Hans Fallada

Hans Fallada – Gesammelte Werke


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jetzt ließ sie die Mas­ke fal­len, jetzt fühl­te sie sich schon als die Be­sit­ze­rin mei­nes Ei­gen­tums, jetzt glaub­te sie mich schon für ewig auf­ge­ho­ben in ei­ner Ir­ren­an­stalt!

      Aber sie soll­te sich in mir ge­irrt ha­ben, noch gab ich den Kampf nicht auf! Nein, ich fing ihn erst an! Ich war klar­se­hend ge­wor­den, ich war das Kind nicht mehr, das sich von Mag­das Tüch­tig­keit gän­geln ließ, jetzt be­riet mich Mord­horst, und den bes­ten Rechts­an­walt der Stadt, den Herrn Dr. Hus­ten, ließ ich mir auch kom­men!

      32

      Der Herr Rechts­an­walt Dr. Hus­ten, den ich bis­lang nur vom An­se­hen kann­te, war ein Mann Ende der Drei­ßi­ger, eine schon et­was be­hä­bi­ge Ge­stalt mit dem fal­ti­gen und fah­len Ge­sicht ei­nes er­folg­rei­chen Mi­men. Er prak­ti­zier­te noch nicht lan­ge in mei­ner Va­ter­stadt und galt für ge­ris­sen, ein we­nig un­be­denk­lich und sehr teu­er. In mei­nen ge­schäft­li­chen An­ge­le­gen­hei­ten hät­te ich ihn na­tür­lich nie zum Be­ra­ter ge­wählt, aber in ei­ner sol­chen Strafsa­che schi­en er mir ge­ra­de der rech­te Mann.

      Ich wur­de von mei­ner Holz­ar­beit her­ein­ge­ru­fen und fand Herrn Dr. Hus­ten im Büro des In­spek­tors mei­ner war­tend; er war fast so­fort mei­nem brief­li­chen Ruf ge­folgt. Dr. Hus­ten schüt­tel­te mir fast em­pha­tisch die Hand, ver­si­cher­te mir mit ei­ner tie­fen Stim­me, die das »R« roll­te, er freue sich un­ge­mein, mei­ne Be­kannt­schaft zu ma­chen, und wand­te sich dann an den In­spek­tor mit der scherz­haft vor­ge­tra­ge­nen Bit­te, uns ein lau­schi­ges Plätz­chen zu ver­trau­li­cher Auss­pra­che an­zu­wei­sen. Der In­spek­tor grins­te und gab dem Wacht­meis­ter den Auf­trag, uns in mei­ne Zel­le zu füh­ren.

      Der em­pör­te Düs­ter­mann wur­de so­lan­ge auf den Hof zum Spa­zie­ren­ge­hen ge­jagt. »Dass ihr mir nicht an mei­ne Sa­chen rührt!« Mit die­sen Wor­ten ging er.

      Statt sich nun mei­ner Sa­che zu wid­men, er­kun­dig­te sich Dr. Hus­ten flüs­ternd, wer der im­po­san­te, gro­be Herr eben ge­we­sen sei, und nick­te, als ich ihn kurz ori­en­tiert hat­te, tief­sin­nig mit dem Kopf: »Ach, der ist das! Ich habe von ihm ge­hört. Wer macht denn sei­ne Ver­tei­di­gung – der Kerl hat Geld wie Heu. Aus der Sa­che ist was zu ma­chen.«

      Mich in­ter­es­sier­te mehr, was aus mei­ner Sa­che zu ma­chen sei, und ich er­laub­te mir, den Dr. Hus­ten et­was ge­reizt dar­an zu er­in­nern.

      »Ach, Ihre Sa­che?«, rief er er­staunt und voll­tö­nig aus. »Ihre Sa­che ist in bes­ter Ord­nung! Ich habe be­reits die Ak­ten ein­ge­se­hen – Sie be­kom­men den § 51 und ge­hen straf­frei aus, da­für las­sen Sie mich nur sor­gen, mein lie­ber Herr Som­mer!«

      Ich frag­te noch ge­reiz­ter: »Und was wird aus mir, wenn ich den § 51 be­kom­men habe?«

      Er­staunt rief der An­walt: »Was aus Ih­nen wird? Straf­recht­lich ist die Sa­che für Sie dann end­gül­tig zu Ende. Und per­sön­lich? Ich neh­me an, dass Sie dann für ein Weil­chen in eine Heil- und Pfle­gean­stalt ge­hen wer­den, und das ist Ih­nen ja schon aus Ge­sund­heits­grün­den nur zu wün­schen!«

      »Und wie lan­ge wird das ›Weil­chen‹ in ei­ner sol­chen An­stalt für mich dau­ern, Herr Dr. Hus­ten?« frag­te ich böse. »Fünf Jah­re? Zehn Jah­re? Le­bens­läng­lich?«

      Der An­walt lach­te. »Aha! Ir­gend­ein Mit­ge­fan­ge­ner hat Ih­nen einen Floh ins Ohr ge­setzt! Le­bens­läng­lich! Wenn ich so et­was nur höre! Für Sie kommt das doch nie in­fra­ge. Sie sind doch ein ver­nünf­ti­ger Mensch, im Voll­be­sitz Ih­rer Geis­tes­kräf­te …«

      »Ganz mei­ne An­sicht«, stimm­te ich ihm bei, »und dar­um kommt eben der § 51 nicht für mich in­fra­ge. Nein, Herr Dr. Hus­ten, ich tra­ge die vol­le Verant­wor­tung für al­les, was ich ge­tan habe, und bin be­reit, alle Fol­gen zu tra­gen.«

      »Aber, mein lie­ber Herr Som­mer!«, rief er be­schwö­rend. »Sie wür­den dann auf ein Jahr ins Ge­fäng­nis ge­hen müs­sen, min­des­tens auf ein Jahr! Sie kehr­ten als ent­ehr­ter Mann zu­rück! Die Leu­te wür­den mit den Fin­gern auf Sie zei­gen!«

      »Trotz­dem!« be­harr­te ich als ge­treu­er Schü­ler Mord­horsts. »Trotz­dem zie­he ich ein Jahr im Ge­fäng­nis ei­nem un­be­grenz­ten Auf­ent­halt in der Heil­an­stalt bei Wei­tem vor …«

      »Un­be­grenzt! Sie wer­den ein hal­b­es Jahr, ein Jahr dort blei­ben müs­sen, Herr Som­mer …«

      »Wür­den Sie mir das schrift­lich ge­ben, Herr Dr. Hus­ten? Mit Ihrem Wort als An­walt …?«

      »Das kann ich na­tür­lich nicht, mein lie­ber Freund«, sag­te der An­walt. Er schi­en jetzt auch reich­lich ver­är­gert und trom­mel­te mit den Fin­gern ner­vös auf dem Tisch. »Ich bin kein Arzt. Nur ein Arzt kann be­ur­tei­len, wie weit der Al­ko­ho­lis­mus bei Ih­nen vor­ge­schrit­ten ist, wie viel Zeit für eine völ­li­ge, rück­fall­si­che­re Hei­lung not­wen­dig ist. – Aber, mein lie­ber Herr Som­mer!« rief er und riss sich wie­der zu­sam­men, ließ den ein­ge­lern­ten sieg­haf­ten Op­ti­mis­mus wie­der die Ober­hand ge­win­nen, »ge­ben Sie die­ses fins­te­re Miss­trau­en auf. Ver­trau­en Sie sich un­be­denk­lich den hei­len­den Hän­den der Ärz­te an. Be­den­ken Sie auch, dass Sie so­wohl see­lisch wie kör­per­lich kaum den An­for­de­run­gen ei­ner län­ge­ren Ge­fäng­nis­haft ge­wach­sen sein wer­den. Ich glau­be auch kaum, dass ein sol­cher Auf­ent­halt, dass die­se Wahl im Sin­ne Ih­rer lie­ben Frau sein wür­de …«

      Das war ein falsches Wort am falschen Ort!

      »Herr Dr. Hus­ten!«, rief ich, em­pört auf­sprin­gend. »Was ver­tre­ten Sie hier: mei­ne In­ter­es­sen oder die In­ter­es­sen mei­ner Frau? Wo­her wis­sen Sie, was im Sin­ne mei­ner Frau ist? Ha­ben Sie etwa vor un­se­rer Rück­spra­che mei­ne Frau auf­ge­sucht?« Ich zit­ter­te am gan­zen Lei­be vor Er­re­gung.

      »Aber, mein lie­ber Herr Som­mer«, sag­te er be­ru­hi­gend und leg­te mir die Hand auf die Schul­ter. »Wa­rum er­re­gen Sie sich so? Na­tür­lich habe ich Ihre Frau auf­ge­sucht; das war für mich als Ihren An­walt doch ganz selbst­ver­ständ­lich. Und ich kann Ih­nen mit­tei­len, dass Ihre Frau wohl mit Trau­er, aber doch ohne ei­gent­li­chen Groll an Sie denkt. Ich bin über­zeugt, dass sie Ihr Schick­sal auf das Leb­haf­tes­te be­dau­ert …«

      »Ja, und die­ses groll­freie Be­dau­ern spricht sich am deut­lichs­ten in dem Pro­to­koll aus, das von ihr bei den Ak­ten ist!«, rief ich im­mer em­pör­ter. »Ha­ben Sie denn das Pro­to­koll nicht ge­le­sen, Herr Dr. Hus­ten? Nein, ich fin­de es ein­fach un­ver­ant­wort­lich, dass Sie als mein Ver­tei­di­ger, ohne mich zu fra­gen, die Haupt­be­las­tungs­zeu­gin auf­ge­sucht ha­ben.«

      »Aber ich muss­te es doch, mein lie­ber Freund«, wi­der­setz­te der An­walt, über mei­ne Welt­fremd­heit mil­de lä­chelnd. »Ich muss­te mich doch auch über den Punkt ori­en­tie­ren, wer das Ho­no­rar für Sie be­zahlt. Sie sind im Au­gen­blick ge­wis­ser­ma­ßen mit­tel­los …«

      »Sie ir­ren sich, Herr Dr. Hus­ten«, sag­te ich jetzt ganz kalt. »Al­les da drau­ßen: das Ge­schäft, das Bank­gut­ha­ben, die aus­ste­hen­den For­de­run­gen, das Haus, all das ge­hört mir, mir al­lein. Nicht mei­ner Frau. Noch bin ich in kei­ner Heil­an­stalt, noch bin ich nicht ent­mün­digt …«

      »Ge­wiss, ge­wiss«, sag­te der An­walt be­ru­hi­gend. »Das ist na­tür­lich voll­kom­men rich­tig.