lieber Freund«, sagte der Anwalt volltönend und schüttelte das große Mimenhaupt. »Wie jung Sie doch sind mit Ihren vierzig Jahren! (Nicht wahr, Sie sind doch vierzig Jahre?) Immer mit dem Kopf durch die Wand! Immer das Kind mit dem Bade ausschütten! Nun, nun, Sie werden unter geeigneter ärztlicher Pflege auch noch ruhiger werden!« Sein widerlich freundliches Grinsen hatte jetzt etwas unaussprechlich Höhnisches. »Im Übrigen gehe ich wohl nicht fehl in der Annahme, dass ich mich nicht als der Anwalt Ihres Vertrauens betrachten darf?«
»Ganz richtig, Herr Dr. Husten.«
»Ich bedaure es aufrichtig, ich bedaure es nicht für mich (Ihr Fall ist nur ein kleiner Fall für mich, Herr Sommer, ein sehr kleiner Fall), ich bedaure es für Sie und für Ihre Frau! Sie rennen blindlings in Ihr Unglück, Herr Sommer, und wenn Ihnen die Augen aufgehen, wird es zu spät für Sie sein. Schade.« Er fasste schnell meine Hand und schüttelte sie. »Aber wir scheiden nicht als Feinde, Herr Sommer. Wir haben uns kennengelernt, wir haben uns begrüßt, wir trennen uns wieder. ›Schiffe, die sich nachts begegnen‹ – Sie kennen doch dieses vorzügliche Buch der Britin Beatrice Harraden?1 – Es möge Ihnen gut gehen, Herr Sommer!« Damit verließ Herr Dr. Husten erhobenen Hauptes meine Zelle.
Ich aber folgte ihm erst in einigem Abstand und begab mich wieder zu meiner Sägerei auf den Holzhof. Dort berichtete ich Mordhorst haarklein die stattgehabte Unterredung, wurde von ihm zum ersten Male belobt und in meiner Absicht bestärkt, eine eilige Scheidung von Magda zu betreiben und ihr die Verwaltung meines Eigentums zu entziehen.
1 Beatrice Harraden (1864–1936), britische Frauenrechtlerin und Autorin. <<<
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Aber zu alledem kam ich vorläufig nicht mehr, andere, mir wichtiger erscheinende Ereignisse schoben sich dazwischen. Als am Morgen nach dem Besuch des Rechtsanwalts Dr. Husten der Wärter unsere Zellen aufschloss und ich mit dem gefüllten Kübel zum Spülbecken eilte, blieb ich plötzlich verblüfft stehen. Ich traute meinen Ohren nicht, und doch, es war keine Täuschung: Aus einer eben geöffneten Zelle drang eine einschmeichelnde, leise flüsternde Stimme, jene Stimme, die so unzertrennlich mit meinen Alkoholräuschen verknüpft war, jene Stimme, die ich aus meines Herzens tiefstem Grunde hasste: Polakowskis Stimme!
Ich wagte einen eiligen Blick. Ja, da stand er mit dem sanften, mehr gelblichen als bräunlichen Gesicht, mit dem dunklen Vollbart und dem schlicht zurückgestrichenen dunklen Haupthaar, das einen goldig-rötlichen Schimmer hatte, stand da und redete einschmeichelnd sanft auf seinen Zellengenossen ein, wobei er an den Fingern zog, dass sie knackten. Sicher wollte er dem anderen etwas abschnacken, er, der arme, aber ehrliche Arbeiter!
Ich eilte, so schnell ich nur konnte, an der Zelle vorbei, leerte und säuberte meinen Kübel und schlich in meine Zelle zurück, achtsam, nicht gesehen zu werden. An diesem Morgen musste Düstermann, so sehr er auch murrte, den »Außendienst« beim Zellenreinigen machen, Besen und Scheuertuch holen und frisches Waschwasser herbeischaffen: Ich hatte nicht den Wunsch, von Polakowski gesehen zu werden.
Innerlich aber erfüllten mich Schadenfreude und Triumph: Sie hatten den listigen, heuchlerischen Polakowski erwischt, sie hatten ihn gekitscht, und nur ein Gedanke beunruhigte mich noch: Ob es denen auch gelungen war, Polakowski die Beute oder doch einen wesentlichen Teil von ihr abzujagen. Doch auch darüber sollte ich nicht lange im Ungewissen bleiben. Wie immer ging es auf den Holzhof, ohne Polakowski, entweder, weil er sich nicht zur Arbeit gemeldet hatte oder weil beim Inspektor bekannt war, dass wir »in derselben Sache saßen«. In solchen Fällen wird sorgfältig vermieden, zwei Komplizen miteinander in Kontakt kommen zu lassen.
Mordhorst und ich, wir stellten uns an unseren Sägebock und begannen unser Tagewerk, diesmal der angenehmsten Art: glatte, schwache Kiefernrollen, ein Kinderspiel für trainierte Männer, wie wir es waren. Die erste Rolle war zersägt, und während ich die zweite auf dem Bock zurechtlegte, stellte ich meinem Arbeitskameraden die jeden Morgen wiederholte Frage: »Was Neues im Bau?«
»Mhm!« machte Mordhorst und setzte die Säge an. Dann: »Eine neue Einlieferung. Ein Gauner, wie es aussieht. So ein Scheißpolacke.«
Wir begannen zu sägen.
Dann hielt ich wieder inne. »Was hat er denn ausgefressen?«
»Wer? Was ausgefressen?« fragte Mordhorst, der mit seinen Gedanken längst woanders gewesen war, wahrscheinlich wieder bei seinem ewigen bitteren Vorwurf an das Schicksal, warum er gerade in einem solchen Drecknest bei solcher unwürdig kleinen Mauserei hochgegangen war. »Wer? Was ausgefressen?«
»Der Scheißpole doch!«, erinnerte ich. Mit einer wahren Inbrunst wiederholte ich die grobe Bezeichnung.
»Ach der? Was trauen sich denn solche Brüder schon? Alle Polen sind feige …« Und er wollte wieder zu sägen anfangen. Ich aber hielt den Sägebügel fest.
»Nee, sag mal, Mordhorst, das interessiert mich wirklich. Ich glaube, ich habe den Bruder heute früh gesehen.«
»Das kann angehen; auf deiner Station liegt er. Also was er ausgefressen hat? Leichenfledderei natürlich, zu was anderem hat solch ein Polacke doch keine Traute. Leichenfledderei an einem betrunkenen Speckjäger, so einem besoffenen Bürger, verstehst du?«
»Verstehe«, antwortete der betrunkene Speckjäger. »Und hat er seinen Raub in Sicherheit gebracht?«
»Keine Ahnung. Wird er doch – so doof ist selbst ein Polacke nicht!«
»Erkundige dich mal, Mordhorst. Mich interessiert das nämlich sehr.«
»Warum interessiert dich das denn so? Ich finde das komisch.«
»Ich aber gar nicht. Weil ich nämlich der betrunkene Speckjäger gewesen bin, den der Kerl gefleddert hat. Du erinnerst dich doch, Mordhorst, das ist der Wirt, der mich in meiner Besoffenheit hoppgenommen hat. Ich habe dir doch von ihm erzählt.«
»Ach, so ist das!«, sagte Mordhorst und grinste vor Vergnügen. »Der wird ja einen schönen Rochus auf dich haben, wenn er dich zu sehen kriegt. Wo du ihn in den Bunker gebracht hast!«
»Also erkundige dich, Mordhorst, ob er die Sachen beiseite gebracht hat. Er hat zwei goldene Ringe und eine goldene Uhr von mir, Tafelsilber für zwölf Personen, einen rindsledernen Koffer mit Sachen, eine lederne Aktentasche und viertausend