihr Verband noch in Ordnung? Morgen früh sehe ich ihn nach.«
Auf dem langen Gang liegen jetzt vor jeder Zellentür Kleiderbündel. »Sie legen Ihre Kleider dann auch vor die Tür, nur Ihr Hemd dürfen Sie drin behalten.«
»Darf ich mir nicht einen Schlafanzug aus meinem Koffer holen?«
»Schlafanzug, Nachthemd – so etwas gibt es hier nicht. Sie bekommen ein anständiges Anstaltshemd, das reicht eine Woche.«
Wir treten in eine lange, schmale Zelle, die Luft ist schon jetzt erstickend, stinkend. Acht Betten stehen in dem engen Raum, vier unten, vier darüber gebaut. »Sie haben das Bett unten rechts am Fenster. Machen Sie es rasch zurecht und legen Sie Ihre Sachen vor die Tür. Es ist sofort Einschluss.«
Hinter mir schlägt die Tür zu, ich gehe zu meinem Bett hin. Ich fühle viele Augen musternd auf mich gerichtet, aber niemand sagt ein Wort. Das Bett ist besser als im Gefängnis. Es gibt hier keinen Strohsack, sondern richtige Matratzen, steinharte, aber es liegt sich besser darauf. Es gibt auch ein Laken und eine schöne, weiße Wolldecke, die ich ungeschickt genug in einen Bezug stecke. Auch ein Kopfkeil ist da. Die Bettwäsche ist blau gewürfelt. Ich fühle bei all meinem Tun die musternden Augen auf mir, aber kein Mensch sagt ein Wort. Eilig schlüpfe ich aus meinen Kleidern, bündele sie ungeschickt genug zusammen und laufe im Hemd wieder zu meinem Bett. Ich krieche hinein, dicht über mir ist der Bretterboden des oberen Bettes, ich kann nicht aufrecht sitzen. Das Bett über mir scheint leer. Ich wickle mich fest in meine Decken, strecke mich lang aus. In meinem Magen kullert unangenehm das warme Kohlwasser.
Eine Stimme sagt laut: »Sagt nicht einmal Guten Abend und stellt sich nicht vor. So ein Schleimscheißer!« Beistimmendes Gemurmel wird laut.
Ich fahre in meinem Bett hoch – ich darf es mit diesen Leuten nicht schon am ersten Abend verderben. Ich habe von meinem gespannten Verhältnis mit Düstermann genug. Ich habe mir den Kopf kräftig an den Brettern des oberen Bettes gestoßen.
Die beiden in den Betten drüben, die es gesehen haben, lachen. Der eine ruft: »Hat sich den Dez eingerannt!« in den Schlafsaal. Und der andere: »Hat seine schöne Tuchhose ganz verwürgt ins Jackett gestopft, der muss noch viel lernen, der Speckjäger, der!« Wieder beistimmendes Gemurmel.
Ich krieche aus meinem Bett. »Meine Herren«, sage ich, »entschuldigen Sie, wenn ich mich falsch benommen habe, ich wollte Sie nicht kränken. Wenn ich nichts gesagt habe, so darum, weil mir vorkam, als schliefen einige schon …«
Eine Stimme aus einem Oberbett ruft: »Das ist der Ziese, der ist taubstumm, der hört doch nichts!«
Ich fahre eifrig fort: »Ich bin all das hier noch nicht gewohnt. Ich war nur gut vierzehn Tage in Untersuchungshaft. Wegen Mordversuchs an meiner Frau …«
Beistimmendes, sehr viel wohlwollenderes Gemurmel. Ich habe richtig getippt: Mordversuch macht hier besseren Eindruck als Bedrohung.
»Ich heiße Erwin Sommer, habe ein Produktengeschäft und bin hier nur sechs Wochen zur Beobachtung …«
»Dann pass man gut auf, dass keine sechs Jahre daraus werden!«, ruft eine lachende Stimme. »Der Medizinalrat hat uns alle so lieb, der will keinen von uns entbehren.« Wieder Lachen, aber das Eis ist gebrochen, der schlechte Eindruck wiedergutgemacht.
Ich gehe von Bett zu Bett und höre die Namen: Bull, Meierhold, Brachowiak, Marquardt, Heine und Dräger. Ich werde sie nie behalten, besonders, weil es unterdes fast dunkel geworden ist und ich die Gesichter der einzelnen in ihren Bettkisten nicht mehr erkennen kann. Dann krieche ich in mein Bett zurück.
Eine